Botanik und Signatur
Die giftigen Solanaceen sind eben zu hoch entwickelte Pflanzen,
als daß der Mensch mit ihnen fertig werden könnte.
(GERBERT GROHMANN, Botaniker)
Have we eaten of the insane root
That takes the reason prisoner?
(WILLIAM SHAKESPEARE, »Macbeth« I,3)
… es könnte was Teuflisches sein, was Schwarzes,
also ein Zwischenwesen,
irgendein Wesen, das nicht in unsere freundlichen Gefilde gehört
sondern aus einer uralten Zeit noch hier ist
oder so was in der Richtung.
(HANS PETER DUERR, Kulturanthropologe, zum Thema Bilsenkraut)
Das Bilsenkraut (Hyoscyamus) ist wahrscheinlich ein Archäophyt, also eine Pflanze, die in vorgeschichtlicher Zeit nach Mitteleuropa eingewandert ist. Sie kam mit den matrifokalen Bauern, die nicht mehr nur umherstreifende Jäger und Sammler waren, sondern den Wald brandrodeten, Getreide und Leguminosen anbauten und sich dazu einige Rinder, Zeigen, Schafe und Schweine hielten. An den reichlich mit Urin, Kot und Asche gedüngten Rändern der festgetrampelten Wege, auf den Schutt- und Abfallhaufen rund um die Siedlung gediehen stickstoffliebende, schnellwüchsige Pionierpflanzen als so genannte »Kulturbegleiter« recht gut. Diese den Archäologen als Bandkeramiker bekannten Urbauern, kamen aus dem östlichen Mittelmeerraum; sie zogen allmählich entlang der Donau und deren Nebenflüssen und besiedelten die fruchtbaren Flußtäler.
Dass das Bilsenkraut aus dem Süden kam, verraten bestimmte physiologische Merkmale. Bilsensamen keimen spät im Jahr, erst, wenn der Boden richtig warm ist. Das Kraut hat wie Lavendel, Königskerze, das klebrige Greiskraut, Salbeiarten und andere Gewächse, die aus den trockenen, mediterranen Gegenden stammen, eine eher graue Erscheinung. Diese rührt davon her, dass sich die Pflanze mit einem feinen Pelz aus klebrigen Härchen gegen die sengende Sonne schützt.
Es gibt ungefähr ein Duzend Hyoscyamus-Arten – je nach dem, welchen Taxonomen man fragt. Die meisten sind an heiße, trockene Standorte gebunden. Sie spielen alle ein wichtige Rolle als Heil- und Zauberpflanzen. Hier wollen wir uns aber vor allem mit dem bei uns gelegentlich wild wachsenden schwarzen Bilsenkraut (Hyoscyamus niger) befassen.
Es steckt eine gewaltige Vermehrungskraft in dieser Pionierpflanze. In den rund 50 Früchten, die eine mittelgroße Pflanze hervorbringt, entwickeln sich bis zu 10.000 Samen, und diese behalten ihre Keimfähigkeit in tiefen, luftabgeschlossenen Erdschichten mehrere hundert Jahre lang. Der dänische Medizinhistoriker Jens Lind fand Bilsenkrautsamen bei der Ausgrabung einer Burgruine, die vermutlich 800 Jahre in Samenruhe verharrt hatten (HANSEN 1983:45). Vor der Neuzeit war das Nachtschattengewächs häufiger anzutreffen, jedoch nie in dem Maße wie die üppig wuchernden Brennnesseln, Gundermann, Giersch und andere Wildkräuter. Die mittelalterlichen Braumeister, die ihre eher schwachen Biere in rauschige Starkbiere verwandeln wollten, mussten sich deshalb Bilsenkrautpflanzungen anlegen. Gemeindenamen wie Bilwsgarten, Bilsensee, Bilsdorf, Bilsen (Holland) oder Pilsen (Böhmen) sind nach solchen Äckern benannt. Massive Anwendung von Herbiziden, Planierungen und großflächige Überbauungen haben bei uns das Bilsenkraut als Wildpflanze zur Seltenheit gemacht. Auch der zu Kaiser Wilhelms Zeiten eingeschleppte, aus Amerika stammende Kartoffelkäfer (Coloradokäfer) hat das Seinige dazu getan. Heute steht die Pflanze unter Naturschutz.
Das Giftgewächs
Auf die botanischen Details werden wir hier nicht weiter eingehen, mehr auf die symbolische und kulturgeschichtliche Bedeutung. Auffallend ist allenfalls die Signatur der Blüte. Der liebende Blick würde sie schön nennen.
