Vorwort
Der Ausbau von »Lehren und Trainieren in der Weiterbildung« zum Handbuch erfolgte nach sorgfältiger Überlegung: Das in zehn Jahren in acht Auflagen erschienene Buch wurde komplett überarbeitet und erweitert. An der grundsätzlichen Situation der beruflichen und betrieblichen Weiterbildung – dieses wichtigen Sektors der Personalentwicklung – hat sich wenig geändert. Aber: Unter dem Einfluss neuer technischer Möglichkeiten sind neue, die Lerner und deren Lernen noch zusätzlich belastende, eher negative didaktische Momente aufgekommen. War es früher der Aspekt der »Folienschleuderei«, der schlechthin als Kennzeichen einer »Didaktik von oben« gelten konnte, so ist dies heute die Marotte der PowerPoint-Präsentationen, die jeden vernünftigen Lehr-Lern-Zusammenhang bedroht. Heute »klickt« man sich einfach durch schwierige fachliche Zusammenhänge ohne Rücksicht darauf, ob denn die daraus sich ergebende psychomentale Belastung überhaupt zu so etwas wie einer lernenden Verarbeitung führen kann. Lehren verkommt hier zweifellos zu einer »Pädagogik der technisch von oben vorgegebenen Mitteilung« mit allen unerwünschten Konsequenzen für das Berufsverständnis und Berufsverhalten der Trainer und Dozenten sowie das Lernen, die Lerneinstellungen und die Handlungsbereitschaft der Teilnehmer.
Gegen derartige Tendenzen einer rücksichtslosen »Didaktik der Stoffhuberei« lehnt sich das vorliegende Handbuch auf. Es plädiert für einen Lehransatz »von unten« und rückt daher das Lernen und den Teilnehmer konsequent in den Mittelpunkt. Gefragt ist nämlich heute weniger, wie man einen bestimmten, fachlich zu generierenden »Stoffzusammenhang« in eine PowerPoint-Präsentation zu übersetzen hat, als vielmehr die Frage, welche lebendigen Begegnungen und Auseinandersetzungen mit spezifischen didaktischen Mitteln möglich sind, sodass unter Teilnehmern interessante Kommunikationen in Gang kommen und so etwas wie personenbezogene »Betroffenheit« entstehen kann, welche erst die Voraussetzung für die in berufsbezogenen Kontexten so notwendige Denk- und Handlungsbereitschaft schafft.
Denn erst dieses »Es geht mich etwas an« schafft dafür die einzig mögliche Voraussetzung seitens der Teilnehmer. Was nützen Mitteilungen, wenn sie nicht zu verantwortlichem Denken und Tun führen werden. Gesamtunternehmerisches Denken und Handeln heute zu Recht und mehr denn je in betrieblichen Handlungszusammenhängen eingefordert. Wie aber soll das entstehen und sich entwickeln können, wenn den Teilnehmern in den dafür vorgesehenen Qualifizierungsmaßnahmen ein für sie unentwirrbares und unverdauliches Knäuel von Informationen elegant – weil technisch perfekt vermittelt – serviert wird? Gar nicht zu reden von der eher abschreckenden und abweisenden Wirkung solchen Vorgehens, wo doch die Teilnehmer für den jeweiligen Zusammenhang angeblich gewonnen werden sollen.
Nein, so geht es nicht – so funktioniert das nicht! – Ein anderes Lernen ist gefragt. Eines, bei dem lebendige Menschen sich mit Kopf, Herz und Hand in sachrelevanten Begegnungen mit interessanten Fragen weitgehend selbstbestimmt auseinandersetzen können. Voraussetzungen dafür schaffen Trainer und Dozenten, die ein dem wissenschaftlichen Stand entsprechendes Lernverständnis aufgebaut haben, die darüber hinaus die »lebenswichtige« Technik der Stoffreduktion beherrschen und die schließlich über ein wenigstens minimales didaktisches Repertoire verfügen. Dazu möchte das vorliegende Handbuch seinen eigenen Beitrag leisten.
Das seminaristische Lernen innerhalb wie außerhalb betrieblicher Zusammenhänge, das in diesem Buch im Vordergrund steht, hat zu Recht Konkurrenz bekommen, weil die Enttäuschung über die geringen Effekte üblicherweise »von oben« ausgerichteter Seminare mit Mitteilungscharakter zu schwerwiegend und die Budgets vieler Betriebe umgekehrt immer kleiner geworden sind. Den Luxus folgenloser Veranstaltungen unprofessioneller Weiterbildung wollte und konnte man sich verständlicherweise einfach nicht länger leisten. So haben sich etwa die folgenden Lernformen in den letzten Jahren logischerweise und mit teilweisem Erfolg einen gewissen Platz in der betrieblichen Weiterbildung erobern können:
Verschiedene Formen arbeitsplatznahen Lernens.
Praxiszentriertes Lernen auf Coachingbasis.
Projektbezogenes Lernen im betrieblichen Arbeitszusammenhang.
Lernen in Prozessen von Qualitätsarbeit (»Qualitätszirkel«).
IT-basiertes Lernen im Selbstmanagement (Lernprogramme).
Lernen in Prozessen von »Open-Space-Prozeduren« (zum Beispiel Informationsmarkt-Methoden).
Verschiedene Formen des IT-basierten »Distant Learning«.
Lernen in verschiedenen Kontexten des sogenannten »Blended Learning« (Veranstaltungskombinationen von präsenz- und mediengestützem Lernen).
