Baustein 2 Systemische Fragen I (Lösungsorientierte Fragen)
Thilo Leipoldt
2.1 Lernziele
- Mit lösungsorientierten Fragen Problemtrancen auflösen.
- Mit lösungsfokussierten Fragen attraktive Zielzustände beschreiben lassen.
- Mit ressourcenorientierten Fragen Fähigkeiten zur Problemlösung aktivieren.
- Lösungsfokussierte Skalierungsfragen üben.
- Fragen, die Umsetzung vorbereiten und begünstigen.
2.2 Einführung
„Systemisches Denken ist ziel-, nicht ursachen- und vergangenheitsorientiert“9
Lösung statt Probleme
Aus systemischer Sicht gibt es kein richtig oder falsch, sondern nur ein „passend“, bezogen auf das jeweilige System, auf die Situation, die Kultur, auf die von außen gestellten Forderungen oder „nicht passend“. Daher liegt der Fokus von systemischer Arbeit auf der Kompetenzerweiterung und Entfaltung des Coachee. Dies steht im Gegensatz zum „klassischen“ Beratungsprinzip, welches das „Beseitigen“ oder „Reparieren“ von Problemen und Defiziten des Coachees oder die Identifikation des Schuldigen in den Mittelpunkt setzt. Die analytische Rückblende wird durch einen zuversichtlich stimmenden Blick in die Zukunft ersetzt.10
Dies basiert auf den Erfahrungen, dass durch ausführliche Problemdiagnosen, Probleme vom Coachee oft stabilisiert statt gelöst werden. Hierzu hat Gunthard Weber treffend gesagt, dass zu wissen, wie man den Wagen in den Dreck gefahren hat, noch lange nicht bedeutet, auch zu wissen, wie man ihn wieder raus bekommt.11
Steve de Shazer, der Begründer des lösungsorientierten Ansatzes, geht sogar noch weiter und meint, dass die Lösung nie etwas mit dem Problem zu tun hat. Er fordert vom Berater, auf ausführliche Analysen von Problemen zu verzichten und sich stattdessen auf mögliche Lösungen zu konzentrieren.12
Fragen, die die Vergangenheit betreffen, gehören auch zur lösungsorientierten Beratung, jedoch dienen sie nicht dazu, nach Ursachen und Problemen zu forschen, sondern dazu, erfolgreiche Muster, Fähigkeiten und Stärken – die persönlichen Ressourcen des Coachees – zu identifizieren, welche in „zukünftigen Verhalten Berücksichtigung finden sollten.“13
Problem talk creates problems.
Solution talk creates solutions.
Im lösungsorientierten Coaching entscheiden wir uns bewusst dafür, die Problemlösungskompetenz des Coachees zu stärken14, d.h. wir wollen Fragen stellen, die den Coachee dazu leiten, selbst die Lösung für sein Problem herauszukristallisieren.
2.3 Begriffserläuterung und theoretischer Ursprung
Lösungs- und ressourcenorientierte Fragen
Probleme und Krisen gehören zum Leben. Sie sind Impulse für Entwicklung und persönliches Wachstum. Meist liegt der Schlüssel zur Überwindung dieser Krisen oder Probleme beim Coachee selbst. Er weiß nur nicht wo. In der lösungs- und ressourcenorientierten Beratung machen sich Berater und Coachee gemeinsam auf die Suche.
Der lösungsorientierte Ansatz fokussiert auf die Erarbeitung einer maßgeschneiderten Lösung. Es gilt eine Verknüpfung zwischen dem Weg und dem zu erreichenden Ziel herzustellen. Lösungsorientierte Fragen sind somit Fragen, die den Coachee zu anderen Denkweisen, neuen Handlungsalternativen und zielorientierten Verhaltensmustern führen.
Gleichzeitig steht ressourcenorientiertes Arbeiten im Mittelpunkt, welches auf die Bereiche fokussiert, in denen der Coachee bereits erfolgreich ist, oder auf Situationen, in denen der Coachee bereits erfolgreich war. Es wird also gezielt nach sogenannten Ausnahmen vom Problemzustand gesucht. Dadurch werden Fähigkeiten, Stärken und Potentiale für die Lösung des anstehenden Problems nutzbar gemacht und somit Wege aus der Krise sichtbar.
Der lösungsorientierte Ansatz kombiniert mit Ressourcenorientierung hat zum Ziel, möglichst effizient und effektiv zu einer Problemlösung zu kommen.
Theoretischer Ursprung
Der lösungsorientierte Ansatz basiert auf dem systemischen Kurzzeittherapie-Modell von de Shazer15: Lösungsorientiert bezieht sich hierbei darauf, dass Ziele von Anfang an klar definiert sind. Kurztherapie steht dagegen für den Fokus, sich nicht in der Tiefe mit den vorliegenden Problemen, Konflikten, Störungen usw. zu beschäftigen, sondern sich möglichst rasch auf die beim Coachee „vorhandenen Kompetenzen und Ressourcen zu fokussieren und alle Möglichkeiten zur aktiven Nutzung auszuschöpfen“16.
