Zum Erlernen, aber auch zur intensiven Praxis wird Meditation häufig nicht alleine, sondern in einer Gruppe ausgeübt. Wie das aussehen kann, illustrieren die folgenden Beispiele.[1]
Zen-Sesshin in einem süddeutschen Kloster
Am Montagnachmittag treffen die ersten Teilnehmer ein. «Eine ganze Woche schweigen – wie soll das gehen?», haben sich wohl manche gefragt und befürchten: «So lange meditieren? Das halte ich nie aus.» Manche der Neuangekommenen machen sich Gedanken über die Leute, mit denen sie nun eine Woche von morgens bis abends sehr eng zusammen sein werden. Die meisten haben schon meditiert, aber viele noch nie so lange und intensiv. Zunächst können sich alle einen Platz in der Meditationshalle und auch im Speisesaal suchen. Mit dem Abendessen beginnt das Sesshin – das ist der japanische Ausdruck für ein einwöchiges Meditationsretreat im Zen. Beim Abendessen ist Reden noch erlaubt: Einige kennen sich offenbar schon, beziehen jedoch die «Neuen» bereitwillig in die Unterhaltungen mit ein. Nach dem Abendessen findet die Einführungsveranstaltung statt, und die zwei Assistenten des Meditationslehrers erklären, was die Teilnehmer erwartet und wie sie sich in der Meditationshalle und in den anderen Bereichen des Klosters verhalten sollen. Danach beginnt die Zeit des Schweigens und Meditierens.
Morgens um 5.30 Uhr ertönt der Gong. Um 6 Uhr beginnt die erste Meditationssitzung. Die meist etwas älteren Teilnehmer des Sesshin sind schon früher vor der Meditationshalle, die nach dem Vorbild japanischer Zen-Klöster vor etwa 30 Jahren an das Franziskanerkloster angebaut wurde. Sie gehen – manche langsam, manche etwas schneller – auf einem überdachten, mit Sisal ausgelegten Rundgang um die Halle. Das fühlt sich an den Fußsohlen warm und angenehm an. Und tatsächlich ist dieses Gehen – Kinhin genannt – selbst ein Teil der Meditation im Zen. Üblicherweise wird Kinhin immer etwa fünf Minuten lang zwischen zwei Meditationssitzungen in der Zen-Halle praktiziert. Dort gehen dann alle in einer Reihe im gleichen, sehr langsamen Tempo. Die Meditierenden versuchen, ganz bei sich zu sein und sich auf die wechselnden Empfindungen an den Fußsohlen zu konzentrieren (und nicht etwa darauf, was die anderen Kursteilnehmer machen). Pünktlich um 6 Uhr beginnt, nach einigen Verbeugungen, die Sitzmeditation, die 25 Minuten dauert und dreimal hintereinander durchgeführt wird. Zwischen den einzelnen Meditationen wird Kinhin praktiziert.
Nach diesem ersten Meditationsblock gibt es ein wohlschmeckendes Frühstück – die Ernährung in dieser Woche ist rein vegetarisch. Während dieser Zeit, und am Nachmittag noch einmal, ist es möglich, mit dem Zen-Meister zu sprechen. Meist handelt es sich dabei um sehr kurze Gespräche zu den sogenannten Koans, die schon vor über tausend Jahren in chinesischen und später auch in japanischen Zen-Klöstern benutzt wurden, um die Mönche zu schulen. Diese Koans sind paradoxe Aussagen oder Rätsel, die nicht durch Logik gelöst werden können, zum Beispiel: «Wie klingt das Klatschen mit einer Hand?» oder «Ein Büffel geht am Fenster vorbei. Sein Kopf, seine Hörner und seine vier Beine gehen vorbei, aber warum nicht auch sein Schwanz?» Die intuitive Lösung des Koans führt zu Einsichten, die den Praktizierenden dem zentralen Ziel des Zen-Buddhismus, nämlich der Erleuchtung, näher bringen sollen. Die Meditierenden tragen ihre Koan-Lösung vor, der Zen-Meister reagiert darauf, und dann ist die Unterhaltung meist schon beendet. Es kann durchaus sein, dass sich jemand mit seinem Koan über längere Zeit (in Extremfällen über Jahre) beschäftigen muss, bis die intuitive Lösung aufblitzt.
Danach ist Zeit zur freien Verfügung, bevor die nächsten Meditationssitzungen stattfinden, meist in Zweier- oder Dreier-Blöcken, mit längeren Pausen für Mittag- und Abendessen. Insgesamt sitzen die Teilnehmer 12- bis 18-mal am Tag; nachmittags hält der Zen-Meister einen Lehrvortrag (Teisho). Kurz vor 21 Uhr endet der Tag mit einer kurzen Abschlusszeremonie, und die Meditierenden können sich schlafen legen oder selbständig weiter meditieren.
Dieser Tagesablauf wiederholt sich während der gesamten Woche. Außer in den Gesprächen mit dem Zen-Meister und beim gemeinsamen Rezitieren aus buddhistischen Schriften darf nicht gesprochen werden. Das Schweigen soll dabei helfen, sich zu sammeln und zu konzentrieren.
