Ein Wechselbad – Hoffnung, Chaos, Sturz und Fallen (November 2006 bis September 2008)
Einige Zeit arbeitete ich nun schon als Leiterin des Sachgebiets Bürgerhäuser. Einer meiner beiden Verwaltungsmitarbeiter war in Rente gegangen. Ein freundlicher Mann, der immer wieder betont hatte, er wolle keine Verabschiedung und nach seinem Ausscheiden nicht mehr mit dieser Stadtverwaltung in Kontakt treten, insbesondere wolle er keine Anrufe von diesem Amt und das Gebäude nie wieder betreten müssen. Auf den Grund angesprochen, sagte er, die vielen Jahre reichten ihm. Das alles solle nun Geschichte sein und er wolle vergessen.
Seinen Nachfolger, Jörg Blatt, arbeitete er noch ein. Ich lernte den Fünfzigjährigen als offenen, stets zuvorkommenden Mitarbeiter kennen. Sein vorheriger Arbeitsplatz sei eingespart worden und über eine kurze Zwischenstation sei er nun hier zu den Bürgerhäusern gekommen. Er sei zufrieden gewesen und habe nicht mehr die Stelle wechseln wollen vor der Rente. Noch einmal etwas Neues zu lernen sei eben auch anstrengend in seinem Alter.
Sein Interesse an der Arbeit oder den Bürgerhäusern schien sehr begrenzt. Niemals fragte er, ob er die Gebäude, für deren Terminvergabe er verantwortlich war, von innen sehen könne. Bei Terminvergaben beachtete er zumeist nicht die Vorgaben der Satzung oder der Vergaberichtlinien und auch nicht die in der Praxis benötigte Zeit für Umbauten und Reinigung.
Getrennt voneinander und gemeinsam versuchten Herr Distel und ich, Herrn Blatt für dieses Geschäft zu sensibilisieren, doch veränderte er seine sehr schnell eingeführte Routine kaum. Also wandten wir uns an die Abteilungsleiterin.
Beate Erb-Walz lobte Herrn Blatt seitdem als hervorragenden Mitarbeiter. Herrn Distel hingegen überging sie gelegentlich während der Rücksprachen, unterbrach ihn und wies ihn in vermeintliche Schranken. Das wunderte mich, denn er trat ihr immer respektvoll gegenüber, war inhaltlich sehr gut vorbereitet und lösungsorientiert.
Bereits nachdem wir wenige Wochen gemeinsam arbeiteten, hatte Frau Erb-Walz den Vorarbeiter während einer Rücksprache unterbrochen, ihn sogar angeschrien, er solle sie nicht ständig unterbrechen. Ich war irritiert, hatte Herr Distel sie doch ausreden lassen und sich selbst dabei sehr zurückgenommen.
Hatte ich damals eingeworfen, er habe sie doch gar nicht unterbrochen? War das der Beginn? In der Folgezeit griff Beate Erb-Walz mich erstmals an. Ich würde nicht zuhören und folge ihren Anweisungen nicht. Dabei war ich mir doch so sicher, ihre Aufträge exakt umgesetzt zu haben. Fragte ich Herrn Distel nach seinen Eindrücken, bestätigte er meine Meinung. Er habe mir doch schon zu Beginn gesagt, dies sei ein Irrenhaus. Ich sei noch weit davon entfernt zu verstehen, was hier tatsächlich geschehe.
Im Dezember 2006, nach nur drei Monaten im neuen Sachgebiet, bemerkte ich verwundert, dass mich Beate Erb-Walz mehrfach nicht grüßte, wenn wir uns am Morgen auf dem Flur oder im Vorzimmer begegneten. Mitunter schien sie mich einfach zu übersehen. Hatten wir bisher die Rücksprachen zu dritt geführt, schloss sie nun häufig Herrn Distel davon aus. War ich allein bei ihr im Büro, so berichtete sie jeweils Negatives über Herrn Distel. Das widersprach den Eindrücken, die ich in der Zwischenzeit von dem Vorarbeiter gewonnen hatte.
