Bevor ein Lösungsansatz zur optimalen Gestaltung flexibler Produktionsnetzwerken erarbeitet werden kann, ist es nötig, eine genaue Abgrenzung der Fragestellung vorzunehmen. Hierzu wird aufbauend auf grundlegenden Definitionen der Untersuchungsgegenstand Produktionsnetzwerk vorgestellt und bezüglich seiner Charakteristika in der Automobilindustrie eingeordnet. Darauf basierend wird der, für diese Arbeit relevante, Einfluss von Flexibilität auf Produktionsnetzwerke erörtert. Anschließen wird die Gestaltung von Produktionsnetzwerken im Kontext des Supply Chain Management anhand der unterschiedlichen Entscheidungsebenen diskutiert.
Die Vielfalt des Begriffs Netzwerk ist kaum zu überschauen. Dies liegt einerseits daran, dass Netzwerke in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen (wie der Informatik, Soziologie und Kommunikationswissenschaft) betrachtet werden. Andererseits existiert auch im Rahmen der betrachteten Fragestellung keine eindeutige Abgrenzung der unterschiedlichen Netzwerkbegriffe ([Stru-99], S. 47; [Röhr-03], S. 7ff). Als übergeordneter Begriff für die untersuchten Netzwerke, deren Ziel die Leistungserstellung darstellt, dient in dieser Arbeit der Terminus Wertschöpfungsnetzwerk. Dieses zeichnet sich durch Wertschöpfungsaktivitäten aus, die in unterschiedlichen Elementen des Netzwerkes vollzogen werden. Die Elemente, in denen die Wertschöpfung vollzogen wird, werden in Anlehnung an Klemm im Folgenden als Wertschöpfungsmodule oder kurz als Module bezeichnet ([Klem-97], S. 72).
Um begrifflich den Zweck des untersuchten Wertschöpfungsnetzwerkes, die Produktion von Automobilen, in den Vordergrund zu stellen, wird in dieser Arbeit als funktionale Abgrenzung der Begriff Produktionsnetzwerk verwendet. Dieser, in zahlreichen Publikationen verwendete, Begriff entzieht sich bisher einer einheitlichen Definition. Gemeinsam ist den unterschiedlichen Definitionen lediglich, dass der „Hauptzweck eines Produktionsnetzwerkes […] die verteilte Erfüllung der Produktion“ ([Röhr-03], S. 8; [Zund-99], S. 41) darstellt. Da eine ausführliche Diskussion der verschiedenen existierenden Definitionen nicht Schwerpunkt der Arbeit ist, wird im Folgenden der Begriff Produktionsnetzwerk für Netzwerke verwendet, deren Hauptzweck die Produktion von Gütern darstellt. Ein Produktionsnetzwerk setzt sich aus unterschiedlichen Wertschöpfungsmodulen zusammen, die zueinander in Beziehung stehen. Wertschöpfungsmodule repräsentieren als organisatorische Einheiten die Leistungsbereiche. Produktionsnetzwerke können demnach auch Wertschöpfungsmodule beinhalten, die nicht direkt der Produktion zuzurechnen sind, sondern sich eher durch einen unterstützenden Charakter auszeichnen (wie z.B. Beschaffung, Logistik und Distribution). Da die Produktion den Zweck des Produktionsnetzwerkes darstellt, werden in dieser Arbeit nur diejenigen Netzwerke als Produktionsnetzwerke bezeichnet, die mindestens zwei Produktionsstufen enthalten. Im Gegensatz zu anders lautenden Definitionen (vgl. [Sten-99], S. 2; [Wien-02], S. 365) wird nicht zwangsläufig gefordert, dass Produktionsnetzwerke Module verschiedener Unternehmen beinhalten müssen.
Ein stilisiertes, für die Automobilindustrie typisches, Produktionsnetzwerk ist Abbildung 2.1 zu entnehmen. Der Original Equipment Manufacturer (OEM) bildet das Zentrum des Netzwerkes. Die Zulieferer befinden sich auf einer vorgelagerten Ebene, die Kunden bzw. Absatzmärkte auf einer nachgelagerten.
Abbildung 2.1: Produktionsnetzwerke in der Automobilindustrie
(in Anlehnung an [Coop-00], S. 68; [Well-01], S. 17)
Die Struktur von Netzwerken wird in der Literatur zumeist in heterarchisch und hierarchisch unterteilt ([Cors-01], S. 9). Heterarchische Netzwerke zeichnen sich durch eine Gleichstellung der Kooperationspartner aus. Hierarchische Netzwerke werden hingegen durch ein fokales Unternehmen strategisch geführt. Im hier untersuchten Produktionsnetzwerk stellt, aufgrund der hierarchischen Abhängigkeit der Zulieferer von dem betrachteten Automobilhersteller, der OEM das fokale Unternehmen dar. Gleichzeitig können verschiedene Wertschöpfungsmodule eines OEMs, die beispielsweise das gleiche Produkt an unterschiedlichen Standorten herstellen, gleichberechtigt sein und somit einen heterarchischen Charakter aufweisen.
