Vorwort zur deutschen Ausgabe
Die Vorbereitung der deutschen Ausgabe von Inside Hitler’s Greece gibt mir Gelegenheit, mich noch einmal einer Arbeit zuzuwenden, die ich vor mehr als 20 Jahren verfasst habe. Mein Hauptziel war es damals, griechischen Leserinnen und Lesern den gesamten Themenbereich der deutschen Besatzung ihres Landes im Zweiten Weltkrieg zu erschließen, aber es gab noch einen zweiten Aspekt: Anhand des Geschehens in Griechenland wollte ich allgemeine Merkmale der NS-Besatzungspolitik und ihrer Folgen in Europa herausarbeiten. Obwohl zu der Zeit, als ich das Buch schrieb, in Griechenland (und in Deutschland) die Umstände völlig anders waren als heute, hat das Thema nichts an Relevanz eingebüßt – ganz im Gegenteil.
Vor allem der zweite Aspekt scheint mir von den heutigen Schlagzeilen nicht allzu weit entfernt zu sein. Während ich dies schreibe, befassen sich Zeitungen und Fernsehsendungen ausführlich mit den jüngsten Entwicklungen in der griechischen Eurozonensaga. Bilder von Armut und Demonstrationen in Athen, leidenschaftliche Debatten über die Zukunft Europas, Fragen zur Rolle Deutschlands auf dem Kontinent und seiner politischen Vision – das alles ist schon seit Monaten unvermeidlicher Bestandteil der täglichen Berichterstattungen. Und eng eingebunden sind kurze Rückblenden in die Geschichte der 1940er Jahre: Syriza-Anhänger, die Anfang 2015 nach dem fulminanten Wahlsieg ihrer Partei alte Partisanenlieder singen, Karikaturen, in denen deutsche Regierungsmitglieder mit Vertretern des Dritten Reichs verglichen werden – ein Krieg der Worte, in dem Entschädigungsforderungen neben unscharfen Fotos zerstörter griechischer Dörfer stehen.
Wer beispielsweise die verworrene und traurige Geschichte der griechischen Entschädigungs- und Reparationsansprüche klären will, sollte nicht nur Historiker, sondern auch gleich Experte für internationales Recht und Enthüllungsjournalist sein. Nach dem Zweiten Weltkrieg – und dem darauffolgenden Bürgerkrieg – hatte das geschundene Griechenland, ein Grenzstaat im Kalten Krieg, eine Reihe rechtsgerichteter Regierungen, die von der Unterstützung durch die USA abhingen. Sie waren nicht in der Lage, gegen einen deutschen Staat, der juristisch nicht mehr existierte, Ansprüche geltend zu machen. Daher war die Frage der Entschädigung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zwischen Griechenland und der Bundesrepublik Deutschland eine überwiegend hypothetische. Das heißt jedoch nicht, dass sie erledigt war. Insbesondere die Adenauer-Regierung nutzte geschickt ihren Einfluss in Washington, um Deutschland vor Ansprüchen der Griechen zu schützen. Ein unerhörter Fall war die sogenannte Merten-Affäre. Sie begann Ende der 1950er Jahre mit der Verhaftung von Max Merten. Merten, der im Krieg in der Besatzungsverwaltung in Saloniki gearbeitet hatte, war nach Griechenland gereist, um zugunsten eines früheren Kameraden auszusagen, und wurde nun selbst vor Gericht gestellt. Dieser Vorfall war für die westdeutsche Regierung unglaublich peinlich, nicht weniger jedoch für die Regierung Karamanlis, die nicht wollte, dass ihre eigenen Verbindungen zu den Deutschen zu Kriegszeiten ins Visier gerieten. Merten wurde in Griechenland inhaftiert – an sich schon ein Ausnahmefall –, dann jedoch entlassen und den westdeutschen Behörden übergeben (für die Haft erhielt er eine Entschädigung); das war eine Art Gegenleistung für Wirtschaftshilfen der Bundesrepublik und deren Unterstützung bei der Assoziierung Griechenlands mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Der Fall Merten lehrt uns, dass die Geschichte der Nachkriegsjustiz und die Erweiterung der Europäischen Union nicht so weit voneinander entfernt sind, wie wir meinen.
Gleichzeitig muss man einräumen, dass die Unterdrückung der Strafverfolgung auch in Griechenland mit allem Nachdruck betrieben wurde: Nach dem Bürgerkrieg und dem Sieg über die Linke Ende der 1940er Jahre waren Kollaborateure zu Regierungsmitgliedern und ehemalige Widerstandshelden zum Ziel staatlicher Repression geworden. Das griechische Amt für Kriegsverbrechen erhielt für seine Arbeit keine angemessene Unterstützung, und ich weiß noch, wie erstaunt ich war, dass viele Fälle, deren Akten ich im Lauf meiner Recherchen in der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg einsah, nie strafrechtlich verfolgt wurden. Einige dieser Fälle habe ich in diesem Buch herangezogen, um die komplexe Geisteshaltung der im Krieg in Griechenland stationierten Deutschen zu veranschaulichen.
