Anhang B zur Einleitung
Die Diskussion in diesem Buch schließt auch Beispiele jener Strategien mit ein, die bei intellektuellen Widerlegungen des Theismus – des Glaubens an Gott – angewandt werden. Ich konzentriere mich besonders auf zwei Arten der Infragestellung: (1) das Problem des Beweises des Bösen und (2) das Problem überzeitlicher Akteure. Weil die Leute oftmals die ins Feld geführten Argumente falsch verstehen, seien sie gleich zu Beginn verdeutlicht.
Das logische Problem und die Frage des Beweises des Bösen
Die bekannteste Aufgabe für den Theismus ist vielleicht das sogenannte Problem des Bösen. Eigentlich gibt es mindestens deren zwei: ein logisches Problem und eines des Beweises.
Das logische Problem ist im Grunde genommen einfach. An einen monotheistischen Gott zu glauben, einen Gott also, der (1) allmächtig, (2) allwissend und (3) allgütig oder in höchstem Maße gütig ist, ist nicht ganz unbedenklich.
Die Frage ist: Wenn es einen gütigen Gott gibt, wieso existiert dann das Böse? Das «Böse» bezieht sich hier auf das moralisch Böse – auf Akteure, die moralisch schlechte Dinge tun wie Töten, Stehlen, Foltern usw. – und/oder auf das natürlich Böse wie Krankheiten und Katastrophen, die großes Leid verursachen. Sicher – so geht das Argument – könnte ein allmächtiger Gott eine laster- und leidfreie Welt schaffen. Als Schöpfer wüsste er, wie eine Welt zu gestalten ist, die nichts Böses kennt. Und als Allgütiger wünschte er sich bestimmt nicht eine Welt, in der es Böses gibt. Aber die Welt kennt nun mal das Böse. Deshalb gibt es keinen solchen Gott.
Es braucht gegen den Glauben an die Existenz Gottes nur dieser eine Einwand erhoben zu werden, nur ein bisschen etwas Böses ist nötig. Es spielt keine Rolle, wie mächtig oder nichtig dies ist, allein, dass es da ist, hat zur Folge, lautet die Gegenthese, dass es logischerweise keinen Gott gibt.
Die Standardantwort der Theisten auf dieses logische Problem lautet, Gott habe absichtlich eine Welt mit diesem bisschen etwas Bösem geschaffen, denn dies führe zu höheren Gütern.
Krieg beispielsweise ist eine Folge unseres Strebens nach freiem Willen. Wir Menschen bestimmen, wann Kriege beginnen. Gott hätte uns aber auch als bloße Marionetten schaffen können. Er hätte die absolute Kontrolle über unser Handeln und würde uns davor bewahren, in den Krieg zu ziehen. Solche Marionetten sind aber moralisch nicht verantwortlich für das, was sie tun und können von sich aus auch nicht moralisch vorbildlich handeln. Einer Welt voller Marionetten würde es einer wichtigen Eigenart der Sittlichkeit fehlen: der Moral. Jene Moral, die freie Akteure voraussetzt, die ihren Willen einsetzen, um Gutes zu tun. Um eine solche Welt mit freiem Willen zu schaffen, musste Gott die Fäden kappen, an denen die Marionetten hängen. Daher gibt es jetzt ein bisschen etwas Böses, das verursacht wird durch unsere freie Wahl, das Falsche zu tun. Dieses Böse wird jedoch mehr als wettgemacht durch das Glück, das der freie Wille uns zugesteht.
Obwohl dieses logische Problem des Bösen durchaus interessant ist, soll es hier nicht weiter vertieft werden. Ich will mich einer anderen Frage zuwenden, jener nach dem Beweis des Bösen. Das Problem mit dem Beweis beginnt nicht mit der Feststellung, dass es in der Welt einen Hauch von Bösem gibt, sondern mit der Beobachtung, dass enorm viel Böses existiert, sowohl moralischer Art als auch in Form von Schmerz und Leid. Selbst wenn Gott zwecks Erlangung eines gewissen höheren Glücks Böses erlaubt, gibt es keinen Grund für dieses riesige Ausmaß. Wir spitzen die Frage zu, indem wir festhalten, dass Gott vermutlich nicht erlaubt, dass Böses grundlos existiert. Gott, so es ihn gibt, muss gute Argumente haben, um jedes letzte bisschen Böses zu billigen.
Für einen wohlhabenden Abendländer kann das Leben recht angenehm sein. Die Mehrheit der Menschen lebt jedoch in zermürbender Armut, grauenvollem Elend, ist krank oder frustriert. Eltern schauen zu, wie ihre Kinder hungern, Menschen siechen mit Krebs im Endstadium dahin oder werden zu Geschädigten von Umweltkatastrophen wie beispielsweise beim Erdbeben in Pakistan von 2005, das mehrere Tausend Opfer lebend begrub. Enorm viele Menschen werden auf eine erschreckend langsame und brutale Art niedergeknüppelt oder umgebracht. Manche tragen solche schweren physischen und psychischen Schäden davon, dass sie unter deren Bürde verzweifelt zusammenbrechen. Ein solches menschliches Leiden herrscht seit mehreren Millionen Jahren, lange vor der Erfindung von Antibiotika oder Betäubungsmitteln, mit denen sich zumindest gewisse Schmerzen lindern lassen. Im Altertum und im Mittelalter starb eines von drei Kindern vor Erreichen des fünften Lebensjahres. Auch bevor wir Menschen in der Erdgeschichte aufgetaucht waren, mussten empfindungsfähige Erdbewohner – inklusive unsere Vorgänger – über Hunderte Millionen Jahre unvorstellbare Pein und großes Leid erdulden. Und natürlich setzt sich ein solches animalisches Leiden bis heute fort. In einer kürzlich ausgestrahlten Folge einer BBC-Dokumentarfilmreihe über die Tierwelt wurde am Schluss einer der neuen Kameramänner interviewt. Er hatte Komodowarane gefilmt, die Wasserbüffel vergiften und dann über Wochen verfolgen, bis die Beute so geschwächt ist, dass die Warane die Büffel lebend auffressen können. Es war eine solch abscheuliche und grauenhafte Episode, dass der Kameramann beschloss, der Wildtier-Fotografie abzuschwören, da es sein Magen nicht vertrug. Wir bewohnen eine schöne, aber auch verstörend unbarmherzige Welt.
