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E-Book

Große Gestalten der Antike

AutorManfred Clauss
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783644106017
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Das Alte Ägypten, Rom, Byzanz und das antike Griechenland - das sind untergegangene Welten, die bis heute nichts von ihrer Faszination verloren haben. Die Namen der bedeutendsten Persönlichkeiten jener Zeit sind jedem geläufig. Aber wer könnte schon auf Anhieb sagen, welche Schicksale sich dahinter verbergen? Manfred Clauss erzählt von Feldherren wie Hannibal oder Alexander dem Großen, von Philosophen wie Pythagoras oder Plato, er lässt das Leben von Religionsstiftern wie Arius oder dem Apostel Paulus und von Herrschern wie Caesar, Nero oder Kleopatra Revue passieren, und dabei zeichnet er, wie nebenbei, ein anschauliches Panorama ihrer Zeit. Aber er stellt auch Helden der Mythologie wie Herakles oder Aeneas und olympische Götter wie den Donnerer Zeus oder die Liebesgöttin Aphrodite vor. So entsteht das lebendige Bild eines untergegangenen Kosmos, der unsere Geschichte und Kultur bis heute prägt. Clauss' Buch ist nicht nur ein fundiertes Nachschlagewerk, sondern zugleich eine glänzend geschriebene Einführung in die Welt der Antike, die jugendliche wie erwachsene Leser gleichermaßen bereichern wird.

Manfred Clauss, geboren 1945 in Köln, ist Professor emeritus für Alte Geschichte, zu deren bedeutendsten Kennern er gehört. Er lehrte in Berlin, Siegen, Eichstätt und Frankfurt am Main. Seine Bücher über Staaten, Gesellschaften und Religionen in der antiken Welt haben ein breites Publikum auch außerhalb der Wissenschaft gefunden. Nicht wenige davon sind heute Standardwerke, so etwa «Das Alte Ägypten» (2001), «Alexandria. Schicksale einer antiken Weltstadt» (2003) und «Mithras. Kult und Mysterium» (2012).

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Leseprobe

Zeus: Der Erfinder Europas


Aigina, Alkmene, Ananke, Antiope, Aphrodite, Asteria, Danaë, Demeter, Dia, Dione, Elara, Elektra, Europa, Eurynome, Garamantis, Hera, Hora, Hybris, Io, Kallisto, Kalyke, Klymene, Lamia, Laodameia, Leda, Leto, Maia, Metis, Mnemosyne, Nemesis, Niobe, Pasiphaë, Persephone, Protogenea, Semele, Taygete, Thalia, Themis – dies ist die Liste der Geliebten des Zeus (ohne Gewähr auf Vollständigkeit), die göttliche und menschliche Frauen in neutraler alphabetischer Reihenfolge gleichberechtigt aufführt.

Greifen wir eine der mit diesen Geliebten verbundenen Geschichten heraus und wählen die Frau mit dem wohl bekanntesten Namen: Europa. Ihre Liebesgeschichte beginnt mit einem Albtraum. Wir sind im Vorderen Orient, an der Küste von Tyros und Sidon, wo die Tochter des Königs Agenor, die Jungfrau Europa, in der Geborgenheit des väterlichen Palastes aufwächst. Eines Nachts erscheinen ihr zwei Frauen, die sich um sie streiten. Während die eine namens Asien Europa als ihre Tochter verteidigt, zieht die andere, die namenlos bleibt, das Mädchen mit gewaltigen Armen zu sich hinüber und sagt: «Komm nur, Liebes, ich trage dich als Beute dem Zeus entgegen.» Schweißgebadet wacht Europa auf. Doch am nächsten Morgen verdrängt sie den Traum erst einmal wieder. Töchter aus den besten Häusern des Landes finden sich bei ihr ein, um wichtigen Alltagsgeschäften nachzugehen: Chortänzen, Spielen, Opfern für die Götter. An diesem Tag versammeln sie sich am Meer und erfreuen sich dort an den Blumen ebenso wie am Rauschen der Brandung. Alle sind phantastisch gekleidet, Europa aber übertrifft sie noch durch ihr goldgesticktes Schleppkleid, das nun wirklich einmalig ist. Hephaistos, der Meister der Goldschmiedekunst, hatte es einst für Poseidon angefertigt, der es der Libye geschenkt hatte. Als Erbstück war es schließlich auf Europa gekommen. Am Strand sammeln die jungen Damen also Blumen, die eine Narzissen, eine andere Hyazinthen, wieder andere Veilchen oder Krokus. Europa aber überragt sie alle mit einem Strauß blühender Rosen.

