Der Trend in Deutschland geht eindeutig zum zweiten, wenn nicht sogar zum dritten Hund. Etwa 60 % aller unserer Kunden in unseren „Zentren für Menschen mit Hund“ halten mehr als einen Hund.
Was ist das Faszinierende am Zusammenleben mit mehreren Hunden, dass viele Menschen sich dafür entscheiden?
Im vorliegenden Buch werden wir die Vor- und Nachteile der Haltung mehrerer Hunde erörtern und Ihnen einen Einblick in mögliche „Gruppenkonstellationen“ geben. Doch zuerst einmal müssen die Rahmenbedingungen und Voraussetzungen besprochen werden, unter denen eine Mehrhundehaltung überhaupt erst möglich ist. Hierzu gehören die ideale Familienstruktur, die Zuständigkeit für Betreuung und Ausbildung bzw. die entsprechende Aufgabenverteilung innerhalb der Familie sowie der ideale Zeitpunkt zur Anschaffung eines weiteren Hundes und die Auswirkung der Gesamtanzahl der Hunde. Ob Mehrhundehaltung klappt oder nicht, liegt auch entscheidend an der Auswahl der Individuen. Welcher Hund passt in die bestehende Familie, wie wirken sich die Geschlechterverteilung und der Verwandtschaftsgrad aus, bzw. auch Unterschiede bezüglich Alter, Größe, Rasse, Interessen und Veranlagungen?
Alle diese Überlegungen sollen Ihnen bei der Entscheidung und Auswahl eines weiteren Fellpartners helfen.
VORTEILE DER MEHRHUNDEHALTUNG
Doch trotz aller möglichen Probleme bietet die Mehrhundehaltung auch große Vorteile: Sie ermöglicht es den Menschen z. B., Hunde in ihrer Kommunikation täglich zu beobachten, und bietet Hunden die Gelegenheit zur innerartlichen Kommunikation. Daher ist die Mehrhundehaltung grundsätzlich eine spannende Variante.
Gruppenstruktur: Hunde sind soziale Tiere
Hunde sind soziale Lebewesen – genauso wie der Mensch leben sie in Sozialverbänden mit geregelten sozialen Strukturen. Aus diesem Grund erfolgte die Domestikation des Hundes durch den Menschen wie bei keinem anderen Lebewesen in ungeahntem Ausmaß. Hunde teilen unseren Lebensraum, werden in unsere eigenen sozialen Strukturen eingegliedert, und das in einem Maße, bei dem mittlerweile weitere Gefahren lauern. Die Vermenschlichung des Hundes führt sehr häufig zu großen Problemen in der Mensch-Hund-Beziehung.
Der Hund ist nicht nur ein Mitglied der Familie, sondern muss z. B. auch eine Partnerfunktion übernehmen. Dies überfordert den Hund, denn trotz der vielen Gemeinsamkeiten im sozialen Bereich handelt es sich immer noch um zwei Arten – Mensch und Hund. Dennoch – die Gemeinsamkeiten überwiegen.
Ein Hund in der Familie bedeutet gerade für Kinder eine große Bereicherung. Dennoch muss man überlegen, ob ein oder mehrere Hunde zur aktuellen Familienstruktur passen.
GEMEINSAMKEITEN UND UNTERSCHIEDE
Hunde zeigen wie der Mensch in ihrer Kommunikation eine ausgeprägte Mimik und Gestik, dies wird vor allem im Spielverhalten deutlich. Innerhalb eines Rudels gibt es zwar Rangordnungsstreitigkeiten, jedoch wird eine ernsthafte Verletzung eines Rudelmitgliedes in der Regel vermieden. Durch klare kommunikative Fähigkeiten werden Positionen im Rudel deutlich gemacht. Nur im Miteinander ist ein Überleben möglich, weshalb gemeinsame Jagdstrategien entwickelt werden können. Hunde leben in der Gemeinschaft, es wird zusammen geruht, die Aufzucht des Nachwuchses wird gemeinsam übernommen. Der Hund ähnelt damit in den wichtigsten sozialen Strukturen dem Menschen, weshalb die Eingliederung eines Hundes in die Familie so leicht fällt. Dennoch gibt es deutliche Unterschiede zum Menschen, das Zusammenleben von Mensch und Hund ähnelt zwar den Strukturen eines Hunderudels, kann jedoch nicht eins zu eins übertragen werden, da beide Arten auch abweichende arteigene Kommunikationsformen und soziale Verhaltensweisen haben. Hunde leben vor allem im Hier und Jetzt, die Vergangenheit hat zwar Auswirkungen auf die Gegenwart, indem Erlebnisse verarbeitet und abgespeichert werden, dennoch ist ihnen z. B. eine Sorge um die Zukunft vollkommen fremd.
DER HUND, EIN RUDELTIER?
Hunde sind Rudeltiere, sie leben nicht alleine. Die Haltung von mehreren Hunden bietet damit dem Hund das Ausleben seiner arteigenen sozialen Strukturen, die der Mensch ihm nicht bieten kann. Allerdings muss auch hier mit Bedacht gehandelt werden, nicht jeder Hund kann mit jedem anderen Hund vergesellschaftet werden. Denn die willkürliche Zusammenführung von Hunden durch den Menschen unterscheidet sich gravierend von dem natürlich gewachsenen Hunderudel, das sich in der Regel durch viele verwandtschaftliche Beziehungen auszeichnet und bei dem es nur selten Zuwanderungen durch fremde Hunde gibt.
