Eins
Gebet, das etwas bewirkt
Der 26. Juni 2012 war ein brütend heißer Sommertag im Bundesstaat Colorado. In Colorado Springs stieg das Thermometer auf die Rekordhöhe von 38,5 Grad Celsius – und fachte damit die Angst vor dem herannahenden Waldbrand in der Bergregion westlich der Stadt noch weiter an. Die Einsatzkräfte der Feuerwehr hatten sich bisher vergeblich bemüht, ihn unter Kontrolle zu bringen. Die anhaltende Trockenheit hatte die Berghänge bereits zu Zunder ausgedörrt.
An diesem Tag richteten sich viele besorgte Blicke auf die Berge. Dann, wie auf ein arglistiges Stichwort hin, fegten Windböen mit fast 100 Stundenkilometern über Stadt und Bergregion. (Schon ein Sturm von nur halber Stärke wirft einen Mann um; aber 100 Stundenkilometer – Windstärke 11 bis 12 –, das gilt auf der Beaufortskala für Windgeschwindigkeit als Orkan.) Sturm und Flammen auf knochentrockenem Bergland – wahrlich eine unheilige Trinität.
Durch den starken Wind angefacht, sprang das Waldo-Canyon-Feuer über die Feuerschneisen und näherte sich so raubgierig und ungehindert der östlichen Stadtgrenze, wie 1939 Hitlers Blitzkrieg über Polen dahingetobt war. Letzten Endes sollten dem Feuer knapp siebeneinhalbtausend Hektar Land und 346 Wohnhäuser zum Opfer fallen.
Ich saß an jenem Nachmittag an meinem Schreibtisch, als ein Kollege hereinkam und fragte: „Hast du das gesehen?“ Instinktiv eilte mein Blick zu den Bergen – das Bürofenster geht nach Westen – und ich sah die Feuerfront, deren Vorhut sich gerade über die letzte Bergkette vor der Stadt wälzte. Für unser Wohnviertel (das an den Wald grenzt) war bereits zweimal die Evakuierung angekündigt worden. Seit Tagen beobachteten wir die Rauchsäulen über dem Epizentrum des Feuers im Westen, die sich zehn Kilometer emporblähten wie eine riesige Gewitterwolke oder das Deckbett eines Vulkans – unheilschwanger in ihrem leuchtenden Orange und düsteren Schwarz.
Aber in den Nachrichten hatte man uns immer wieder versichert, das Feuer würde nordwestlich an der Stadt vorbeiziehen, und wir hatten einfach unser Leben weitergeführt wie sonst – bis zu dem Moment, in dem ich die Flammen über die Bergkette kriechen sah. Auf dem Weg zur Tür schnappte ich mir mein Handy und rief meine Frau Stacy an: „Du musst packen; ich bin unterwegs nach Hause.“ – „Aber es gab doch keinen Evakuierungsalarm“, protestierte sie. „Das Feuer kommt“, erklärte ich. „Es kommt näher, ich kann es sehen. Ich bin unterwegs.“ Wie jemand, der einer auflaufenden Flut zu entkommen sucht, raste ich buchstäblich mit dem Feuer um die Wette, das Bergkuppe um Bergkuppe eroberte. Der Hund und ein paar Habseligkeiten waren rasch ins Auto geladen – es stimmt, was man so sagt: Wenn „der Augenblick“ gekommen ist, gibt es nur noch wenig wirklich Wichtiges – allem anderen sagten wir Lebewohl.
Unsere Nachbarn waren die Letzten, die flohen; später erzählten sie uns, dass Häuser auf dem Hügel explodiert waren. Im Stau feststeckend, der durch die Evakuierung verursacht war und auf den die Asche wie ein makabrer Schneesturm herabwehte, benachrichtigten wir verzweifelt Freunde per SMS oder Anruf und baten um ihr Gebet. Mein Wagen hat keine Klimaanlage; also tauchte ich einen Schal von Stacy in Wasser und hielt ihn mir vor den Mund, um keinen Rauch einzuatmen. Währenddessen schmiedete ich Notfallpläne, sollte das Feuer uns einholen – denn die Windböen fegten jetzt heulend von den Bergen heran und trieben die Feuerwalze vor sich her wie eine Ausgeburt der Hölle.
Wir erreichten Freunde im Osten der Stadt, wo wir erst einmal unterkamen, und beobachteten angespannt, wie das Feuer sich entwickelte. Es sollte noch drei lange Tage dauern, an denen Flammen und Rauch aufstiegen und Aschewolken die Berge verhüllten, bis wir Nachricht bekamen – unser Haus war verschont worden.
Es wurde dies und das gemunkelt, aber was uns endgültig sprachlos machte, war schließlich der Bericht der Feuerwehr. Ein erfahrener Einsatzleiter und ein paar besonders Unerschrockene aus seinem Trupp waren in unserer Straße, als sie Zeuge eines Geschehens wurden, wie sie es noch nie erlebt hatten. Die dreißig Meter hohe Feuerfront hätte unseren knochentrockenen Berghang eigentlich wie Pulver in Brand setzen müssen und es wäre eine Frage von Sekunden gewesen, bis unser Anwesen nur noch Schutt und Asche gewesen wäre.
Aber das geschah nicht. Als die rasenden Flammen die Grenze unseres Grundstücks erreichten, war es, als seien sie plötzlich unschlüssig. Sie zögerten – und wichen schließlich zurück. Das geschah etliche Male. Die höllische Front gelangte einfach nicht auf unseren Grund und Boden. Sie stürmte heran, zog sich zurück, stürmte wieder, wich wieder zurück – obwohl der Wind sie von hinten antrieb und das Feuer soeben in wenigen Minuten etliche Kilometer Land verwüstet hatte.
