Fleisch und Brot, Bier, Wein und Cola:
Eine kulinarische Geschichte des Abendmahls
Im Winter 1997 veranstaltete das Magazin der Süddeutschen Zeitung ein Experiment. Es beauftragte Paula Bosch, die Sommelière des Münchener Sterne-Restaurants Tantris, die Weine zu beurteilen, die am kommenden Sonntag zur Eucharistie in den deutschen Domkirchen verwendet werden sollten. Das Ergebnis war vernichtend. Der französische Likörwein «Aureus» (Münster): «Nase nicht ganz sauber mit wenig Aroma, verhaltener Duft. Wirkt tot. Fettig und dumpf.» Der Silvaner der Kolb’schen Messweinstiftung in Würzburg: «Rosinig. Fett, breit, überlagert. Bitter im Abgang. Ich bedaure den Pfarrer, der das trinken muss.» Limburg schnitt noch am besten ab: «Vordergründiger Petrolgeruch, würzig, unterlegter Bodenton.» Im Fazit: «Der Herrgott hat in meinen Augen doch etwas Besseres verdient.»
Die Idee, die Eucharistie des katholischen Hochamtes auf ihr materielles Substrat zu beschränken, sie als Akt reinen Essens und Trinkens zu betrachten und dann den Kriterien der Restaurantkritik zu unterwerfen, offenbart ihre ganze Abgründigkeit erst, wenn man bedenkt, dass nach katholischer Lehre Brot und Wein in Leib und Blut Christi verwandelt werden: Dann hat der Herrgott es tatsächlich nicht verdient, dass man ihm als Substrat seiner Transsubstantiation ein dumpfes, fettiges, nach Petroleum riechendes Etwas anbietet. Dem ironischen Experiment des SZ-Magazins liegt aber eine ebenso wichtige wie elementare Beobachtung zugrunde: Der zentrale Ritus der christlichen Religion ist in der Tat ein Akt des Essens und Trinkens. Man isst ein Stück Brot und trinkt einen Schluck Wein – alles Weitere kommt erst danach.
Die Idee einer kulinarischen Geschichte des Abendmahls beschäftigt mich schon lange. Zugegebenermaßen war es zunächst die oft komische Fallhöhe zwischen der religiösen Überhöhung des Abendmahls und seiner bisweilen sehr profanen Realität in Form irgendwelcher krümeliger und flüssiger Substanzen, die mich auf die Idee brachte, eine Kulturgeschichte der Abendmahlselemente zu schreiben. Im Laufe der Arbeit an diesem Buch wurde mir jedoch immer deutlicher, dass diese Konzentration auf die realen Speisen und Getränke des Abendmahls auch der direkteste Weg zurück zu seiner ursprünglichen Bedeutung ist.
In den ersten hundert Jahren feierten die Christen das Abendmahl mit den Speisen, die sie von zuhause mitbrachten, gemeinsam verzehrten und von denen sie Christus und den Armen opferten. Wie für ihre heidnische Umgebung war für sie das Symposion, das gemeinsame kultische Mahl, die wichtigste Form gelebter Religion. Ein solches Symposion ließ sich aber nur mit wenigen Gästen abhalten. Als die christlichen Gemeinden wuchsen, wurde das kultische Mahl zunehmend von dem gemeinsamen Essen unterschieden. Fleisch und Früchte, Obst und Käse blieben zuhause oder wurden in besonderen Gemeinschaftsmahlen verzehrt. Das «Herrenmahl» wurde zu einem hoch ritualisierten Kult, bei dem zunehmend nur noch Wein und Brot (oder was man darunter verstand) die Elemente bildeten.
Seit dem vierten Jahrhundert wurden im oströmischen Reich (und seit dem neunten Jahrhundert auch im Westen) nicht mehr die von den Gläubigen mitgebrachten Gaben verzehrt, sondern Brot und Wein von den Klerikern gestellt und im Namen der Kirche gespendet. Aus dem Brot der Christen war ein Brot der Kirche geworden. Im Westen ging damit die Erfindung der Oblatenhostie einher, die mit dem ursprünglichen Brot nichts mehr zu tun hatte, sondern nur noch die Verkörperung seiner abstrakten Idee war. Als wenig später den Laien auch der Kelch nicht mehr gespendet wurde, war aus dem frühchristlichen Gemeinschaftsmahl endgültig ein Kultvorgang geworden, der schon bald mit magischen Vorstellungen aufgeladen wurde. Die Scheu vor dieser Eucharistie war so groß, dass die Laien im Spätmittelalter fast ganz auf die Teilnahme verzichteten und sich darauf beschränkten, die Hostie aus sicherer Entfernung anzuschauen und anzubeten und nur den Wein zu trinken, mit dem der Priester den Kelch nach der Eucharistie ausgespült hatte.
