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E-Book

Genossenschaftsrecht in Bayern

Historische Entwicklung

VerlagTWENTYSIX
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl232 Seiten
ISBN9783740773588
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,49 EUR
Das Band 10 der Schriftenreihe zur Genossenschaftsgeschichte ist ein Kooperationsprojekt zwischen der Gesellschaft für bayerische Rechtsgeschichte und dem Historischen Verein bayerischer Genossenschaften e.V. Die Beiträge die hier veröffentlicht werden, zeigen mit der Auswahl der Themen und der hochkarätigen Autoren, wie spannend und vielfältig der Austausch zwischen wissenschaftlichen Institutionen und Genossenschaften sein kann. Kritische Wendepunkte der bayerischen Genossenschaftshistorie wurden nicht ignoriert. Vielmehr wurde die Relevanz von einzelnen Persönlichkeiten und Wegbereitern ebenso wie die Tradition der Genossenschaften in der Landwirtschaft, in der Bauwirtschaft und im Kreditwesen in Bayern und Deutschland berücksichtigt.

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Leseprobe

›Unzulässige collegia‹ und die bayerische Rechtsprechung


Andreas Bergmann

I. Die Körperschaft


Menschen bilden seit jeher überindividuelle Gemeinschaften.1 Die ältesten Verbände sind die Gemeinden, Städte und Dörfer.2 Diese sind mehr oder weniger natürlich gewachsen und haben sich im Laufe ihrer Entwicklung unterschiedlich straff verfasst. Daneben bestehen aber auch die ›künstlich‹ durch willkürlichen Beschluss ihrer Gründer geschaffenen Gemeinschaften. Verfügen diese Verbände über eine hinlängliche Organisation insbesondere ihrer Willensbildung, so spricht man von Körperschaften. Der letzte Schritt zur juristischen Person ist getan, wenn das endgültige Zuordnungsobjekt von Rechten und Pflichten nicht mehr in den einzelnen Mitgliedern, auch nicht in der Gesamtheit aller Mitglieder, sondern in einem selbständigen, neben die Personen seiner Mitglieder tretenden Gemeinwesen liegt. Dieses Gemeinwesen ist mehr als die Summe seiner Mitglieder. Durch den Wechsel einzelner oder aller seiner Mitglieder wird diese Gemeinwesen – oder Korporation – in seiner Existenz und Individualität nicht tangiert.3 Eine juristische Person kann Vermögen – auch Grundeigentum – halten und erwerben. Das Vermögen der juristischen Person ist ausschließlich das Vermögen dieses idealen Gemeinwesens; es gehört keinesfalls anteilig den Mitgliedern des Verbandes. Das gilt auch für die Verbindlichkeiten: sie betreffen zunächst alleine die juristische Person. Die einzelnen Mitglieder werden davon grundsätzlich nicht tangiert.4 Das (gleichzeitige) Tun aller Mitglieder der juristischen Person ist nicht gleichbedeutend mit dem Handeln der juristischen Person. Die Handlungsfähigkeit juristischer Personen wird hergestellt durch ihre Verbandsverfassung (Handlungsverfassung). Erst das Handeln der verfassungsmäßigen Vertreter oder Organe gilt als das Handeln der juristischen Person.5 Ulpian hat es auf den Punkt gebracht: den Korporationen ist eine gewisse Staatsähnlichkeit eigen.6 Sie haben ein gemeinschaftliches Vermögen, eine gemeinschaftliche Kasse, eine Verbandserfassung mit (verschiedenen) Organen und grundsätzlich gilt das Mehrheitsprinzip.7

Gaius, Dig. 3, 4, 1, 1 (quod cui. un.): »Quibus autem permissum est corpus habere collegii societatis sive cuiusque alterius eorum nomine, proprium est ad exemplum rei publicae habere res communes, arcam communem et actorem sive syndicum, per quem tamquam in re publica, quod communiter agi fierique oporteat, agatur fiat«.

Diese überindividuellen, willkürlich erschaffenen Korporationen kommen in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen vor. Etwa als Vereine mit gewerblicher Zwecksetzung. Als historische Urbilder lassen sich die Zünfte nennen. Die römischen Quellen sprechen aber auch schon von gemeinschaftlichen wirtschaftlichen Unternehmungen (Gesellschaften), denen die Korporationsrechte verliehen wurden.8 Neben den wirtschaftlichen Korporationen gibt es auch die sog. Idealverbände mit einer geselligen, wohltätigen, teilweise aber auch politischen Zielsetzung. Gerade die politischen Verbände können eine erhebliche Bedrohung für den Staat darstellen. Denn Verbände sind – wenn sie viele Personen und ein großes Vermögen versammeln – ein Machtfaktor. Wohl diesem Gefahrenpotential verdankt die korporationsrechtliche Grundregel des römischen Rechts ihre Existenz: ein Verein – gleichgültig ob mit wirtschaftlicher oder idealer Zwecksetzung – wird nur mit hoheitlicher Genehmigung zur juristischen Person (collegia licita). Für politische (gefährliche) Verbände gilt dies verschärft. Ihre Gründung ohne Genehmigung ist verboten. Die Beteiligung an ungenehmigten Verbänden wird als Kriminalverbrechen verfolgt.9

