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Götterwohnungen

Eine Kulturgeschichte von sakralen Bäume und Haine aus fünf Jahrtausenden

AutorBernd Steiner
VerlagVerlag Johannes Petri
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl355 Seiten
ISBN9783037840764
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis25,99 EUR
Im Anfang war der Baum Alle haben wir heutzutage einen Weihnachtsbaum, doch nur wenige wissen, dass er eine Geschichte aus vorchristlichen Zeiten erzählt. Ähnlich ergeht es uns mit Marien-Altärchen an einer Eiche, mit einem Fetischbaum in der belgischen Landschaft, mit einer Kapelle in einer französischen Eibe. Hinter diesen sakralen Bäumen öffnet sich der weite Raum sozialer, ökonomischer und religiöser Befindlichkeiten, ablesbar über Jahrtausende zurück. Bäume gehören den Göttern. Wie aber sind die beiden zueinandergekommen, welche Erklärungen legten sich die Menschen zurecht, welche Vorstellungen standen hinter ihren Mythen? Darüber gibt es ebenso viele populäre wie falsche Meinungen. Der Autor legt die erste umfassende Monografie zu Herkunft, Wesen und Wandel der sogenannten 'Heiligen Bäume' vor.

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Leseprobe

Das Andere


Irgendwie hatte man natürlich etwas von der Besonderheit des Baumes geahnt. Früh schon fand daher das Geistliche Unterschlupf im Holz, und mit ihm das Heilige. Die größte unserer Pflanzen entfaltete Symbolkräfte mit einem weltweit fast gleichen Sinngehalt. Der Baum wurde zu einer Universalie für ‹Leben›, nicht wenige Stämme oder Völker zogen daraus die Konsequenz, ihre Ureltern wären Bäume gewesen. Wir tragen Bäume tatsächlich evolutionär in uns, denn aus jeder Nervenzelle wächst ein Baumwinzling, von den Medizinern folglich ‹Dendrit› genannt.

Der Baum ist gleichsam ein kultureller Doppelagent. Einerseits half er den Menschen von Beginn an, den Alltag materiell zu bestehen, andererseits lieferte er uns auf geistiger Ebene beschwörerische Sinnchiffren. Wo Bäume sind, ist Wasser. Wo beide sind, ist Leben und Wiederkunft von Leben. Baum und Quelle sind heilig, sie markieren den Ort des Lebens. Viel haben wir daraus, trotz sieben- oder achttausend Baumsymboljahren, nicht gelernt und die Symbolik ist uns fremd geworden. Selbst den vergleichsweise blutjungen Weihnachtsbaum am 24. Dezember verstehen wir nicht. Was drückt er aus?

Davon erzählt dieses Buch. Nicht von nützlichen Bäumen, sondern von ‹heiligen› Bäumen, von ‹Götterbäumen›. Von den Mythen als den religiösen Geschichten der Völker und von der Rolle der Bäume in diesen Götter-, Schöpfungs- und Untergangsvorstellungen.

Es ist wieder Mode geworden, für ein Neugeborenes einen Baum zu pflanzen. Die beiden sollen gemeinsam wachsen, blühen, dauern, wobei erwünscht ist, dass eins den Zustand des andern sympathetisch spiegle. Die Tradition, den Baum als Doppelgänger zu verstehen, als Garanten der Existenz, als Indikator für einen Zustand, ist alt: Auf der Akropolis Athens steht der Ölbaum der Göttin Athene dafür; in Rom waren es die drei ‹heiligen› Bäume der Stadt, römische Kaiser sahen ihr Schicksal in Lorbeerbäumen gespiegelt. Und nichts anderes meint die Linde, die seit 1991 im neuen geographischen Mittelpunkt Deutschlands steht. Es geht nicht um längst verdorrtes Grünzeug; der Baum ist ein ideengeschichtlicher, auch von Gewalt nicht verschonter, Dauerbrenner.

