|15|Gebrauchsanweisung für dieses Buch
Das Programm, das ich hier vorstelle, wendet sich an Menschen, die unter Depressionen leiden und nach Wegen suchen, aus dem lähmenden Zustand, in dem sie sich befinden, herauszukommen. Es zielt darauf ab, Sie, die Leserin, den Leser, in die Lage zu versetzen, sich Klarheit über Ihren persönlichen Umgang mit Ihrem seelischen Schmerz zu verschaffen, zu erkennen, mit welchen Verhaltensweisen Sie sich möglicherweise selbst im Wege stehen und Alternativen dazu kennenzulernen, auszuprobieren und einzuüben.
In diesem Moment, in dem Sie diesen Text lesen, sind Sie möglicherweise schon fest entschlossen, ACT eine Chance zu geben und können es vielleicht gar nicht abwarten, mit der Lektüre und den Übungen zu beginnen. Vielleicht sind Sie aber auch noch skeptisch, wollen sich erst mal einen Eindruck davon verschaffen, worum es eigentlich geht und ob die Überlegungen und Anregungen zu Ihnen und Ihren Schwierigkeiten passen. An welchem Punkt auch immer Sie stehen, die Tatsache, dass Sie dieses Buch zur Hand genommen haben, spricht dafür, dass Sie jemand sind, der darauf vertraut, dass ihm Informationen, Erkenntnisse und Einsichten weiterhelfen können. Ihre Einschätzung teile ich, sonst hätte ich das Buch nicht geschrieben.
Allerdings können Informationen, Erkenntnisse und Einsichten zwar hilfreich sein, aber allein reichen sie in der Regel nicht aus, um aus einer Depression wieder herauszufinden. Was man bislang an Gewohnheiten im Umgang mit sich selbst und mit seinem Leben erworben hat, ist nicht von heute auf morgen entstanden. Genauso wenig wird es über Nacht auch wieder verschwinden, selbst wenn man meint, endlich eine heilsbringende Einsicht gewonnen zu haben, mit der sich nun alles ändert. Unser Verstand sagt vielleicht: „Aha, jetzt weiß ich endlich, wieso alles so ist, wie es ist, und was anders laufen muss. Jetzt wird alles anders.“ Die Wirklichkeit sieht oft anders aus: Wenn wir eine Erkenntnis nicht durch regelmäßiges Tun in unserem Handlungsrepertoire verankern, verblasst sie |16|und bald darauf verfallen wir wieder in unsere alten Gewohnheiten. Möchten Sie nachhaltig etwas an Ihrem Umgang mit sich selbst verändern, sollten Sie nicht allein auf Einsichten und Erkenntnisse setzen, sondern auch darauf, neue Gewohnheiten aufzubauen. Dazu braucht es regelmäßige Übung. Dieses Buch enthält zahlreiche Anregungen dazu.
Jeder Mensch hat seine eigene Art, sich mit neuen Informationen auseinanderzusetzen, und ich kann und will Ihnen natürlich keine Vorschriften machen, wie Sie mit diesem Buch umzugehen haben. Wenn Sie erst einmal alles durchlesen wollen, ohne eine Übung umzusetzen, oder wenn Sie darauf bauen, dass das Gelesene von allein seine Wirkung entfaltet, ohne dass Sie bewusst üben – dann tun Sie dies. Vielleicht picken Sie sich auch nur einige Übungen heraus, die Ihnen nützlich erscheinen, möglicherweise ist das auch ausreichend. Jeder Mensch ist anders und jede Situation ist anders. Depression ist nicht gleich Depression. Vielleicht benötigen Sie nur einen kleinen Anstoß, vielleicht sogar nur eine Bestätigung, auf dem richtigen Weg zu sein.
Empfehlen würde ich Ihnen dennoch ein systematisches Vorgehen. Nehmen Sie sich für jeden Schritt des Programms etwa eine Woche Zeit, lesen Sie zunächst das gesamte Kapitel durch und halten Sie sich an den „Trainingsplan“. Ich habe versucht, die Übungen zu erklären, aber selbst wenn Sie ihren Sinn und Zweck nicht bis ins Letzte verstehen (also Ihr Verstand weiterhin Fragen und Zweifel dazu aufwirft), können Sie sie dennoch ausprobieren und einfach schauen, ob die Einheit eine hilfreiche Wirkung entfaltet. Sie müssen es nicht, aber es ist möglich, diese Entscheidung zu treffen – auch wenn Ihr Verstand daran etwas auszusetzen hat.
