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E-Book

Heilung von innen

Die neue Medizin der Selbstheilungskräfte

AutorJo Marchant
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl416 Seiten
ISBN9783644570214
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Wer zu viel Stress hat, ruiniert seinen Körper. Wer positiv denkt, hat gute Chancen, schneller gesund zu werden. Wer an etwas glaubt im Leben, wird seltener krank. Diese und andere Weisheiten waren lange die Domäne esoterischer Ratgeber; Schulmedizin und Naturwissenschaften machten einen weiten Bogen um sie. Inzwischen aber interessieren sich Neurologen, Mediziner, Biologen und Psychologen dafür, und es wird immer deutlicher, dass das meiste davon sich bestätigt. Schon ist beweisbar, dass positives Denken, gute Gefühle und starker Glaube Schmerzen lindern können, Wundheilung beschleunigen, vor Infektionen oder Herzkrankheiten schützen und sogar den Verlauf von AIDS und einigen Krebserkrankungen verlangsamen. Die uns innewohnenden Selbstheilungskräfte können aktiv genutzt werden. Jo Marchant hat die ganze Welt bereist, traditionelle und alternative Mediziner und ihre Patienten besucht und mit Biologen, Psychologen und Neurologen über die neuesten Forschungen gesprochen. Sie nimmt uns mit in eine neue Welt der Medizin, in der darüber geforscht wird, wie Schulmedizin und alternative Medizin zusammenarbeiten können - zum Wohle der Patienten. Auf dem jüngsten Stand der Forschung lotet Jo Marchant das Potenzial unserer Selbstheilungskräfte aus und zeigt, wie wir das neue Wissen für unser eigenes Leben nutzen können.

Jo Marchant ist Wissenschaftsjournalistin und lebt in London. Sie studierte Naturwissenschaften und Medizin und promovierte zum Doktor der medizinischen Mikrobiologie. Drei Jahre lang war sie Redakteurin des renommierten Magazins «Nature», bevor sie sich selbständig machte. Seitdem erscheinen ihre Artikel in Publikationen wie «Wired», «The Guardian» und «The Economist». Gegenwärtig ist sie zudem Fachberaterin für das Magazin «New Scientist ».

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Leseprobe

1 So tun als ob


Warum Nichts wirkt

Bis wenige Monate vor seinem zweiten Geburtstag schien Parker Beck aus Bedford, New Hampshire, ein glücklicher und gesunder kleiner Junge zu sein. Dann begann er, sich aus der Welt zurückzuziehen. Parker hörte auf zu lächeln, zu sprechen oder auf seine Eltern zu reagieren. Er wachte häufig nachts auf, stieß seltsame, hohe Schreie aus und entwickelte Bewegungsstereotype, drehte sich ständig und schlug sich mit den Händen gegen den Kopf. Als seine Eltern Victoria und Gary medizinischen Rat einholten, fiel das Wort, das sie gefürchtet hatten: Ihr Sohn zeigte klassische Symptome von Autismus. Trotz all ihrer Bemühungen, ihrem Sohn die beste Behandlung zukommen zu lassen, verschlechterte sich Parkers Zustand immer weiter. Bis zum April 1996 – Parker war inzwischen drei. Da passierte etwas Erstaunliches.

Wie häufig bei Kindern mit Autismus, hatte Parker auch Magen-Darm-Probleme, darunter chronischen Durchfall. Daher nahm ihn Victoria zu Karoly Horvath mit, einem Darmspezialisten an der University of Maryland. Auf Horvaths Rat hin unterzog sich Parker einer Darmendoskopie, bei der eine Kamera am Ende eines flexiblen Schlauches in den Darmtrakt geschoben wird. Der Test selbst erbrachte keine neuen Erkenntnisse. Aber fast über Nacht begann Parker, sich zu erholen. Seine Darmfunktion verbesserte sich, und er begann, gut zu schlafen. Und er fing wieder an, zu kommunizieren – er lächelte, nahm Augenkontakt auf und brach sein fast völliges Schweigen, benannte Lernkarten und sagte zum ersten Mal seit mehr als einem Jahr «Mama» und Papa».