Fast alle Religionen sprechen an prominenter Stelle von Bäumen. Sie stehen für zahllose Sichtweisen von Paradies, Anfang, Wiederkehr und Göttergegenwart. Offenbar geht vom Baum etwas ungemein Attraktives, innig Wünschbares aus. Das Auffälligste ist sichtbar: sein Jahreszyklus. Vermeintlich gestorben, schlägt er aus, blüht auf, trägt Frucht, stellt sich wieder tot und streut uns einen Frühling später erneut Blumen. Uns so unverschämt Unsterblichkeit vorzugaukeln, muss jeden Verjüngungs­mediziner vor Neid erblassen lassen. Ein Baum kann dieses Spiel hundert Jahre lang treiben, oder auch tausend: Einer hielt 4’600 Jahre durch. Ein Baum ist ein Wunder, Generationen sahen es, ohne es zu verstehen.

Erklären wollte man es sich natürlich trotzdem. Hierzu boten sich die Götter an. Die Bäume waren ihr Geschenk an die Menschen; gelegentlich waren sie auch, etwa die Eschen, wie Hesiod erzählt, Nebenprodukt eines Göttermordes. Das Wunder des Zyklus, der scheinbaren Unvergänglichkeit, das Hinaufwachsen zum Licht trieb am Baum gewissermaßen ein zweites Blätterkleid aus verführerisch rauschenden Einzelsymbolismen hervor.

Begriffe drücken sie aus: Dauer, Erneuerung, Fruchtbarkeit, Hierarchie, Ordnung. Um zu verkünden, dass seine Regierung lang und gut sein werde, bemühte der Pharao die Götter persönlich, dass sie seinen Namen auf jedes einzelne Blatt des Isched-Baumes schrieben. Den Griechen erklärte Zeus aus der dodonischen Eiche, ob eine Heirat ratsam oder ein Krieg zu gewinnen wäre, den Christen taten Marienbilder an Linden und Fichten allerlei Wunder und mehr als eine Bank wirbt noch heute mit einem Baum für die scheinbare Unvergänglichkeit unseres Geldes.

Europa, einschließlich seiner orientalischen Religion, hat seine Wurzeln in den Hochkulturen des nahen Ostens, bei Griechen und Römern. Dieser Welt waren Bäume heilig. Bevor man sich Götter menschlich vorstellte, verehrte man, meist in Hainen, die Bäume selbst als das göttliche Numen. Später galt der Kult am Baum nur noch seinem Besitzer, das war ein Gott oder eine Göttin. Die himmlischen Wesen mochten kurzzeitig im Baum wohnen, erscheinen oder aus ihm sprechen. Auch der Gott des Alten Testaments hält sich aufgrund heidnischer Prägungen seiner Propheten vorzugsweise noch in Bäumen oder deren Nähe auf, doch sind sie paradoxerweise gleichzeitig schon Symbole falscher Götter.

Damit zur Grundfrage: Wie kamen die Bäume zur Ehre, ‹Götterbäume› zu sein? Was hat sie mit einer Jahrtausende und viele Religionen überdauernden Symbolik aufgeladen? Begeistert zitiert wird meist der Feigenbaum, unter dem der edle Siddhartha Gautama das Elend der Wiedergeburt und des Leidens überwand und Buddha wurde, ‹der Erwachte›. Linné nahm es wörtlich und gab dieser Feigenart die Bezeichnung Ficus religiosa. Doch zu Buddha gehörte der frühen Überlieferung nach kein Baum. Der Volksglaube hat ihn dem Lehrer untergeschoben.

Wie kam die Sykomore zu den ägyptischen Gottheiten, wie die Palme zu den mesopotamischen, wie der Lorbeer zu Apollon und wie die Eiche zum germanischen Donnerer Thor? Am beharrlichsten fragten die Griechen nach solchen Ursprüngen und erklärten sie meist naturmythisch. Seit dem 19. Jahrhundert hat man sich das Phänomen häufig mit den wirtschaftlich wichtigsten Fruchtbäumen zu erklären versucht; das geht nicht auf, weil viele Bäume diese Voraussetzung nicht erfüllen. Selbst fach­wissenschaftliche Untersuchungen können oft nur deuten, harte Fakten sind selten, Zufall und Willkür häufig. Der Glaube zeugt das Heilige. ­Immerhin lässt sich häufig herausfinden, wo und wie eine Baumheiligkeit entstand. Die Wissenschaft vergleicht und interpretiert, doch in ihren Büchern sind Bäume Gegenstand unter Gegenständen, daher oft gut verborgen.