Nun wird es Zeit, Zeus ins Spiel zu bringen, Zeus, den unermüdlichen Liebhaber, dessen Leben sich weitgehend darin zu erschöpfen scheint, Frauen täuschen zu müssen, weil sein Ruf ihm längst vorausgeeilt ist. So verwandelt er sich in einen Stier, um sich der jungen Europa zu nähern. Aber in was für einen Stier! Groß, herrlich, Waschbrettbauch, kleine Hörner, goldgelbes Fell mit silberweißem Mal auf der Stirn, bläuliche, vor Verlangen funkelnde Augen. Aber die Tarnung ist noch nicht perfekt. Er bittet also den Hermes, das Vieh des Königs Agenor zu jenem Strand zu treiben, wo sich die Mädchen aufhalten. Der Hintergedanke ist klar: Wenn Hera vom Olymp herunterschaut und einen einsamen Stier irgendwo inmitten einer Schar junger Mädchen sieht, schöpft sie doch gleich Verdacht. In einer ganzen Herde fällt ein einzelner Stier nicht auf. So kann sich Zeus Europa nähern. Die weicht zunächst entsetzt zurück, fasst dann aber Zutrauen zu dem prächtigen Tier, aus dessen Maul ambrosischer Atem duftend strömt. Sie hält ihm den Blumenstrauß hin, der Stier leckt die Blumen, anschließend die Hand. Es ist eine alte Geschichte, und doch ist sie immer neu: Sie beginnt ihn zu streicheln, er wird immer zärtlicher, schließlich drückt ihm die schöne Jungfrau einen Kuss auf die Stirn. Er fällt ihr zu Füßen, sie schwingt sich auf seinen Rücken. Es ist geschehen. Er erhebt sich, tänzelt ein wenig, setzt sich in Bewegung und wird schneller, immer schneller, bis Europa nicht mehr absteigen kann. (Inzwischen wissen wir, wie schwer es Europa fällt, etwas loszulassen, was es einmal in Händen hat.) Er stürzt sich ins Meer und schwimmt mit ihr davon. Bis in die Nacht hinein und den ganzen nächsten Tag schwimmt Zeus, bevor er am Abend endlich die Gegend erreicht, die er am besten kennt, weil er dort aufgewachsen ist: Kreta. Der Stier lässt Europa hinab und verschwindet. Es erscheint ein herrlicher, göttergleicher Mann, der behauptet, er sei der Herrscher Kretas und werde sie schützen, wenn er durch ihren Besitz beglückt werde. Es folgt das, wo früher in den Erzählungen drei Auslassungspunkte standen. Am Morgen danach wacht Europa auf und ist leicht verwirrt. «Wo bin ich?» Sie deutet das Erlebte als Traum, reibt sich die Augen, um ihn zu vertreiben, und muss erkennen, dass sie wirklich in einer ihr unbekannten Gegend ist. Ihre Haltung schwankt zwischen großmäuligen Bekenntnissen und verzweifelten Depressionen. «Wenn ich jetzt den Stier hier hätte, ich würde ihn zerreißen!» So sind wir Europäer halt. Oder: «Man zeige mir eine Esche, an der ich mich mit meinem Gürtel aufhängen kann.» Wir wissen, dass ihr dazu der Mut fehlte. Da bemerkt sie plötzlich ein Räuspern hinter sich, dreht sich um und sieht Aphrodite mit Klein Eros an der Hand (S. 20), der in der anderen seinen berühmten Bogen trägt. Mit einem überlegenen Lächeln sagt Aphrodite: «Lass deinen Zorn fahren, schöne Frau! Ich bin es, die dir im väterlichen Haus den Traum gesandt hat. Tröste dich, Europa! Zeus ist es, der dich geraubt hat. Du bist die irdische Gattin des unbesiegten Gottes! Unsterblich wird dein Name werden! Denn der fremde Erdteil, der dich aufgenommen hat, heißt hinfort Europa.» Und so geschah es.

Diese Entstehungsgeschichte trug dem Kontinent den Spott Gotthold Ephraim Lessings (1729  1781) ein, der «Auf die Europa» dichtete:

Als Zeus Europen liebgewann,

Nahm er, die Schöne zu besiegen,

Verschiedene Gestalten an,

Verschieden ihr verschiedlich anzuliegen.

Als Gott zuerst erschien er ihr;

Dann als ein Mann, und endlich als ein Tier.

