1.3 Entwurfsvarianten für das Haupttragwerk
1.3.1 Vorbemerkungen
Der Entwurf des Haupttragwerks richtet sich – wie bereits im vorigen Abschnitt diskutiert – nach den objektspezifischen Anforderungen und Randbedingungen. Dabei ist der Entwurf des Tragsystems in Längsrichtung eng an die Wahl des Querschnittes gekoppelt.
In den folgenden Abschnitten werden die wichtigsten Haupttragsysteme (vgl. Übersicht in Tabelle 1.2) bzgl. ihrer Tragwirkung, des hauptsächlichen Einsatzbereiches sowie der Querschnittsausbildung beschrieben und typische Beispiele angeführt.
1.3.2 Balkenbrücken – Vollwandträger
1.3.2.1 Tragwirkung, Anwendungsbereiche
Vollwandige Balkenbrücken sind sehr häufig. Der Balken kombiniert Druck und Zug in einem Bauteil und diese Kräfte werden größtenteils in den Gurten aufgenommen. Die schubfeste Verbindung der beiden Gurte erfolgt durch die vollwandigen Stege.
Der Entwurf einer klassischen Balkenbrücke als Einfeld- oder Durchlaufträger ist dadurch gekennzeichnet, dass der Überbau auf den Unterbauten frei drehbar gelagert ist und sich in Längsrichtung, z. B. infolge Temperaturbeanspruchung, frei verformen kann. Bei längeren Brücken wäre es zum Erreichen einer gleichmäßigen Temperaturdehnung nach beiden Seiten am besten, den horizontalen Festpunkt in die Brückenmitte zu legen, was aber aufgrund der dort oft höheren (und somit weniger steifen) Pfeiler wiederum nachteilig ist.
Zunächst sind die möglichen Stützenstellungen und die daraus abgeleiteten Stützweiten des Überbaus festzulegen. Randfelder sollten aus statischen sowie gestalterischen Gründen eine etwas kleinere Stützweite als die Innenfelder aufweisen. Das aus statischen Überlegungen optimale Stützweitenverhältnis beispielsweise eines Dreifeldträgers beträgt 1,0 : 1,35 : 1,0 – dann sind die Feld- und Stützmomente für Gleichlast näherungsweise ausgewogen. Bei einem Verhältnis von Rand- zu Innenfeld kleiner 1 : 2 würden unter Gleichlast abhebende Kräfte am Endauflager auftreten, was möglichst zu vermeiden ist.
Die Schlankheit des Überbaus, auch abgestimmt auf die Schlankheit der Unterbauten, ist ein wichtiges Kriterium. Die häufig vorkommenden parallelgurtigen Durchlaufträger sollten, wenn sie relativ flach über dem Gelände verlaufen, mit einer Schlankheit von ca. L/20 (Stahlbrücken noch etwas schlanker) entworfen werden. Die Schlankheit des Überbaus ist auf die Schlankheit der Pfeiler abzustimmen (Bild 1.52). Für Überbauten über tieferen Tälern, d. h. mit einer größeren Höhe über Gelände, ist eine etwas geringere Schlankheit nicht ganz so entscheidend für die Ästhetik des Bauwerks.
Bild 1.52 Balkenbrücke als Durchlaufträger über 3 Felder, oben mit ausgewogener Schlankheit, unten mit unausgewogener Schlankheit (plumper Überbau auf zu dünnen Pfeilern), nach [280]
Überbauten als Durchlaufträger können zur Überbrückung größerer Stützweiten mit veränderlicher Bauhöhe durch Anordnung von Vouten über den Innenstützen ausgebildet werden. Aus der höheren Steifigkeit an den Stützen resultiert eine Verschiebung der Momentennullpunkte in die Felder, und die Beanspruchungen in den Feldbereichen reduzieren sich entsprechend. Ausgeprägte Vouten sind beispielsweise sinnvoll für einen Dreifeldträger mit einem großen mittleren Stromfeld, welches dann deutlich schlanker als mit der vorgenannten Schlankheit L/20 ausgebildet werden kann (wenn man L als die Stützweite definiert). Eine optimale Querschnittsausnutzung bei gevouteten Trägern ist dann gegeben, wenn die Steghöhe dem Momentenverlauf folgt, d. h. die Voutung gleichmäßig erfolgt.
Nach der Art des verwendeten Baustoffes werden vor allem Massivbrücken (Stahlbeton- oder Spannbetonbauwerke), Stahlbrücken und Stahlverbundbrücken unterschieden. Der sinnvolle Stützweitenbereich für Straßenbrücken beträgt als Einfeldträger in Massivbauweise bis ca. 30 m, in Stahlverbundbauweise bis ca. 45 m und in (Ganz-)Stahlbauweise aufgrund des deutlich geringeren Eigengewichts bis ca. 60 m. Im Straßenbrückenbau sind bei mehreren Feldern möglichst keine Einfeldträgerketten zu verwenden und Durchlaufträger zu entwerfen – begründet mit den wegen der Dauerhaftigkeit zu vermeidenden vertikalen Fugen im Überbau.
