„Ich bin dann mal weg!“ Wer mit diesen Worten mitten im kalten österreichischen Winter sein altes Leben stehen und liegen lässt, der muss mit vielen „Ahs“, „Ohs“ und sonstigen Anerkennungsbekundungen seines Gegenübers rechnen. Spätestens, sobald der Zusatz „…und zwar auf Hawaii“ ausgesprochen wurde. Ich muss es wissen, denn ich habe es erlebt.
So fand der Sommer 2011 für mich schon von Januar bis April statt. Drei Monate Sonne, Strand und Meer anstelle von Schneegestöber, eingefrorenen Autoscheiben und Winterklamotten. Drei Monate Hawaii. Aber nicht irgendwo, sondern im Kalani Oceanside Retreat Center, einer Yoga Community auf Big Island, der größten aller hawaiianischen Inseln. Big Island ist übrigens der gängige Spitzname der Hauptinsel Hawaii.
„Da laufen alle nackt herum!“ oder „Wer nicht homosexuell ist, der gehört gar nicht dazu.“ Im Nachhinein bin ich froh, die Referenzen und Bewertungen anderer Bewohner auf Zeit erst in der letzten Sekunde entdeckt zu haben. Hätte ich sie schon früher gesehen, wäre ich vielleicht gar nicht erst nach Hawaii geflogen. Und wäre ich nicht geflogen, hätte ich dort nicht drei Monate verbracht, die mein Leben nachhaltig bereichert haben. Und keine Sorge, es ist nicht so wie die zitierten Referenzen vermuten lassen – zumindest nicht ganz. Aber zurück zum Anfang meiner Reise.
Schuld an allem war, wie so oft, die Liebe: „Du bist noch schöner als auf dem Foto im Internet“, mit diesen Worten begann mein vielversprechender Flirt mit einem US-Amerikaner, der an einem Augusttag 2008 mit seinem sonnigen Gemüt und braun gebrannt vor meiner Wohnungstür stand. Via Couchsurfing war er wie viele andere zuvor und danach auf meinem Sofa gelandet, aber anders als andere hatte er mein Herz im Sturm erobert. Keine drei Tage verbrachten wir zusammen, dann meinte er, seine Reise durch Europa fortsetzen zu müssen, um zwei Tage später wieder vor meiner Tür zu stehen. Kurz darauf kam aber tatsächlich der Abschied – natürlich tränenreich und mit dem Versprechen, uns etwas für eine gemeinsame Zukunft zu überlegen. Ob er das wirklich so gesagt hat, das weiß ich nicht mehr. Aber mich ließ der Gedanke nicht mehr los und ich begann zu überlegen: „Wo kann ich leben und arbeiten, während ich es mit ihm versuche?“ Und, Ihr werdet es Euch bereits denken können: Er lebte auf Big Island, Hawaii!
Auf meiner Suche im Internet entdeckte ich Kalani, eine Community auf Hawaii, die Yoga- und andere Seminare für die umliegenden Orte anbietet und die Räumlichkeiten für Workshops zur Verfügung stellt. Und jetzt kam der interessante Teil für mich: In dieser Community kann man auf Zeit leben und arbeiten. Ob als Zimmermädchen für die Unterkünfte, als Gärtnerin, in der Administration des Seminarbetriebs oder in der Küche – die Gäste der Yoga-Workshops, Tanzkurse oder Selbstfindungsseminare möchten schließlich gut versorgt sein. Darum kümmern sich dort die Bewohner der Community, zahlen je nach Aufenthaltsdauer eine mehr oder weniger geringe Geldsumme und können im Gegenzug auf dem Gelände wohnen, die drei täglichen Mahlzeiten genießen und selbst an so vielen Yoga-Einheiten, Meditationsseminaren, Kursen in Huna – dem hawaiianischen Schamanismus –, oder Hula teilnehmen, wie sie möchten.
Letzteres war auch der Grund, weshalb mir Kalani auch noch lange nach meiner Internetrecherche im Gedächtnis blieb. Auch noch später, als die Liebschaft zwischen dem Amerikaner – der übrigens nach Arizona zog und nie nach Hawaii zurückkehrte – und mir schon längst Geschichte war. Das Bild von einer Gruppe bunt zusammengewürfelter Menschen, von einem üppig grünen Garten, sich in Yoga-Übungen verrenkenden Körpern – all diese Fotos, die ich ja nur aus dem Internet kannte, ließen mich nicht mehr los. Und so war es keine Überraschung, dass Kalani an erster Stelle stand, als ich im Sommer 2010 nach ersten Stationen für meine Weltreise Ausschau hielt.
Ja, es sollte eine Reise um die Welt werden, die ich da ab Januar 2011 geplant hatte. Den Traumjob in Österreich hatte ich zwar erfolgreich herbeigewünscht, stellte aber schließlich fest, dass er doch nicht so großartig war. Mein Beruf als Pressemitarbeiterin in einer NGO war zwar nett, aber nicht so erfüllend, dass ich ihn nicht für eine Reise aufgegeben hätte. Einen Partner hatte ich nicht, meine Eigentumswohnung konnte ich schnell vermieten. Nichts hielt mich – also ideale Voraussetzungen, um mich nach einer mehrmonatigen Reise durch Australien 2005 wieder einmal auf den Weg zu machen und mir diesmal meinen Traum einer Weltumrundung zu erfüllen. Hawaii sollte der Ausgangspunkt sein, ein guter Übergang zwischen meinem strukturierten Karriere-Business-Leben und dem süßen Nichtstun des Reisens: Freiwillig in einer Gemeinschaft arbeiten und von einer Basis aus ein Paradies wie Hawaii erkunden, was hätte besser passen können?