Umsonst legt er, als Gott, den Himmel ihr zu Füßen:

Stolz fliehet sie vor seinen Küssen.

Umsonst fleht er, als Mann, im schmeichelhaften Ton:

Verachtung war der Liebe Lohn.

Zuletzt – mein schön Geschlecht, gesagt zu deinen Ehren!–

Ließ sie – von wem? – vom Bullen sich betören.

Was wollen uns dieser und vergleichbare Mythen sagen, die von Zeus reden, dem Sohn des Kronos, nach dem Sturz seines Vaters Chef im Olymp, mächtigster der Götter, unsterblich, unbesiegbar, verheiratet mit Hera – und hinter allem her, was hübsch ist? Wozu die Verwandlungen alle, die Liebeshändel, das Versteckspiel, das Täuschen?

Möglicherweise dienten solche Mythen in erster Linie der Unterhaltung. Zeus und Hera, beide unschlagbar, beide allwissend, beide sich gegenseitig ständig übers Ohr hauend – das hat etwas, das ist spannend. Hera war längst daran gewöhnt, dass ihr Mann fremdging, aber abfinden wollte sie sich damit nicht. Jedes Mal, wenn Zeus kurz vor die Tür ging, wurde sie misstrauisch. Also schlich sie ihm, soweit man am Himmel schleichen kann, nach. Dann entbrannte häufig ein Duell zwischen den beiden Göttern, die alle Tricks kannten. Der Zuhörer lauschte gebannt, weil die Götter ja mehr Möglichkeiten haben als normale Ehemänner und Ehefrauen. Beim Wettstreit zwischen Zeus und Hera handelte es sich nicht nur um alltäglichen Ehekrach, sondern um den spektakulären Kampf zweier Zauberer.

Gleichzeitig ging es dabei jedoch um ein sehr irdisches Thema, und wahrscheinlich war es beruhigend – für die Männer –, dass selbst der Göttervater «von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt» war, wie Zarah Leander einmal sang. Die Ehe des Zeus war kein Vorbild, sie war ein Abbild der irdischen Ehe. Streit und Eifersucht, Betrug und Gegenbetrug – man könnte auch eine Liste von Heras Liebhabern aufmachen – gehörten eben wohl zum antiken Ehealltag. Wie es wohl Alltag war, dass Zeus Hera verprügelte und sie sogar einmal am Himmel aufhängte, die Arme in – immerhin sind wir im Olymp – goldenen Fesseln, an den Füßen zwei Ambosse.

Die Historiker weisen außerdem darauf hin, dass die Gestalt des Zeus so überragend war, dass alle griechischen Landschaften und Kulturkreise an seiner Größe teilhaben wollten. Dies ging am besten mit Besuchen des himmlischen Casanova: Alle Gegenden wollten vor ihrer Haustür die Anwesenheit des Zeus bestätigt haben, man wollte möglichst in der eigenen lokalen oder regionalen Tradition an Kinder des Olympiers anknüpfen, Kinder des Zeus vorzeigen, die Stellen zeigen, wo … und so fort. Es war also auch ein Akt eines frommen Lokalpatriotismus, Zeus in den permanenten Ehebruch zu treiben. (Ein Artikel über Zeus in einem berühmten Lexikon beschäftigt sich auf über 120 Spalten ausschließlich mit den lokalen und regionalen Anrufungen, die ebenso viele unterschiedliche Erscheinungsweisen des Gottes repräsentierten. Allein wenn man den Buchstaben A durchzählt, kommt man auf fast 200.)

Was den Griechen Zeus war, war den Römern ihr Jupiter. Jupiter war der höchste Gott Roms und drang zusammen mit den römischen Truppen in alle Winkel der Mittelmeerwelt vor. Die Legionen standen unter dem Schutz des Adlers, des Jupitervogels. Als wichtigstes Feldzeichen verehrten die Truppen einen aus Gold gefertigten Adler, der mit gespreizten Flügeln auf dem Schleuderblitz des Jupiter steht. Mit seinem Donnerkeil waren auch die Schilder der Legionäre verziert.

Kein römischer Gott ist in den Weihinschriften, die aus der Kaiserzeit auf uns gekommen sind, so oft genannt wie Jupiter. Jupiter schützte den Staat, die Menschen und alles Leben; schließlich war er der Gott des Wetters, von dem die guten Ernten abhingen. Vor allem aber schützte er den Kaiser, und viele Herrscher wurden selbst zu Lebzeiten als Jupiter dargestellt und verehrt. Schauen wir uns...

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