Ungeachtet der Frage, welche Rechtsansprüche in der unendlichen Geschichte der Entschädigungsfrage bestehen und welche Fehler die Nachkriegsjustiz gemacht hat, markiert die derzeitige Krise in den deutsch-griechischen Beziehungen doch einen wichtigen Moment. Nun könnte sich die deutsche Öffentlichkeit bewusstmachen, was während des Krieges in Griechenland tatsächlich geschah. Als ich für dieses Buch recherchierte, war ein Großteil der Geschichte noch nicht erzählt. Mir war klar, dass die Besatzung ein äußerst dramatischer und schmerzlicher dynamischer Prozess war, eine Geschichte wechselseitiger Beziehungen zwischen Besatzern und Besetzten. Ich schrieb gegen eine lange Tradition in der griechischen Historiographie der 1940er Jahre an, in der alle Schuld den Ausländern gegeben wurde, und wollte stattdessen aufzeigen, welche Risse während der Besatzung durch die griechische Gesellschaft gingen und vor welche Aufgaben das die politische Elite der Zwischenkriegszeit stellte (Aufgaben, die diese im Wesentlichen nicht erfüllte). Außerdem hatte ich mir eine Art historischer Ethnographie der Besatzungsstreitkräfte vorgenommen und wollte den Spannungen nachgehen, die in den Einheiten und unter den Waffenbrüdern insbesondere durch den mit aller Brutalität geführten Partisanenkrieg entstanden waren. Dazu kamen die unübersehbaren persönlichen und politischen Konflikte zwischen deutschen und italienischen Entscheidungsträgern und gezielt herbeigeführte wie auch unbeabsichtigt ausgelöste Katastrophen.
Als dieses Buch Anfang der 1990er Jahre erschien, brach Jugoslawien gerade gewaltsam auseinander. Seither hat die Geschichtsschreibung in diesem Bereich bahnbrechende Entwicklungen durchlaufen. Vor allem ist das Thema – und die Geschichte des modernen Griechenland generell – heute eher in Griechenland angesiedelt als im Ausland. Als ich mit meiner Arbeit begann, wurden die 1940er Jahre von Historikern wiederentdeckt, die aus dem Studium oder dem Exil nach Griechenland zurückkehrten. Nach dem Sturz der Militärjunta 1974 lautete die brennende Frage des nächsten Jahrzehnts, warum die Linke den Bürgerkrieg verloren hatte und warum Griechenland zu einer Art Spielplatz für die US-amerikanische Politik geworden war. Mein Buch gehörte zu den ersten, die den Blick vom Gerangel zwischen griechischen Widerstandsgruppen, Briten und US-Amerikanern in den Bergen des Landes abwandten und stattdessen wieder die Deutschen und Italiener ins Visier nahmen, deren Invasion die Tragödie erst herbeigeführt hatte. In den beiden Jahrzehnten, die seither vergangen sind, ist in Griechenland eine neue Historikergeneration herangewachsen, Archive wurden geöffnet, wichtige Zeitschriften und Verlage gegründet und Forschungen zur Besatzungszeit intensiv vorangetrieben. Die staatlichen Archive, die damals in einem staubigen Keller hinter dem zentralen Fleischmarkt versteckt waren, sind heute in einem modernen Gebäude in einem Athener Vorort untergebracht. Und jüngere Historiker behandeln seither beim Thema Zweiter Weltkrieg höchst kenntnisreich frühere Tabuthemen, etwa die griechische Kollaboration, das schreckliche Schicksal ethnischer Minderheiten (unter anderem Juden, Walachen, Çamen und Muslime) und, noch brisanter, die Gewalt einiger linker Widerstandsgruppen gegen ihre ideologischen Gegner.
Ungeachtet all der hervorragenden Arbeiten, die seither erschienen, viele Irrtümer korrigierten und neue Forschungswege eröffneten, stehe ich nach wie vor hinter den Grundthesen von Inside Hitler’s Greece. Deren wichtigste lautet, dass alles, was in Griechenland auf den Zweiten Weltkrieg folgte – der Bürgerkrieg, die bleibenden Narben, die er hinterließ, ja sogar die Demokratisierung des Landes nach 1974 –, nur vor dem Hintergrund des totalen Zusammenbruchs von Staat und Gesellschaft zu begreifen ist, den die deutsche Besatzung und ihre tödlichen Folgen mit sich brachten. Die Besatzung potenzierte die bestehenden Schwächen des griechischen Staatsapparats und entlarvte die Kraftlosigkeit des Staatsgründungsprojekts, das damals, je nachdem, in welchem Landesteil man sich befand, 20 Jahre oder ein Jahrhundert alt war. Indem die feindliche Besatzung diese Schwachstellen verstärkte, brachte sie darüber hinaus die europäische Idee in ihrer modernen Ausprägung an die Oberfläche: die Vorstellung, dass die Länder Europas durch den Zusammenschluss zu einem größeren Staatenbund den Gräueln des 20. Jahrhunderts in eine bessere Zukunft entfliehen können. Anfang der 1940er Jahre war das ein Traum. Heute sieht es freilich ein wenig anders aus. Aber eben weil wir heute eine deutlich zynischere Sicht auf Europa haben, wie es sich uns präsentiert, ist es vielleicht angebracht, zumindest mit diesem Buch in die Welt der 1940er Jahre zurückzukehren, in der Nation gegen Nation stand und eine bereits verarmte Welt – die Welt der...