Nach genau diesem Plan liefen auch meine Vorbereitungen ab: Einmal entschieden, ging es an die Bewerbung für die Community – und das war ein ganz schön langer Prozess, der bereits ein halbes Jahr vor der tatsächlichen Reise nach Hawaii begann.
Das liegt nicht daran, dass Kalani es einem so schwer machen würde, aber es gibt nun mal einige Anforderungen, die man erfüllen muss. Ein erstes Skype-Gespräch mit der damaligen Volunteer-Verantwortlichen – ja, die braucht es bei rund 100 Freiwilligen vor Ort – und das Ausfüllen der Bewerbungsunterlagen samt Passfoto waren noch die kleinsten Hindernisse.
Einen Flug zu buchen, war ebenfalls eine der leichteren Übungen. Er kostete mich rund 1.200 Euro und vor allem viele Stunden des Fliegens. Ich reiste via Honolulu, denn Direktflüge auf die einzelnen Inseln gab es damals vom US-Festland aus nicht. Ich buchte, da es günstiger war, gleich Hin- und Rückflug, auch wenn ich nicht die Absicht hatte, nach meinem Aufenthalt auf Hawaii direkt nach Österreich zurückzukehren. Der Plan war schließlich, weiter um die Welt zu ziehen.
Obwohl ich nur drei Monate auf Hawaii bleiben wollte, bildete ich mir ein B1 Visum ein, das mich für die nächsten 10 Jahre zu einem 6-monatigen Aufenthalt in den USA berechtigte. Fragt bitte nicht, warum. Vielleicht, weil ich mich nicht auf die exakt 90 Tage des allgemeinen Visums verlassen wollte? Vielleicht auch, um sicher zu gehen, dass ich dort freiwillig arbeiten durfte? Schließlich war ich ja nicht nur des Urlaubs wegen in den USA. Ich kann es mir bis heute nicht erklären, weshalb ich das aufwendigere Visum beantragte, denn so gern mag ich Behördengänge auch wieder nicht. Trotzdem nahm ich sie auf mich: Nach einer telefonischen Terminvereinbarung ging es auf das Konsulat – und nachdem ich den Beamten dort erfolgreich meine Kontoauszüge unter die Nase gehalten, primär aber bewiesen hatte, dass ich nicht in den USA bleiben wollte, hatte ich das Visum in der Tasche.
Was – außer meiner Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit – dafür notwendig war:
• Ein Antragsformular DS-160 (Österreichische Botschaft), schon vorab online ausgefüllt und die einseitige Bestätigungsseite mit dem Barcode.
• Ein gültiger Reisepass.
• Ein aktuelles Foto – ich nenne es „Meuchelfoto“. Die Fotobestimmungen sind nämlich alles andere als schönheitsförderlich: Kein Schmuck, kein Make-up, die Haare aus dem Gesicht gekämmt – mich erschreckt es jetzt noch, wenn ich mir mein Bild vom Visum anschaue.
• Der Beweis, die Visumbearbeitungsgebühr von 128 Euro bezahlt zu haben.
• Ein adressiertes und frankiertes Rückkuvert, damit mir mein Pass samt Visum zurückgeschickt werden konnte.
• Besonders wichtig: Eine offizielle Einladung von Kalani selbst, die bestätigte, wann und für wie lange ich dort sein würde.
Formulare über Formulare, Dokumente über Dokumente – und es ging noch weiter. Denn die amerikanischen Behörden waren nicht die einzigen, auch Kalani forderte seinen Papierkram-Tribut:
• Leumundszeugnis
• Bestätigung einer Krankenversicherung
• Flugdaten samt der Versicherung eines Rückflugs
• Einen 250 Dollar-Einsatz, der vorab zu entrichten war
Und nachdem ich im Dezember von meiner Wunschstelle in der Gartenarbeit von Kalani in die Küche versetzt wurde, musste ich auch noch einen negativen Tuberkulose-Test vorweisen. Ha, nichts einfacher als das: Man gehe zum Gesundheitsministerium und mache einen Haut-Test, zahle weitere 12 Euro, bekomme ein negatives Resultat (heißt: gut) und ein deutsches Attest. Dass das nicht ins Englische übersetzt werden musste, zeigt wohl, wie „notwendig“ und „ernst“ man die Sache auf Hawaii erachtete.
Das Vermieten meiner Wohnung, das Kündigen meines ohnehin befristeten Jobs in einer Nonprofit-Organisation, das Ausräumen, Ausmisten, Sachen-Loswerden – ich war in den Monaten vorher vor allem auf Flohmärkten und Tauschbörsen unterwegs. Eine wirkliche Herausforderung aber kam ungeplant, wie so oft: Ich hatte mich vor dem Start meiner Weltreise erneut verliebt.
Kurz nachdem ich meinen Flug gebucht und sämtliche „Verträge“ unterzeichnet hatte, war ich offenbar innerlich frei genug, mein Herz zu öffnen. Von geplant kann man in dieser Situation nicht sprechen, wenn man seinem Liebsten schon in der ersten Nacht das Geständnis machen muss:...