»Das Thema ›Bibel und Musik‹ formuliert eine Problemanzeige. Es gibt ohne Zweifel einen Zusammenhang zwischen dem biblisch-christlichen Reden von Gott und dem Universum musikalischer Phänomene, das kaum überschaubar und sicherlich nicht auf einen Begriff zu bringen ist. Versucht man aber, diesen Zusammenhang präzise zu formulieren, so scheint er sich schnell zu verflüchtigen. Das liegt zunächst an der Vielfalt des Phänomens ›Musik‹. Wenn jedes gestaltete Geräusch bereits als Musik betrachtet werden kann (so Harald Schroeter-Wittke in diesem Heft), so wird die Theoriebildung ähnlich witzlos wie der Versuch, eine Eigenschaft zu benennen, die für jedes Spiel gilt. Es dürfte daher sinnvoll sein, die Überlegung jeweils auf bestimmte Formen der Musik zu konzentrieren, denn eine allgemeingültige ›Theorie der Musik‹ entlarvt sich sogleich als dilettantisch und oberflächlich. Auf der anderen Seite ist die Betrachtung biblischer Texte als Kunstwerke stets belastet mit dem Verdacht einer ›Ästhetisierung‹ – womit in der Regel auch eine gewisse spielerische ›Unverbindlichkeit‹ gemeint ist. Wenn es um Gott geht, dann geht es doch um Leben und Tod und jedenfalls um letzte Fragen! Ein Spiel mit Tönen hat hier auf den ersten Blick keinen Ort. Es könnte sogar zum Konflikt kommen: Wenn das Spiel mit Tönen zum menschlichen Wesen gehört, verfällt es der Kritik durch das Wort Gottes, die das sündige menschliche Geschöpf in seiner Verkehrtheit bloßstellt.
Dieser Kontrast erweist sich als unangemessen, sofern gerade die biblische Sprache künstlerisch auf hohem Niveau gestaltet ist, in poetischen Formen und in narrativ-dramatischen Spannungsbögen. Wenn die geistliche Dimension des göttlichen Wortes hervortreten soll, kann die musikalische Gestaltung nicht einfach abgeblendet werden. Es kann sogar umgekehrt gefragt werden, ob die musikalischen Gestalten nicht auch zur tieferen Interpretation der biblischen Sprache beitragen. Das wird besonders deutlich bei der musikalischen Gestaltung der Zeit, die eben nicht nur als chronologisches Nacheinander erfahren wird – was für die biblische Geschichte ebenfalls gilt.
Welche Vielfalt musikalischer Gestalten gerade poetische Gebilde wie die Psalmen inspirieren können, zeigt auf differenzierte Weise Rüdiger Bartelmus. Die Vertonung der ›Buß-Psalmen‹ führt seit der Renaissance zu einer Fülle von kompositorischen ›Strategien‹, in denen sich die Emanzipation der Musik von liturgischen Restriktionen vollzieht, in denen sich auch die Musik als ›Ausdruck‹ von Affekten ausbildet. Dabei werden Grenzen zwischen ›geistlicher‹ und ›weltlicher‹ Musik überschritten, die sich auch später als eher künstlich erweisen werden.
Die unübersichtliche und doch signifikante Wechselbeziehung am Beispiel des musikalisch hochsensiblen und gebildeten Dietrich Bonhoeffer wird offengelegt. Die Ambivalenz der durch Musik erregten »religiösen Gefühle« hat Bonhoeffer sehr deutlich bezeichnet und sogar gegen Johann Sebastian Bachs Matthäus-Passion, mehr noch gegen Beethoven zur Geltung gebracht. Wegweisend sind andererseits die Rede von einer »ästhetischen Existenz« im »Spielraum der Freiheit« – hier wird die eingangs angesprochene theologische »Ernsthaftigkeit« zumindest relativiert – und die Sympathie für das Fragmentarische (vor allem in Bachs »Kunst der Fuge«). Besonders fruchtbar dürften Bonhoeffers Bemerkungen zur »Polyphonie des Lebens« sein. Reden von Gott wird im biblisch-christlichen Kontext niemals eindimensional oder gar »eindeutig« sein, aber das ist gerade ein unendlicher Vorzug gegenüber allen fundamentalistischen Tendenzen in der Gottesrede.
Die Möglichkeiten »Neuer Geistlicher Musik« werden ausgelotet und die enorme Weite des Horizonts aufgezeigt, der sich hier erschließt. Dabei treten auch die vielschichtigen musiksoziologischen und rezeptionsästhetischen Verwicklungen hervor, die letztlich den (angemessenen) Gebrauch von Musik theologisch signifikant werden lassen. Gerade die Popmusik weist religiöse Hintergründe auf, die sich im neuen geistlichen Lied bemerkbar machen (jedenfalls stellenweise). Besonders wichtig und dringlich ist angesichts der Allgegenwart von Musik die Aufgabe, für eine neue „Offenohrigkeit“ zu sorgen, für eine neue Sensibilität gegenüber den originellen Klangräumen, wie sie in der zeitgenössischen Musik geschaffen werden. Der Reichtum solcher Klangräume könnte für das ausgehende 20. und das beginnende 21. Jahrhundert eine einzigartige Chance darstellen.
Eine Fülle von Möglichkeiten, die »Offenohrigkeit« im Religionsunterricht zu fördern, zeigt Heike Lindner auf. Es gibt elementare Zugänge zur aktiven Ausübung von Musik, die vor allem deshalb zu intensivieren sind, weil das bewußte Zu-Hören wegen der Allgegenwart musikalischer Berieselung immer mehr verkümmert. Hier treten der Rhythmus der Sprache und die »bodypercussion« in den Vordergrund. Auf einer höheren Ebene eröffnet die Gestaltung von Geschichten durch bzw. mit Musik eine produktive Auseinandersetzung sowohl mit theologischen Gedankengängen als auch mit musikalischen Figuren. Das kann vertieft werden zu einem Verständnis der musikalischen Symbole – am Beispiel der amerikanischen Spirituals gezeigt – und perspektivisch zum Nachvollzug synästhetischer Bezüge zwischen Klang, Wort und Sprache.« (Aus der Einleitung von Ernstpeter Maurer)
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