3.
Die Botschaft.
Es war ein stattlicher, wohlgewachsener Mann in den Vierzigen, mit dem Ausdruck edelmütigen Wohlwollens in dem angenehmen Gesichtszügen; schlicht, doch nicht ohne Sorgfalt im Äußern. Etwas Schweres, fast Steifes in Haltung und Bewegung verlieh ihm eine gewisse Würde, und die stete Ruhe des Gesichtes, welche dem Mangel innerer Reizbarkeit ihre Entstehung zu verdanken schien, konnte ebenso gut für Wirkung der Herrschaft gelten, welche er über seine Gefühle erlangt hatte. Während er nachlässig die Hand an sein rotes Barett legte, des Spielmanns Gruße zu erwidern, sagte er zu demselben: »Willkommen, Meister Heini, was bringst Du mir gutes von Aarau?«
»Ich verhoffe, Junker Oberherr, wenigstens keine Hiobspost, wiewohl heutzutage das Gute so selten wird, wie fettes Gras um Weihnachten. Vor allen Dingen läßt sich mein Herr Schultheiß Hagenbuch allergehorsamst empfehlen und übersendet dies Briefchen – das zweite hier hat mir der wohlehrwürdige Dekan Rüsperli für Euch anvertraut, als er von meiner Reise nach Rued vernahm.«
Der Junker öffnete lässig das Schreiben des Schultheißen und durchlief es mit den Augen. Nach einer Weile murmelte er für sich wiederholend die Worte: »Durchpaß, aber keine Besatzung? Hm! . . .« sann dann eine Weile nach, indem er die Hände, worin er die empfangenen Papiere hielt, auf den Rücken legte, ging gemächlich ein paar Schritte vor, ein paar zurück, und sagte darauf: »Ich verstehe nicht, was Aarau will? Der Schultheiß Hagenbuch, der in der Feder nicht stark ist, verweist mich an Deine Zunge. Begleite mich also ein wenig; der Abend ist ruhig und warm. Erzähle mir!«
Er ging, bei diesen Worten sich vom Schloßplatz entfernend, langsam wieder den Weg. welchen er gekommen war, und dessen sandiges Geleise sich bald in der Dämmerung schwarzer Tannen verlor, nach dem Berge zurück. Wirri wandelte ihm schweigend zur Seite, die Befehle des Junkers erwartend.
»Erzähle mir also ausführlich den heutigen Beschluß der Aarauer, denn des Schultheißen Hagenbuch Worte sind ebenso kurz als unverständlich. Es ist Dir bekannt, Heini, daß der um sich greifende Aufruhr des Landes den Rat von Bern zu strengen und kriegerischen Maßregeln gezwungen hat. Zwar ist der Aargau noch ruhig. aber seine Gesinnung ist unzuverlässig. Darum wird dieser Tage das Kriegsvolk von Mühlhausen, Basel und Schaffhausen einrücken, Die Züricher stehen mit achttausend Mann zum Aufbruch bereit.«
»Hilf Himmel!« rief der Meistersänger. »So sei Gott dem armen Lande gnädig. Ein Krieg ist schneller angefacht als abgemacht. Es war unserem Volke nur zu wohl, darum schlägt's gegen seinen Herrn nach hinten aus, wie ein mutwilliges Füllen. Aber freilich, es müssen starke Beine sein, die gute Tage tragen sollen . . . Der Überreiter von Bern kam schon gestern in Aarau an. Diesen Morgen nun wurde die ganze ehrsame Bürgerschaft aufs Rathaus entboten. Da hat der Herr Schultheiß Hagenbuch angezeigt, daß ein Schreiben von unseren gnädigen Herren angekommen sei, worin ihrer Gnaden Wille und Meinung wäre, fünfhundert Mann von Basel und Mühlhausen in unsere Stadt zu legen, mit dem Befehle, man solle ihnen Speise und Trank um den rechten Preis zukommen lassen. Die sollten bei uns in der Stadt verbleiben, bis die Bauern bezwungen sein würden.«