Für Straßenbrücken als Durchlaufträger mit konstanter Bauhöhe gelten vorgenannte Längen dann näherungsweise für die Abstände der Momentennullpunkte, womit sich für Innenfelder von Massivbrücken sinnvolle Stützweiten bis ca. 70 bis 80 m und in Stahl- bzw. Stahlverbundbauweise ca. 100 m (oder auch noch etwas darüber) ergeben. Gleichmäßige Stützweiten mehrfeldriger Durchlaufträger in Massivbauweise haben weiterhin den Vorteil der wirtschaftlichen Herstellungstechnologie, da die Schalungen abschnittsweise verschoben und gleichermaßen wieder eingesetzt werden können. Massivbrücken werden ab ca. L = 10 bis 15 m vorgespannt.
Für Eisenbahnbrücken liegen die maximalen Stützweiten aufgrund der höheren Verkehrslasten und strengeren Durchbiegungsbegrenzungen etwas unter den vorgenannten Werten für Straßenbrücken. Im Eisenbahnbrückenbau kommen Einfeldträgerketten durchaus zum Einsatz, u. a. begründet mit den dann geringeren Schienenspannungen bei durchgehend geschweißtem Gleis. Die vertikalen Fugen sind bei Eisenbahnbrücken aufgrund der hier nicht vorhandenen Tausalzbeanspruchung nicht so relevant.
Stahlverbundbrücken haben im Straßenbrückenbau in den letzten Jahren wieder stark an Bedeutung gewonnen und sich für größere Stützweiten aufgrund des gegenüber Massivbrücken deutlich geringeren Eigengewichts häufig durchgesetzt. Bei größeren Stützweiten von L ≥ 120 m können Doppelverbundquerschnitte in den Innenstützbereichen eine zweckmäßige Lösung darstellen. Dabei wird eine zweite Betonplatte in der Ebene des Untergurtes zur besseren Aufnahme der Druckkräfte in den Stützbereichen angeordnet. Erfahrungswerte für die erforderliche Stahltonnage von Stahlverbundbrücken sind im Abschnitt 4.1 angegeben.
Im Eisenbahnbrückenbau werden Verbundquerschnitte bisher nur punktuell eingesetzt, was mit der historischen Entwicklung und den Erfahrungswerten für die bisher bewährten Bauweisen zu erklären ist. Eine Ausnahme bilden die sogenannten WIB-Brücken (Walzträger in Beton) für Stützweiten bis ca. 25 (28) m.
Wie bereits beschrieben, hat man bei Fußgängerbrücken deutlich mehr gestalterische Freiheiten als bei Straßen- und Eisenbahnbrücken. Die Tragsysteme von Fußgängerbrücken können deshalb auch nicht zwangsläufig den typischen Stützweitenbereichen zugeordnet werden – beispielsweise gibt es Schrägseilbrücken mit einer Spannweite von nur 50 m.
1.3.2.2 Querschnittsausbildung
Grundsätzliches
Die Querschnittsausbildung des Überbaus beeinflusst den Entwurf der Brückenkonstruktion sehr wesentlich. Sie ist vor allem abhängig von der erforderlichen Brückenbreite, der möglichen Höhenlage der Fahrbahn und der ggf. notwendigen Torsionssteifigkeit des Querschnittes.
Die erforderliche Brückenbreite ist abhängig von der Nutzung, d. h.
– bei Straßenbrücken von der Anzahl der Fahrspuren,
– bei Eisenbahnbrücken von der Anzahl der überführten Gleise,
– bei Fußgänger- oder Radwegbrücken von der geschätzten Fußgänger- bzw. Radfahreranzahl
und bestimmt damit die Querschnittsbreite sowie ggf. die Anzahl der Hauptträger. Bei großen erforderlichen Brückenbreiten, wie sie häufig bei Straßenbrücken vorkommen, können in Querrichtung mehrteilige Überbauten vorgesehen werden.
Nach der Höhenlage der Fahrbahn kann man Deck- und Trogquerschnitte unterscheiden. Mit Trogquerschnitten kann zwar eine sehr geringe Bauhöhe erreicht werden, diese Querschnitte kommen aber bei Vollwandträgerbrücken normalerweise nur für Eisenbahnbrücken mit kleinerer Stützweite bis maximal ca. 25 m infrage (da der Brückennutzer sonst nur die Stegwände sieht).
Die in Tabelle 1.13 angegebenen Schlankheiten für vollwandige Hauptträger sind Erfahrungswerte und damit ein erster Anhaltswert für eine sinnvolle Konstruktionshöhe. Die unteren Schlankheitswerte gelten eher für einfeldrige, die oberen eher für durchlaufende Träger. Die Schlankheit ist vor allem abhängig:
– vom verwendeten Baustoff...