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E-Book

Größen der Mathematik

25 Denker, die Geschichte schrieben

AutorIan Stewart
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl480 Seiten
ISBN9783644404649
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Sie kamen aus allen Schichten und lebten in aller Herren Länder; sie waren Exzentriker wie Isaac Newton, Außenseiter wie Alan Turing oder gehörten zum Establishment wie Pierre de Fermat. Sie starben früh wie George Boole oder wurden steinalt wie Benoit Mandelbrot, waren Wunderknaben wie Karl Friedrich Gauss oder mussten sich mit Vorurteilen herumschlagen wie Emmy Noether. Fünfundzwanzig Biografien von bahnbrechenden Größen der Mathematik versammelt Ian Stewart in diesem Band. 25 abgeschlossene Lebensgeschichten über 25 Jahrhunderte, die davon erzählen, wie und unter welchen Lebens- und Gesellschaftsumständen die ganz Großen zu ihren historischen Entdeckungen kamen. Wobei Mathematiker dieses Kalibers eben nicht entdecken, was schon da wäre, sondern das Neuland selbst erschaffen, das sie und wir anderen dann betreten. Drei Frauen sind darunter (Augusta Ada King, Sofia Kowalewskaja und Emmy Noether), denen Stewart besonderen Respekt zollt, weil sie nicht nur mit kniffligen Berechnungen, sondern auch mit rigiden gesellschaftlichen Hindernissen und Vorurteilen zu kämpfen hatten. Gibt es das Mathe-Gen? - Nein, sagt Stewart. Aber bei vielen gibt es durchaus einen hochentwickelten Hirnsektor für das Visuelle. Tatsächlich denken große Mathematiker mehr in Bildern als in Formeln; sie sind konzentrationsstark, haben ein gutes Gedächtnis, große Ausdauer und folgen gern ihrer Intuition. Die meisten jedenfalls. Allen gemeinsam aber ist eine Besessenheit von Mathematik, die sie über die Zeiten und Länder, über Herkunft und Status hinweg zu herausragenden Wissenschaftlern machte.

Ian Stewart, geboren 1945, ist der beliebteste Mathematik-Professor Großbritanniens. Seit Jahrzehnten bemüht er sich erfolgreich, seine Wissenschaft zu popularisieren. Er studierte Mathematik in Cambridge und promovierte an der Universität Warwick. Dort ist er heute Professor für Mathematik und Direktor des Mathematics Awareness Center. Seit 2001 ist Stewart zudem Mitglied der Royal Society. Er lebt mit seiner Familie in Coventry.

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Leseprobe

Einleitung


Alle Zweige der Naturwissenschaften können ihre Ursprünge weit ins Dunkel der Geschichte zurückverfolgen, doch bei den meisten Themen heißt es über die früheren Erkenntnisse: «Heute weiß man, dass das falsch war» oder «Sie waren schon auf dem richtigen Weg, doch heute sehen wir die Dinge anders». So nahm der griechische Philosoph Aristoteles zum Beispiel an, ein galoppierendes Pferd verliere niemals vollständig seinen Bodenkontakt, was Eadweard Muybridge 1878 mit Hilfe einer Reihe von Kameras, die durch quer zur Pferderennbahn gespannte Zugdrähte ausgelöst wurden, widerlegte. Aristoteles’ Bewegungstheorie wurde von Galileo Galilei und Isaac Newton vollständig widerlegt, und seine Theorie des Geistes steht in keinerlei nutzbarer Beziehung zu den modernen Neurowissenschaften und zur Psychologie.

Die Mathematik ist anders. Sie ist von Dauer. Als die alten Babylonier herausfanden, wie man quadratische Gleichungen löst – wahrscheinlich um 2000 v. Chr., auch wenn die erste belastbare Quelle aus der Zeit um 1500 v. Chr. datiert –, veraltete ihr Ergebnis niemals. Es stimmt heute ebenso wie damals. Wir drücken das Ergebnis symbolisch aus, doch die dahinter stehende Logik ist dieselbe. Es gibt eine durchgehende Linie mathematischen Denkens, die zurück bis nach Babylon reicht. Als Archimedes herausfand, wie sich das Volumen einer Kugel berechnen lässt, benutzte er keine algebraischen Symbole und er dachte nicht an eine spezifische Zahl π wie wir heute. Er drückte sein Ergebnis geometrisch aus, in Form von Verhältnissen, wie es damals bei den Griechen üblich war. Dennoch erkennt man sofort, dass seine Antwort unserer heutigen Darstellung πr3 entspricht.