WICHTIG
Definition Rudel
Eine wissenschaftlich einheitliche Definition des Begriffes „Rudel“ gibt es nicht. Als „Rudel“ bezeichnet man im Allgemeinen eine geschlossene und individualisierte Gruppe. Das bedeutet, dass die Mitglieder der Gruppe nicht austauschbar sind und sich untereinander erkennen. Im Unterschied dazu bezeichnet der Begriff „Herde“ in der Regel einen anonymen Zusammenschluss von Tieren. In der Kynologie wird der Begriff „Rudel“ häufig mit Familienverband gleichgesetzt. Demzufolge wäre die Gemeinschaft von mehreren in einer Familie lebenden, aber nicht verwandten Hunden kein Rudel. Jedoch entwickeln sich auch innerhalb solcher Gruppen hierarchische Beziehungen, weshalb die Verwendung „Rudel“ auch für solche Lebensgemeinschaften angebracht erscheint.
DIE RANGORDNUNG IM RUDEL
Mit dem Begriff „Rangordnung“ wird die Hierarchie innerhalb einer Gruppe beschrieben. Bei Hunden ist die Hierarchie in der Regel nicht linear aufgebaut. Man kann hier also nicht sagen: Hund A ist ranghöher in Bezug auf Hund B, Hund B ist ranghöher in Bezug auf Hund C, Hund C ist ranghöher in Bezug auf Hund D etc. Vielmehr gibt es vielschichtige Beziehungen der Hunde untereinander, die zudem von den unterschiedlichen Interessen und Veranlagungen abhängig sind.
Oftmals gibt es in einem Rudel ein ranghohes Paar, hierbei ist dann die Hündin diejenige, die das Sagen hat. Darunter gibt es viele sogenannte „Helfer“, die bei den verschiedenen Aufgaben wie Bewachung des Territoriums oder Versorgung des Nachwuchses Verantwortung übernehmen müssen. Zudem sind in der Regel die älteren Tiere ranghöher als die jüngeren Tiere, ebenso wie dem Rudel bereits angehörige Mitglieder ranghöher gegenüber Neuzugängen sind. Im Rudel gibt es unendlich viele Möglichkeiten der Beziehung der Hunde untereinander. Die Rangordnung der Hunde in einem Rudel kann daher nie aufgrund einer einzigen Situation festgemacht werden. Will man eine sichere Einschätzung der Beziehung der Hunde eines Rudels, muss man immer viele verschiedene Situationen betrachten!
DOMINANZ
Entscheidend ist dabei, welcher Hund in Bezug auf den anderen Hund die dominante Position eingenommen hat. Dabei muss man wissen, dass es den dominanten Hund an sich nicht gibt. Heutzutage ist der Begriff „Dominanz“ mit einem negativen Aspekt belegt. Dominanz wird dabei mit „Aggressivität“ und „Nicht-Einfügen in die Gesellschaft“ gleich gesetzt. Dominant bezeichnet dabei doch lediglich die momentane Position des einen Tieres gegenüber einem anderen Tier. Dies kann von Situation zu Situation und von Gegenüber zu Gegenüber wechseln.
Beispiel: Der fünfjährige Schäferhundrüde Sam liegt mit seinem Knochen auf der Decke und knurrt den sich nähernden einjährigen Kleinen Münsterländer-Rüden Chico an, damit dieser nicht näher kommt. Wenn Chico nun die Annäherung abbricht, hat sich Sam Chico gegenüber dominant verhalten. Auf der Hundespielwiese treffen die beiden Hunde regelmäßig die Pudelhündin Maja. Maja und Chico verstehen sich bestens. Wenn Sam sich nun den beiden nähert, während diese gerade in ein wunderbares Spiel vertieft sind, hebt Chico den Blick und fixiert Sam. Dieser dreht daraufhin ab und beschäftigt sich mit anderen Dingen. In dieser Situation war somit Chico dominant gegenüber Sam. Um nun eine eindeutige Aussage über die Beziehung der beiden Hunde treffen zu können, müssten diese in vielen weiteren Situationen beobachtet werden. Und nur wenn sich einer der beiden Hunde in eindeutig mehr Situationen dominant gegenüber dem anderen Hund verhalten hat, kann man davon sprechen, dass es eine geklärte Rangordnung mit einem ranghöheren und einem rangniedrigeren Hund gibt.
In einem gewachsenen Hunderudel ist die Hierarchie in der Regel geklärt (hier die 5-jährige Ginala (rechts) mit ihrer 2-jährigen Tochter Lilyen und ihrem 1-jährigen Sohn Jamie).
DIE STELLUNG DES MENSCHEN
Die Frage, ob der Mensch vom Hund als Teil des Rudels angesehen wird oder nicht, wird in der Kynologie ebenfalls immer wieder diskutiert. Sicherlich ist der Mensch kein Hund, als was uns der Hund sieht, wird aber niemand eindeutig nachweisen können. Festhalten kann man aber, dass der Hund ein Lebewesen ist, das bestrebt ist, in einer möglichst stabilen Gruppensituation zu leben, welche sich durch die Ausbildung von Hierarchien kennzeichnet. Hierarchien werden dabei durch soziale Strukturen aufgestellt und durch einfache Regeln eingehalten. Daher müssen auch im Zusammenleben Mensch – Hund solche Strukturen aufgestellt und eingehalten werden. Welche dies sind, hängt jedoch immer von der individuellen Situation sowie den individuell betroffenen Persönlichkeiten aller Rudelmitglieder ab. Nur so kann ein harmonisches Zusammenleben aller erreicht werden – ob man die Mensch-Hund-Gemeinschaft nun als Familie, Gruppe oder Rudel bezeichnet, spielt dabei im Grunde genommen keine...