Die Reformation änderte (bis auf die Einführung des Laienkelches) daran so gut wie nichts. Erst zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts forderte der Calvinismus als Zeichen der Abkehr vom Papsttum energisch die Abschaffung der Hostie und die Rückkehr zum gesäuerten Brot, das Christus seinerzeit verwendet habe. Echtes Brot wurde nun das Erkennungszeichen des Calvinismus, während das Luthertum und die katholische Kirche bei der Hostie aus Weizenmehl blieben. Aus dem Brot der Kirche war das Brot des eigenen Bekenntnisses geworden, das sich vom Glauben der anderen abgrenzte.
An den Rändern des Christentums, wo Brot und Wein unbekannt waren, brachen sich die Traditionen des Christentums über Jahrhunderte an der Alltagswirklichkeit fremder Kulturen. Das Abendmahl wurde an den Grenzen Europas noch lange mit den Nahrungsmitteln gefeiert, die zur Verfügung standen: Wasser, Gerste, Bier in Skandinavien, Heidelbeerwein in Island und Grönland, Reis und Palmwein in Südostasien. Hybridisierung war ein sich ständig vollziehender Prozess an den Grenzen des Christentums, das sich langsam über die ganze Welt ausbreitete: zunächst nur an den nördlichen Grenzen des Römischen Reiches, dann an den noch nördlicheren und östlicheren Grenzen des christlichen Europa. Nach der Neuformierung der katholischen Kirche im Konzil von Trient war mit solchen Experimenten und Kompromissen Schluss: Im Zuge der Kolonisation und der Mission wurden Hostien aus Weizenmehl und Wein aus Traubensaft schließlich auch in die letzten Weltgegenden der europäischen Kolonialreiche in Amerika, Afrika und Asien gebracht.
Erst neuerdings, im Zeichen des Postkolonialismus, wird die Tradition von Wein und Weizen in vielen Gemeinden und Kirchen als westliches Diktat bewusst abgelehnt. Eine ganze Reihe von Kirchen außerhalb Europas fordert seit Jahren die Verwendung heimischer Speisen und Getränke. 1982 stellte der Ökumenische Rat der Kirchen fest, dass die Ansicht, «ortsübliche Nahrungsmittel und Getränke» könnten das Abendmahl besser ausdrücken, weit verbreitet war.[2] Eine Untersuchung der «Inter-Anglican Liturgical Commission» ergab 2005, dass im subsaharischen Afrika seit Jahren vor allem Fanta oder Cola beim Abendmahl zum Einsatz kamen. In pazifischen Gemeinden, auch an theologischen Ausbildungsstätten, werden Kokosnüsse verwendet. In Alaska wird unter den indigenen Völkern die Tradition des rituellen Potlatch wiederentdeckt – mit der Konsequenz, dass die ersten fordern, das Abendmahl wie die rituellen Feste der Vorfahren wieder mit Walspeck zu feiern.[3]
In solchen Kirchen wird die alte Verbindung von ursprünglicher Mahlgemeinschaft und einheimischen Speisen wiederentdeckt, weil man die Abendmahlselemente Weizen und Wein als europäisch ablehnt. In Europa ist es dagegen die Rückbesinnung auf das urchristliche Gemeinschaftsmahl, die zur Entwicklung des «Feierabendmahls» führte. Auch wenn es das «klassische» Abendmahl in den evangelischen Kirchen noch nicht abgelöst hat, hat es für viele, die dem traditionellen Ritus fernstehen, doch inzwischen große Attraktivität entwickelt.
Heute sind viele Kirchen weltweit dabei, die historische Trennung von Gemeinschaftsmahl und Herrenmahl wieder aufzuheben. Die Geschichte scheint nach einer langen Zeit zu ihren Ursprüngen zurückzukehren. Das Bild einer Weizenoblate und eines Kelches mit Wein, das im kulturellen Gedächtnis für den christlichen Kult schlechthin steht, könnte sich auf lange Sicht als eine Episode der Geschichte erweisen. Die Vielfalt der Speisen, Getränke und Bräuche ist zurück. Die Geschichte ihrer Entstehung, ihres Verlustes und ihrer Wiedergewinnung will dieses Buch erzählen.
Dieses Buch ist ein Experiment. In ihm verbinden sich die zwei denkbar weit entfernten Themengebiete Christentumsgeschichte und Kulinarik. Das alte Fach Kirchengeschichte wird mit einer ganzen Reihe neuerer Disziplinen zusammengespannt. Food History ist die neueste und spannendste von ihnen. Food History des Christentums sind nicht nur die Geschichte der Alltagsspeisen und der Ernährung in der Antike, im europäischen Mittelalter und in der globalisierten Moderne, sondern auch die Mühen, die Menschen auf sich genommen haben, um im Grönland des zwölften, im Indonesien...