Viele aber empfinden eher Abscheu: »Wenn man das schreckliche Bilsenkraut sieht, mit seiner Kadaverfarbe und der violetten Leichenbläue, so sieht man Tod und Wahnsinn« (AUGUST STRINDBERG, Sylva Sylvarum, 1895); anderswo wird der Blütenkelch als »schmutzig-gelb, mit violettem, nach geronnenem Blut aussehehendem Blütenboden« beschrieben (STORL 1993:304). HAROLD HANSEN spricht von »leichenfarbigen, violettgeäderten Blüten, die einen sehr stark an den ›bösen Blick‹ erinnern« (HANSEN 1983:42). WERNER C. SIMONIS, ein anthroposophischer Arzt, vergleicht den »intensiven, unangenehm bis widerlich empfundenen Duft« der klebrigen Stengel mit den »Ausdünstungen gewisser Raubtiere« (SIMONIS 1983:573). »Der Geruch ist ähnlich dem, den durchnäßte, langhaarige Hunde in die Stube bringen« (PELIKAN 1975:175). »Hundepisswurzel« heißt sie, des Geruchs wegen, bei den Dänen, »Hunsfotzegraut« bei den Pennsylvania-Deutschen, »Stinking Roger« in England, »Hundepiws-rod« in Jütland (HANSEN 1983:43).
Auffallend ist ebenfalls die strenge, geradezu zwanghaft symmetrische, stufenartige Anordnung der grobbuchtig gezähnten Blätter, die, ohne Blattstiele, an den Hauptspross gefesselt sind, ebenso die wohlgeordnete, doppelte Reihe von Samenkapseln, die sich wie eine Wirbelsäule hinzieht, wie ein sich reckender Tierrücken (GROHMANN 1991:164).
Die Pflanze, die nach dem Keimen freudig emporwächst, erlebt alsbald eine merkliche Wachstumshemmung. Mit dem sehr früh einsetzenden Blühen kommt es zur Stauung und zum Verlust der grünen, wuchernden Lebenskraft. Die unteren Blätter verdorren bald und sterben ab. Schnell vergilbt die Pflanze und hinterlässt ein graues, knochentrockenes Gerüst mit trockenen, urnenförmigen Deckelkapseln, die viele kleine aschefarbene, nierenförmige Samen enthalten (PELIKAN 1998:95).
Für jemanden, der Pflanzen gut kennt, erweisen sich diese auffälligen Eigenschaften als sichere »Signatur«. Die Starrheit, der penetrante Duft, die ungewöhnlichen, tierhaft animierten Blüten deuten an, dass wir es mit einem Giftgewächs zu tun haben.
Was mit der Signatur einer Giftpflanze gemeint ist, wollen wir hier erläutern. Pflanzen offenbaren die Kräftefelder, in denen sie sich befinden. Jede Art ist Spiegel des Spektrums der Energien (Vektoren), die auf sie einwirken. In den wachsenden grünen Erdbewohnern kommen vor allem zwei ineinander greifende Urprinzipien zum Ausdruck: Die vitalisierenden Kräfte des Erdbodens einerseits, die formgebenden Impulse des Kosmos – das Licht der Sterne, der Sonne und des Mondes – andererseits. Das rege, saftstrotzende, fröhliche Wachstum der grünen Stengel, Sprosse und Blätter ist immer Ausdruck der Lebenskraft (Ätherkraft), die die Erde vermittelt. Der nach oben wuchernde, vitale Wachstumstrieb wird von dem entgegengesetzten kosmischen Impuls gedämpft, sodass die Pflanze vegetative Kraft verliert und zu blühen anfängt. Das Blühen impliziert die Berührung mit der Sphäre der Beseeltheit – der so genannten Astralität. Das ist die Sphäre, in welcher der saftig grüne, pflanzliche Ätherleib von kosmischen Licht- und Wärmekräften berührt und durchdrungen wird. Dadurch verliert die Pflanze an Vitalität, dafür wird sie aber tierähnlicher, sie verfärbt sich bunt, entwickelt starke Aromen und messbare Wärme (Blütenwärme), erzeugt stickstoffhaltige Molekularverbindungen, von denen manche den Stoffwechselprodukten tierischer Organismen ähneln. Das Seelenhafte hemmt die und zehrt an der Vitalität der Pflanze, gleichwie die Flamme am Wachs der Kerze. Die kosmische Astralität, die der Vegetation bunte Farben (Blütenblätter, Herbstlaub) und Duftstoffe beschert, lässt auch eine ganze Palette von Wirkstoffen entstehen, die in den Körpern und Psychen von Menschen und Tieren starke Reaktionen auslösen können. Die Blüten, diese pflanzlichen Reproduktionsorgane, sind dermaßen beseelt, dass sie – nach dem Prinzip »Gleiches wirkt auf Gleiches« – andere beseelte Wesen, nämlich Bienen, Schmetterlinge und Käfer, scharenweise anlocken. Auch für uns enthalten Blüten seelische Resonanzen, die uns zu Botschaften werden können. Wir können mit Blumensträußen und Blütengewinden unsere Gefühle oft besser ausdrücken als mit Worten. Blumen dienen allen seelischen Regungen, der Liebe und Freude wie jenen der Trauer und Melancholie. Im romantischen Mittelalter gab es eine ausgeprägte »Blumensprache«. In Bezug auf das Bilsenkraut sagt die Blumensprache folgendes aus: Wer es an sich trägt, der besagt, er sei »närrisch und kühn« (ZACHARIAS 1982:26).
In den Tieren inkarniert sich die kosmische Astralität vollkommen. Tiere sind eben beseelte Wesen. In den gewöhnlichen Pflanzen hingegen umwebt...