Das Etikett «Autismus» deckt ein breites Spektrum von Störungen ab, die durch Probleme mit der Sprache und sozialen Interaktionen gekennzeichnet sind; in den Vereinigten Staaten sind rund eine halbe Million Kinder betroffen. Manche Kinder zeigen von Geburt an eine verzögerte Entwicklung, andere, wie Parker, wirken zunächst normal, entwickeln sich jedoch dann zurück. Einige der individuellen Symptome lassen sich medikamentös behandeln. Heilpädagogische und Verhaltenstherapien (für Kinder und Eltern) können sich sehr positiv auswirken. Es gibt jedoch keine effiziente Behandlung oder Heilung. Victoria erschien Parkers plötzliche Verwandlung wie ein Wunder.

Sie brachte das Krankenhaus dazu, ihr die Endoskopieprozedur, der sich Parker unterzogen hatte, in allen Einzelheiten zu schildern, bis zur Dosis des Anästhetikums, das dabei benutzt worden war. Nach einem Ausschlussverfahren kam sie zu der Überzeugung, dass eine Dosis eines Darmhormons namens Sekretin die Symptome ihres Sohnes derart positiv beeinflusst hatte. Dieses Hormon regt die Bauchspeicheldrüse (Pankreas) dazu an, Verdauungssäfte zu produzieren, und es wurde Parker im Rahmen eines Tests verabreicht, der sicherstellen sollte, dass sein Pankreas ordnungsgemäß arbeitete. Victoria war überzeugt, dass ein Zusammenhang zwischen den Darmproblemen ihres Sohnes und seinen Autismussymptomen bestand, und kam zu dem Schluss, das Hormon müsse seine dramatische Wiederherstellung ausgelöst haben.

Fest entschlossen, eine weitere Dosis Sekretin für Parker zu bekommen, wandte sich Victoria an die Ärzte der Universität of Maryland, um ihnen von ihrer Theorie zu erzählen, doch diese zeigten kein Interesse. Sie nahm auch Kontakt mit Autismusforschern und Ärzten überall im Land auf und schickte ihnen Videoaufnahmen, die Parkers Fortschritte belegten. Schließlich, im November 1996, wurde Kenneth Sokolski, Assistenzprofessor der Pharmakologie an der University of California, dessen Sohn Aaron an Autismus litt, auf ihre Geschichte aufmerksam. Sokolski überzeugte einen örtlichen Gastroenterologen, bei Aaron denselben diagnostischen Test durchzuführen. Aaron begann daraufhin ebenfalls, Augenkontakt aufzunehmen und Wörter zu wiederholen.

Das reichte Horvath von der University of Maryland aus, um einem dritten Jungen eine Sekretin-Infusion zu verabreichen – und dieser zeigte dieselbe Reaktion. Horvath verabreichte auch Parker eine zweite Dosis, und Victoria stellte einen weiteren Sprung bei den Fortschritten ihres Sohnes fest. 1998 veröffentlichte Horvath in einer medizinischen Fachzeitschrift einen Bericht über die Sekretin-Behandlung der drei Jungen und behauptete eine «dramatische Verbesserung in ihrem Verhalten, die sich in verbessertem Augenkontakt, Aufmerksamkeit und sprachlichem Ausdruck manifestierte».[1]

Horvath weigerte sich jedoch, Parker weitere Sekretin-Infusionen zu geben, und verwies darauf, dass Sekretin zur Behandlung nicht zugelassen war. Victoria fand jedoch schließlich einen anderen Arzt, der einwilligte, Parker zu behandeln, und am 7. Oktober 1998 wurde seine Geschichte in der NBC-Fernsehshow Dateline ausgestrahlt. Das Programm präsentierte einem Millionenpublikum die Videos, die Parker als verspielten, aufgeschlossenen kleinen Jungen zeigten, und präsentierte die Aussagen von anderen Eltern, die es mit diesem Hormon versucht hatten, nachdem sie von Parkers Fortschritten gehört hatten. «Nach diesem Sekretin kein Durchfall mehr, er geht aufs Töpfchen, schaut einem in die Augen, redet und sagt ‹sieh mal, wie schön draußen!›», erzählte eine Mutter begeistert. «Er schaute mir direkt ins Gesicht, sah mir in die Augen, als wollte er sagen ‹Mama, ich hab dich ein ganzes Jahr gar nicht gesehen›», meinte eine andere.[2] Von 200 Kindern mit Autismus, die das Hormon erhalten hatten, so das Dateline-Programm, habe mehr als die Hälfte positiv darauf reagiert.

