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E-Book

GIUSEPPE VERDIS WIENBESUCHE

Vom Kärntnertortheater in die Hofoper

AutorChristian Springer
Verlagepubli
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl92 Seiten
ISBN9783746727912
Altersgruppe1 – 99
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Die Wien-Aufenthalte Giuseppe Verdis werden in der Literatur immer nur kurz und im Vorübergehen erwähnt. Kaum ein Autor hat sich der beiden interessanten Wien-Besuche Verdis in den Jahren 1843 und 1875 und deren Begleitumstände angenommen. Selbst der renommierte Verdi-Forscher Frank Walker, der dem Thema anlässlich des 50. Todestages Verdis im Jahr 1951 einen Aufsatz widmete (F. Walker, Verdi in Vienna. In: The Musical Times (92), 1951, S. 451-453.), vertiefte seine Untersuchung nicht weiter. Eine Äußerung des 2012 verstorbenen Direktors des Istituto Nazionale di Studi Verdiani in Parma, Dr. Pierluigi Petrobelli, über die vorliegende Untersuchung, die er als 'grundlegenden Beitrag zu diesem Thema' bezeichnete, zeigt bei aller gebotenen Bescheidenheit seitens des Autors, dass sich die Verdi-Forschung der Vernachlässigung des Themas bewusst war und den Wunsch hegte, dass diese Lücke geschlossen wurde.

Mag.phil. Christian Springer absolvierte ein Übersetzer- und Dolmetscherstudium an der Universität Wien. Danach war er als freiberuflicher Übersetzer für Italienisch tätig. Neben Studienaufenthalten in Italien studierte er Gesang in Wien. Ab 1981 gestaltete er Radiosendungen mit den Schwerpunkten 'italienische Oper' und 'historische Sänger' beim ORF, seit 1984 übt er eine internationale Publikationstätigkeit aus, vorwiegend über die italienische Oper im Ottocento. Seit 2000 hat er zahlreiche Bücher veröffentlicht. Zuletzt erschien das Standardwerk 'Giuseppe Verdi - Simon Boccanegra. Dokumente - Materialien - Texte' (Wien 2008).

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Leseprobe

Wien: Erstes Theater der Welt,

und dieser Meinung wäre auch ich.

Verdi an Clara Maffei, 1879

VERDIS AUSLANDSDEBUT: AM WIENER KÄRNTNERTORTHEATER


Als der neunundzwanzigjährige Giuseppe Verdi im Frühjahr 1843 von Mailand aus seine erste Auslandsreise unternahm, um am Kärntnertortheater{1} die Wiener Erstaufführung – und damit gleichzeitig die erste Aufführung einer Verdi-Oper außerhalb Italiens – seiner im Vorjahr an der Mailänder Scala uraufgeführten Erfolgsoper Nabucco zu dirigieren, stand Norditalien seit langen Jahren unter österreichischer Besatzung (von 1831 bis 1857 war der österreichische Feldmarschall Radetzky Oberbefehlshaber in der Lombardei und Venetien). Die Gefühle, die ein freiheitsliebender, dem Ideal der Einigung Italiens anhängender italienischer Patriot wie Verdi, der von seinen Landsleuten zusammen mit nur wenigen anderen später mit dem Ehrentitel Pater patriae bezeichnet werden sollte, der Besatzungsmacht Österreich auf politischer Ebene zwangsläufig entgegenbrachte, sind unschwer vorstellbar. Doch hatte die sich abzeichnende große Karriere Vorrang: Das Kärntnertortheater war ein wichtiges Opernhaus – und es wurde von einem Italiener geleitet, von Bartolomeo Merelli{2}, jenem Impresario der Mailänder Scala, der trotz eines Misserfolgs Verdis{3} so großes Vertrauen in den jungen Komponisten gesetzt hatte, dass er ihn – auch wenn man alle diesbezüglichen Verdis Situation romantisierenden Legenden beiseite läßt – praktisch zur Komposition des Nabucco gezwungen hatte. Merelli war ein gewiefter, in wirtschaftlichen Kategorien denkender, jedoch künstlerisch bewanderter Inhaber einer Impresa.