Das vorliegende Handbuch behandelt die immer noch am weitesten verbreitete Form der beruflichen Weiterbildung – nämlich das Lernen in seminaristischer Form, bei der die unterrichtliche Vorgehensweise die bei Teilnehmern bei Weitem beliebteste ist. Denn die meisten Teilnehmer haben Schwierigkeiten damit, zum Beispiel in »Einsamkeit und Freiheit« – auf sich allein gestellt – zu lernen. Der soziale Kontakt zu anderen, die motivierende Funktion der Lerngruppe, das (hoffentlich) vorbildlich wirkende Beispiel eines überzeugenden Dozenten, der sich als kompetenter Lernpartner in den Lernprozess einzubringen in der Lage ist – das und noch vieles andere bewirken, dass die meisten Lerner zum Beispiel mit dem Web-gestützten Lernen am Computer so ihre Schwierigkeiten haben. Sie wünschen sich lebendige Menschen um sich, bei denen man nachfragen, mit denen man lachen und diskutieren, gemeinsam frühstücken, Wein trinken und Erfahrungsaustausch betreiben kann.
Als Sozialwesen liebt der Mensch nun einmal die Geselligkeit – gerade auch bei einem so schwierigen Geschäft wie dem des berufsrelevanten Lernens. Gute seminaristische Lernprozesse mit einem motivierenden Sozialklima, mit reduzierter Stoffvermittlung, mit hinreichender Fall- und Aufgabenorientierung, mit viel Praxisbezug, mit reichlicher Gelegenheit zur eigenen Beteiligung, mit guter Verständlichkeit und viel, viel Spaß und Freude mit den anderen Teilnehmern – also mit zahlreichen Kommunikations- und Interaktionskontakten –, das stellt für die meisten Teilnehmer weiterhin ein unschlagbares Lernangebot dar. Unternehmen, die diese Lernform zugunsten der oben aufgeführten Alternativen im Begriffe sind, aus grundsätzlichen Erwägungen generell abzuschaffen, machen hier ohne Zweifel einen schweren Fehler. Viele Häuser rudern hier inzwischen auch schon wieder zurück, weil sie mit dem Unwillen ihrer Mitarbeiter über diese Reduzierung konfrontiert sind. Offensichtlich ist es doch besser, die Seminare professioneller zu machen, als sie etwa rigoros ganz abzuschaffen.
Dieser Gedanke wird auch gestützt durch die Lern(ziel)forschung: Sofern sowohl kognitive wie sozial-emotionale – also gefühlsmäßig bedeutende – als auch handlungsbezogene Lernziele verfolgt werden, braucht das Lernen nämlich einen starken Personenbezug mit viel Kommunikation und Interaktion.
Die meisten berufsrelevanten Lernerfordernisse erfüllen aber dieses Kriterium schon deshalb, weil eigentlich immer Werte wie beispielsweise »Verantwortung«, »Qualität« und »gesamtunternehmerisches Denken« mitgedacht, mitgelehrt und mitgelernt werden sollen – ganz gleichgültig, welche fachlichen Zusammenhänge jeweils aufgeworfen werden. Insofern setzen professionell ausgestaltete Seminare als Grundform betrieblichen Lernens der Weiterbildung nach wie vor – und auch weiterhin – alle Kriterien, die man an eine seriöse Lernform stellen muss.
Da Weiterbildung auch in Zukunft nicht nur das fachliche und überfachliche Wissen der Teilnehmer erweitern und ausbauen helfen, sondern vielmehr auch deren Einstellungen, Wertbezüge, Haltungen, Handlungsbereitschaften und Handlungskompetenzen verändern und erweitern soll, verknüpft sich in vielen Fällen die Unterrichtspraxis des Seminars mit handlungs- und praxisbezogenem Training. Gerade dies ist heute ein Kennzeichen moderner seminaristischer Lehrarbeit – und genau aus diesem Grunde auch wird im vorliegenden Werk das Training als grundständige Lehraufgabe im Zusammenhang mit Unterricht gesehen und behandelt.
Der Grundgedanke des vorliegenden Handbuches aber lässt sich als »Bild« des professionellen Dozenten und Trainers verdeutlichen: Wir stellen ihn uns heute nämlich als Dienstleister vor, der seine Tätigkeit nach didaktischen Gütekriterien primär als »Lehrer« ausrichtet und ausgestaltet. Diese aber ist nur vollgültig zu erbringen, sofern von dem Gedanken Abstand genommen wird, der Dozent oder Trainer habe in erster Linie ein Fachmann/eine Fachfrau – ein Spezialist eben – für ein bestimmtes Sachgebiet zu sein.
Das vorliegende Buch hält dagegen, dass Dozenten und Trainer in erster Linie Lernmanager, Lernberater und Lehrende zu sein haben. Sie sind demnach also primär Organisatoren für teilnehmerzentrierte Lernprozesse und erst in zweiter Linie betriebliche Superexperten. Experte zu sein ist eines – ein guter Lehrer zu sein ist ein ganz anderes. Das Problem der Experten sind nämlich die Stoffreduktion und die Empathie mit dem lernenden Teilnehmer. Die ständige Gefahr ist bei ihnen, dass die »zwanzigste« Einzelheit und das »fünfundzwanzigste« Detail wichtiger werden als die Frage, was vernünftigerweise erst einmal ausgeklammert werden kann, damit ein lernender Teilnehmer die Problemstellung aufnehmen und verarbeiten kann.
Damit sind solide Fachkenntnisse nicht etwa unwichtig. Aber sie sind auch nicht...