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Zündvorgänge
2.1 Elektrische Zündquellen
Helmut Krämer †, Martin Glor
2.1.1 Einführung
Elektrische Zündquellen spielen in der Praxis des Explosionsschutzes eine wichtige Rolle. Sie können durch Kurzschluß oder Erdschluß in fehlerhaften elektrischen Geräten, durch Streuströme in Anlagen in der Nähe großer Verbraucher oder in durch kathodischen Korrosionsschutz geschützten Anlagen sowie durch den unbeabsichtigten Empfang von Hochfrequenzstrahlung in empfangsfähigen Gebilden entstehen.
Physikalisch gesehen, stellen die genannten Zündquellen elektrische Gasentladungen dar, die je nach Entstehungsbedingungen in unterschiedlichen Formen auftreten. Je nach Art der Entladung ist ihre Zündfähigkeit gegenüber den explosionsfähigen Gemischen unterschiedlich zu bewerten. Gegenstand dieses Kapitels ist es, ausgehend von den physikalisch-chemischen Grundlagen, praktische Kriterien für die Bewertung der Zündgefahren durch elektrische Zündquellen abzuleiten. Dabei ist es das besondere Anliegen, zu einem physikalischen Grundverständnis dieses Sachgebiets beizutragen, ohne auf die in vielfältigen Normen und Regeln festgelegten technischen Einzelheiten näher einzugehen. Durch elektrische Stromwärme entstehende heiße Oberflächen werden hier nicht behandelt, da sich diese im Prinzip von den auf andere Weise erzeugten heißen Oberflächen nicht unterscheiden.
2.1.2 Entzündungsvorgang in explosionsfähiger Atmosphäre
Gasentladungen treten je nach ihren Entstehungsbedingungen in unterschiedlichen Formen auf. Als Zündquellen sind vor allem Gasentladungen unter atmosphärischem Druck von Interesse. Für den Entzündungsvorgang sollen beispielhaft Funkenentladungen, die im angenähert homogenen elektrischen Feld zwischen gleich großen, auf unterschiedlichem elektrischen Potential liegenden metallenen Elektroden bei elektrischem Felddurchbruch entstehen, betrachtet werden. Derartige Funkenentladungen sind dadurch charakterisiert, daß sich zwischen den Elektroden ein Funkenkanal, d. h. ein leitfähiger Plasmaschlauch, ausbildet, der zur nahezu vollständigen Entladung der kapazitiv im Entladestromkreis gespeicherten elektrischen Energie führt.
Zum Verständnis des Entladungsprozesses seien die grundlegenden Vorgänge kurz skizziert (zur ausführlichen Darstellung s. Literatur [1,2, 3]). Ist im homogenen Feld die elektrische Feldstärke genügend groß, so daß ein freies Elektron bei der Beschleunigung auf der mittleren freien Weglänge des Gases eine Energie gewinnt, die die Ionisierungsenergie des Gases übersteigt, so vermag es durch Stoß ein Gasmolekül zu ionisieren, wobei ein weiteres freies Elektron entsteht. Entlang des Wegs des Elektrons zur Anode wächst auf diese Weise die Zahl der freien Elektronen durch Stoßionisation exponentiell an, und es entsteht eine nach Townsend benannte Elektronenlawine. Dabei kann schon ein einzelnes Ausgangselektron eine Elektronenlawine von mehr als 108 Elektronen erzeugen.
Aufgrund der hohen Geschwindigkeit der Elektronenwolke gegenüber der zurückbleibenden – praktisch als stationär anzusehenden – Gasionenwolke kommt es sehr schnell zur Trennung der Ladungsschwerpunkte von Elektronen- und Gasionenwolke mit der Folge einer starken raumladungsbedingten Versteilerung des elektrischen Felds vor dem Kopf der Elektronenlawine. Diese Feldüberhöhung führt zu einer sich selbst verstärkenden Ionisation und läßt sehr schnell einen Plasmakanal aus der Elektronenlawine zur Anode hin herauswachsen. Gleichzeitig bildet sich – hervorgerufen durch die starke gasionisierende Wirkung der aus dem inzwischen hochionisierten Lawinenkopf austretenden Photonenstrahlung – ein zur Kathode gerichteter Plasmakanal aus, der zusammen mit dem anodengerichteten Kanal einen durchgehenden leitfähigen Funkenkanal zwischen den Elektroden bildet. Die Ausbildung des Funkenkanals ist in weniger als 10-8 s abgeschlossen.
Abb. 2.1-1. Plasmaparameter im Funkenplasma einer Durchbruchentladung in Luft (Ee1 dissipierte elektrische Energie, p Druck im Plasma, d Durchmesser des Plasmakanals, Te Temperatur der Elektronen, Tg Temperatur der Gasionen, ne Elektronenzahldichte).
