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Geschichte Irlands

AutorBenedikt Stuchtey
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2012
ReiheBeck'sche Reihe 2765
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783406640551
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Die Geschichte Irlands war von ihren Anfängen an nicht nur mit der englischen Geschichte, sondern auch mit dem übrigen Europa und später mit der außereuropäischen Welt eng verflochten. Invasionen verschiedener Völker, Englands Kampf um die Herrschaft in Irland und große Auswanderungswellen prägten die Insel in besonderem Maße. Benedikt Stuchtey gibt in diesem Buch einen kompakten Überblick über die Geschichte Irlands, die von langen und blutigen Konflikten, aber auch von einer blühenden Kultur gekennzeichnet ist und in der jüngsten Zeit den Weg zu einem stabileren Frieden eingeschlagen hat.

Benedikt Stuchtey ist Stellvertretender Direktor des Deutschen Historischen Instituts in London und lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Konstanz.

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Leseprobe

Einleitung


Geographisch liegt Irland in der Mitte des europäisch-atlantischen Kulturraums. Wie die Geschichte jeder anderen europäischen Nation ist auch diejenige Irlands von der Geschichte seiner Nachbarn geprägt. Sie nur auf die Auseinandersetzung mit England zu reduzieren, wäre aber eine Verkürzung. Von Irischer See und Atlantischem Ozean umgeben, hat die Insel gleichermaßen an europäischen wie an globalen historischen Prozessen teilgehabt und diese mitgestaltet. So waren Iren zuweilen in der Fremde erfolgreicher als zu Hause. Der Erfolg stellte sich manchmal erst nach Generationen ein, wie z.B. bei der Familie Kennedy, bei der irische Herkunft und amerikanische Identität miteinander verschmolzen. Blieb er aus und bildeten die Iren im Gastland lediglich eine untergeordnete Randgruppe wie viele andere Einwanderer, so spricht man von der für die irische Geschichte so charakteristischen Diaspora. Insgesamt ist die Emigration eines der dominanten Themen der irischen Geschichte.

Ein anderes ist Fremdherrschaft. Der anglo-irische Historiker W. E. H. Lecky meinte einmal, die Geschichte seines Landes sei die der Eroberung durch Wikinger, Normannen und Engländer. Die Römer hingegen hätten darauf verzichtet, auch hier die kontinentale Zivilisation einzuführen. Die Zweiteilung der Insel in eine östliche, in Klima und Bodenbeschaffenheit begünstigte, den Briten nähere Hälfte und eine westliche mit atlantischem Klima und kärglichem Boden ist eine für die irische Geschichte wichtige Konstante. Was in einigen europäischen Ländern das Nord-Süd-Gefälle ist, war in Irland zunächst ein Ost-West-Gegensatz.

Als Friedrich Engels im Zuge seiner Studien über die britische Arbeiterschaft im Herbst 1869 auch Irland besuchte, prägte er den Begriff des englischen Kolonialismus in Irland. Die Teilung der Insel, ob in Nord und Süd oder in Ost und West, ist eine Folge der schwierigen Beziehung zwischen dem irischen Paddy (Patrick) und dem englischen Mr. Punch: Der eine versuchte stets, sich von der Herrschaft des anderen zu emanzipieren oder sich mit ihr zu arrangieren. Die Engländer waren bestrebt, die Insel zu beherrschen, weil es ansonsten andere getan hätten. Wenn Spanier Ende des 16. Jahrhunderts, Franzosen zur Zeit Napoleons und Deutsche im 20. Jahrhundert Kontrolle über Irland zu gewinnen versuchten, dann war das in erster Linie in der Idee begründet, England auf diese Weise militärisch in die Zange zu nehmen. Wie so manches Juwel seines Empires – Indien, Palästina, Zypern –, so behandelte England auch seine älteste Kolonie: Es teilte sie.

Das heutige Nordirland hat eine Fläche von 5452 Quadratmeilen (17 % der Insel), die Republik Irland erstreckt sich auf etwa 27.136 Quadratmeilen (83 %). Die gemeinsame Grenze von ungefähr 250 Meilen Länge wurde mit dem Government of Ireland Act von 1922 festgelegt. An die Gründung des Irish Free State, aus dem 1937 de facto, 1949 dann de jure die Republic of Ireland wurde, war die Hoffnung geknüpft, dass die jahrhundertelange irische Geschichte von Gewalt und Gegengewalt zu einem Ende kommen würde. Wie vergebens diese Hoffnung war, ist bekannt.

Doch die politische Geographie Irlands ist älter als die Geschichte der letzten 90 Jahre. Sie lässt sich bis ins 7. Jahrhundert zurückverfolgen, die noch heute gültige Einteilung in vier Provinzen geht auf vier große Königreiche des 12. Jahrhunderts zurück. Zuvor schon hatten die Normannen im 11. Jahrhundert die Kleineinteilung des Landes, die die Angelsachsen mit der Einführung von Grafschaften begonnen hatten, in Baronien verfeinert und wie auch in der Normandie und in Sizilien einen straff zentralisierten Lehnsstaat eingerichtet. Was zunächst der Eintreibung von Steuern und der militärischen Rechtsprechung gedient hatte, erwies sich im Laufe der Jahrhunderte als wichtige Grundlage für die Erschließung der Insel. Die nördliche Provinz Ulster (26,3 %) umfasst bis heute die Grafschaften Antrim, Armagh, Down, Fermanagh, Londonderry und Tyrone, die zu Nordirland, d.h. zum Vereinigten Königreich, gehören; Cavan, Donegal und Monaghan sind Teil der Republik. Zur östlichen Provinz Leinster (23,4 %) zählen die Grafschaften Carlow, Dublin, Kildare, Kilkenny, Laois, Longford, Louth, Meath, Offaly, Westmeath, Wexford und Wicklow. Munster (29,3 %) im Süden besteht aus den sechs Grafschaften Clare, Cork, Kerry, Limerick, Tipperary und Waterford. Das westliche Connacht (21 %) ist Irlands kleinste und historisch ärmste Provinz mit den fünf Grafschaften Galway, Leitrim, Mayo, Roscommon und Sligo.

