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E-Book

Gesundheitswesen und Sozialstaat

Gesundheitsförderung zwischen Anspruch und Wirklichkeit

VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl364 Seiten
ISBN9783531910109
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis46,99 EUR
Die Anforderungen an ein modernes Gesundheitswesen und die damit verbundenen Folgen für die sozialstaatliche Leistungstiefe werden in diesem Band hergestellt. Dabei wird im ersten Abschnitt eine kritische Bestandsaufnahme und Standortbestimmung der gesundheitspolitischen Zielsetzungen und sozialstaatlichen Rahmenbedingungen vorgenommen, die aktuell mit Begriffen wie Ökonomisierung, Kostendämpfung und Strukturreform unterlegt sind. In den beiden darauffolgenden Abschnitten werden Möglichkeiten und Chancen sowie Hemmnisse und Risiken der Gesundheitsförderung behandelt. Der zweite Abschnitt erörtert und bewertet strukturelle Möglichkeiten, Instrumente und Auswirkungen derartiger Reformbemühungen vor dem Hintergrund eines sozialstaatlichen Wandels.

Gregor Hensen ist Erziehungswissenschaftler und als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Münster tätig.
Dr. Peter Hensen ist Privatdozent an der Medizinischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

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Leseprobe
III Risiken und Herausforderungen (S. 223-224)

Gesundheitliche Ungleichheit als Herausforderung für den Sozialstaat

Thomas Lampert, Lars Eric Kroll

1 Einleitung

Die Bundesrepublik Deutschland baut als moderner Sozialstaat auf dem Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit und gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben auf. Kennzeichnend für die gesellschaftliche Entwicklung nach dem 2. Weltkrieg sind u.a. der allgemeine Wohlstandszuwachs, die Bildungsexpansion, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, der Ausbau der sozialen Sicherungssysteme sowie der zunehmend höhere Standard der medizinischen und pflegerischen Versorgung. Andererseits lässt sich spätestens seit den 1980er Jahren eine Auseinanderentwicklung der Lebensverhältnisse beobachten, die sich mit der Wiedervereinigung Deutschlands und infolge von demographischen Entwicklungen, insbesondere der fortschreitenden Alterung der Gesellschaft, weiter verschärft hat. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang zuvorderst auf die Zunahme von Einkommensarmut und Überschuldung, Arbeitslosigkeit und prekärer Arbeitsmarktanbindung sowie die nach sozialer Herkunft ungleich verteilten Bildungschancen (BMAS 2001, BMGS 2005).

Gesundheitspolitisch relevant sind diese konträren gesellschaftlichen Entwicklungslinien, weil sie sich auch in der Gesundheit und Lebenserwartung der Bevölkerung widerspiegeln. Auf der einen Seite hat die Verbesserung der allgemeinen Lebensumstände dazu geführt, dass die Menschen immer älter werden und häufig bis ins hohe Alter ein gesundes und selbstständiges Leben führen können. Ein Großteil der Krankheiten und Gesundheitsstörungen wird heute früher erkannt und erfolgreicher behandelt. Durch Anschlussheilbehandlungen und Rehabilitationsmaßnahmen können in vielen Fällen nachhaltige Auswirkungen auf die Lebensqualität verhindert werden. Auf der anderen Seite ist eine sozial ungleiche Verteilung des Krankheits- und vorzeitigen Sterberisikos zu beobachten. Menschen mit niedrigem Bildungsniveau, Berufsstatus und Einkommen sind gerade von schwerwiegenden, potenziell tödlich verlaufenden oder die Lebensqualität stark einschränkenden Krankheiten vermehrt betroffen (Mielck 2000, Lampert et al. 2005, Richter/Hurrelmann 2006).

Zudem verfügen sie offenbar über geringere Kompetenzen und Ressourcen, um aufgetretene Krankheiten und daraus resultierende psychosoziale Belastungen zu bewältigen (Badura et al. 1987, Borgetto/Gerhardt 1993). Soziale Unterschiede im Gesundheitszustand und in der Lebenserwartung können als eine extreme Ausprägungsform sozialer Ungleichheit angesehen werden. Dass allgemein hoch bewertete Güter und Ressourcen wie Einkommen, Bildungsabschlüsse oder Sozialprestige in einer Leistungsgesellschaft ungleich verteilt sind, wird zumindest bis zu einem gewissen Punkt akzeptiert und sogar als stabilisierendes Element der gesellschaftlichen Funktionszusammenhänge verstanden.

Wenn sich die soziale Ungleichheit aber darin ausdrückt, dass bestimmte Bevölkerungskreise gesünder sind und länger leben als andere, dann steht dies im Widerspruch zum sozialstaatlichen Selbstverständnis und dem Gerechtigkeitsempfinden der Menschen. Entsprechend hoch ist der politische Handlungsdruck, der durch empirische Nachweise sozial bedingter Unterschiede im Gesundheitszustand und in der Lebenserwartung der Bevölkerung erzeugt wird, zumal diese inzwischen Eingang in regierungsamtliche, politische Entscheidungsprozesse unterstützende Berichtssysteme wie die Gesundheitsberichterstattung des Bundes und die Armuts- und Reichtumsberichterstattung der Bundesregierung gefunden haben.

Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, welche sozialstaatlichen Herausforderungen sich durch die gesundheitliche Ungleichheit ergeben und inwieweit sich diese in politischen Strategien und Programme niedergeschlagen haben. Ausgangspunkt der Diskussion ist eine Darstellung des aktuellen Forschungs- und Erkenntnisstandes zu Ausmaß, Erscheinungsformen und Entwicklungstrends der gesundheitlichen Ungleichheit in Deutschland.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Vorwort9
I Einführung11
Das Gesundheitswesen im Wandel sozialstaatlicher Wirklichkeiten12
1 Die Sozialstaatskritik13
2 (Neo-)Liberale Ökonomisierungsstrategien15
3 Veränderungen im Gesundheitswesen19
4 Gesundheitsförderung als sozialstaatliche Leistung30
Literatur34
II Struktur und Wandel38
Der Sozialstaat: Prinzipien, Konstituenten und Aufgaben im Gesundheitsbereich39
1 Prinzipien39
2 Konstituenten45
3 Aufgaben56
Literatur56
Gesundheitsreformen und ordnungspolitischer Wandel im Gesundheitswesen58
1 Ordnungspolitischer Status quo und ordnungspolitische Leitbilder60
2 Ordnungspolitischer Wandel im Gesundheitswesen aus normativer Sicht66
3 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen der Analyse94
Literatur100
Gesundheitsökonomie zwischen Politik und Wissenschaft104
1 Einführung104
2 Die globale Makroökonomie als Rahmen106
3 Ökonomie, Recht, Politik und die Menschen des Nationalstaats107
4 Makroökonomik – Bausteine des Grundmodells der Wirtschaftskreisläufe und ihrer Steuerung111
5 Makroökonomische Modelle des Wirtschaftskreislaufs113
6 Quantitative Modelle der Makroökonomik115
7 Mikroökonomik – der autoregulative Markt118
8 Marktmodellierungen120
9 Akteure als Nutzenmaximierer123
10 Gesundheitsökonomik – Gegenstand, Fragestellungen, Probleme125
11 Gesamtfazit134
Literatur135
Polarisierung und Entsolidarisierung138
Einleitung138
1 Ökonomisierung – Analyserahmen oder Kampfbegriff?139
2 Grundzüge der Ökonomisierung im Gesundheitswesen141
3 Rationalisierung – Rationierung – Polarisierung (1. These)146
4 Ökonomisierung als Entsolidarisierung (2. These)148
5 Konklusion152
Literatur155
Qualitätsberichterstattung im Gesundheitswesen161
1 Zielsetzung und Hintergrund von Qualitätsberichterstattung161
2 Qualität in der Gesundheitsversorgung167
3 Qualitätsberichterstattung im Gesundheitswesen171
4 Limitationen und Implikationen178
Literatur186
Prävention im Gesundheitswesen190
1 Was heißt, worauf zielt Prävention?190
2 Ordnungsversuche, Systematiken und Abgrenzungen192
3 Präventive Schwerpunkte und Zielbestimmungen198
4 Handlungskontexte und struktureller Rahmen von Prävention201
5 Methoden: Mehr-Ebenen-Systematik202
6 Die Position der Sozialen Arbeit in der Prävention204
Literatur211
III Risiken und Herausforderungen215
Gesundheitliche Ungleichheit als Herausforderung für den Sozialstaat216
1 Einleitung216
2 Empirische Befunde zur gesundheitlichen Ungleichheit in Deutschland217
3 Zeitliche Entwicklungen und Trends222
4 Herausforderungen für den Sozialstaat225
Literatur229
Blaming, Producing und Activating the Victim232
1 Zwischen Kampagnen und Kürzungen: Die aktuelle deutsche Gesundheitspolitik234
2 Blaming the Victim239
3 Producing und Activating the Victim243
Literatur247
Gesundheitsbezogene Einflüsse im Sozialisationsprozess und riskante Identitäten252
1 Ausgangslage252
2 Die soziale Entdeckung der Identität253
3 Sozialisationstheoretischer Hintergrund255
4 Gesundheit im Sozialisationsprozess261
5 Resümee272
Literatur274
Gesundheitsförderung und Prävention im Alter279
1 Der demographische Wandel – Herausforderung für Gesundheitsförderung und Prävention279
2 Präventionspotenziale und sozioökomischer Status281
3 Handlungsfelder sowie Anforderungen an Prävention und Gesundheitsförderung283
4 Bevölkerungs- bzw. (hoch-)risikogruppenbezogener Ansatz284
5 Versorgungsbezogener Ansatz285
6 Lebensweltbezogener Ansatz287
7 Anforderungen an Professionen288
Literatur289
Gesundheitsbezogene Sozialarbeit292
1 Ein veränderter Auftrag für die Soziale Arbeit?292
2 Gesundheitsbezogene Sozialarbeit – Konzeption und Methodik294
3 Gesundheitsbezogene Sozialarbeit und ihre sozialstaatliche Wirklichkeit: Sozialarbeit im Gesundheitswesen am Beispiel von Sozialarbeit im Krankenhaus301
4 Gesundheitsbezogene Sozialarbeit zwischen Anspruch und Wirklichkeit – Schlussfolgerungen für Konzeption und Methodik304
Literatur307
Pädagogische Handlungsansätze der Gesundheitsförderung310
Gesundheitserziehung als Gesundheitsförderung?310
Herausforderungen moderner Gesundheitspädagogik312
Bildung als Gesundheitsförderung315
Gesundheitspädagogik Medicopädagogik316
Grenzen bildungspädagogischer Interventionen für Gesundheit318
Literatur320
Lebenslagenorientierte Gesundheitsförderung im Sozialraum in Berlin324
1 Einleitung324
2 Ausgangslage Sozialstrukturatlas325
3 Schlussfolgerungen aus der Sozialraumanalyse329
4 Ein theoretisches Modell vernetzter Strukturen im regionalen Kontext330
5 Voraussetzungen und weiterer Prozess für die Umsetzung von Gesundheitszielen in Berlin335
Literatur336
IV Epilog337
Der Gesundheitsimperativ338
Literatur348
Zu den Autorinnen und Autoren350

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