Die weitere Entwicklung des Funkenplasmas läßt sich mit kurzzeitspektroskopischen Methoden verfolgen [4], Abb. 2.1-1 zeigt den zeitlichen Verlauf der Plasmaparameter im Funkenplasma einer Durchbruchentladung. Die Durchbruchphase wurde mittels einer Kabelentladung mit einem definierten Strompuls von ca. 10 ns Dauer erzeugt. Folgende Befunde sind bemerkenswert: Durch die Stoßionisation im elektrischen Feld erhalten die entstehenden freien Elektronen sehr hohe Geschwindigkeiten, was einer sehr hohen Temperatur Te des Elektronengases entspricht, während die Gasionen auf einer niedrigeren Temperatur Tg verbleiben. Die unterschiedlichen Temperaturen im Plasma werden aber durch Stöße sehr schnell innerhalb von weniger als 20 ns ausgeglichen. Man spricht dann von der Thermalisierung des Plasmas.
Der hohe Plasmadruck führt zur raschen radialen Ausdehnung des Plasmakanals, wobei sich eine Stoßwelle ausbildet, solange die Ausdehnung mit Überschallgeschwindigkeit erfolgt. Die Temperaturabnahme ist weit geringer als man aufgrund der starken Druckabnahme erwarten sollte. Dies ist darauf zurückzuführen, daß die dem Plasma zugeführte elektrische Energie trotz seiner anfänglich hohen Temperatur (ca. 60.000 K) nur zu einem kleinen Teil als thermische Energie und zum überwiegenden Teil in potentieller Form (Dissoziation, Ionisation, Anregung) im Plasma gespeichert wird. Diese Energie wird erst langsam durch Rekombination und Abregung in thermische Energie umgewandelt, so daß dadurch die Abkühlung des expandierenden Plasmas verzögert wird. Erst nach etwa 10–5 s ist die potentielle Energie nahezu vollständig in thermische Energie umgewandelt. Zu diesem Zeitpunkt ist die Temperatur des Plasmas durch Expansion bereits auf einige 1000 K abgesunken, so daß man nicht mehr von einem Plasma sondern von einem heißen Gaskem spricht.
Im explosionsfähigen Gemisch findet natürlich im Funkenplasma oder heißen Gaskem bereits eine – als unselbständig zu bezeichnende – Verbrennung des Brennstoffs statt. Von einer Entzündung des umgebenden brennbaren Gemischs kann jedoch erst dann gesprochen werden, wenn die Verbrennung in eine selbständige Verbrennung, d. h. in eine im Gemisch sich selbständig ausbreitende Flamme, übergeht.
Im Stadium der entstehenden Flamme ist – ausgehend von einer als punktförmig anzunehmenden Zündquelle – der kugelsymmetrische Ausbreitungsvorgang der Flamme ein stark divergenter Prozeß. Dies bedeutet, daß wegen des ungünstigen Oberflächen-Volumen-Verhältnisses beim Fortschreiten der Flamme dem Gewinn an thermischer Energie durch chemische Umsetzung vergleichsweise hohe Verluste an das umgebende unverbrannte Gas (z. B. durch Wärmeleitung) gegenüberstehen. Diese Verluste können dazu führen, daß die entstehende Flamme wieder verlöscht. Der Funken muß daher der entstehenden Flamme eine ausreichende Energie (Mindestzündenergie, s. Abschn. 2.1.3) bereitstellen, damit die Flamme dieses schwierige Anfangsstadium überwindet und in eine sich selbst tragende Flamme übergeht.
Der Entzündungsvorgang läßt sich anhand blitz-schlieren-optischer Aufnahmen verfolgen. In Abb. 2.1-2 ist die zeitliche Entwicklung des heißen Gaskerns und der Übergang in eine selbständige Flammenausbreitung in einem mageren Methan-Luft-Gemisch [5] dargestellt. In einem nicht so zündwilligen abgemagerten Gemisch ist der heiße Gaskern größer und seine Ausdehnung langsamer als im zündwilligsten Gemisch und daher der Beobachtung leichter zugänglich. Zudem ist der heiße Gaskern bereits so entwickelt, daß er angenähert Kugelform angenommen hat. Die Energie des Funkens wurde so gewählt, daß die Entzündung mit etwa 50% Wahrscheinlichkeit erfolgt. Auf diese Weise lassen sich der Grenzfall der Entzündung und zugleich der der Nichtentzündung unter gleichen Bedingungen beobachten. Man entnimmt der Darstellung, daß sich der heiße Gaskem zunächst in gleicher Weise entwickelt, unabhängig davon, ob es zur Entzündung oder zur Auslöschung kommt. Erst nach einer bestimmten, für das jeweilige Gemisch charakteristischen Zeit, der Zündinduktionszeit (im Beispiel ca. 1 ms), entscheidet sich, ob die bis dahin unselbständige Verbrennung im heißen Gaskem in eine sich selbst tragende Flammenausbreitung im Gemisch übergeht (Entzündung) oder ob dies nicht geschieht und der Gaskem nach Dissipation seines Energieinhalts an die Umgebung in sich zusammenfällt (Auslöschung).
Abb. 2.1-2. Radien von Stoßwelle und heißem Gaskern in der Anfangsphase der Entzündung eines mageren Methan-Luft-Gemischs unter 2 bar Druck als Funktion der Zeit (Cu-Elektroden,...