Was tun die Meditierenden während der Meditationssitzungen genau? Einige befassen sich mit ihren Koans und versuchen, durch eine möglichst permanente Konzentration darauf (z.B. indem sie das Koan innerlich wiederholen) die Lösung zu finden. Andere bedienen sich Techniken, die von den meisten Zen-Schulen vorgeschlagen werden. Eine besteht darin, sich die eigenen Körperempfindungen und insbesondere das Ein und Aus des Atems bewusst zu machen und dabei zu bleiben. Eine andere Übung, die oft für Anfänger empfohlen wird, die aber auch fortgeschrittene Meditierende (um solche handelt es sich in der Regel bei Sesshins) praktizieren, ist das Zählen von Atemzügen: Beim ersten Ausatmen denken sie innerlich «eins», beim zweiten «zwei» und so weiter, bis sie bei «zehn» angelangt sind. Dann fangen sie wieder von vorne an (wenn sie es überhaupt bis «zehn», ohne dass die Gedanken abgeschweift sind, geschafft haben). Man kann auch nur das Einatmen zählen oder die Ein- und die Ausatmung.
In einer weiteren Übung im Zen-Buddhismus geht es darum, Gedanken und Sinneseindrücke einfach wahrzunehmen, ohne daran festzuhalten, japanisch: Shikantaza (übersetzt: «nur Sitzen»). Ziel ist es, in bewusster Aufmerksamkeit ganz im gegenwärtigen Moment zu sein, ohne das, was man wahrnimmt, zu bewerten. Manchmal wird diese Methode auf körperliche Empfindungen beschränkt.
Natürlich kann das Sitzen sehr lang werden: Vor allem am frühen Nachmittag kommt nicht selten Schläfrigkeit auf; und die durch die meist ungewohnte Haltung ausgelösten Schmerzen sind treue Begleiter. Doch man kann ihnen auch etwas Positives abgewinnen: Einige Meditierende berichten, dass die Schmerzen, beispielsweise am Rücken, eine ausgezeichnete Hilfe beim Shikantaza sein können, um sich längere Zeit ohne große Anstrengung auf das jeweilige Körperteil zu konzentrieren.
Und wie ist das mit dem Schweigen? Die erstaunliche Erfahrung, die fast alle Meditierenden machen, die das erste Mal an einem solchen Sesshin teilnehmen: Schweigen erleichtert das Zusammenleben ungemein. Beim Frühstück steht die Marmelade vor mir, kaum habe ich daran gedacht. Wenn ich Schwierigkeiten beim Öffnen eines Fensters habe, dreht plötzlich eine helfende Hand am richtigen Hebel. Und obwohl die Meditierenden angehalten sind, nicht ohne Grund Augenkontakt aufzunehmen und auch sonst nicht miteinander zu kommunizieren, «kennen» sie sich nach einer Woche alle – die erhöhte Aufmerksamkeit, die geschärfte Wahrnehmung sorgen dafür. Die spannende Frage am letzten Tag beim Frühstück: Wird sich mein Eindruck von der Person, neben der ich nun eine Woche gesessen bin, verändern, wenn ich mit ihr spreche?
Nach einer Woche berichten die Teilnehmer über ein starkes Gefühl der Leichtigkeit, Gelöstheit und Gelassenheit, und viele haben sich vorgenommen, nächstes Jahr wiederzukommen.
Vipassana-Retreat in Nordthailand
Das kann schwierig werden: Der Mönch, der für die Betreuung der ausländischen Meditierenden zuständig ist, spricht kaum Englisch. Später stellt sich heraus, dass die anderen Mönche noch weniger Englisch können. Glücklicherweise ist jedoch auch ein junger Mönch in dem buddhistischen Kloster (Wat) in Nordthailand, der fließend Englisch und Deutsch spricht – seine Mutter ist Deutsche. Er dolmetscht zwischen den Meditierenden aus der ganzen Welt und dem Lehrer. Das Wat bietet für alle Interessierten, ohne irgendwelche Einschränkungen, Meditationsaufenthalte von entweder zehn oder 26 Tagen an.
Der Aufenthalt beginnt mit einer Zeremonie, bei der die Meditierenden einige Gelübde ablegen, ähnlich wie die Mönche selbst bei ihrem Eintritt ins Kloster. Darunter fallen der Verzicht auf Alkohol, Drogen und Sex, aber auch der auf Dinge wie Musik, Essen nach Mittag oder bequeme Betten. Außerdem erklären sich alle damit einverstanden, den Regeln des Klosterlebens zu folgen. Die sind für die meist noch recht jungen Teilnehmer zum Teil ziemlich hart: Sie dürfen keinen Kontakt mit den anderen Meditierenden aufnehmen, nichts lesen, dürfen das Kloster nur mit Genehmigung des Lehrers verlassen, keine anderen Praktiken üben außer denen, die der Lehrer vorgibt – und sie müssen ihre Handys abgeben. Nach der Zeremonie sind alle Teilnehmer Buddhisten und Mönche oder Nonnen auf Zeit.
Am ersten Tag gibt der Mönch, der für die Betreuung zuständig ist, eine Einführung in das Kloster und das Meditieren. Am nächsten Tag geht es dann früh los: Bereits um 4 Uhr läutet die Glocke auf dem Glockenturm, denn um 4.30 Uhr beginnen die Mönche mit der Rezitation buddhistischer Schriften in der altindischen Pali-Sprache (siehe hierzu auch Kapitel 3).
Die Gäste sind angehalten, möglichst bald nach dem Glockenläuten mit dem Meditieren zu beginnen. Manche wissen schon, was sie erwartet – meist aus Erzählungen von Freunden und Bekannten, andere aber haben noch keine klare Vorstellung davon. Viele der ersten Gruppe haben eigene Meditationsuhren mitgebracht, die anderen können sich welche im Kloster ausleihen. Die...