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Gut Rittnerthof

Von der markgräflichen Obstbaumkultur zum modernen Reiterhof

AutorHelmuth Ristow
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl116 Seiten
ISBN9783744861250
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Was hat ein in New York 1935 begangener Mord mit dem Rittnerhof zu tun? Welchen Zusammenhang gibt es zwischen dem Gutshof und dem Flowtex-Skandal? Wo und wann - wenn überhaupt - gab es da oben eine Pelztierfarm? Wer hat auf dem Fischweiher geschossen? Wurden im Fruchtspeicher des ehemaligen Schweinestalls wirklich Sexfilme gedreht? Die hier vorliegende Historie des hoch über Karlsruhe-Durlach gelegenen Guts Rittnerhof bietet nicht nur Geschichte, sondern viele - auch delikate - Geschichten, Anekdoten und Histörchen. Helmuth Ristow, historischer Laie aus Passion und selbst Pächter des Hofes von 1992 - 2014, hat sie zusammengetragen. Wobei er das Glück hatte, auf Quellen zugreifen zu können, die bisher niemandem zugänglich waren. Und auf sein eigenes Erinnerungsvermögen, denn vieles hat er selbst erlebt. Armin Schulz, Stadtkonservator in Karlsruhe, schreibt dazu: "Ihr Interesse an der Bau-, Nutzungs- und Besitzergeschichte des Rittnerhofes ist sehr erfreulich."

Helmuth Ristow wurde 1933 in Berlin geboren. Schulzeit in Berlin, Oberbayern und Karlsruhe, danach Studium an den Universitäten Karlsruhe und Tübingen. 1956 Abschluss als Technischer Diplom-Volkswirt. Beruflich zunächst im väterlichen Betrieb und bei der Standard Elektrik Lorenz AG in Stuttgart-Zuffenhausen tätig. Auslandsaufenthalte in England, Frankreich und Mexiko. Nach dem frühen Tod des Vaters übernahm er mit 27 Jahren die Geschäftsführung der Firma Dr. Alfred Ristow, Karlsruhe-Durlach, die zu einem Spezialisten für hochwertige Einbruchmeldeanlagen entwickelt wurde. Zahlreiche Ehrenämter, u. a. Vorsitzender des Messebeirats der SECURITY Essen und Präsident von EURALARM, der europäischen Vereinigung der Sicherheitsverbände. Seit 1994 im Ruhestand. Ristow lebt in Ascona und Karlsruhe.

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Leseprobe

1. 1777 – Markgräfin Karoline Luise von Baden


Das Caduc-Gut am Rittnertwald


An einem schönen Frühlingstag im Jahre 1776 bestellt Karoline Luise, durch ihre Heirat mit Karl-Friedrich von Baden-Durlach seit 1751 Markgräfin, ihre Kutsche für eine Ausfahrt. Ziel der Fahrt war ein neues Gut in Durlach, oben auf dem Turmberg gelegen, direkt neben dem Rittnertwald.

Mit von der Partie waren der Jüngste ihrer drei Söhne, der 13-jährige Ludwig, genannt Louis, und Oberstallmeister Wippermann. Diese fuhren aber nicht in der Kutsche mit, sondern begleiteten die Markgräfin zu Pferde.

Für Karoline Luise kam das Reiten nicht infrage, durch die höfische Etikette der damaligen Zeit war ihr als Prinzessin der Unterricht im Reitsport versagt geblieben. Außerdem war die Markgräfin im Jahre 1776 schon 53 Jahre alt. Ein Zeitgenosse beschrieb sie, als sie 50 Jahre alt war, als »nicht schöne, aber eindrucksvolle, Ehrfurcht gebietende Persönlichkeit«. Weniger charmante Stimmen nannten sie die »dralle Dame an Friedrichs Seite«.1

Die Markgräfin war Geschäftsfrau und Unternehmerin, und als solche eine Merkantilistin reinsten Wassers.2 Jan Lauts hat in ihrer Biographie aufgeführt, worin ihre Aktivitäten bestanden und welche Fabriken sie schon gegründet hatte. Dazu gehört eine Papiermühle in Ettlingen. 1774 hatte sie die in gänzlichem Zerfall befindliche Walk- und Ölmühle eines Jakob Grahn für 3000 Gulden »plus 233 Gulden Trinckgeld« erworben. Nach Ihrem Tod verkauften sie ihre Erben 1810/17 an den Kaufmann Buhl. Vor allem bekannt und für die Zukunft wichtig geworden ist aber die am 5. Oktober 1767 gegründete Manufaktur für Uhren, Bijouterie- und Galanteriewaren im Waisenhaus zu Pforzheim, womit vor 250 Jahren die Grundlage dafür gelegt wurde, dass Pforzheim Goldstadt wurde.

