Sie sind hier
E-Book

Geschichte von Florenz

AutorVolker Reinhardt
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2013
ReiheBeck'sche Reihe 2773
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783406645129
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Den Ruf als Stadt der Künste verdankt Florenz seiner Blütezeit im 14. bis 16. Jahrhundert, als sich am Arno Künstler und Gelehrte von Weltrang versammelten und in Architektur, Malerei, Philosophie und Literatur ein neues Bild vom Menschen entwarfen. Volker Reinhardt beschreibt die Entwicklung der Stadt von den antiken Anfängen über die glanzvolle Herrschaft der Medici bis in die Neuzeit. Der Schwerpunkt seiner anschaulichen und kurzweiligen Darstellung liegt auf der Renaissance.

Volker Reinhardt, Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg, ist einer der führenden Kenner der italienischen Renaissance.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

Einleitung: Das Wunder Florenz


Ab 1420 wird Florenz für mehr als ein Jahrhundert zum kulturellen Maß aller Dinge. Die Statuen des Bildhauers Donatello an der Kirche Or San Michele und die Fresken des Malers Masaccio in der Brancacci-Kapelle von Santa Maria del Carmine zeigen den Menschen in einer vorher nie gesehenen Monumentalität und Dramatik, dazu mit psychologischer Eindringlichkeit und sicherem Gespür für seine unverwechselbaren Wesenszüge. Gleichzeitig entdecken Architekten wie Filippo Brunelleschi und Michelozzo di Bartolomeo die Prinzipien der antiken Architektur neu und setzen diese Regeln produktiv und innovativ in Basiliken wie San Lorenzo und Palästen wie dem der Medici um. Zur selben Zeit schreiben in Florenz tätige Humanisten wie Coluccio Salutati und Leonardo Bruni nicht nur das eleganteste Latein, sondern auch politische Traktate und Geschichtswerke, in denen sie bei aller Anlehnung an die Vorbilder des Altertums zu neuen Erkenntnissen, etwa zum Verhältnis von Freiheit und Kulturblüte, vorstoßen.

Diese setzt sich über mehrere Generationen fort. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts verkündet der Philosoph Marsilio Ficino die Vereinbarkeit von platonischer Philosophie und christlicher Lehre. Auf diesem Fundament baut wenig später der junge Francesco Pico della Mirandola seine Theorie von der Gottähnlichkeit des Menschen auf, der seine Fähigkeiten im Sinne seines Schöpfers zur Selbstvervollkommnung verwendet. Solche «vollendeten Menschen» lassen nicht mehr lange auf sich warten. 1452 wird mit Leonardo da Vinci ein Maler, Zeichner und Ingenieur geboren, dessen Begabung in den Augen seiner Mitmenschen in übermenschliche Höhen emporragt. Mit Michelangelo Buonarroti schließlich schenkt die Stadt am Arno – so die fast einhellige Einschätzung der zeitgenössischen Kunstexperten – der Welt das Menschheits-Genie, das mit Skulptur, Malerei und Architektur die Dreieinigkeit der Künste zu göttlicher Perfektion bringt. 1563, ein Jahr vor Michelangelos Tod, gründet schließlich Herzog Cosimo de’ Medici die «Zeichen-Akademie» und damit die erste Institution dieser Art, die Studium, Pflege und Lehre der darstellenden Kunst systematisch zu ihrer Aufgabe macht – mit einem beispiellosen Nachahmungseffekt in ganz Europa.