Will man sich der irischen Geschichte von den Anfängen bis in die Gegenwart nähern, so bieten sich verschiedene thematische Zugriffe an. Historikerinnen und Historiker Irlands haben neben den bereits genannten Spannungsfeldern Emigration und Fremdherrschaft stets auch auf andere verwiesen, wie etwa Religion, die keltische Kultur, die Landfrage, Arbeitslosigkeit, Armut und Gewalt. Teils sind sie spezifische Signaturen einer bestimmten Zeit, teils epochenübergreifend wirksam. Die religiöse Frage und die Konflikte zwischen Katholiken und Protestanten haben seit der Reformation eine entscheidende politische Wirkung entfaltet. Darin unterscheidet sich Irland nicht grundlegend von der europäischen Entwicklung. Was aber als genuin irisch gelten kann, ist die soziale Sprengkraft des Religiösen, wie man sie in dieser Form sonst wohl nur in Polen findet. Kontinentale Besucher Irlands im 18. und 19. Jahrhundert haben hervorgehoben, wie die von ihnen beobachteten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme konfessionell verortet werden konnten. Hier verbietet sich eine allzu versöhnliche Interpretation der Vergangenheit von selbst.

Der französische politische Denker Alexis de Tocqueville schilderte in seinen Reisebeschreibungen vom Sommer 1835 drei Grundzüge Irlands: die außergewöhnliche Armut, den unnachgiebigen Hass auf die landbesitzende Aristokratie und die feste Bindung an die Kirche der Vorfahren. Auch in der irischen Literatur bis hin zu William Butler Yeats und James Joyce sind diese Themen immer wieder angeklungen. In der Geschichtsschreibung wird zunehmend Wert darauf gelegt, sie nicht nur als Gelenkstellen der Nationalgeschichte zu begreifen, sondern sie in die europäische wie in die Globalgeschichte zu integrieren. Armut, Hungersnot und Emigration in die Neue Welt gehören unmittelbar zusammen, ebenso wie der protestantische Landadel und das missionarische wie militärische Engagement Irlands im Britischen Empire.

Gleichwohl macht man es sich zu leicht, wenn man nur die üblichen Generalisierungen gegeneinanderstellt: Auf Enteignung der Mehrheit und Dominanz der kleinen Landelite seien Vergeltung, Rebellion und der katholische Nationalismus gefolgt. Oder umgekehrt: Als Antwort auf die katholische Rebellion von 1641 habe Cromwells Vernichtungsfeldzug in Irland folgen müssen. Die protestantische Führungsschicht (Ascendancy) des 18. und 19. Jahrhunderts hat (vergeblich) versucht, einen eigenen Weg zwischen den Fronten zu gehen. Diese Ambivalenz äußerte sich auch in Irlands Stellung im Britischen Weltreich. Betrachteten die republikanischen Bürgerkriegsparteien ihren Kampf in Nordirland seit 1969 als «antikolonialen Befreiungskrieg», so hatten sich besonders im 19. Jahrhundert unzählige Iren im Empire als Soldaten, Administratoren, Siedler, Lehrer und Missionare engagiert.

Die Vernetzung der irischen Geschichte mit der europäischen ging anfänglich von der Insel aus. Christliche Missionare strömten im Frühmittelalter auf den Kontinent, um ihren religiösen Enthusiasmus zu verbreiten, mit dem sie in Irland zwischen dem 5. und dem 8. Jahrhundert über 800 Klöster als Stätten der Frömmigkeit und Gelehrsamkeit gründeten. Irlands Bedeutung für die europäische Geschichte in dieser Epoche war sicherlich einmalig. Im berühmten Book of Kells (um 800) kulminierte die Kunst der Buchmalerei als Verherrlichung des Wortes Gottes.

Nach der sozialen und ökonomischen Katastrophe der europaweiten Pestpandemie von 1348–1352 mit rund 25 Millionen Toten setzte in Irland jedoch ein Niedergang ein, der der irischen Geschichte gleichsam ein Muster zugrunde legte: im fortwährenden Kampf um Freiheit, Unabhängigkeit, Anerkennung und Wohlstand gewöhnlich zu unterliegen. Dabei setzte der Misserfolg auch Chancen für ein exemplarisches historisches Verständnis frei. Langfristige Verlusterfahrungen konnten lehrreicher sein als der kurzfristige Erfolg. Aus ihnen eine Identität zu schöpfen, wurde zu einer der irischen Geschichte eigenen Herausforderung. Im Schatten der Übermacht Englands konnte Irland zwar keine ruhmreiche Historie vorweisen, aber den Freiraum nutzen, um Geschichte zu schreiben. Dabei war an die für die irische Vergangenheit so bestimmende Perspektive des Unterdrücktseins eine große Hoffnung geknüpft, wie sie schon der Schriftsteller und Dekan der Dubliner St. Patrick’s-Kathedrale, Jonathan Swift, ausdrückte, als er 1724 sein Pamphlet To the Whole People of Ireland veröffentlichte. Swifts Botschaft ist ungebrochen aktuell. Es ging ihm um die Verbesserung von Staat, Ökonomie, Gesellschaft und Kultur in ihrer Einheit. Ob sie mit dem irischen Wirtschaftswunder des späten 20. Jahrhunderts, auch «Celtic...

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