Karoline Luise erwirbt den Rittnerthof


Abb. 1 Markgräfin Karoline Luise von Baden-Durlach im Jahr 1774, im Alter von 51 Jahren.

Jetzt war die Markgräfin auch noch Gutsherrin geworden. Von Amt und Stadt Durlach hatte sie das »Caduc-Guth am Rittnertwald« nebst 160 Morgen Land erworben. Caduc-Gut heißt, dass es sich um einen Hof handelt, der – z. B. nach Ablauf eines Lehns- oder Erbbau-Rechts – als Eigentum an die ursprünglich Berechtigten heimgefallen war, in diesem Fall an Amt und Stadt Durlach.

Nun ist »Caduc-Gut am Rittnertwald« kein Name für einen Gutshof, der sich in den folgenden Jahrzehnten zu einem ausgesprochenen Mustergut entwickeln sollte. Noch dazu wo »caduc« sehr viele Bedeutungen hat und außer heimgefallen auch baufällig oder hinfällig heißt. Wer will schon in einem baufälligen Gutshof wohnen?

Was lag also näher, als dieser Erwerbung den Namen Rittnerthof zu verleihen, gelegen am (staatlichen) Rittnertwald, und zu erreichen über die Rittnertstraße, die ihren Namen zwar erst später erhielt, aber heute noch so heißt.

Der Name Rittnert leitet sich ab vom Personennamen Rutenhard oder Ruttenhard. Bereits 1404 wird in einer alten Schrift erwähnt, »… die Herrschaft hat einen eigenen walt zu Durlach der heisset rutenhart …«.3

Durlach wurde gegründet, nachdem die Grafen von Hohenberg im 11. Jahrhundert die Burganlage auf dem Turmberg erbaut hatten. Am Fuße des Berges kam es zwischen Alb und Pfinz zu einer Ansiedlung, die als »Dürre Lage« der späteren Stadt den Namen Durlach gab. 1196 wurde sie zum ersten Mal urkundlich erwähnt. 1219 kam sie in den Besitz der Markgrafen von Baden.

Um einen Begriff dafür zu bekommen, wie sich der Morgen zum Flächenmaß Hektar verhält, das heute ausschließlich gebraucht wird, hier ein paar Zahlen.

Ein Morgen war ein bis etwa 1900 in Deutschland verwendetes Flächenmaß von 2.500 bis 3.600 Quadratmetern. Das Maß wurde durch jene Fläche bestimmt, die mit einem einscharigen Pferde- oder Ochsenpflug an einem Morgen pflügbar ist. Die Größe des Morgens war landschaftlich verschieden, in Baden umfasste ein Morgen 36 ar oder 3.600 Quadratmeter. Dies entspricht einer Fläche von 60 mal 60 Metern.

Ein Hektar hat eine Fläche von 100 mal 100 Meter = 10.000 qm, das sind knapp drei Morgen. Man kann also davon ausgehen, dass die Markgräfin mit 160 Morgen rund 58 Hektar Land bewirtschaftete.

Erst im späten 19. Jahrhundert wurde im Deutschen Reich festgelegt, dass 1 Hektar = 4 Morgen sind. In Süddeutschland und Österreich spricht man auch vom Joch anstelle des Morgens, in Bayern vom Tagwerk. Beide unterscheiden sich vom Morgen nicht groß.

Die Kutschenfahrt nach Durlach


Dass die Ausfahrt mit der Kutsche und den berittenen Begleitern im April 1776 tatsächlich stattgefunden hat, ist verbürgt. Denn ein paar Tage später schrieb die Markgräfin ihrem in Paris weilenden Sohn Karl-Ludwig einen Brief, in welchem sie mitteilte, sie sei mit Prinz Louis und dem Oberstallmeister Wippermann, die sie zu Pferde begleitet hätten, auf den Hof gefahren, … wo ich bauen lasse, und wo Ihr, so hoffe ich, oft – ich wollte gerade schreiben, Speck essen werdet, aber nein: eine gute Erdbeer-Kaltschale.

