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E-Book

Gottes Schweigen

Auferweckungssehnsucht - und Skepsis

AutorMagnus Striet
VerlagMatthias Grünewald Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783786730569
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
In der Geschichte Gottes mit den Menschen erhoffen wir an deren Ende für alle das, was der christliche Glaube in Jesus Christus als bereits erfüllt bekennt: die Überwindung des Todes und ein Leben in der grenzenlosen, bergenden und versöhnenden Nähe Gottes. Doch lässt sich dies angesichts unfassbaren Leids und den erdrückenden Erfahrungen von Sinnlosigkeit überhaupt noch glauben? Oder sind solche Aussagen nicht eher 'spirituelle Nebelkerzen', um die Welt vordergründig zu 'verhübschen'? Magnus Striet zeigt, dass der Zweifel grundlegend in den Glauben an Gott hineingehört, ohne in lebenzerstörende Verzweiflung umzuschlagen. Daraus entwickelt er wegweisende und tragfähige Perspektiven für eine 'Auferweckungssehnsucht', eine Sehnsucht nach Sinn, nach Rettung, letztlich danach, im Tod nicht unterzugehen, sondern zu leben.

Magnus Striet, Dr. theol. habil., geboren 1964. Professor für Fundamentaltheologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Durch rege Vortragstätigkeit und als Autor der Zeitschrift »Christ in der Gegenwart« ist er einer breiteren Leserschaft bekannt.

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Einleitung


Das ist das Los,

Das Menschenlos: – was gut und groß

Und schön, das nimmt ein schlechtes Ende.

Heinrich Heine1

Wir schreiben alle an der einen Partitur.

Hans Zender2

Sie gehört zu meinen frühen Kindheitserinnerungen, die Ruhe der Kartage. Zu dieser Erinnerung gehört auch die frühlingshafte Luft. Dabei dürfte es während der Kar- und Ostertage nicht immer Frühlingswetter gehabt haben. Schließlich stamme ich aus dem Münsterland. Und dort regnet es bekanntlich ebenso häufig, wie die Kirchenglocken läuten. Ob dies noch lange der Fall sein wird, ist fraglich. Gottesdienste werden seltener, Kirchen schließen. Dementsprechend nimmt das Geläut ab, und der Regen im Münsterland dazu proportional zu.

Manche schieben diese Entwicklung auf die Abnahme der Gläubigen. Es werde nicht mehr geglaubt, und deshalb ginge der Bedarf an Kirchen zurück. Ich bin da nicht so sicher. Sicher bin ich mir nur in einem anderen Punkt. Es wäre schade, wenn es eines Tages womöglich nur noch regnen würde. Aber was heißt schon nur noch. Die Unterhaltungsindustrie würde wohl fleißig daran arbeiten, dass dieses nur noch übertönt würde. Aber sicher bin ich mir auch diesbezüglich nicht. Möglicherweise ist die Sehnsucht, dass da noch einer sei, ein Gott, zu stark im Menschen, als dass sie überdröhnt werden könnte vom lauten Einerlei des Alltags. Wer weiß.

Zu meinen frühen Kindheitserinnerungen gehört aber nicht nur, dass es über die Ostertage frühlingshaft warm war, sondern auch, dass man zuvor, ab Aschermittwoch, fasten sollte. Ganz so streng hielt man es auch Ende der 60er Jahre mit dem Fasten schon nicht mehr, dennoch war diese Praxis in den katholischen Milieus, soweit ich dies rückblickend einschätzen kann, durchaus noch präsent. Zumindest gab es, auch dies ist ja aufschlussreich, noch das schlechte Gewissen, wenn man es nicht tat. Es war noch nicht so wie heute, wo das Fasten der Figur und der Gesundheit dient und oftmals so zwanghaft betrieben wird, dass es sich von einer um des eigenen Seelenheils willen gnadenlos betriebenen religiösen Askese kaum unterscheidet. Warum man fasten sollte, hat mir allerdings damals schon nicht so recht eingeleuchtet. Nicht, dass ich nicht berührt gewesen wäre von dem, was da erinnert wurde, dieses grauenhafte Sterben eines Menschen, dieses Jesus von Nazareth. Und doch, aber ich will da nichts stilisieren, beschlich mich, so meine Erinnerung heute, bereits damals die Ahnung, dass an dieser Glaubenslogik etwas nicht stimmen konnte: Ein Gott, der seinem Sohn dieses Opfer abverlangte, wegen meiner Sünden … Und dann gab es ja auch noch am Karfreitag Struwen, ein in Fett ausgebackener Hefeteig mit Rosinen, den wir Kinder liebten. Fasten zu sollen bei Struwen, ein Widerspruch in sich selbst. Der Katholizismus war immer flexibel genug, um sich das Leben nicht gänzlich verekeln zu lassen. Das Leben will gelebt sein. Gegen eine allzu sündentriefende Rhetorik hat sich das Normalitätsbewusstsein, die Lust am Leben, immer gesträubt. Die Mönchsorden bilden hier ein berüchtigtes Beispiel. Ora et labora ja, aber man wollte auch leben, und zwar gut.

