1. Kapitel – Jungen sind anders!
Wie Ihnen dieses Buch weiterhelfen kann
Sie haben vermutlich zu diesem Buch gegriffen, weil Sie sich ein gelasseneres, einfacheres und glücklicheres Zusammenleben mit Ihrem Sohn (bzw. Ihren Söhnen) wünschen.
Viel zu viele Eltern glauben, sie müssten das Verhalten von Jungen als unabänderlich hinnehmen. Es mag Ihnen so vorkommen, als sei da nicht viel zu ändern. Die gute Nachricht: Wie Jungen handeln, denken und fühlen, lässt sich sehr wohl positiv beeinflussen. Dazu müssen wir Erwachsenen aber Verantwortung übernehmen und uns bewusst dafür entscheiden, die Dinge anders anzugehen.
Ich habe eine Erziehungsmethode entwickelt, die ich auf Englisch Calmer, Easier, Happier Parenting nenne. Das bedeutet so viel wie „Gelassener-einfacher-glücklicher-Methode“. Wenn Sie sich dafür interessieren, möchte ich Sie als Erstes darauf hinweisen, dass sie bewusst nicht Gelassen-einfach-glücklich-Methode heißt. Der Grund: Ich weiß schlicht und ergreifend nicht, wie sich Zwischenmenschliches grundsätzlich gelassen, einfach und glücklich gestalten lässt – schon gar nicht für länger als für ein paar Stunden. Das liegt daran, dass wir Menschen so kompliziert sind.
Ich kann Ihnen also nicht eitel Freud und Sonnenschein versprechen. Ich habe keinen Zauberstab, mit dem sich die normalen, unvermeidlichen Probleme aus der Welt schaffen lassen, die damit einhergehen, dass wir komplexe menschliche Wesen sind. Ich kann Ihnen aber verschiedene Strategien vermitteln, die das Familienleben deutlich gelassener, einfacher und glücklicher machen. Es ist eben alles relativ.
Indem wir uns neue, effektivere Strategien aneignen und diese einsetzen, können wir zumindest viele der unangenehmen Eigenschaften minimieren, die Jungen so mit sich bringen. Unter Umständen erreichen wir sogar noch mehr: Oft können wir solche Unsitten nämlich ins Gegenteil verkehren:
•Jungen können still sitzen, zuhören und sich konzentrieren.
•Jungen können ordentlich sein.
•Jungen können lernen, auf ihre Leistungen stolz zu sein.
•Jungen können ruhiger sein.
•Jungen können sich artikulieren.
•Jungen können soziales Bewusstsein entwickeln.
•Jungen können rücksichtsvoll sein.
•Jungen können sich durchaus situationsgerecht verhalten.
Das klingt zu schön, um wahr zu sein. Doch auf der Grundlage meiner fünf Jahrzehnte langen Erfahrung aus der Arbeit mit Familien kann ich mit Fug und Recht behaupten, dass sich wirklich etwas ändert, wenn die Eltern anders an die Sache herangehen. Die Strategien des Calmer, Easier, Happier Parenting-Programms führen nicht nur dazu, dass sich aktuell das Verhalten Ihres Sohnes bessert, sondern sie fördern auch seine Selbstachtung und sein Selbstvertrauen – für den Rest seines Lebens.
Die Methoden in diesem Buch funktionieren – aber nicht über Nacht. Sie greifen nach und nach. Nun wollen Sie vielleicht gern wissen, wie lange Sie die neuen Ansätze praktizieren müssen, bis sich erste Erfolge einstellen. Das hängt von verschiedenen Faktoren ab: vom angeborenen Temperament Ihres Sohnes, davon, wie lange sich Unsitten schon eingebürgert haben, und davon, wie entschlossen und konsequent Sie die neuen Strategien umsetzen.
Die meisten Eltern nehmen schon nach wenigen Wochen echte Fortschritte wahr, oft sogar schon nach Tagen. Doch gehen Sie lieber auf Nummer sicher: Lassen Sie sich einen ganzen Monat Zeit, bevor Sie sich ein Urteil bilden. Wenn Sie so weitermachen wie bisher, kämpfen Sie in einem Monat immer noch mit denselben Problemen. Was haben Sie also zu verlieren? Wenden Sie einen Monat lang diese Methoden an, dann sehen Sie schon, wie viel besser es mit Ihrem Filius läuft. Und am Ende des Monats werden Sie sich weiter an die neuen Strategien halten wollen, weil Ihr Familienleben so viel gelassener, einfacher und glücklicher geworden ist.
Die neuen Methoden sind praktisch und effektiv: Praktisch bedeutet, dass Sie sie anwenden können, und effektiv bedeutet, dass sie wirken. Sie helfen Eltern, ihre Söhne mit mehr Spaß und mehr Selbstvertrauen zu erziehen. Mein Vorgängerbuch, Calmer, Easier, Happier Parenting, ist die Hauptquelle für Strategien gegen Probleme, die häufig bei Jungen und Mädchen auftreten. Entsprechend wird in Calmer, Easier, Happier Homework erklärt, wie Hausaufgaben Jungen und Mädchen Freude machen und produktiv sein können.1
Wer einen Sohn hat, hat gleich zwei Aufgaben. Die eine besteht darin, die großartigen Eigenschaften zu würdigen, die Jungen mitbringen, die aber so oft übersehen werden. Die andere besteht darin, die weniger angenehmen Eigenheiten von Jungen zu verändern. Das können wir erreichen, indem wir die angeborenen Triebe der Jungen, die sich aktuell womöglich negativ auswirken, so kanalisieren, dass sich positive und konstruktive Gewohnheiten entwickeln.
