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Geschichte des alten Mesopotamien

Frahm, Eckart - die erste Hälfte der Menschheitsgeschichte

AutorEckart Frahm
VerlagReclam Verlag
Erscheinungsjahr2013
ReiheReclams Ländergeschichten 
Seitenanzahl296 Seiten
ISBN9783159603544
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,49 EUR
Die 3000 Jahre Geschichte des alten Mesopotamien umfassen - zusammen mit der ungefähr gleichzeitigen Kultur des alten Ägypten - nichts weniger als die gesamte erste Hälfte der Menschheitsgeschichte. Die in ungeheuer großer Menge überlieferten Keilschrift-Quellen sind, wie ein Assyrologe es mal formulierte, 'unsere ältesten Familiendokumente'. Trotzdem erscheint uns die Kultur der Sumerer, Assyrer und Babylonier außerordentlich fremd. Sie lag Jahrtausende unter Schutt und Sand verborgen, kaum Traditionen verbinden uns mit ihr. Der deutsche, in Yale/USA lehrende Altorientalist Eckart Frahm unternimmt es, das alte Zweistromland heute verständlich zu machen.

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Leseprobe

Erster Teil: Grundlagen


I. Raum und Zeit


Gegenstand dieses Buches ist die Geschichte des »alten Mesopotamien« – ein Begriff mit räumlichen und zeitlichen Implikationen, die der näheren Erläuterung bedürfen. Wo genau liegt Mesopotamien, und auf welchen Abschnitt seiner Geschichte bezieht sich das Adjektiv ›alt‹?

Mesopotamia ist ein griechisches Wort, das »(Land) zwischen den Strömen« bedeutet. Griechische Historiker und Geographen bezeichneten so das Gebiet zwischen den Oberläufen von Euphrat und Tigris, ein Territorium, das den heutigen Nordirak sowie Nordostsyrien umfasst und seit dem arabischen Mittelalter als Dschesira (wörtlich: »Insel«) bekannt ist. Der römische Gelehrte Plinius verwendete den Begriff in einer etwas erweiterten Bedeutung – für ihn gehörte auch die im Südirak bis zum Persischen Golf reichende Alluvialebene zu Mesopotamien. Wenn Wissenschaftler heute von Mesopotamien sprechen, so tun sie dies in der Regel in Übereinstimmung mit dem von Plinius etablierten umfassenderen Wortgebrauch, und in diesem Sinn wird der Begriff auch hier verwendet. Dabei wird zusätzlich zwischen Untermesopotamien und Obermesopotamien unterschieden. Untermesopotamien umfasst das fruchtbare Schwemmland südlich des heutigen Samarra, während Obermesopotamien sowohl die Gebiete am mittleren Lauf des Tigris – und seinen wichtigsten östlichen Zuflüssen, dem Oberen und Unteren Zab – einschließt als auch die zu einem guten Teil im heutigen Syrien gelegenen Territorien am mittleren Lauf des Euphrat und seinen nördlichen Nebenflüssen, dem Habur und dem Balich. Neben »Mesopotamien« hat sich im deutschen Sprachgebrauch auch der Begriff »Zweistromland« eingebürgert.

Die alten Sumerer, Akkader, Babylonier und Assyrer verwendeten für die von ihnen bewohnten Territorien je nach Zeit und Ort unterschiedliche Bezeichnungen. Der südliche Teil der untermesopotamischen Alluvialebene wurde auf Sumerisch Kengir und auf Akkadisch Schumeru, d. h. »Sumer« genannt, während man für den nördlichen Teil den (von Waru’um abgeleiteten) sumerischen Terminus Uri bzw. den akkadischen Begriff (mat) Akkadî (»Akkad«) gebrauchte, der auf den Namen der Hauptstadt des von Sargon gegründeten Reiches zurückgeht. Nordmesopotamien wurde oft als Subir bzw. Subartu bezeichnet. In der zweiten Hälfte des zweiten Jahrtausends v. Chr. etablierte sich für Untermesopotamien der kassitische Name Karduniasch, während mit dem Aufstieg des assyrischen Territorialstaats für das Gebiet am mittleren Tigris (und später auch für weiter im Westen gelegene Territorien) der Begriff mat Aschur, wörtlich »das Land (von) Assur«, in Gebrauch kam. In klassischen Quellen wird Untermesopotamien nach dem Namen der Stadt Babylon (eigentlich Babili) Babylonia genannt, während man in Anlehnung an mat Aschur für Obermesopotamien den (in dem Ländernamen »Syrien« fortlebenden) Begriff Assyria gebrauchte. Die davon abgeleiteten Namen »Babylonien« für Untermesopotamien und »Assyrien« für Obermesopotamien werden auch hier verwendet.