Ansicht von Florenz, 1472

Florenz wird auf diese Weise für Bewunderer, Konkurrenten und Neider gleichermaßen zu einem einzigartigen Modell, zur Geburtsstätte der Renaissance schlechthin. Warum? Was zeichnete diese Stadt von kaum 40.000 Einwohnern vor allen anderen aus? Ihrer Ausnahmestellung waren sich die Florentiner früh bewusst. Wie ist unsere Stadt zu einem neuen Athen geworden? Was hat uns geistig beweglicher, scharfsinniger und talentierter für Kunst und Wissenschaft gemacht? Diese Fragen wurden schon im 15. Jahrhundert von herausragenden Historikern und politischen Denkern wie Coluccio Salutati und Leonardo Bruni gestellt. In ihren Augen brachte der offene Wettbewerb freier Bürger die großen Leistungen hervor, derer sich die Stadt am Arno rühmen durfte. Dass Florenz zum Geburtsort und weit ausstrahlenden Zentrum einer neuen Kultur wurde, ist für sie also kein Zufall, denn gute Gesetze allein schaffen die Voraussetzungen dafür, dass sich Begabungen entfalten können; im Klima der Angst verkümmern die Musen. In Florenz aber herrscht Gerechtigkeit, weil hier jedem das Seine gegeben wird; hier setzen sich die Besten durch, weil jeder jeden offen kritisieren darf und auf diese Weise Verdienste belohnt werden. Diese Freiheit ist Florenz – Salutati und Bruni zufolge – nicht in den Schoß gefallen, sondern durch dunkle Jahrhunderte hindurch mühsam erkämpft worden. Florenz als geistige und politische Lebensform sollte auch in der Gegenwart stets aufs Neue gegen eine feindliche Außenwelt verteidigt werden, in der finstere Tyrannen nur darauf warten, sich den Hort der Freiheit einzuverleiben.

Dieses Lob der Freiheit stimmten jedoch nicht alle an, denn sie galt nicht für alle. Die große Mehrheit der Florentiner hatte keine oder allenfalls minimale politische Mitbestimmungsrechte; auch vor Gericht waren die Einwohner der Stadt alles andere als gleich. Warum die so hochtönend beschworene Freiheit ihrer Stadt nicht auch für sie gelten sollte, sahen die kleinen Leute am Arno immer weniger ein. Schon 1378 erhoben sich die Arbeiter der Textilindustrie (Ciompi), die dem Diktat der großen Handels- und Bankhäuser schutzlos ausgeliefert waren, und protestierten gegen ihre miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen. Künftig wollten auch sie eigene Berufsgenossenschaften bilden, bei Lohnverhandlungen gleichberechtigt mitreden und den ihnen zustehenden Anteil an den politischen Positionen besetzen. Nach kurzfristigen Erfolgen wurde ihr Aufstand niedergeschlagen. Unruhe in den unteren Schichten der florentinischen Gesellschaft wurde künftig unterdrückt. Die Mittelschicht ließ sich jedoch nicht so einfach mundtot machen. Sie behielt ihre relativ bescheidene Ämterquote und wartete auf mehr. Günstige Gelegenheiten boten sich immer dann, wenn die Führungsschicht gespalten war oder Krisen von außen eintraten. Florenz wurde dadurch zu einer umtriebigen, getriebenen, unruhigen Stadt.

Bei aller Rivalität teilten Elite und Mittelstand jedoch die Überzeugung, dass ihre Stadt vom Schicksal dazu vorherbestimmt sei, der Welt ein Beispiel zu geben. Für die Medici, die in Florenz ab 1434 das Sagen hatten und diese Macht ein Jahrhundert lang – von kürzeren Phasen des Machtverlusts abgesehen – zielstrebig ausbauten, bestand ihre Aufgabe und damit die Mission von Florenz darin, ein neues Goldenes Zeitalter der Harmonie und der kulturellen Blüte heraufzuführen; diese Botschaft verkündeten zumindest ihre großen Kunstwerke. Die kleinen Leute ließen sich davon mehr oder weniger stark beeindrucken – mehr in guten, weniger in schlechten Zeiten. Die schlechten Zeiten von Krieg, Pest und Hungersnot blieben trotz aller Glücksbeschwörungen der Medici nicht aus. So sehr man sich auch an schönen Bildern ergötzte, gegen Brotteuerung und Angst vor fremden Armeen half dieser Kunstgenuss wenig. So liehen Handwerker und Tadenbesitzer dem Propheten Savonarola willig ihr Ohr, als dieser ab 1490 eine alternative Mission der Erwählten Stadt verkündete: Florenz sollte sich geistlich läutern, kirchlich reformieren, politisch durch die Gleichberechtigung des Mittelstands neu konstituieren und so gestählt die Welt im wahren Glauben vereinen.