Bald bestand Frau Erb-Walz darauf, dass ich mir immer über das Vorzimmer einen Termin bei ihr geben ließ, selbst wenn ich nur eine schnelle Klärung mit ihr in einer Sache wollte. Besuche in den Bürgerhäusern musste ich nun mitunter von ihr genehmigen lassen, an anderen Tagen meinte sie irritiert, ich könne doch einfach dorthin fahren und müsse sie nicht über meine Absicht informieren.
Das Verhalten meiner Vorgesetzten erschien mir sehr widersprüchlich. Frappierende Parallelen zu meinen Erfahrungen entdeckte ich in den Aufzeichnungen meines Vorgängers, des verstorbenen Hans-Jörg Pramm, die er für das bereits terminierte Personalgespräch bereitgelegt hatte. Diese Papiere hatte ich beim Aufräumen nach der Übernahme des Büros entdeckt. Wegen der Zusammenhänge zu anscheinend noch aktuellen Vorgängen und den Problemen, die im Sachgebiet und mit der Abteilungsleiterin zu bestehen schien hatte ich mit Herrn Distel und Herbert Breuer, dem für den Bereich Bürgerhäuser verantwortlichen Personalrat, darüber sprechen wollen.
Herbert Breuer war nicht nur Personalrat, sondern auch mit meinem Vorgänger eng befreundet gewesen. Ich berichtete ihm von meinen Eindrücken, dem Verhalten der Vorgesetzten und fragte nach meinem Vorgänger. Dabei erfuhr ich, dass dieser Alkoholiker gewesen sei, spielsüchtig und stark depressiv. Dennoch habe er sich sehr gut verkaufen können und sei von den Mitarbeitern geschützt worden. Frau Erb-Walz habe ihn gewähren lassen, habe sein offensichtliches gesundheitliches Problem nicht aufgegriffen. Die Vorwürfe zum Schluss gegen Herrn Pramm seien aber keinesfalls nachvollziehbar. Diese hätten meinem Vorgänger stark zugesetzt und womöglich seine Probleme verstärkt. Frau Erb-Walz sei ein sehr schwieriger Mensch.
Am stärksten verwunderte mich, warum die Abteilungsleiterin direkt in meinen Arbeitsbereich eingriff, Hausmeistern oder Reinigungskräften Anweisungen erteilte oder sogar Personalgespräche mit ihnen führte, obwohl sie die Hintergründe häufig nicht kannte, die Inhalte und Ziele zuvor nicht mit dem Vorarbeiter und mir abstimmte und uns im Anschluss noch nicht einmal oder zumindest nicht ausreichend informierte.
Mir war ein guter, vertrauensvoller Umgang mit den Mitarbeitern wichtig. Als unverzichtbar empfand ich es auch, arbeitsrechtlich korrekt zu handeln, grobe Verstöße zu vermerken, an die Vorgesetzte zu geben und an das Personalamt weiterzuleiten.
Herr Distel zog häufig eine interne Klärung vor und argumentierte, bei einem Weiterleiten von Vermerken an Beate Erb-Walz kämen wir zu keinem Ergebnis. Zunächst glaubte ich ihm nicht. Tatsächlich aber entsprach dies oft der Realität. Natürlich sprachen wir bei leichten Verstößen sofort mit den Mitarbeitern, zeigten das korrekte Verhalten auf und beließen es zunächst dabei. Wiederholte oder schwerere Vergehen mussten wir ahnden, doch ignorierte Beate Erb-Walz immer wieder die Vermerke oder Darlegungen, meinte, das sei doch „keine Sache“. Hausmeister und Reinigungskräfte seien anders zu behandeln als Verwaltungskräfte. Ich müsse ein Gefühl dafür entwickeln und könne mir ein Beispiel an ihrem Handeln nehmen.