Irgendwann fiel uns auf, dass das zur selben Zeit geschehen war, als ein Freund uns diese Nachricht geschickt hatte:
Ich habe einen Engel gesehen. Er schwebte über eurem Haus, breitete die mächtigen Flügel aus und trat so Wind und Flammen entgegen. Ich glaube, es wird euch nichts geschehen.
Als es schließlich gestattet war zurückzukehren, bot sich ein erstaunliches Bild: Das schwelende Buschfeuer war bis an die Veranda des Hauses herangekrochen. Aber die große Feuerwalze hatte die Grundstücksgrenzen nicht überwunden. Die Pappeln im Garten standen in ihrer ganzen sommerlichen Frische unversehrt da.
Ich weiß – diese Geschichte gibt Anlass zu schwierigen Fragen. Sie rührt an den empfindlichen Nerv unseres Bedürfnisses nach Schutz und Rettung und an unsere lange Liste unbeantworteter Gebete. Andere haben auch ernsthaft gebetet, als das Feuer heranstürmte – wieso wurden deren Häuser nicht verschont?
Ich will nicht so tun, als wüsste ich die Antwort auf diese Fragen. Gebete, die erhört wurden, Gebete, die nicht erhört wurden, oder ein Schweigen, auf das ich mir keinen Reim machen kann? Davon kann ich ebenso ein Lied singen wie Sie vermutlich auch. Dies ist kein Bericht über meine Erfahrungen mit dem Beten.
Aber eines weiß ich: Jeden Tag, wenn ich aus der Haustür trete, sehe ich vor mir auf dem Berghang die Silhouette der geschwärzten Baumruinen und davor, direkt an unserer Grundstücksgrenze, grüne, unversehrte, blühende Bäume. Der Hintergrund gleicht Mordor; der Vordergrund dem Garten Eden. Ein Bild wie ein unwiderlegbares Zeugnis für die Macht des Gebets.
Eine verstörende, aber hoffnungsvolle Wahrheit
Also, nennen wir das Problem doch gleich beim Namen. Manche Gebete wirken, manche Gebete wirken nicht. Warum überrascht uns das? Ärgert uns sogar? Manche Diäten funktionieren, die meisten funktionieren nicht; das überrascht kaum jemanden. Wir suchen einfach weiter nach der, die für uns funktioniert. Manche Investitionen zahlen sich aus, andere nicht; wir suchen nach der, die sich für uns auszahlt. Manche Schulen sind effektiv; andere überhaupt nicht; hoffentlich können Sie die finden, die für Ihr Kind die beste ist.
Es gibt eine Weise, wie Dinge funktionieren. Nennen Sie mir irgendetwas in dieser Welt, für das das nicht gilt.
Letzten Sommer habe ich mir beim Arbeiten den Arm verletzt. Ein paar Wochen lang habe ich das Problem ignoriert, bis ich mich schließlich doch gezwungen sah, meine Physiotherapeutin aufzusuchen. Das tat ich in der Annahme, dass ein paar Termine bei ihr das Problem aus der Welt schaffen würden; es war ja schließlich nichts Ernstes, nur eine Muskelzerrung, Überbelastung, kein Knochenbruch. Aber die Therapie dauerte Monate – und das ärgerte mich maßlos. Meinen Arm ärgerte ich ebenfalls – indem ich ihn benutzte, bevor er ganz geheilt war. Ich reizte den Muskel immer mehr, weil ich nicht bereit war, mein Leben den Tatsachen anzupassen – in diesem Fall der Tatsache, dass ein winziger Muskel in meinem linken Arm Schonung brauchte.
Sie kennen diese Verärgerung, von der ich spreche. Irgendetwas Pubertäres in der menschlichen Natur hat etwas dagegen, dass es sich den Realitäten der Welt um uns herum (und in uns) beugen soll. Wir wollen essen, wenn uns danach ist; und wenn unsere Gesundheit das nicht lange mitmacht, sind wir überrascht und bestürzt. Wir wollen, dass Fitness schnell erreichbar ist, dass Diäten rasche Erfolge bringen; alles soll bitteschön fein ordentlich in unseren Terminplan passen. Wir wollen, dass unsere Freunde freundlich zu uns sind, ohne dass wir uns mit der Frage beschäftigen müssen, wie unser Charakter und Verhalten auf unsere Freunde wirken. Wir wollen, dass die Kinder „wohlgeraten“, ohne dass wir die Opfer bringen, die Eltern nun einmal bringen müssen, um ihren Kindern gerecht zu werden.
Und mit dem Gebet ist es nicht anders. Wir hätten es gern leicht, easy, ungefähr nach dieser Formel:
Gott liebt uns und er ist mächtig.
Wir brauchen seine Hilfe.
Wir bitten darum, so gut wir können.
Der Rest ist seine Sache.
Er ist schließlich Gott. Ihm ist alles möglich.
Das Problem ist nur: Manchmal erhört Gott unser Gebet, manchmal tut er es nicht – und wir haben nicht die geringste Ahnung, warum oder nach welchem Muster er mal so und mal so handelt. Wir verlieren den Mut und geben das Beten ganz auf. (Und wir sind gekränkt und glauben auch, wir hätten ein Recht dazu.) Wir missachten genau den Schatz, den Gott uns gegeben hat, damit wir gerade nicht den Mut verlieren, damit wir „Berge“ auf unserem Weg versetzen...