»Die Sache ist einfach,« unterbrach ihn der Junker, »die Schaffhausener werden ebenso die Stadt Brugg besetzen, um aller Pässe über die Aar Meister zu bleiben und die Grafschaft Lenzburg von den Ämtern Biberstein und Schenkenberg zu trennen. Wurde die Bürgerschaft bald einig?«
»Ja, Junker Oberherr, wenn wir alle nur einen Kopf hätten, so brauchten wir nur einen Hut. Die Bürger begehrten Bedenkzeit, gingen in die Kirche und berieten mit einander. Hieronymus Kasthofer beantragte: man müsse unseren gnädigen Herren zu Bern willfahren. Eine Kriegsbesatzung gereiche der Stadt selber zum Schutz gegen die Anfechtungen des Landvolks. Dem widersprach aber Antoni Hunziker aus aller Kraft. Er meinte, Soldaten bringen nicht immer Sieg, aber immer Krieg. Der Kriegsknecht im Haus, mache dem Frieden Garaus. Die Bürger könnten ihre Thore besser hüten, als Fremdlinge. Wolle Bern mit dem Landvolk streiten, so solle Aarau nicht die Haare dazu geben. Man müsse keine Partei nehmen, denn die Bauern grenzen an den Stadtbann, Bern aber läge vierzehn Stunden davon. So ungefähr redete Anton Hunziker, und nun gab's Lärmen für und wider, bis Samuel Schmutziger aus der Vorstadt aufstand. Ihr kennt vermutlich den Biedermann, Junker Oberherr, er ist der guten Sache Freund und niemandes Feind. Die ganze Bürgerschaft hält ihn in Ehren, denn er ist aller Welt Helfer, und verlangt dafür erst die Zahlung im Himmel.«
»Gut, gut!« rief der Junker. »Nenne mir seinen Rat, so kann ich ihn auch loben.«
»Ei nun, er meinte: Rechtthun gehe über Klugthun. Freien Durchzug müsse man den Hilfsvölkern von Bern gegen jeden Feind gestatten: ob aber die Stadt verpflichtet sei, Besatzung aufzunehmen, darüber müsse man sich die Freiheiten von Aarau vorlesen lassen. Diese Meinung wurde durch Handaufheben angenommen und ein Ausschuß von fünfzehn Mann trug dieselbe den Räten und Bürgern vor. Dabei ist's einstweilen verblieben.«
»Das ist etwas und nichts,« sagte Junker Mey. »Es muß anderswo durch. Wenn sich Bern gegen rebellische Unterthanen zur Wehr setzen will, sollen die Aarauer ihren Herren und Oberen keineswegs die Hände binden. Ich werde selbst zur Stadt gehen, und hilft Güte nicht, wird's Ernst gelten.«
»Junker Oberherr, haltet zu Gnaden! Das Sprüchlein sagt: Allzuscharf schneidet nicht. Geht gemach! Schultheiß Dulliker von Luzern sagte auch: Man kommt mit einer Hand voll Gewalt weiter, als mit einem Sack voll Recht. Aber ich dachte, als ich ihn vor sechs Wochen in bleichem Schrecken aus Wollhausen wegreiten sah: wenn man die Weidenrute zu stark dreht, bricht der Knebel.«
»Warst Du beim Auftritt im Entlebuch, wo die Rebellion ihren Anfang nahm?«