Unter positiver Personalführung verstand ich ein auf angemessenen Regeln und Gesetzen beruhendes, transparentes Vorgehen. Das wechselhafte Handeln meiner Vorgesetzten konnte ich damit nicht vereinbaren.
So aber wurde das Arbeiten für Herrn Distel und mich sehr schwierig. Einige Mitarbeiter waren verunsichert, mitunter enttäuscht, verärgert, weil sie selbst sich korrekt verhielten und dadurch mehr arbeiten mussten als Kollegen. Andere versuchten, die fehlenden Strukturen und ausbleibenden Konsequenzen für sich zu nutzen. Begünstigt wurde dies natürlich auch durch die dezentralen Arbeitsplätze in den Bürgerhäusern, in denen Hausmeister oft allein tätig waren oder gemeinsam mit einer Reinigungskraft. Herr Distel war als Verantwortlicher für alle Bürgerhäuser dieser Stadt häufig vor Ort, doch gab es keinen Chef, der ständig zur Tür hereinschauen konnte wie in einem Bürogebäude.
Ich dachte über meine bisherigen Eindrücke von Beate Erb-Walz nach: Etwa 50 Jahre alt war sie, schlank, offensichtlich sehr auf ihr äußeres Erscheinungsbild bedacht. Sie hatte rotbraun gefärbte, etwas länger als bis zur Schulter reichende gewellte Haare, trug überwiegend eng anliegende Hosen, meistens Jeans, und weiße, verspielte Blusen. Hielt sich ein Mann in ihrer Umgebung auf, war ihre Stimme deutlich höher als in Anwesenheit von Frauen. Dann neigte sie den Kopf zur Seite und öffnete gewagt viele Knöpfe der weißen Bluse, doch war nach den Kommentaren einiger Hausmeister die immer gebräunte Haut ihres Dekolletés nicht mehr so jung, als dass es sich empfohlen hätte, sie zu zeigen. Außenstehenden gegenüber trat Beate Erb-Walz freundlich auf, bei Hausmeistern und Reinigungskräften versuchte sie sich im örtlichen Dialekt, vielleicht, um eine besondere Mitarbeiterfreundlichkeit zu signalisieren.
Täglich tauschten Gernot Distel und ich uns über aktuelle Ereignisse aus und immer wieder prophezeite er, es werde noch schlimmer kommen. Das sei erst die Spitze des Eisbergs. Ich hätte das alles noch nicht verstanden. Im Grunde empfand ich diese Unterstellungen von Herrn Distel als beleidigend. Es war doch nicht so, dass ich keine Menschenkenntnis hatte und Zusammenhänge nicht sehen konnte. Ins Zweifeln kam ich dennoch, denn zunehmend musste ich mein Handeln gegenüber Beate Erb-Walz rechtfertigen.
Mit Herbert Breuer stand ich regelmäßig in dienstlichem Kontakt. Ich empfand ihn als kompetenten und engagierten Personalrat. Daher berichtete ich ihm von den widersprüchlichen und meiner Meinung nach oft nicht rechtmäßigen Anweisungen meiner Vorgesetzten und beriet mich mit ihm. Anfangs überlegte ich, wie ich ihr gegenüber auftreten und argumentieren sollte und erprobte verschiedene Verhaltensweisen. Gleichzeitig stellte sich die Frage, ob ein Eingreifen von außen möglich wäre. Wir versuchten, den Amtsleiter zu sprechen, wurden jedoch abgewiesen. An das Personalamt wollte ich mich nach den Ereignissen im Jahr 2006 nicht wenden, da ich befürchtete, dass mir auch die Verantwortung für die aktuellen Missstände zugeschrieben würde.
Die Vorfälle bei der Arbeit, ausgelöst durch Beate Erb-Walz, nahmen stetig zu. Dabei stellte ich fest, dass ich vergangene Ereignisse vergaß oder verdrängte, wenn weitere Konflikte...