Im ius commune kam es zur weiteren Ausdifferenzierung der Lehre der juristischen Person. Collegia licita können auf zwei Wegen entstehen können: entweder durch konkrete landesfürstliche Genehmigung im Einzelfall oder durch einen abstrakten Rechtssatz, der für eine bestimmte Art von Verbänden eine generelle Erlaubnis ausspricht.10 Die Möglichkeit einer freien Körperschaftsbildung aber blieb der romanistischen Theorie im Kern immer unbekannt. Und doch gibt es eine Bindeglied zwischen beiden Ansätzen:11 eine Körperschaft kann auch stillschweigend approbiert werden (tacitus consensus principis). Das liegt nahe, wenn sie unangefochten eine lange Zeit besteht.12

Mittendrin liegt eine twilight zone. Hier bewegen sich jene körperschaftlich verfassten Verbände, die zwar über kein (stillschweigendes) landesherrliches privilegium verfügen, deren Gegenstand aber auch nicht als solcher verboten ist.13 Voet hat für diese Korporationen den Terminus der ›tolerierten Körperschaft‹ eingeführt.14 Die Situation der tolerierten Körperschaften ist im Grundsatz wenig komfortabel: sie sind in ihrem Grundzustand weder (aktiv) prozessfähig, noch können sie Grundstücke erwerben. Sie sind auch nicht passiv erbfähig: was ihnen vermacht wurde, kann nicht gefordert werden.15

II. Die Rechtslage in Bayern


1. Das bayerische Landrecht

Das preußische Landrecht adaptierte die gemeinrechtlichen Grundsätze zur Entstehung der Körperschaften.16

Pr. ALR II 6 § 25. Die Rechte der Korporationen und Gemeinen kommen nur solchen vom Staate genehmigten Gesellschaften zu, die sich zu einem, fortdauernden gemeinnützigen Zwecke verbunden haben.

Das bayerische Landrecht (CMBC) setzte das Institut der juristischen Person mitsamt der willkürlich geschaffenen (rechtsfähigen) Korporation zwar voraus, aber allgemeine Bestimmungen fehlten.17 Insbesondere die Entstehungsvoraussetzungen wurden nicht ausdrücklich geregelt.18 Und doch gab es einen ganzen Reigen von Einzelbestimmungen, die das Recht der juristischen Personen streiften und bestimmte Einzelfragen regelten.19 Die älteren bayerischen Zivilisten gingen mit dem gemeinen Recht davon aus, dass eine universitas die hoheitliche Genehmigung voraussetzt: »Ihre Errichtung, wenn sie für rechtlich gehalten werden will, ist durch landesherrliche Genehmigung bedingt. Durch diese werden sie fähig, ein eigentliches Subject von Rechtsverhältnissen zu werden«.20 Auch die bayerische Rechtsprechung forderte die landesherrliche Genehmigung.21 Zur Begründung verwies man auf die Anmerkungen v. Kreittmayrs:22 »Zur Errichtung einer Communität ist nicht nur allseitiger Interessenten Consens, sondern auch die landesherrliche Bewilligung vonnöthen«.23 Oder eben umgekehrt: »Unzulässige, das ist solche Collegia, Corpora oder Confraternitäten, welche von der Landesherrschaft nicht specialiter approbirt und privilegirt, sondern nur privata authoritate errichtet sind, können ebenfalls keine bona vel jura, solche auch keine Erbschaft erlangen«.24 Die Anmerkungen v. Kreittmayrs hatten zwar keine Gesetzeskraft, sie bildeten aber doch das wichtigste Auslegungsmittel für das bayerische Landrecht. Auch die bayerische Verwaltung folgte dem gemeinen Recht.25 Das frühe bayerische Recht kannte überhaupt nur die Möglichkeit der speziellen landesherrlichen Privilegierung. Die Verleihung erfolgte entweder ausdrücklich oder mittelbar durch Bestätigung der Statuten, sofern aus landesherrlichen Bestätigung die Absicht herausschien, dem Verband die Eigenschaft einer juristischen Person verleihen zu wollen (siehe II.2.a, IV.1.c).26

2. Die weitere gesetzliche Entwicklung im 19. Jahrhundert

Unsere Überlegungen gelten dem zivilrechtlichen Phänomen der nicht anerkannten, aber tolerierten Körperschaft. Den polizei- und strafrechtlichen Aspekten der (politischen) Tätigkeit dieser Vereinigungen können und wollen wir hier nicht nachgehen. Uns reicht das Bewusstsein, dass der Staat den nicht privilegierten Verein seit jeher mit Argusaugen beobachtet.27 Das bayerische Versammlungs- und Vereinsgesetz wollen wir daher nur kurz streifen. Eigentliche privatrechtliche Gesetzgebung erfolgte erst ab Ende der 1860er Jahre.

a. Gesetz v. 26. Februar 1850, die Versammlungen und Vereine betreffend

Streng von der landesherrlichen Verleihung der – privatrechtswirksamen – juristischen Persönlichkeit ist die polizeiliche Überprüfung der Unbedenklichkeit des inneren und äußeren Vereinslebens zu trennen. Auf dem Papier recht liberal kam das bayerischen Gesetz v. 26. Februar 1850, »die Versammlungen und Vereine betreffend« daher. Vereine konnten im Grundsatz frei gegründet werden. Die Gründung war allerdings umgehend der Staatspolizei anzuzeigen.28 Die Richtung der Überprüfung interessiert hier nicht. Rechtsdogmatisch bedeutsam...

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