Kurz darauf entwarf der Florentiner Niccolò Machiavelli ein düsteres Bild seiner Stadt, mit dem er fast alle Florentiner gegen sich aufbrachte. Mit dem Florenz der Freiheit, dem Florenz des Goldenen Zeitalters und dem Florenz der Frommen hatte sein Bild wenig zu tun. Für Machiavelli lag von Anfang an ein Fluch über seiner Heimatstadt. Sie war vom Spaltpilz zerfressen und wurde von unaufhörlichen Erschütterungen heimgesucht. Dieses Übel hatte zwei Namen: setta und corruttela, Klientel und Korruption. In Florenz herrschten von Anfang an Interessengruppen, die sich um finanziell potente und daher politisch einflussreiche Politiker bildeten. Diese kaufen sich mit Geld und Gunst so viele Gefolgsleute in der Ober- und Mittelschicht, dass sie die zuvor dominierende Clique von den Schalthebeln der Macht und den damit verbundenen Privilegien verdrängen konnten. Doch politische Stabilität konnte so nicht einkehren, denn das nächste Netzwerk lauerte bereits auf seine Chance, die Herrschaft zu ergreifen.

Machiavelli war nicht der einzige, der in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts eine kritische Bilanz der florentinischen Geschichte zog. Allzu deutlich trat neben der chronischen Unruhe, die schon der große florentinische Dichter Dante Alighieri für unheilbar gehalten hatte, und der intellektuellen wie künstlerischen Produktivität ein drittes Leitmotiv hervor: der Widerspruch zwischen republikanischer Ideologie und der Regierungspraxis der Medici, mit anderen Worten: die Kluft zwischen Propaganda und Wirklichkeit. Nirgendwo sonst entwickelte sich die Kunst, durch Bilder, Bauten und Statuen, aber auch durch Geschichtswerke und philosophische Traktate einen schönen Schein zu erzeugen, so virtuos wie in Florenz; nirgendwo sonst wurde diese Bildwelt so konsequent dazu genutzt, die graue Realität zu überdecken und schön zu färben.

Als erste voll entfaltete Medienstadt Europas forderte Florenz seine besten Köpfe zugleich dazu heraus, hinter die Fassaden zu blicken, Masken herunterzureißen und die wahren Beweggründe der Mächtigen freizulegen. Gerade weil die allgegenwärtige Propaganda das Wesen der Politik und der Politiker in Florenz so systematisch verschleierte, wurde für eine kleine intellektuelle Elite der Reiz unwiderstehlich, das Wechselspiel von Sein und Schein zu ergründen. Um diesen Gesetzen auf die Spur zu kommen, musste man den Menschen tiefer und unvoreingenommener als bislang üblich erforschen. Damit wurde der Blick in Abgründe der Manipulation, des Selbstbetrugs und der Destruktivität frei, die einen stärkeren Staat mit einer neuen Selbstrechtfertigung, der Staatsräson, erforderlich machten.

So wurde Florenz gleich mehrfach zur Geburtsstätte der Moderne: Hier entstanden eine neue Kunst, eine neue Propaganda, eine neue Gesellschaft und...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel3
Impressum4
Inhalt5
Einleitung: Das Wunder Florenz7
1. Von Cäsar bis zum Vorabend der Kommune (59 v. Chr.–1138)14
Stadtgründung und Stadtwachstum: Legenden und Fakten14
Der Mythos der zweiten Gründung und der Aufstieg zur regionalen Vormacht18
2. Die Kommune des Adels (1138– 1282)23
Selbstverwaltung und Selbstbestimmung23
Neue Familien, neue Regime30
3. Die Republik der Oligarchen (1282–1433)37
Zünfte und Ökonomie37
Wirtschaftskrisen, Parteikämpfe und Epidemien44
Das Regiment der Reichen50
Der Aufstieg der Medici55
Der Kampf um die Kommune59
4. Die Republik der Medici (1434–1494)66
Abrechnung und Neuordnung66
Erfolge und Sackgassen72
Konkurrenz und Kultur76
5. Die Stadt der Umwälzungen (1494–1569)88
Die breite Republik88
Auf dem Weg zum Fürstentum95
Der Modellfürst100
6. Die Stadt der Erinnerung – Florenz nach der Renaissance105
Die Stadt der Großherzöge105
Der Weg in die Gegenwart112
Zeittafel119
Literaturhinweise123
Personenregister125
Bildnachweis128

Weitere E-Books zum Thema: Deutschland - Historie - Geschichte

Drei Mal Stunde Null?