»Allerdings, Junker Oberherr, ich kam dazu ohne Wissen, ohne Sünde, wie der Blinde zu der schönen Braut. Euch ist besser als mir bekannt, wie gar ungesalzen und ungeschmalzen die Abgeordneten der Entlebucher abgespeist worden sind, da sie wegen der herabgesetzten Batzen mit flehentlicher Vorstellung nach Luzern gekommen waren und gebeten hatten, man solle entweder den Wert des Geldes wieder erhöhen, oder Landeserzeugnisse, wie sie dem Bauer im Felde wachsen, als Bezahlung annehmen. Auch wißt Ihr gar wohl, wie der bittere Bescheid, den die Abgeordneten ins Entlebuch heimbrachten, böses Blut machte, und wie die Leute bei ihrem Verlust in Verzweiflung gerieten. Der Bauer verliert lieber seine rote Nase, als seinen roten Kreuzer. Ihr wißt, wie darauf die hochobrigkeitlichen Schuldenboten mit Schimpf und Schanden, die Hände auf den Rücken gebunden, die Ohren mit Holzklammern, das Maul mit Weidenkörben geklemmt, aus den Dörfern gejagt wurden, wo sie Geld eintreiben wollten. Ihr wisset ferner . . .«
»Alles, Heini, alles!« unterbrach ihn der Oberherr. »Beschreibe mir nur, was Du mit eigenen Augen sahest.«
»Ei nun, da ich, bei rauhem Winterwetter mit zwei müden Beinen von Willisau kommend, den stillen Weg hinabschlich in den Thalgrund, worin Wollhausen liegt, war's im Dorfe noch totenstill. In der Herberge allein ging's lebendig Trepp' auf und ab und wurde gesotten und gebraten, denn der Herr Schultheiß von Luzern, der Herr Plebanus, welcher vordem Pfarrer im Entlebuch gewesen, und andere Herren wohnten in derselben Herberge. Ich freute mich auf ein gutes Abendessen: da wurde mir aber bald durch keine kleine Angst die Eßlust vertrieben. Es sammelten sich nach und nach Menschen von allerlei Gestalt vor dem Wirtshause; sie kamen wie herbeigeschneit und führten unter gewaltigem Lärmen ruchlose Reden gegen die hochobrigkeitliche Gesandtschaft. Der Herr Schultheiß, ein freundlicher und sonst wohlbedächtiger Herr, auch recht ehrwürdig im Thun und Lassen, hatte den Mut, vor die Hausthür zu treten, und wollte reden, aber das hieß Holz ins Feuer legen. Wenns hagelt, zieht die Schnecke die Hörner ein. Er machte sich wieder zurück, und man hörte darauf Steine gegen die Thür werfen. Ich wünschte mich weg ins Pfefferland, denn es heißt: mitgefangen, mitgehangen, und es kann in einem Augenblicke so viel reißen, was ein Jahr nicht aufflickt.«
»Wie nun weiter, Heini? Drang der Pöbel ins Haus?«
»Nein, ein dichter, kalter Regenschauer drang plötzlich den Bauern durch die braunen Wämmser und löschte glücklich das Feuer, als es schon bei ihnen oben zum Dache hinaus wollte. Sie stoben mit Geschrei aus einander, wie Gänse, wenn der junge Hund mit ihnen spielen möchte. Dann bliebs ruhig.«
»Und das war alles?«
»Mit nichten, Junker Oberherr! Nach dem Vorspiel kommt das Nachspiel. Andern Morgens war bei der Herberge eine große weiße Fahne aufgepflanzt. Weiß ist die Farbe der Unschuld, aber der Kaminfeger trägt Sonntags auch wohl ein Hemd, so weiß wie Schnee. Die Leute sammelten sich wieder zu Tausenden; sie strömten aus allen Dörfern zusammen, zwischen den Köpfen konnte kein Apfel zu Boden fallen. Um zehn Uhr wurde die Fahne abgenommen; damit zog alles hinaus ins freie Feld. Ich sang in meinem Herzen te Deum laudamus, hatte aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Plötzlich ertönte eine Musik wunderbarer Art. Wir laufen an's Fenster, und siehe da, ein langer, unübersehbarer Zug von Menschen kommt daher, alle mit Kolben, Musketen, Spießen und Morgensternen bewaffnet. Voran gingen drei Junggesellen in alter Tracht, welcher die drei Eidgenossen vorstellten. Darauf folgten...