Außer Erdbeeren wurden auf dem Hof vorwiegend Obstbäume angebaut, vor allem Spalierobst. Das Personal setzte sich zu dieser Zeit zusammen aus einem Direktor, vier Knechten und einer Magd.

Allerdings muss die Markgräfin durch ihre neue Initiative vorzeitig Fakten geschaffen haben. Denn schriftlich dokumentiert wurde die Überlassung eines Caduc-Gutes beim Rittnertwald an die Markgräfin erst 1777, also ein Jahr später.4 Im Dokument vom 10. Jul 1777 heißt es: »Serenissima sind gnädigst Willens, das herrschaftliche Caducfeld bei dem Rittnert Guth von 160 Morgen um den gemachten Anschlag ad 4 Gulden pro Morgen zu übernehmen, und haben dieserwegen bereits mit Höchst Dero Gemahl Hochfürstlichen Durchlaucht gesprochen.«5

Markgraf Karl-Friedrich hat die landwirtschaftlichen Aktivitäten seiner Gemahlin ausdrücklich unterstützt. Nicht nur, dass er ihr für mehrere Jahre Zehnt- und Schatzungsfreiheit gewährt hat. Es heißt, dass der Rittnerthof im Zuge physiokratischer Ideen auf der Alb-Pfinz-Platte gegründet worden ist.6 Tatsächlich war Karl-Friedrich einer der stärksten Vertreter der Physiokratie. Die Physiokraten sahen in der Landwirtschaft die alleinige Quelle staatlichen Wohlstands.7 Sie hatten ihre Ideen erstmals zwanzig Jahre vorher, also 1756, formuliert. Die Physiokraten befürchteten, dass durch Colberts merkantilistische Wirtschaftspolitik die Landwirtschaft zum Niedergang verurteilt wäre. Insofern war Karl-Friedrich auch in dieser Hinsicht ein aufgeklärter Fürst. Er suchte in seinem Land die Synthese zwischen den sich widersprechenden Wirtschaftstheorien Merkantilismus und Physiokratie.

Versicherung gegen Brand


Der »Höchstdenenselben zugehörige und vor einigen Jahren neu erbaute und angelegte Hof am Rittnertwald« wurde 1782 der Brand Versicherungs Societet einverleibt.8 Mit »Höchstdenenselben« waren Serenissimus – also der regierende Herrscher – gemeint, der den Eintrag gnädigst verlangt hatte.

Zu dieser Zeit wurden die bestehenden Gebäude folgendermaßen taxiert und gegen Brand versichert:

  • Ein einstöckiges Wohnhaus mit einem Vorsprung, ganz von Holz gebaut, und worauf sich ein Glöcklein befindet;
  • 2 Remisen, worauf Fruchtspeicher sind;
  • 2 Seiten Schweinestallungen;
  • 2 Stallungen jede 100 Fuß lang, und 38 breit ganz von Holz.

Abb. 2 Auszug aus dem Brand-Assecurations-Buch Durlach von 1782

Diese Gebäude hatten zusammen einen Wert von 7400 Gulden.

Angeschlagen pro 1791.

  • Rechterhand an dem großen Stall noch ein Pferdestall und Wagenschopf oberhalb ein Fruchtboden
  • An der großen Scheuer eine Scheuer samt großem Wagenschopf das Stockwerk von Stein gebaut

Für diese beiden Gebäude kamen noch einmal 1100 Gulden hinzu. Zusammen wurden also die Gebäude des Rittnerthofes mit 8500 Gulden gegen den Feuerteufel versichert. Das wären nach der heutigem Währung – vorausgesetzt es hat sich um Goldgulden gehandelt – runde 525.000 Euro.

Auf zwei Besonderheiten des Dokuments soll noch hingewiesen werden. Wie man aus dem Kopf der Urkunde ersehen kann, war sie ursprünglich auf »Ihro Hochfürstl. Durchlaucht die regierende Markgräfin« ausgestellt worden. Nach dem Eigentumswechsel wurde ihr Name einfach durchgestrichen und durch den Namen der neuen Eigentümer ersetzt, wo halt gerade Platz war. Im folgenden Abschnitt erfahren wir, wer diese waren.

Aber vorher noch ein Blick auf das Wohnhaus – ganz von Holz gebaut – worauf sich ein Glöcklein...

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