Manche Übungen werden Ihnen vielleicht schwerfallen, andere weniger. Eventuell werden Sie manchmal eine Übung aufgeben, weil sie Ihnen zu leicht oder zu schwierig vorkommt. Das kann durchaus berechtigt sein. Vielleicht beherrschen Sie die Fähigkeit, die im Fokus steht, schon „aus dem FF“, und benötigen kein zusätzliches Training. Und Übungen können natürlich auch tatsächlich zu schwierig sein in dem Sinne, dass Sie etwas voraussetzen, was momentan (noch) außerhalb Ihrer Möglichkeiten liegt. Dann sollten Sie sie eventuell erst einmal zurückstellen und zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgreifen. Wenn Ihr Verstand immer wieder Übungen als zu leicht – ist doch „Pipikram“ – bezeichnet, ist jedoch Skepsis angezeigt. Vielleicht verwechselt er das Verstehen einer Übung mit ihrer Umsetzung. Das sind aber zwei verschiedene Dinge. Genauso skeptisch |17|sollten Sie sein, falls Sie denken: „Das ist viel zu schwer, das schaffe ich nie.“ Ein solcher Gedanke hat vielleicht eher mit Ihrer gedrückten Stimmung und Ihrem negativ verzerrten Selbstbild zu tun als mit einer tatsächlichen Überforderung. Geben Sie der Übung eine Chance, auch wenn Ihr Verstand alles andere als optimistisch ist.
Es hat einen großen Vorteil, sich zu entscheiden, das gesamte Programm mit allen Übungen so, wie es hier dargestellt ist, durchzuarbeiten, selbst wenn Ihnen die eine oder andere Aufgabe unverständlich oder sehr leicht oder schwer erscheint. Sie entlasten sich damit nämlich von der Notwendigkeit, immer wieder neu entscheiden zu müssen. Außerdem mindert dieses Vorgehen die Gefahr, sich durch Zweifel und negative Bewertungen (die Ihr Verstand zurzeit wahrscheinlich en masse produziert, egal zu welchem Thema und in welcher Situation) blockieren und lähmen zu lassen. Selbst wenn Sie Zweifel haben, ob das Programm etwas bringt und es für Sie das Richtige ist, müssen Sie nicht jeden Tag neu darüber nachdenken, denn Sie haben sich ja schon entschieden. Nachdem Sie das Programm durchgearbeitet haben, werden Sie sehen, inwiefern Sie davon profitiert haben.
Sind Sie bereit, dem Buch und dem Programm einen gewissen Vertrauensvorschuss entgegenzubringen? Ich weiß, es wäre schön, wenn es eine Erfolgsgarantie gäbe. Am liebsten hätten Sie – hätte Ihr Verstand – bestimmt eine Kristallkugel, mit der Sie in die Zukunft sehen könnten, um zu wissen: Wird es mir besser gehen, wenn ich mit dem Programm arbeite? Der Wunsch ist nachvollziehbar, lässt sich aber leider nicht erfüllen. Was wir sagen können, ist, dass die Hinweise und Anregungen, die in diesem Buch stehen, auf einem Ansatz beruhen, der gründlich erforscht wurde und der seine Wirksamkeit in vielen Untersuchungen unter Beweis gestellt hat4.
Doch eine Garantie gibt es nicht. Wie bereits gesagt sind sich selbst die Fachleute alles andere als einig, wie eine Depression am besten behandelt werden kann. Das macht es nicht gerade einfach für Sie. Es macht unsicher, vielleicht sogar misstrauisch gegenüber all den vielen Experten und ihren Aussagen. Und diese Unsicherheit und diese Skepsis können durchaus berechtigt sein.
Aber ist es möglich, sich unsicher, skeptisch und misstrauisch zu fühlen, und dennoch dieses Programm zu absolvieren, um zu schauen, was dabei herauskommt?
|18|Noch ein Letztes, bevor es endlich losgeht: Wenn Sie sich dafür entschieden haben, dieses Buch alleine durchzuarbeiten, legen Sie vielleicht Wert darauf, Schwierigkeiten selbstständig zu lösen. Das ist überhaupt nicht verkehrt, im Gegenteil. Vielleicht liegt es Ihnen, sich mit Problemen auseinanderzusetzen, Erkenntnisse zu sammeln und dann eigenständig eine Lösung zu erarbeiten und umzusetzen. Großartig! Natürlich ist es auch möglich, dass Sie eher aus der Not heraus zu diesem Buch gegriffen haben, weil Sie beispielsweise kein therapeutisches Angebot gefunden haben oder weil innere Barrieren (wie Ängste oder Schamgefühle) Sie zögern lassen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Dieses Buch geht davon aus, dass es zumindest manchen Betroffenen möglich ist, von einem Programm wie diesem so weit zu profitieren, dass sie eine depressive Krise überwinden und weniger anfällig für Rückfälle werden. Dies gilt aber nicht für jeden Menschen in jeder Situation. Es kann sein, dass der Ansatz, der in diesem Buch beschrieben ist, nicht der richtige für Sie ist oder dass Sie nicht oder nicht genug davon profitieren. Das heißt aber keineswegs, dass Sie ein hoffnungsloser Fall wären und es einen Grund gäbe, zu resignieren.
Vielleicht benötigen Sie – eventuell zusätzlich zu diesem oder anderen Ratgebern – ein menschliches Gegenüber, das Ihnen etwas gibt, was Sie sich zurzeit nicht selbst geben können. Vielleicht benötigen Sie andere Formen von Hilfe, die an anderer Stelle ansetzen, vielleicht eine andere Form von Psychotherapie, medizinische Maßnahmen oder vielleicht Hilfen bei der Lösung...