Ist es sinnvoll – und nicht eher irreführend –, eine geschichtliche Darstellung vorzulegen, die sich auf Mesopotamien konzentriert und seine Nachbarn nur ganz am Rande behandelt? Die Frage stellt sich vor allem deshalb, weil das alte Zweistromland zu allen Zeiten in einem engen Austausch mit anderen historischen Landschaften des Vorderen Orients stand. Was den syrischen Westen anbetrifft, so denke man nur an Städte wie Ebla, Qatna oder Aleppo, die politisch und kulturell eng mit Mesopotamien verbunden waren, oder an die zahlreichen syrischen und palästinischen Kleinstaaten, die von den assyrischen und babylonischen Imperien des ersten Jahrtausends v. Chr. annektiert wurden. Im Südwesten kam es im ersten Jahrtausend zu wiederholten Begegnungen mit den Bewohnern der arabischen Halbinsel. Im Südosten unterhielt Mesopotamien von Anfang an enge, wenn auch nie spannungsfreie Beziehungen mit den im heutigen Iran gelegenen Territorien von Elam und Anschan. Im zweiten Jahrtausend v. Chr. bediente man sich zeitweise selbst in den weit entfernten Hauptstädten Ägyptens und des in Zentralanatolien gelegenen Hethiterreichs der akkadischen Keilschrift. Und im Zuge von Handelskontakten bzw. als Beutestücke gelangten Objekte mit babylonisch-assyrischen Keilinschriften im zweiten und ersten Jahrtausend bis nach Griechenland und Malta im Westen und Afghanistan im Osten.

All dies zeugt davon, in welch hohem Maße Mesopotamien mit der internationalen Staatenwelt des Altertums vernetzt war. Wenn es dessen ungeachtet möglich erscheint, eine »Geschichte des alten Mesopotamien« zu schreiben, dann vor allem aus zwei Gründen. Erstens bildet Mesopotamien einen zwar keineswegs hermetisch abgeschlossenen, aber gleichwohl, wie weiter unten ausgeführt, klar definierten Naturraum. Und zweitens spielte das alte Zweistromland über Jahrtausende hinweg eine zentrale Rolle in Vorderasien, politisch ebenso wie kulturell. Mesopotamien beeinflusste seine Nachbarn weit mehr, als dies umgekehrt der Fall war. Bezeichnenderweise nahmen die von außen nach Mesopotamien eindringenden Stämme und Völker immer wieder binnen kurzem die einheimischen Gewohnheiten an, bedienten sich der akkadischen Sprache und verehrten mesopotamische Gottheiten. Sie taten dies oft selbst dann, wenn ihre Anführer die Herrschaft über das Zweistromland errungen hatten.