Wenn es einen Gott gäbe, würde er kaum derart erschreckend große Qualen hervorrufen. Vielleicht ein bisschen. Aber niemals so viele. Es ist dieses offensichtlich so sinnlose Leid, das so vortrefflich beweist – selbst wenn es eine Art Erzeuger oder Intelligenz hinter dem Universum gibt, vielleicht sogar ein göttliches Wesen –, dass es nicht der jüdisch-christliche Gott sein kann. Die Existenz eines solches Wesens ist zwar möglich, aber kaum vorstellbar.
Theodizeen
Das also ist das Problem der Begründbarkeit des Bösen. Theisten haben eine ganze Palette von Erwiderungen entwickelt. Eine Art zu antworten ist es, eine Theodizee zu entwickeln – eine Erklärung, die ausführt, warum Gott trotz allem großes Leiden schafft oder zumindest erlaubt. Im Folgenden werden die drei populärsten Ansätze kurz vorgestellt:
Theodizee des freien Willens: Willensfreiheit mag sich nicht nur mit dem logischen Problem, sondern auch mit der Begründungsfrage des Bösen befassen. Hier ein Beispiel: Gott hätte uns als Marionetten erschaffen können, die immer das Richtige tun. Aber dann hätte die Welt der wichtigsten Tugendform ermangelt: der göttlichen Moral. So hat Gott unsere Fäden gekappt und uns in die Freiheit entlassen. In der Folge tun wir leider zuweilen das Falsche, wir beginnen Kriege, stehlen, töten usw. Aber diese Bösartigkeiten werden immer noch von den guten Taten überwogen, zu denen uns der freie Willen befähigt. Deshalb lässt Gott dies zu.
Persönlichkeitsbildende Theodizee: Mit den Worten des Theologen John Hick handelt es sich dabei um ein Tal des «soul making» (statt um das berühmte Tal der Tränen). Wer leidet, wird häufig sagen, er bereue es nicht. Er lerne durch Erfahrung. Das erlebte Leid ist nicht sinnlos, es eröffnet ihm gar neue Möglichkeiten. Beispielsweise werden Eltern, die ihrem Kind beim Lernen des Fahrradfahrens zuschauen, unweigerlich mit ansehen müssen, wie das Kind dabei auch umfällt und sich wehtut. Wenn das Kind dann aber das Fahrradfahren beherrscht und den Eltern «Schaut, ich hab’s geschafft» zuruft, wird der Leidensweg als lohnenswerter Prozess betrachtet – die Richtung, die zum Erfolg führt, wird durch das beharrliche, schmerzvolle Erleben vorgegeben, Fahrradfahren kann gar nicht andersherum gelernt werden. Ja, wir leiden, aber es gibt gute Gründe dafür.
Theodizee der Naturgesetze: Um in unserer Umwelt handeln und in ihr mit anderen interagieren zu können, muss das Universum durch Gesetze geregelt sein. Es sollte vorhersehbar sein, was geschieht, wenn ich ein Streichholz entfache. Ich muss wissen, dass es eine Flamme gibt. Wenn es nur ab und zu eine Flamme gibt, während sich das Streichholz ein anderes Mal beispielsweise in eine Kirsche verwandelt, ein weiteres Mal verschwindet und noch ein anderes Mal plötzlich meine Augenbrauen rasant zu wachsen beginnen, wenn also das Verhalten der physischen Welt zufällig und chaotisch wäre, wäre es völlig sinnlos, überhaupt etwas zu machen. So erlauben uns Gesetze, Handlungen auszuführen, so auch Handlungen, die unseren Mitmenschen zugutekommen. Es gibt jedoch auch die Kehrseite: Die Gesetze, die uns gestatten, auf diesem Planeten herumzuspazieren und mit anderen zu interagieren, haben weitere Folgeerscheinungen, etwa Flutwellen und Erdbeben. Diese verursachen Leid und Schmerz. Leid und Schmerz werden jedoch durch das Gute übertroffen, das die Gesetze zulassen, wie jenes Gute, das unser freier Wille hervorbringt. Und es gibt noch weiteren Nutzen, wie Reverend Dr. John Polkinghorne, Physiker und Theologe, hervorhebt. Zu Erdbeben sagt er Folgendes:
«Erdbeben entstehen, wenn tektonische Platten sich aneinander reiben; geschieht dies unter Wasser, entstehen Tsunamis. Wäre es für Gott nicht besser gewesen, eine feste Kruste um die Erde zu legen? Die Antwort lautet nein. Die Spalten zwischen den Platten ermöglichen es, dass Ressourcen von weit unten angezapft und frei gesetzt werden, die die Erdoberfläche mit mineralischen Stoffen versorgen. Wenn dies nicht geschähe,...