In die Karfreitagsliturgie bin ich jedenfalls nur sehr ungern gegangen. Wenn die Leidensgeschichte verlesen wurde, hielt ich es nur schwer aus. Und dann die Stille, die eintrat, wenn es hieß: Und er senkte sein Haupt und verstarb. Ich kann mich auch gut erinnern, wie Menschen mit den Tränen kämpften. Und auch mir saß der Kloß im Hals. Ich habe nie geweint, war aber immer kurz davor. Umso erleichterter war ich, wenn die Liturgie dann zu Ende war – es wieder in den Frühling ging. Ein wenig stand die Welt dann aber noch still. Ich war unsicher, ob es angebracht sei, meiner üblichen Beschäftigung nachzugehen, nämlich im Garten Fußball zu spielen. Spätestens am Samstag habe ich wieder gespielt. Vermutlich aber auch schon am Freitag. Schicklicher wäre der Samstag gewesen, doch – ich gestehe es – es war der Freitag. Wie musste ich dann später bei Friedrich Nietzsche lesen: Es sei das Christentum und seine Moral gewesen, das den Menschen zur Wahrhaftigkeit erzogen habe. Aber: »der Sinn der Wahrhaftigkeit, durch das Christentum hoch entwickelt«, habe »Ekel vor der Falschheit und Verlogenheit aller christlichen Welt- und Geschichtsdeutung«3 bekommen.

Aber zurück zu meiner Kindheit. So richtig wohl, daran kann ich mich auch noch sehr gut erinnern, war mir nicht dabei, wenn ich zur Normalität, meiner Normalität, zurückging. Dass der Karfreitag einzuhalten sei, dieser Tag den Alltag unterbrach, war noch selbstverständlich. Was immer das auch geheißen haben mag. Man hatte zu fasten, die Kinder nur begrenzt, jedenfalls nicht so wie die Erwachsenen, und doch: atmosphärisch war dieser Tag deutlich anders. Die Zeit war ein wenig stillgestellt, die Stimmung eingedüstert. Diese Stimmung ließ sich allerdings auch nur alles andere als leicht aushalten. Mich jedenfalls bedrückte sie. Aber schlussendlich hat mich auch niemand daran gehindert, schlicht und einfach wieder Kind zu sein, das heißt: zu spielen.