In diesem Buch spreche ich die Probleme an, die Eltern in aller Regel mit Jungen haben, und erläutere die Strategien, mit denen sie das Ruder herumreißen können. Manche Eltern, die dieses Buch lesen, haben vielleicht Töchter, die zum Teil ähnliche Probleme machen wie Söhne. Seien Sie gewiss – dieselben Strategien funktionieren auch bei solchen Mädchen.
Stellen wir uns der Herausforderung, Jungen nach Kräften die Chance zu geben, das Beste aus sich herauszuholen. Das ist gut für Ihre Söhne, Ihre Familie und für die ganze Gesellschaft.
Warum sind Jungen anders?
Dass Jungen anders sind als Mädchen und Männer anders als Frauen, ist eine Tatsache. Unsere Körper unterscheiden sich, und offenbar arbeiten auch unsere Gehirne unterschiedlich. Es ist durchaus nachvollziehbar, warum es so eklatante Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Gehirnen gibt, denn jedes Geschlecht musste im Zuge der Evolution ganz andere Funktionen erfüllen.
Wir wissen heute, dass Hormone und andere im Gehirn vorhandene chemische Stoffe von Jungen und Mädchen in unterschiedlicher Menge produziert werden, und wir wissen auch, dass sie zu Unterschieden in der Gefühlswelt und im Verhalten beitragen, und zum Entwicklungstempo des jeweiligen Geschlechts.
In der Vergangenheit gingen die Menschen davon aus, dass alle geschlechtsspezifischen Unterschiede im Denken und Handeln biologisch begründet seien. Erst seit rund 50 Jahren belegen Forschungsergebnisse aus der relativ neuen Disziplin der Neurowissenschaft, dass viele Unterschiede zwischen den Geschlechtern zum Teil auf das zurückgehen, was die Wissenschaft ›geschlechtsspezifische Sozialisation‹ nennt – also darauf, wie ein Kind des einen oder anderen Geschlechts von frühester Jugend an behandelt wird. Bisher kann noch niemand genau sagen, wie stark die Natur (also angeborene Neigungen) und wie sehr die Kultur (also die Umwelt) zur Ausbildung der uns so vertrauten Unterschiede zwischen den Geschlechtern beitragen. Die Natur können wir nicht beeinflussen – die Kultur dagegen umso mehr. Und darum dreht sich dieses Buch. Wir müssen das Umfeld verändern, um aus unseren Jungen das Beste herauszuholen.
Inwiefern sind Jungen anders?
Jungen werden häufig wahrgenommen als:
•zappelig, unstet
•unruhig
•impulsiv, unvernünftig
•laut, rüpelhaft
•unordentlich, schlampig
•ablenkbar, schlecht ansprechbar
•unhöflich, rücksichtslos
•risikofreudig, waghalsig, wettbewerbsorientiert
•bildschirmfixiert
•leistungsschwach
In der Summe heißt das: schwierig und problematisch. Diese Eigenheiten sorgen allzu oft dafür, dass Jungen zu Hause und in der Schule anecken.
In mehreren maßgeblichen Bereichen entwickeln sich Jungen langsamer als Mädchen. Im Vergleich zu Jungen wirken Mädchen schon in jüngerem Alter deutlich reifer. Das zeigt sich in der Sprachentwicklung, in ihrer sozialen Kompetenz und ihrer Fähigkeit, still zu sitzen, Erwachsenen höflich zu antworten und sich alleine anzuziehen. Mädchen interessieren sich mehr für den Schulstoff und für ihre schulischen Leistungen und sind eher bereit, dafür ihr Spielzeug aus der Hand zu legen. Wenn Sie Kinder beiderlei Geschlechts haben, haben Sie vielleicht schon erlebt, wie sehr es die Geduld strapaziert, dass sich die Jungen nicht wie die Mädchen verhalten.
Jungen in der Schule
Früher waren Mädchen in der Schule schlechter als Jungen. Doch seit mehreren Generationen fallen Jungen in vieler Hinsicht und in allen sozialen Schichten zurück.
•Jungen entwickeln öfter Verhaltens-, Aufmerksamkeits-, Lern- und Sozialkompetenzstörungen als Mädchen.
•Bei Jungen werden häufiger Lernprobleme diagnostiziert.
•Jungen erzielen bei standardisierten Tests schlechtere Ergebnisse als Mädchen.
•Im Vergleich sagen mehr Jungen, dass sie die Schule nicht mögen.
•Jungen schwänzen häufiger die Schule als Mädchen.
•Es werden mehr Jungen als Mädchen wegen verbaler oder körperlicher Aggression aus dem Unterricht ausgeschlossen und von der Schule verwiesen.
•Es werden mehr Jungen zu...