Einige antike Entdeckungen außerhalb der Mathematik haben sich als ähnlich beständig erwiesen, z.B. das archimedische Prinzip, dem zufolge ein Objekt sein eigenes Gewicht an Flüssigkeit verdrängt, oder Archimedes’ Hebelgesetz. Auch Teile der griechischen Physik und der Ingenieurswissenschaften haben bis heute Bestand. Aber bei diesen Themen ist Langlebigkeit die Ausnahme, während es in der Mathematik eher die Regel ist. Euklids Elemente, die das logische Fundament der Geometrie entwerfen, lohnen noch immer eine nähere Beschäftigung. Ihre Sätze bleiben wahr, und viele bleiben auch nützlich. In der Mathematik kommen wir voran, ohne die Erkenntnisse unserer Geschichte zu verwerfen.

Bevor Sie nun auf den Gedanken kommen, dass die Mathematik nur rückwärts gewandt ist, möchte ich zwei Dinge betonen. Zum einen kann sich die vermeintliche Bedeutung einer Methode oder eines Theorems verändern. Ganze mathematische Gebiete sind aus der Mode gekommen oder obsolet geworden, wenn sich Grenzen verschoben oder neue Techniken entwickelt wurden. Aber sie sind noch immer wahr, und von Zeit zu Zeit erlebt ein schon abgeschriebenes Gebiet eine Renaissance – gewöhnlich aufgrund einer neu entdeckten Verbindung mit einem anderen Gebiet, einer neuen Anwendung oder eines methodologischen Durchbruchs. Zum anderen haben Mathematiker bei der Entwicklung ihrer Fragestellung nicht nur Fortschritte gemacht, sondern sie haben sich zudem eine riesige Menge an neuer, wichtiger, wunderbarer und nützlicher Mathematik ausgedacht.

Nichtsdestotrotz bleibt die grundsätzliche Aussage immer unangefochten. Sobald ein mathematischer Satz einmal korrekt bewiesen ist, wird er zu einem Stein, auf den wir bauen können – für immer. Auch wenn unser Konzept dessen, was wir als Beweis akzeptieren, seit Euklids Tagen beträchtlich strenger geworden ist, um uns von unbewiesenen Annahmen zu befreien, können wir das, was uns heute lückenhaft erscheint, ergänzen, und das Ergebnis steht noch immer.

•••

Dieses Buch beschäftigt sich mit dem fast mythischen Prozess, durch den neue Mathematik entsteht. Mathematik entwickelt sich nicht im luftleeren Raum: Sie wird von Menschen geschaffen. Unter ihnen finden sich einige von erstaunlicher Originalität und Verstandesschärfe, die Menschen, die wir mit großen Durchbrüchen assoziieren – die Pioniere, die wegweisenden Figuren. Historiker betonen zu Recht, dass die Werke der Großen von einer riesigen Menge Unterstützer abhingen, die zahllose kleine Puzzleteile zum Gesamtbild beisteuerten. Wichtige oder fruchtbare Fragen können von relativ Unbekannten gestellt werden, wesentliche Ideen können von Menschen vage erfasst werden, denen die technischen Fähigkeiten fehlen, sie in mächtige neue Methoden oder Perspektiven zu verwandeln. Newton meinte einmal, er stünde «auf den Schultern von Riesen». Das klang in gewisser Weise sarkastisch; mehrere dieser «Riesen» (vor allem Robert Hooke) klagten, Newton stünde weniger auf ihren Schultern als auf ihren Zehen, weil er ihre Leistung nicht ausreichend würdige oder in der Öffentlichkeit allen Ruhm einstreiche, obwohl er ihre Beiträge in seinen Schriften zitiere. Dennoch hatte Newton recht mit seiner Aussage: Seine große Synthese von Bewegung, Schwerkraft und Licht basierte auf einer Vielzahl von Einsichten seiner intellektuellen Vorgänger. Doch sie waren nicht alle Riesen. Auch ganz gewöhnliche Leute spielten eine wichtige Rolle.

Dennoch ragen die Riesen heraus und schreiten voran, während wir Übrigen folgen. Mit Hilfe von Leben und Werk einer Auswahl bedeutender Persönlichkeiten können wir Einblick gewinnen, wie neue Mathematik entsteht, wer sie entstehen lässt und wer diese Menschen waren. Für mich sind sie nicht nur Pioniere, die uns die Richtung wiesen, sondern Wegbereiter, die Pfade durch das undurchdringliche Unterholz im Dschungel mathematischen Denkens schlugen. Sie verbrachten einen Großteil ihrer Zeit damit, sich durch Dornengestrüpp und Sümpfe zu kämpfen, doch von Zeit zu Zeit stießen sie auf einen geheimen Friedhof der Elefanten oder ein El Dorado, wo sie im Unterholz verborgene Schätze entdeckten. Sie drangen in Denkregionen vor, die für die Menschheit zuvor Terra incognita waren.