Es dauerte nur zwei Wochen, bis Ferring Pharmaceuticals, das einzige US-Unternehmen, das eine Lizenz zur Sekretin-Produktion besaß, völlig ausverkauft war. Im Internet wechselten Sekretin-Dosen für Tausende von Dollars den Besitzer. Gerüchten zufolge nahmen Familien Hypotheken auf ihr Haus auf, um das nötige Geld für das Hormon aufzubringen oder um auf dem Schwarzmarkt Chargen aus Mexiko oder Japan zu kaufen. In den Folgemonaten erhielten mehr als 2500 Kinder Sekretin, und die Erfolgsgeschichten rissen nicht ab.

«Die Aufregung war riesig», erinnert sich der Pädiater Adrian Sandler am Olsen Huff Center for Child Development in Asheville, North Carolina. «Unsere Telefone hörten nicht auf zu klingeln, weil Eltern mit autistischen Kindern, deren Entwicklung wir verfolgten, verlangten, dass wir sie mit Sekretin behandelten.»[3] Mediziner machten sich jedoch Sorgen, es könne zu einer potenziellen Krise der öffentlichen Gesundheit kommen. Da es keine harten Daten gab, ob wiederholte Sekretin-Gaben sicher waren, geschweige denn, ob sie etwas nützten, wurden auf der Stelle landesweit in medizinischen Zentren mehr als ein Dutzend klinischer Studien in die Wege geleitet. Sandler leitete die erste kontrollierte Studie, die veröffentlicht wurde und 60 autistische Kinder umfasste.

Wie es der Goldstandard bei solchen Studien verlangt, wurden Sandlers Studienteilnehmer nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe erhielt das Hormon, die andere ein Scheinmedikament oder Placebo (in diesem Fall eine Kochsalzinjektion). Um als wirksames Medikament zu gelten, musste Sekretin besser als das Placebo abschneiden. Vor und nach der Injektion wurden die Symptome der Kinder von Klinikern, Eltern und Lehrern beurteilt, die nicht wussten, zu welcher Gruppe jedes Kind gehörte.

Im Dezember 1999 erschien Sandlers Bericht in der renommierten Fachzeitschrift New England Journal of Medicine, und die Ergebnisse waren ebenso überraschend wie vernichtend.[4] Zwischen den beiden Gruppen gab es keinen statistisch signifikanten Unterschied. Die anderen Studien kamen zu demselben Ergebnis: Sekretin brachte im Vergleich zur Placebo-Behandlung keinerlei zusätzlichen Nutzen. Als Medikament für Autismus war es wirkungslos. Die ganze Verheißung von Sekretin war offenbar eine Täuschung, erfunden von Eltern, die so verzweifelt nach einer Verbesserung bei ihren Kindern Ausschau hielten, dass sie diese buchstäblich «gesehen» hatten. Die Sekretin-Geschichte war zu Ende.

Oder etwa doch nicht? Die Schlussfolgerung in Sandlers Artikel umfasste nur einen einzigen Satz: «Eine Einzeldosis von synthetischem menschlichen Sekretin stellt keine wirksame Behandlung für Autismus dar.» Was er in diesem Artikel jedoch nicht erwähnt, ist, wie verblüfft er darüber war, dass sich der Zustand der Kinder in beiden Gruppen signifikant verbesserte. «Das Interessante für mich war», erzählt er mir, «dass es den Kindern in beiden Gruppen besser ging. Sowohl in der Gruppe, die Sekretin erhielt, als auch in derjenigen, die Kochsalz erhielt, gab es eine signifikante Reaktion auf die Therapie.»

War das ein glücklicher Zufall? Wie bei vielen chronischen Erkrankungen können die Symptome beim Autismus in Abhängigkeit von der Zeit fluktuieren. Einer der Gründe, warum es so wichtig ist, neue Behandlungen gegen ein Placebo zu testen, besteht darin, dass jede augenscheinliche Veränderung von Symptomen nach einer Medikation ein Zufallsprodukt sein kann. Sandler war jedoch überrascht, wie stark diese Verbesserung war.

Die Kinder in seiner Studie wurden nach einer offiziellen Skala, der sogenannten Autism Behavior Checklist, bewertet, die ein breites Spektrum von Symptomen umfasst, zum Beispiel, ob sie auf eine schmerzhafte Schnittverletzung oder Quetschung reagieren oder ob sie eine Umarmung erwidern. Die Skala reicht von 0 bis 158, wobei höhere Werte schwerere Symptome kennzeichnen. Die Kinder in Sandlers Placebo-Gruppe begannen die Studie mit einem Mittelwert von 63. Einen Monat nach der Injektion mit dem Placebo...

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