Da helfen auch geheimnistuerische Trends nicht. Esoterische Baum­bücher und sogenannte ‹Baum-Mythologien› boomen. Es ist tückischer Bo­den, gepflastert mit falschen Zitaten, abenteuerlichen Interpretationen und kindlichem Zauberglauben. «Allgemein in der menschlichen Natur», meinte Aristoteles, «liegt der Trieb nach Erkenntnis». Man sucht ihn in dieser Art von Literatur vergebens. Die wohlfeilen ‹Mythologie›-Traktate entpuppen sich – in erklärtem Widerstand gegen alles Christliche – als eine neureligiöse Fantasiewelt aus dem globalen Brockenhaus. Nun gut, Erwachsene haben ein Recht auf Selbstbetrug; Kinder und Jugendliche sollte man vor Täuschung schützen.

Es gab daher viele Gründe für dieses Buch. Zuvorderst steht meine eigene Faszination, es als einen thematisch neuen, attraktiven Zugang zur Geschichte zu verstehen, religiöse Vorstellungen, Handlungen, Verhaltensweisen und die Verwandtschaft alles Religiösen verständlicher zu machen. Nichts entsteht voraussetzungslos. Ästhetisch großartiger Protagonist dieses Buches, um den sich alles dreht, ist der Baum; zugleich ist er ein der Psyche notwendiger Vertrauter, dessen Erscheinung wir sozusagen vor der Tür abrufen können.

Hinzu kamen Volks-, Berufsschüler und Gymnasiasten, die den ‹Heiligen Baum› immer wieder für eine Abschlussarbeit wählen. Ihre Arbeitsmittel sind wiederum jene esoterischen Bücher, in denen vorchristliche Kulturen neu erfunden werden, wobei gelegentlich auch eine bisher unbekannte Gottheit das Licht der Welt erblickt. Leider aber verfügt selten ein Lehrer über einschlägiges wissenschaftlich korrektes Kontrollwissen.

Dasselbe Problem entsteht auch bei Erwachsenen. Man hat auf der Suche nach der tatsächlichen Rolle, Funktion und dem symbolischen Sinn der Bäume nur die Wahl zwischen einigen tausend Seiten Quellen- und Forschungsliteratur und purer Fiktion samt Heil- und Geheimwissens­seminaren derselben Art.

Dieses Buch will daher nicht nur die Lücke im ‹Baum-Wissen› schließen, sondern die Rolle des heiligen oder göttlichen Baumes im größeren Zusammenhang politischer, wirtschaftlicher und sozialer Veränderungen verständlich machen. Leserinnen und Leser jedes Alters, begeisterte Jugendliche und Studenten, Lehrerinnen und Lehrer, Gartenbauer und Förster, Kunsthistoriker, Leiter von Museen, Naturschützer und viele andere mögen damit ein Buch in die Hand bekommen, das ihnen einen Überblick über Baumverehrung und Baumkulte unserer wichtigsten Vorgängerkulturen und unserer eigenen Welt verschafft. Viele von ihnen schreiben immer wieder über verehrte Bäume, müssen dazu aber zu Büchern greifen, die – gewollt oder ungewollt – in Wirklichkeit esoterische Kulturfälschun­gen sind. Da wird nicht untersucht, da wird erfunden. Das ist schließlich einfacher.

Um Nachsicht bitte ich, dass diese Wanderung durch einen so alten und stets von Unübersichtlichkeit bedrohten Baumgarten nicht vollständig sein kann und will. Wesentlicher als ausufernde Häufungen von Details erschien mir immer wieder das, was die religiösen Darstellungen und Sinngehalte fixierte oder wandelte: die politischen, sozialen, wirtschaf­t­lichen Veränderungen, auch wenn sie nicht mehr als kurze Abrisse sind. Auf die unendliche Fülle neuzeitlicher Baum-Allegorien und Baummetaphern habe ich verzichtet. Dafür finden Leserin und Leser möglichst präzise Bildbeispiele, die Bibliographie der benutzten Literatur und ein ausführ­liches Register mit Anmerkungen und Quellenangaben.

Mein besonderer Dank für Gespräche, Interviews, Korrespondenzen und Typoskriptdurchsichten gilt Herrn Prof. Dr. Bernhard Maier...

Blick ins Buch

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