Wells und Nieuwenhius ([Well-01], S. 17) identifizieren in der Automobilindustrie fünf
verschiedene Typen von Produktionseinheiten:
Presswerk
Motorenwerk
Karosserierohbau
Lackiererei
Montage
Darüber hinaus finden sich in Abhängigkeit des betrachteten Netzwerks weitere Produktionseinheiten beispielsweise für die Herstellung der Getriebe und der Achsen. Die Fertigungseinheiten befinden sich meist nicht alle gemeinsam an einem Standort, sondern in
einem Netzwerk von Standorten, in dem eine Fertigungseinheit von einer oder mehreren vorgelagerten Einheiten beliefert wird und wiederum eine oder mehrere nachgelagerte
Einheiten beliefert (vgl. Abbildung 2.1). In einem globalen Produktionsnetzwerk verteilen sich die Standorte über mehrere Wirtschaftsräume. Auf der vorgelagerten Ebene des fokalen Unternehmens stellen mehrere Stufen von Zulieferern die Materialversorgung sicher. Auf der nachgelagerten Stufe erfolgen die Distribution und der Vertrieb an den Kunden.
Produktionsnetzwerke lassen sich hinsichtlich der Kooperationsrichtung, die sich durch
einen vertikalen, horizontalen und/oder diagonalen Charakter ausdrückt, unterscheiden. Vertikale Richtung ist gegeben, sofern Wertschöpfungsmodule auf nachfolgenden Ebenen der Wertschöpfungskette miteinander in Beziehung stehen. In der Automobilindustrie tritt diese Kooperationsrichtung beispielsweise zwischen den Zulieferern und dem OEM auf.
Horizontale Kooperation liegt vor, falls Wertschöpfungsmodule auf der gleichen Wertschöpfungsstufe zusammenarbeiten. Beispielsweise werden redundante Wertschöpfungsprozesse in der Automobilproduktion an verschiedenen Standorten ausgeführt, um lokale Standortvorteile zu nutzen. Es wird von diagonaler Richtung gesprochen, wenn Unternehmen unterschiedlicher Branchen zusammenarbeiten. Ein Beispiel aus der Automobilbranche ist die Kooperation von Herstellern mit Telematikunternehmen zur Entwicklung neuer Anwendungen/Technologien wie z.B. die real-time Routenplanung.
Hinsichtlich der Kooperationsausführung wird unterschieden, ob alle Einheiten einer
einzigen Organisation oder mehreren Organisationen zuzuordnen sind. Der erste Fall wird als intraorganisationale, der zweite als interorganisationale Kooperation bezeichnet. Wenn bei Betrachtung der Produktionsnetzwerke z.B. externe Zulieferer berücksichtigt werden, liegt eine interorganisationale Kooperation vor. Werden bei bestimmten Fragestellungen
allerdings nur Ausschnitte eines Produktionsnetzwerks untersucht, deren Elemente ausschließlich einer Organisation angehören, handelt es sich um ein intraorganisationales Produktionsnetzwerk.
Produktionsnetzwerke sind meist zum Zweck der Realisierung von Wettbewerbsvorteilen gewachsen (vgl. Abbildung 2.2). Um auf die aktuellen Herausforderungen reagieren zu können, bieten sich globale Produktionsnetzwerke als Organisationsform an.
Abbildung 2.2: Potentiale globaler Produktionsnetzwerke
([Ever-00], S. 36)
Das Risiko eines Unternehmens kann durch eine Verteilung der Verantwortung auf verschiedene Standorte reduziert werden. So sind globale Produktionsnetzwerke beispielsweise gegenüber Wechselkursschwankungen weniger anfällig. Denn in Abhängigkeit der Wertschöpfungsverteilung auf verschiedene Wirtschaftsräume können sich Wechselkursschwankungen wieder ausgleichen. ([Ever-00], S. 36f)
Hersteller können ebenfalls von der Nähe zum Markt profitieren. Bei Aufbau einer lokalen Produktion fallen geringere Distributionskosten zur Belieferung der Kunden an. Marktnähe kann aber auch indirekte Vorteile bieten; so sind vor Ort z.B. Kundenwünsche meist leichter zu identifizieren. ([Kink-02], S. 5ff)
Durch eine globale Produktion lassen sich zudem die komparativen Vorteile der Standorte nutzen ([Kogu-85], S. 29f): Lohnunterschiede zwischen den einzelnen Standorten wirken sich auf die Herstellkosten aus, lokal gebundenes Know-how ist vor Ort leichter zugänglich, niedrigere Steuern erhöhen den Gewinn und lokale Einheiten können besser eingebunden werden (z.B. Zulieferer, Forschung). ([Kink-02], S. 5ff)
Bei langfristigen Investitionen besteht allerdings hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung der lokalen Bedingungen Unsicherheit....