Tatsächlich schufen sie diese Regionen. Der mathematische Dschungel ist nicht dasselbe wie der Amazonas-Regenwald oder der kongolesische Urwald. Der mathematische Wegbereiter ist kein David Livingstone, der sich seinen Weg längs des Sambesi-Flusses erkämpft oder nach den Quellen des Nils sucht. Livingstone «entdeckte» Dinge, die schon da waren. Tatsächlich wussten die Einheimischen schon lange, dass es sie gab. In jenen Tagen übersetzten Europäer «entdecken» jedoch mit «Europäer machen andere Europäer auf Dinge aufmerksam, die sie gefunden haben». Mathematische Wegbereiter erkunden jedoch nicht einfach einen bereits existierenden Urwald. In gewissem Sinne schaffen sie diesen Urwald, während sie ihn erforschen, als ob neue Pflanzen neben ihrem Weg entstehen und rasch zu Setzlingen und dann zu mächtigen Bäumen werden. Es wirkt jedoch so, als habe es diesen Urwald bereits zuvor gegeben, weil man sich nicht aussuchen kann, welche Pflanzen auf einmal emporschießen. Man sucht sich zwar aus, wo man hintritt, aber man kann nicht beschließen, eine Gruppe Mahagoni-Bäume zu «entdecken», wenn sich herausstellt, dass man in einem Mangrovensumpf gelandet ist.

Das ist meines Erachtens die Quelle der noch immer populären platonischen Sicht mathematischer Ideen: dass mathematische Wahrheiten «tatsächlich» existieren, jedoch in einer idealen Form in einer Art paralleler Realität, die schon immer existiert hat und immer existieren wird. Dieser Sichtweise zufolge finden wir, wenn wir einen neuen Satz beweisen, nur etwas heraus, was schon die ganze Zeit da war. Meiner Meinung nach ergibt der Platonismus keinen buchstäblichen Sinn, doch er beschreibt den Prozess der mathematischen Forschung präzise. Man hat keine Wahl, das Einzige, was man tun kann, ist, den Baum zu schütteln und zu schauen, was herabfällt. In seinem Buch What is Mathematics, Really? offeriert Reuben Hersh eine realistischere Sicht der Mathematik: Es handelt sich um eine gemeinsames mentales menschliches Konstrukt. In dieser Hinsicht erinnert es stark an Geld. Geld lässt sich nicht «wirklich» mit Münzen oder Dollarnoten oder Zahlen in einem Computer gleichsetzen, es handelt sich um einen gemeinsamen Satz von Übereinkünften darüber, wie wir Metallstücke, Papierscheine und Zahlen in einem Computer füreinander oder für Waren eintauschen.

Hersh erzürnte einige Mathematiker, die sich an dem «menschlichen Konstrukt» störten und einwandten, Mathematik sei keineswegs willkürlich. Sozialer Relativismus kann ihr nichts anhaben. Das ist richtig, doch Hersh machte eindeutig klar, dass Mathematik kein beliebiges menschliches Konstrukt ist. Wir entschließen uns, uns mit Fermats letztem Satz zu beschäftigen, aber wir können nicht darüber entscheiden, ob er wahr oder falsch ist. Das menschliche Konstrukt, das wir Mathematik nennen, unterliegt einem rigiden System logischer Einschränkungen, und eine Erkenntnis wird dem Konstrukt nur dann zugeschlagen, wenn sie diesen Auflagen genügt. Potenziell erlauben uns diese Auflagen, Wahres von Falschem zu unterschieden, aber wir finden nicht heraus, welche Alternative die richtige ist, indem wir betonen, dass nur eine von beiden zutreffen kann. Die große Frage ist: welche? Ich habe inzwischen aufgegeben zu zählen, wie oft jemand ein kontrovers diskutiertes, von ihm ungeliebtes mathematisches Problem attackiert hat, indem er darauf verwies, dass Mathematik eine Tautologie ist: Alles Neue ist eine logische Konsequenz von Dingen, die wir bereits kennen. Ja, das stimmt. Das Neue steckt implizit im Alten. Aber die harte Arbeit kommt dann, wenn man versucht, es herauszuholen. Fragen Sie Andrew Wiles; es bringt nicht...

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