Die impresa (Theaterunternehmen) und, davon abgeleitet, der impresario (Theaterunternehmer) war in Italien vom 17. bis zum 19. Jahrhundert ein wesentlicher Bestandteil des Opernbetriebs. Der Impresario, ein künstlerisch wie wirtschaftlich möglichst erfahrener Unternehmer, pachtete ein Theater, vergab an Dichter die Aufträge zur Herstellung von Libretti, beauftragte Komponisten mit der Vertonung dieser Texte, engagierte Sänger und sorgte für die szenische Realisierung der Werke. Die Finanzierung dieses Risikogeschäfts erfolgte durch Vermietung der Logen an finanzkräftige Interessenten und durch öffentlichen Kartenverkauf. Berühmte Impresari waren Domenico Barbaja, Vincenzo Jacovacci oder Alessandro Lanari, die zum Teil wie Merelli mehrere Theater in Italien und im Ausland gleichzeitig betrieben und auch Einnahmen aus Glücksspielen im Theater lukrierten. Während viele Impresari nur Geschäftsleute waren und keine künstlerischen Ambitionen hatten, war Merelli selbst als Librettist tätig. Er verfaßte zwischen 1816 und 1851 mindestens dreizehn Textbücher, darunter für Komponisten wie Simon Mayr, Gaetano Donizetti und Nicola Vaccaj.

Bartolomeo Merelli (1794-1879)

Merelli wurde zu jener Zeit von seinen Landsleuten sogar verdächtigt, ein österreichischer Spion zu sein (was in der Literatur ebenso genüsslich wie unüberprüft immer wieder kolportiert, jedoch niemals bewiesen wird), weil er als Italiener eine für das Operngeschäft vor 1848 typische Haltung einnahm: Man gab sich im Ausland betont apolitisch und regierungsfreundlich, im Falle Merellis also österreichfreundlich, um ungehindert seinen Geschäften nachgehen zu können. Dass seine Landsleute das nicht goutierten, wird aus den kursierenden Spionagegerüchten ersichtlich.

Aus vergleichbaren pragmatischen Karrieregründen hatte Verdi den von Ricordi gedruckten Klavierauszug Adelheid von Österreich{4} gewidmet: „Posto in musica e umilmente dedicato a S.A.I. la Serenissima Arciduchessa Adelaide d’Austria, il 31 marzo 1842, da Giuseppe Verdi.“{5}

Adelheid von Österreich

Wie dem auch sei: Der scheue, unerfahrene, unsichere Verdi – zu jener Zeit noch weit davon entfernt, jener durchsetzungsfähige Künstler und, wenn es die Situation erforderte, auch harte Geschäftsmann zu sein, zu dem ihn seine Erfahrung bald machte – leitete mit seinem ersten Auftritt im Ausland eine sechs Jahre währende hektische, konfliktreiche Periode seiner Karriere ein, die ihn europaweit von Theater zu Theater, von Metropole zu Metropole führte und von ihm einen hohen Tribut in künstlerischer und gesundheitlicher Hinsicht forderte.

Das k.k. Hof-Operntheater nächst dem Kärnthnerthore

An das erste Zusammentreffen mit dem Orchester des Hof-Operntheaters erinnerte sich Verdi noch sechsundzwanzig Jahre später genau.

Francesco Florimo

In einem Brief an Francesco Florimo{6} kam er zuerst auf die Direktion des Teatro San Carlo in Neapel zu sprechen und kritisierte dann die am San Carlo geübte Gepflogenheit, die Violen und die Celli nicht als geschlossene Gruppen im Orchester zu disponieren, sondern diese Musiker über das gesamte Orchester verstreut sitzen zu lassen. Diese Anordnung war zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Italien noch üblich gewesen. In Wien wurde Verdi 1843 eines besseren belehrt:

Ganz abgesehen von der ungeeigneten Truppe [des San Carlo], möchte ich, dass Euer Theater [...] einige Änderungen vornimmt, die aufgrund der modernen Partituren unerläßlich sind, und zwar sowohl, was die Inszenierungen anlangt, als auch den Chor und vielleicht auch das Orchester. Wie könnt Ihr, um nur ein Beispiel anzuführen, hinnehmen, dass die Violen und die Celli getrennt voneinander sitzen? Wie kann es da einen [präzisen] Einsatz der Streicher, Farbgebung, Akzente usw. usw. geben? Abgesehen davon fehlt der volle Klang der Gruppe der Streichinstrumente. Das ist ein Überbleibsel aus vergangenen Zeiten, als Violen und Celli noch im Unisono mit den Kontrabässen spielten. Verdammte Gewohnheiten! In diesem Zusammenhang möchte ich Euch eine Geschichte erzählen. Als ich nach Wien kam und sah, dass die Kontrabässe in der Mitte des Orchesters gruppiert waren (ich, der ich daran gewöhnt war, sie über das ganze Orchester verstreut sitzen zu sehen), war ich höchst überrascht und [konnte mir] ein maliziöses Lächeln [nicht verkneifen], das besagen wollte „schau dir diese deutschen Tölpel{7} an usw.“; als ich aber ins Orchester ging und vor diesen Kontrabässen stand, als ich diesen kraftvollen Einsatz, die Präzision, die Reinheit, die Piani, die Forti usw. [ihres Spiels] hörte, erkannte ich, dass ich der Tölpel war, und lachte nicht mehr.{8}

Die von Verdi kritisierte Orchesteraufstellung in Italien war nicht zufällig erfolgt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts saßen an den italienischen Opernhäusern die Musiker zumeist mit dem Rücken zum Publikum, der Bühne zugewandt. Sie saßen auch nicht in einem Graben wie heute, sondern auf Höhe des Parketts (Orchestergräben wurden an italienischen Häusern erst um die Jahrhundertwende eingebaut, an der Mailänder Scala beispielsweise erst 1906). Der Dirigent, der zumeist der Konzertmeister war und mit dem Geigenbogen dirigierte, stand vorne an der Bühnenrampe, wandte sich ebenfalls der Bühne zu und dirigierte mit dem Rücken zu den Orchestermusikern.

Wie man sieht, war die italienische Orchesterdisposition der Bühne und dem Gesang untergeordnet. Die verstreute Aufstellung der Violen, Celli und Kontrabässe mit ihrem obertonreichen Klang nahe der Bühne war ebenfalls auf die Unterstützung der Sänger ausgerichtet. Die Einstudierung des Ganzen oblag dem im Orchester spielenden maestro al cembalo, für gewöhnlich der maestro di cappella der Stadt, in welchem sich das jeweilige Theater befand. Die Komponisten neuer Opern waren vertraglich verpflichtet, den ersten drei Vorstellungen neben dem maestro al cembalo beizuwohnen.

Giuseppe Verdi zur Zeit seines Wien-Debuts

Am 4. und 5. April 1843 dirigierte Verdi am Kärntnertortheater seinen Nabucco mit diesem für italienische Begriffe höchst fortschrittlichen Orchester. Es war dies bereits die von Otto Nicolai ins Leben gerufene Urform der Wiener Philharmoniker, deren erstes Konzert – auf den Ankündigungsplakaten alsPhilharmonische Akademie, auf dem Programmzettel dann alsein großes Concertbezeichnet – am 28. März 1842 stattgefunden hatte. Bereits das zweite Konzert am 27. November 1842, bei demdas sämmtliche Orchester=Personal des k.k. Hof=Operntheatersspielte, trug die Bezeichnung „das zweite Philharmonische Concert“, obwohl kein erstes mit diesem Namen stattgefunden hatte.

Die Nabucco-Proben hatte Gaetano Donizetti geleitet.{9} In diesem Stadium der Vorbereitung der Spielzeit waren sowohl Donizetti als auch Verdi noch davon ausgegangen, dass Nabucco die Eröffnungsvorstellung sein würde. Die Sopranistin Eugenia Tadolini, die...

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