Biographie und Theologie


Ich schildere diese Erinnerungen dankbar, denn sie prägen mich bis heute, auch wenn sie selbstverständlich längst nicht mehr eins zu eins das widerspiegeln, was ich damals empfunden haben mag. Wer weiß es. Inzwischen habe ich mich viele Jahre in der Theologie versucht, tue dies bis heute. Dabei ist Theologie für mich ein sehr weiter Begriff. Über Gott, den möglichen Gott, nachzudenken geht nur, wenn man dies in möglichst großer Weite tut. Theologie zu treiben heißt für mich zu lesen, aber eben nicht nur das, was man theologische Literatur nennt: Darüber hinaus lese ich Philosophie, Literatur, Zeitungen; Theologie zu treiben heißt für mich, Filme zu schauen und Musik zu hören, Kunst wahrzunehmen; Theologie zu treiben heißt für mich, mich in Kulturwelten zu bewegen, den vergangenen und den gegenwärtigen, mich in ihnen über Gott zu verständigen – auf diese Weise danach zu fragen, was es mit diesem Wort Gott auf sich haben könnte, präziser: möge. Und es heißt für mich, die Gesichter von Menschen lesen zu lernen, am Bahnhof, in der Stadt, im Fitnessstudio und wo auch immer. Denn über Gott nachzudenken, wobei ja nicht einmal zu wissen ist, ob Gott – und damit meine ich immer den freien Gott, den Gott, der etwas anzufangen, der zu handeln vermag – überhaupt existiert, dies ist gleichbedeutend damit, über den Menschen nachzudenken. Nicht, dass Gott nicht an sich selbst interessant wäre, und auch nicht, dass das, was im Begriff Gottes gedacht wird, dann notwendig nur menschliche Projektion sein müsste, will ich damit sagen. Aber wenn das Ich über Gott nachdenkt, ohne am Menschen interessiert zu sein, verliert es sich im Abstrakten, ins Weltvergessene. Allerdings kann es nicht nur das Ich sein, das in diesem Nachdenken vorkommt. In dieses Nachdenken nicht den anderen Menschen, dessen Freude und Lebensglück, dessen Nöte und Ängste, die unendlich vielen Menschen einzubeziehen, die längst gestorben sind, teils friedlich, einverstanden mit ihrem Leben, teils unter größten Qualen, nicht die Gottesfrage stets als Frage nach dem Menschen zu stellen, lässt diese zum Glasperlenspiel werden. Ja sie würde angesichts der so vielen, denen Schreckliches widerfuhr und widerfährt, schlicht zynisch. Gott ist ein Gott aller Menschen, oder aber der Begriff ist menschenverachtend.

Hermann Burger, der Literat aus der Schweiz, der sich 1976 das Leben nahm, einer dieser Schriftsteller, der heute kaum noch gelesen wird, hat auf die Frage, was er am meisten verachte, geantwortet: »Frömmigkeit und Geiz«.4 Bezogen auf den Geiz kann ich nur unumwunden zustimmen. Geldfetischismus in seinen verschiedenen Spielarten ist immer vor allem eines, nämlich dümmlich. Bezogen auf das, was Burger Frömmigkeit nennt, unterscheide ich: ja, wenn es sich um diese nur um das eigene Ich kreisende Frömmigkeit handelt, um all diese Varianten von ›Spiritualität‹, in denen es um das eigene Seelenheil geht, besser müsste man sagen: darum geht, sich wohl zu fühlen auf Erden. Selbstverständlich ist es berechtigt, für den eigenen Seelenhaushalt zu sorgen, sich in den vielfältigen Dimensionen, die Menschsein ausmacht, um sich selbst zu sorgen. Allerdings beschleicht mich immer mehr der Verdacht, dass eine Vielzahl gegenwärtiger Spiritualitätstypen schlicht gottvergessen ist und den tief im Fleisch der Menschheit sitzenden biblischen Stachel der Gottesfrage gezogen hat.

Wo ist Gott?, so hat Johann Baptist Metz immer wieder erinnert, das sei die Frage, die biblisch im Zentrum stehe, und deshalb ist für ihn die Gebetssprache zumal alttestamentlicher Gottestraditionen auch eine »Leidenssprache, eine Krisensprache, eine Sprache der Anfechtung« und »keine Sprache der Überaffirmation«.5 Es ist der Schrei nach Gerechtigkeit, das blanke Entsetzen angesichts der ungeheuerlichen Leidensgeschichte der Menschheit, das hier die Sehnsucht nach Gott stimuliert. Sich nicht einverstanden geben wollen mit der Welt, wie sie ist, ist das, was den Gottesbegriff formt. Nur ein Gott, der rettet, Gerechtigkeit zu schaffen und die Tränen abzuwischen vermag, ist ein Gott, den zu ersehnen sich lohnt. Aber es ersehnt diesen Gott nur, wer empathisch mit dem Menschen fühlt. Gott ist nicht einfach, präziser muss man sagen: Wie Menschen über den...

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