Fragen der Grenzziehung stellen sich auch mit Blick auf den zeitlichen Rahmen unserer Darstellung. Wann beginnt die Geschichte des »alten Mesopotamien« und wann kommt sie an ihr Ende? In dem vorliegenden Buch sind es Erfindung und Untergang der Keilschrift, die als Leitkriterien für die chronologische Eingrenzung des Themas dienen – grundsätzlich reicht also unser Überblick von der zweiten Hälfte des vierten Jahrtausends v. Chr. bis in die frühe nachchristliche Zeit. Darüber, wie angemessen eine solche Demarkation ist, kann man geflissentlich streiten. Charakteristische Elemente der altmesopotamischen Zivilisation, zum Beispiel die Nischenarchitektur der Tempel oder die Verwendung von Siegeln aus Stein, hatten ihren Ursprung in der vorschriftlichen Zeit – auf die wir daher ganz knapp ebenfalls eingehen werden –, andere lebten nach dem Untergang der Keilschrift fort. Dennoch ist der hier zugrunde gelegte zeitliche Rahmen nicht ganz willkürlich gewählt. Die Erfindung der Keilschrift markierte im alten Zweistromland ohne Frage einen Sprung auf eine entscheidend höhere politisch-kulturelle Komplexitätsstufe, während umgekehrt mit dem Untergang dieser Schrift zentrale Aspekte der eng mit derselben verbundenen mesopotamischen Kultur an ein Ende kamen.

Mit Blick auf die so umrissenen chronologischen Ausgangs- und Endpunkte unserer Darstellung sind zwei wichtige Einschränkungen zu machen. Bis in die Zeit um 2600 v. Chr. ist das uns zur Verfügung stehende Korpus von Keilschrifttexten thematisch sehr begrenzt. Es besteht fast ausschließlich aus schwer verständlichen Wirtschaftsurkunden und Wortlisten sowie wenigen kurzen Weihinschriften. Da spätere Keilschrifttexte, die sich mit dieser Zeit beschäftigen, historisch unzuverlässig sind, lässt sich eine politische Geschichte der Jahrhunderte von 3300 bis 2600 v. Chr. vorerst nicht schreiben, und auch über die Entwicklung von Kultur und Religion während dieser Periode sind wir unzureichend informiert.

Aus ganz anderen Gründen werden hier auch die letzten Jahrhunderte der Keilschriftkultur nur sehr knapp behandelt. Seit der Eroberung Babylons durch den Perserkönig Kyros im Jahre 539 v. Chr. wurden die politischen Geschicke Mesopotamiens von Herrschern entschieden, die nicht mehr in den alten Metropolen des Zweistromlandes residierten und mit dessen Kultur nur noch oberflächlich vertraut waren. Die Zahl der Menschen, die sich der Keilschrift bedienten, nahm in den folgenden Jahrhunderten immer weiter ab und beschränkte sich schließlich auf eine kleine Gruppe von Priestergelehrten, die mit den Tempeln von Uruk und Babylon assoziiert waren. Diese Entkoppelung von Politik und Kultur, im Zuge derer die traditionellen Zentren Mesopotamiens ihre dominierende Stellung einbüßten, um für viele Jahrhunderte, welthistorisch betrachtet, zur Provinz zu werden, lässt es geraten erscheinen, das Mesopotamien der Perser-, Seleukiden- und Partherzeit hier lediglich in skizzenhafter Form zu diskutieren, obwohl über die fraglichen Perioden besonders aus klassischen Texten umfangreiche Informationen vorliegen.

Schriftliche Dokumente spielen in jeder historischen Darstellung eine zentrale Rolle, doch bemüht sich dieser Überblick, auch der materiellen Kultur Mesopotamiens in gewissen Grenzen Rechnung zu tragen. Die Quellen, die unserem Abriss zugrunde liegen, werden im folgenden Abschnitt näher beschrieben.

II. Die Quellen


Fast alles, was wir über das alte Mesopotamien wissen, hat seinen Ursprung in den auf Arabisch Tell genannten Ruinenhügeln, die zu tausenden aus den Landschaften des Vorderen Orients emporragen. Der Sage nach sind diese Tells Grabmäler, in denen die assyrische Königin Semiramis ihre nach gemeinsam verbrachter Nacht ermordeten Liebhaber bestatten ließ. Tatsächlich sind die Tells entstanden und immer weiter in die Höhe gewachsen durch den Verfall älterer Siedlungsschichten und den Bau neuerer urbaner Strukturen...

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