Zunächst ist es wichtig, den allgemeinen Forschungstand der Genderthematik in den Blick zu nehmen. Wo wurde wann geforscht und mit welchem Ergebnis? Wie haben sich die Geschlechtervorstellungen gewandelt und was sind wichtige Grundlagen des Genderdiskurses? Die Fragen müssen zunächst allgemein beantwortet werden, um dann auch die (Religions-)Pädagogik und deren Forschungsstand darzustellen. Der Forschungsgegenstand muss transparent werden.
Perspektiven über den Genderdiskurs und die Geschlechterverhältnisse gibt es zahlreich. Unterschiedliche Positionen, unterschiedliche Begrifflichkeiten und unterschiedliche theoretische Referenzrahmen werden herangezogen. Die Theologin Gisela Matthiae nennt - in ihrem Beitrag über verschiedene Genderdiskurse - den Blick in die verschiedenen Disziplinen der Diskussionen einen Blick in ein buntes Kaleidoskop[3]. Auffällige Unterschiede gibt es in den verschiedenen Perspektiven auf Geschlechterverhältnisse. Und diese lösen sich nicht etwa historisch ab, sondern existieren nebeneinander. In diesem Teil der Arbeit sollen die unterschiedlichen Genderdiskurse dargestellt werden, besonders bezogen auf den deutschsprachigen und anglo-amerikanischen Diskurs. Die Darstellung folgt den historischen Entwicklungslinien und ist immer auch bezogen auf die Bestimmung der Sex-Gender-Verhältnisse. Hier orientiere ich mich an dem Beitrag Matthiaes: „Von der Emanzipation über die Dekonstruktion zur Restauration und Zurück“. Dieser ist chronologisch geordnet nach den Diskursen Emanzipation, Re-Konstruktion, Dekonstruktion und Restauration, was mir für eine detaillierte Darstellung schlüssig erscheint. Ebenso ist es wichtig, auch einen Blick auf Intersektionalität und den Begriff „diversity“ zu werfen, um eine allumfassende Darstellung zu gewährleisten.
Bis zum 17. und 18. Jahrhundert war nicht von einem zweigeschlechtlichen Körper die Rede. Es galt das „Ein-Leib-Modell“. Die Darstellung von menschlichen Körpern entsprach
zu dieser Zeit der Darstellung männlicher Körper, das heißt, der männliche Körper gab den
Standard, das Ideal. Der weibliche Körper hingegen, wurde als eine noch geringere Version des Männlichen gesehen. Erst in Entwicklungen der oben genannten Jahrhunderte galt Geschlechterdifferenz als zweiteilig. Durch Industrialisierung und Urbanisierung dieser Zeit fand Geschlechterdifferenz ihre Trennung in Haus und Arbeit, Reproduktion und Produktion und privatem und öffentlichem Raum[4]. Ab hier kann man vom „kulturellen System der Zweigeschlechtlichkeit[5]“ sprechen, was sich auf allen Ebenen des Lebens, Denkens und Arbeitens zeigte:
„Anders ausgedrückt, wurde das Geschlechterverhältnis zu einem Strukturisierungselement der Gesellschaft mit der klaren Überordnung von männlich konnotiertem Denken und Handeln vor weiblichen und mit der Annahme, aus der Natur der Geschlechter Wesenseigenschaften und Zuständigkeiten ableiten zu können.[6]“
Der Mann gab auch hier den Standard, die Wesensbestimmungen wurden aber am weiblichen Körper festgemacht, der als Abweichung zum Mann stand.
Der so genannte Gleichstellungsfeminismus dieser Zeit stellte nun die Geschlechterunterschiede radikal in Frage und entlarvte sie als Ideologie. Hier ist Simone de Beauvoir zu nennen, die Frauen in ihrem Standardwerk von 1948 als „deuxiéme sex“, übersetzt das „andere Geschlecht“, bezeichnete. Die untergeordnete Existenz der Frauen ist hier sprachlich gefasst. Der Begriff sowie das Buch, sind grundlegende Referenz des Gleichstellungsfeminismus. Gender und sex wurden in dieser Zeit nicht unterschieden, sie galten als gleich.