De Shazer beobachtete in seiner Arbeit, dass die Problemlösungen sich weit mehr gleichen als die Probleme, die zu lösen sind.
Eine von Shazer verwendete Metapher veranschaulicht diesen Gedanken: „Mit einem relativ kleinen Bund von Dietrichen lässt sich ein weiter Bereich von Schlössern öffnen.“17 Daher ist es entscheidend, sich auf die Suche nach diesen „therapeutischen Dietrichen“ bzw. universellen Basis-Interventionen zu fokussieren. Das Gemeinsame dieser Dietriche ist dabei die Überzeugung des Beraters, dass eine Problemlösung am schnellsten und sichersten dadurch zu erreichen ist, dass von Anfang an die Orientierung auf die Lösung statt auf das Problem erfolgt. Dafür, dass eine Intervention passt und sie zum Erfolg führt, ist eine detaillierte Problembeschreibung nicht notwendig.18
Dieses Beratungsprinzip wurde aus der Lernphilosophie Milton Ericksons abgeleitet. Erickson vertrat die Ansicht, dass Coachees ein unendliches Reservoir an kreativen Lernstrategien in sich tragen und diese vorhandenen Ressourcen nur mit dem Problemkontext verknüpft werden müssen. Dieses unerschöpfliche kreative Potential des Menschen nannte Erickson unconscious-mind oder schöpferisches Bewusstsein.
Da Menschen nach seiner Meinung in Gewohnheiten verhaftet bleiben und ihr schöpferisches Potential nicht oder zu selten nutzen, verwendete Erickson die Methode der Hypnose, um die Coachees kurzfristig von der Dominanz ihres Gewohnheitsbewusstseins zu befreien. Durch Hypnose wird die Möglichkeit, Neues in alte Denkschemata einzuordnen, außer Kraft gesetzt.19
Zusammenfassend lassen sich einige Grundsätze des lösungsorientierten Ansatzes formulieren:
- Das Reden über Lösungen statt über Probleme (Wie statt Warum).
- Die Unabhängigkeit der Lösung vom Problem.
- Die Suche nach Ausnahmen bei den Problemen als Hinweis auf eine Lösung (ressourcenorientiert).
- Die Bedeutung der Ressourcen für die Lösung.
- Erst die Ziele, dann die Maßnahmen .
- Die positive Kraft des negativen Denkens nutzen.
- Gewinne aus Rückschritten ziehen.
- Fortschritte bemerken.
- Strategie der kleinen Schritte.20
Für eine wirkungsvolle lösungsorientierte Arbeit ist die Haltung in der Beratung entscheidend.
2.4 Charakteristische Methodenelemente der lösungsorientierten Beratung
Problemtrancen auflösen
Der ideale Fall eines Coachings ist, dass ein Coachee ein klar umrissenes Problem vor Augen hat, auf dessen Grundlage gemeinsam mit dem Berater ein Ziel definiert werden kann, dessen Erreichung im eigenen Einflussbereich steht.
Meist kommen Menschen jedoch ins Beratungsgespräch in einer so genannten „Problemtrance“, d.h. sie schildern ihre Sorgen und erwarten, dass ihnen jemand eine Lösung zu ihrem Problem bringt ohne ihr Zutun. Jeder Ratschlag von außen wird abgetan mit einem „Das habe ich schon probiert“ oder „Ja, aber das geht nicht, weil …“. Die große Herausforderung für den Coach ist hierbei, den Coachee immer wieder aus seinen „Tiefen seines Problems“ zu ziehen und in Richtung Ziel „hinaufzuziehen“. Folgende Vorgehensweisen haben sich bewährt:
- Problem würdigen.
- Verständnis für emotionale Belastung zeigen ohne zuzustimmen.
- Positive Erfahrungen mit ähnlichen Situationen in der Vergangenheit herausstellen.
- Unterschiede in der wahrgenommenen Belastung erfragen (über einen Zeitraum/ verglichen zu einer ähnlichen Situation in der Vergangenheit).
- Frage nach dem erwünschten positivem Zukunftsbild.
Wunderfrage
Um den Coachee anzuleiten, ein positives Zukunftsbild zu beschreiben, eignet sich die Wunderfrage. Die Wunderfrage ist ein Methodenelement, das dabei hilft, unklare Wünsche des Coachees zu konkretisieren und sein Ziel zu erfassen:
Beispielformulierung: „Stell dir vor, heute Nacht würde sich ein Wunder ereignen und morgen wäre das Problem nicht mehr da. Was wäre dann alles anders?“
Ressourcenorientierte Frage
Ist gemeinsam mit dem...