E-Book Drei Mal Stunde Null?
1949 - 1969 - 1989 Format: ePUB/PDF

1949 entstanden aus dem Deutschen Reich zwei Republiken. Der tiefste Einschnitt in unserer Geschichte führte uns hart an eine Stunde Null. Für vier Jahrzehnte war die Teilung Deutschlands und Europas…

Drei Mal Stunde Null?

E-Book Drei Mal Stunde Null?
1949 - 1969 - 1989 Format: ePUB/PDF

1949 entstanden aus dem Deutschen Reich zwei Republiken. Der tiefste Einschnitt in unserer Geschichte führte uns hart an eine Stunde Null. Für vier Jahrzehnte war die Teilung Deutschlands und Europas…

Drei Mal Stunde Null?

E-Book Drei Mal Stunde Null?
1949 - 1969 - 1989 Format: ePUB/PDF

1949 entstanden aus dem Deutschen Reich zwei Republiken. Der tiefste Einschnitt in unserer Geschichte führte uns hart an eine Stunde Null. Für vier Jahrzehnte war die Teilung Deutschlands und Europas…

Kalte Heimat

E-Book Kalte Heimat
Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945 Format: ePUB/PDF

Nicht willkommen. Die Vertriebenen nach 1945 in DeutschlandMit diesem Buch erschüttert Andreas Kossert den Mythos von der rundum geglückten Integration der Vertriebenen nach 1945. Erstmals erhalten…

Kalte Heimat

E-Book Kalte Heimat
Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945 Format: ePUB/PDF

Nicht willkommen. Die Vertriebenen nach 1945 in DeutschlandMit diesem Buch erschüttert Andreas Kossert den Mythos von der rundum geglückten Integration der Vertriebenen nach 1945. Erstmals erhalten…

Informationskultur und Beziehungswissen

E-Book Informationskultur und Beziehungswissen
Das Korrespondenznetz Hans Fuggers (1531-1598) - Studia AugustanaISSN 16 Format: PDF

Hans Fugger (1531-1598) wrote over 4,800 letters to correspondents in a Europe-wide network. These letters give an insight into domains of the life of the Fuggers and are at the same time valuable…

Weitere Zeitschriften

Archiv und Wirtschaft

Archiv und Wirtschaft

"Archiv und Wirtschaft" ist die viermal jährlich erscheinende Verbandszeitschrift der Vereinigung der Wirtschaftsarchivarinnen und Wirtschaftsarchivare e. V. (VdW), in der seit 1967 rund 2.500 ...

Ärzte Zeitung

Ärzte Zeitung

Zielgruppe:  Niedergelassene Allgemeinmediziner, Praktiker und Internisten. Charakteristik:  Die Ärzte Zeitung liefert 3 x pro Woche bundesweit an niedergelassene Mediziner ...

cards Karten cartes

cards Karten cartes

Die führende Zeitschrift für Zahlungsverkehr und Payments – international und branchenübergreifend, erscheint seit 1990 monatlich (viermal als Fachmagazin, achtmal als ...

Computerwoche

Computerwoche

Die COMPUTERWOCHE berichtet schnell und detailliert über alle Belange der Informations- und Kommunikationstechnik in Unternehmen – über Trends, neue Technologien, Produkte und Märkte. IT-Manager ...

SPORT in BW (Württemberg)

SPORT in BW (Württemberg)

SPORT in BW (Württemberg) ist das offizielle Verbandsorgan des Württembergischen Landessportbund e.V. (WLSB) und Informationsmagazin für alle im Sport organisierten Mitglieder in Württemberg. ...

DHS

DHS

Die Flugzeuge der NVA Neben unser F-40 Reihe, soll mit der DHS die Geschichte der "anderen" deutschen Luftwaffe, den Luftstreitkräften der Nationalen Volksarmee (NVA-LSK) der ehemaligen DDR ...

Die Versicherungspraxis

Die Versicherungspraxis

Behandlung versicherungsrelevanter Themen. Erfahren Sie mehr über den DVS. Der DVS Deutscher Versicherungs-Schutzverband e.V, Bonn, ist der Interessenvertreter der versicherungsnehmenden Wirtschaft. ...