In den 1960-er Jahren formierte sich eine neue Frauenbewegung, ausgehend von den vielfältigen Diskriminierungserfahrungen des täglichen Lebens vieler Frauen. Analysiert wurden alltägliche Unrechtserfahrungen, hierarchische politische Verhältnisse und auch die Wissenschaft. Auch hier hatten Leben und Denken der Frauen nur marginal Eingang gefunden. Und wenn waren Frauen vielmehr Objekt, also Forschungsgegenstand, nicht aber selbst forschendes Subjekt[7].Dementsprechend wurde auch die Objektivität der „männlichen“ Wissenschaft in Frage gestellt. Doch ging es um vielmehr als nur die Wissenschaft, denn auch auf gesellschaftlicher Ebene suchten Frauen nach Beteiligung. Alle Ressourcen und Positionen sollten neu verteilt werden: „Gesetzliche Gleichstellung, Frauenförderung, Quotierungen etc. waren rechtliche Instrumente zur Durchsetzung dieser Ziele[8].“ Es ging also zum einen darum Mädchen und Frauen einen gleichen Zugang zur Bildung zu gewähren. Zum anderen aber auch um einen Zugang zu Macht und materieller Unabhängigkeit. Die Bezeichnung Gleichheitsfeminismus liegt somit nahe:
„Gleiche Bildungsmöglichkeiten und Karrierechancen, gleiche Bezahlung für die gleiche Arbeit galten und gelten immer noch als Vorraussetzung für Selbstbestimmung und Geschlechtergerechtigkeit.[9]“
Und tatsächlich konnte einiges an Veränderung bewirkt werden: Wahlfreiheit, Scheidungsrecht und Frauenbeauftragte sind nur einige Ergebnisse des Gleichheitsfeminismus für die damalige Gesellschaft. Während in dieser Bewegung der Schwerpunkt klar auf politisch-rechtlichen Belangen, sprich Gender lag, formierte sich eine weitere Bewegung: Es entwickelten sich Frauengesundheitszentren und es wurde kritisch über Hausfrauen- und Erziehungsarbeit diskutiert. Anliegen dieser Frauenbewegung war Selbstbestimmung und sexuelle Befreiung. Daher konzentrierte sich diese Bewegung vielmehr auf sex, den weiblichen Körper.
Seit den 1970er Jahren ist die Unterscheidung zwischen biologischem Geschlecht (sex) und sozialem Geschlecht (gender) in der Forschung gebräuchlich. Begründung ist, dass die biologische Differenz keine soziale Ungleichheit legitimieren darf.
Während in den vorhergegangenen Strömungen des Feminismus sex und gender unterschieden wurden, betont die in den 1980-er Jahren entstandene, gynozentrische Richtung den engen Zusammenhang beider. Allerdings wird die Vorstellung von sex und gender zugunsten von Frauen umgewertet. Das weibliche Geschlecht ist in dieser Vorstellung höherwertig und hat Vorrang. Argumentiert wird biologisch mit der Tatsache, dass in der Embryonalentwicklung jeder Mensch zunächst weiblich ist. Das erklärt für Vertreter der gynozentrischen Richtung, dass das weibliche Geschlecht das umfassendere sei. Auch auf der sozialen Ebene wird argumentiert. Hier zeige sich das weibliche Geschlecht als lebensfördernd - und erhaltend[10]. Verwiesen wird auf die Matriarchatsforschung. Theologisch gesehen werden vor allen Dingen der Monotheismus und die vorherrschende männliche Gottesmetaphorik kritisiert. Da sich diese stark aus einer kriegs- und herrschaftsbezogener Metaphorik nährte, fördere sie die Unterdrückung weiblicher Traditionen[11]. Religiös-praktisch gesehen, geht es hier oft um Göttinnenspiritualität. Kirchlich ist diese allerdings nicht offiziell zu finden, kommt aber häufig in der Religiosität kirchlicher Frauen in Kombination mit traditionellen Elementen vor.
Wie erläutert, legten die vorhergehenden Diskurse den Fokus ihrer Forschung hauptsächlich auf Frauen. Besonders die 1980-er Jahre brachten frauenpolitisch eine zunehmende Institutionalisierung der Gleichstellungsarbeit hervor. Wissenschaftlich konnte man darüber hinaus zu dieser Zeit schon auf eine „differenzierte sozialgeschichtliche und mikrosoziologische Erforschung der Geschlechterverhältnisse[12]“ zurückgreifen. Von da an galt der Fokus nicht mehr nur dem weiblichen Geschlecht. Der Blick richtet sich nun auf die Geschlechterverhältnisse von Frauen und Männern (in ihrem Denken, Handeln, Alltag, Fühlen und Wissen). Man spricht von Geschlecht als einer sozialen Kategorie und von Geschlecht als Existenzweise. Zwischen dem biologischen Geschlecht „sex“ und der sozialen Geschlechterrolle „gender“ wird seitdem in der Forschung unterschieden. Diese Unterscheidung diente vor allen Dingen der Entlarvung von biologischen Begründungen für geschlechtstypisches Rollenverhalten[13]. Die Unterscheidung zwischen Geschlecht und Geschlechtsrolle wendete sich in erster Linie gegen die Diskriminierung der Frauen, wie sie schon zu Simone de Beauvoirs Zeiten galt. In Bezug auf politische Ziele, soziale Gerechtigkeit und ein breites berufliches Spektrum auf dem Arbeitsmarkt war diese Unterscheidung ein wichtiges Instrument. Beginnend mit bei einem Gleichheitsdiskurs kann nun von Differenzdiskus gesprochen werden. Weiterhin wird auch davon gesprochen, dass Geschlecht eine „Platzanweiserfunktion[14]“ inne hat. Zum Beispiel: Waren Frauen früher aus gewissen Berufen oder Positionen ausgeschlossen, konnte man dies mit fehlender Ausbildung, oder mangelndem Wissen begründen. Inzwischen gibt es sehr wohl gebildete...