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E-Book

Giacomo Puccini

AutorClemens Höslinger
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl140 Seiten
ISBN9783644565210
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Giacomo Puccini (1858-1924) war der wichtigste Repräsentant der italienischen Oper nach Giuseppe Verdi. Mit Werken wie «La Bohème» und «Madame Butterfly» ist er bis heute einer der meistgespielten Komponisten weltweit. Clemens Höslinger porträtiert den Künstler vor dem Hintergrund seiner Zeit.

Clemens Höslinger, geboren am 15. September 1933 in Wien, studierte an der Akademie für Musik und Darstellende Kunst in Wien. War von 1959 bis 1993 Bibliothekar im österreichischen Staatsarchiv. Seit 1962 Mitarbeiter an Schallplattenzeitschriften (FONO FORUM u. a.), Musikkritiker in österreichischen und deutschen Tageszeitungen, Sendungen beim WDR, NDR, SWF, ORF u. a., hauptsächlich mit Präsentation historischer Tonaufnahmen. Forschungsarbeiten zur Wiener Musik- und Theatergeschichte, Teilnahme an zahlreichen internationalen Symposien.

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Leseprobe

Die Pforte öffnet sich


Es gibt nur wenige Komponisten, die eine so stolze musikalische Ahnenreihe aufzuweisen haben wie Giacomo Puccini. Nicht nur sein Vater und Großvater, sondern auch Ur- und Ururgroßvater übten den Komponisten- und Kapellmeisterberuf aus. Die Genealogie der Puccinis hat folgenden Aufbau:

Giacomo Puccini (1712–81)

Antonio Benedetto Maria Puccini (1747–1832)

Domenico Vincenzo Puccini (1771–1815)

Michele Puccini (1813–64)

Giacomo Puccini (1858–1924)

Durch Heiratsverbindungen mit weiteren Musikerfamilien (Tesei im zweiten, Magi im vierten Glied) hat sich neue künstlerische «Blutzufuhr» ergeben. Man kann somit von einem sehr kostbaren Erbe reden, das dem letzten und bedeutendsten Spross der Musiker-Dynastie zugefallen ist.

Ebenso wie der «Ahnherr» Giacomo sind auch seine vier Nachfolger in Lucca zur Welt gekommen: in jener alten toskanischen Stadt, die vor allem wegen ihrer wertvollen Kirchenbauten berühmt ist (der Dom San Martino stammt aus dem 11., die Kirchen San Michele und San Giovanni aus dem 12. Jahrhundert). In Lucca wurden übrigens noch zwei andere Größen der italienischen Musik geboren: Luigi Boccherini und Alfredo Catalani.

Das Betätigungsfeld von Puccinis Vorfahren war hauptsächlich die Kirchenmusik. Giacomo Puccini «der Erste», Sohn eines Zuwanderers aus dem toskanischen Gebirgsdorf Celle (bei Pescaglia), vollendete seine Studien in Bologna. Sein Lehrer und Mentor war jener illustre Padre Martini, der zu den größten musikalischen Autoritäten seines Zeitalters zählte. Im Jahre 1740 wurde er als Organist und Kapellmeister an die Domkirche seiner Geburtsstadt berufen. Von diesem Jahr an hatten die Puccinis das Musikleben Luccas in festen Händen: als Komponisten, Organisten, Kapellmeister und Musiklehrer – und dies durch mehr als 120 Jahre. Es mutet fast wie ein Widerspruch an, dass es gerade der berühmteste Zweig des Musikergeschlechts war, der dieser langen Tradition ein Ende setzte. Giacomo Puccini hat zwar in Lucca seine erste musikalische Ausbildung erfahren, sonst aber spielt diese Stadt keine wesentliche Rolle in seinem Lebenslauf.

Die Vorfahren des Komponisten galten als tüchtige Musiker, einige von ihnen waren weit über die Grenzen ihrer Heimat bekannt. Antonio, der «zweite» Puccini, erwarb sich im Jahre 1771 die Mitgliedschaft der Accademia dei filarmonici in Bologna, eine Würde, die nur nach Absolvierung schwieriger Prüfungen zu erlangen war. (Kurz vorher war sie dem jungen Mozart zuteil geworden.) Der «dritte» Puccini, namens Domenico, erhielt dieselbe Auszeichnung, er war Schüler Paisiellos in Neapel und wirkte ab 1805 in seiner Heimatstadt. Domenico komponierte außer kirchenmusikalischen Werken auch einige Opern, die meisten davon im Buffo-Stil. Er starb verhältnismäßig früh – angeblich kam er durch ein Giftattentat ums Leben.

Michele Puccini, der Vater Giacomos, hat getreu der Familientradition seine Studien in Bologna (damals neben Neapel und Rom eine der wichtigsten Musikstädte Italiens) abgeschlossen. Einige Zeit lebte er in Neapel, wo er so berühmte Lehrmeister wie Gaetano Donizetti und Saverio Mercadante hatte. 1830 wurde er Organist in Lucca, außerdem (ab 1842) Lehrer am dortigen Konservatorium, dessen Leitung er ab 1852 bis zu seinem Tod innehatte. Michele Puccini ist vor allem als Komponist von Sakralmusik hervorgetreten, von ihm stammen aber auch zwei Opern («Antonio Foscarini» und «Giambattista Catani»), die mit Erfolg zur Aufführung gelangten. Er war verheiratet mit Albina (geborene Magi), der Schwester eines seiner ehemaligen Schüler. Dieser wiederum, Fortunato Magi (1839–82), übernahm nach Micheles Tod die Direktorstelle am Konservatorium zu Lucca. In späteren Jahren erwarb er sich als Leiter des Liceo Benedetto Marcello in Venedig hohes Ansehen.

Dem ungleichen Ehepaar – Albina war um achtzehn Jahre jünger als ihr Gatte – war reiche Nachkommenschaft beschieden: acht Kinder, von denen jedoch eines bald nach der Geburt starb. Unter den sieben Überlebenden gab es fünf Mädchen – mit den klangvollen Namen Odilia, Tomaide, Iginia, Nitteti, Ramelde – und zwei Knaben, Giacomo und Michele (Letzterer kam drei Monate nach dem Tod des Vaters zur Welt).

Giacomo Puccini, der fünfte in dieser langen Skala, wurde am 22. Dezember 1858 in Lucca geboren.[7] Sein vollständiger Taufname lautet Giacomo Antonio Domenico Michele Secondo. Von dieser Namensform hat er jedoch niemals Gebrauch gemacht. Bereits in die frühen Jahre seines Lebens fiel ein trauriges Ereignis: der Tod des Vaters am 23. Januar 1864. Diese unerwartete Tragödie – Michele stand im 51. Lebensjahr – hatte für die Familie erhebliche Veränderungen zur Folge. Einschränkung war nun oberstes Gebot, denn die Mutter hatte fortan mit einer kleinen Rente das Auslangen zu finden.

Wie sehr man in Lucca an der musikalischen Vormachtstellung der Familie Puccini festhielt, geht aus einem Erlass der Stadtverwaltung vom 18. Februar 1864 hervor, mit dem Fortunato Magi als – vorläufiger – Amtsnachfolger des Verstorbenen eingesetzt wird. Es ist darin ein Passus enthalten, demzufolge Magi «den Posten des Organisten und Kapellmeisters an Signor Giacomo, Sohn des vorhergenannten verstorbenen Maestros abzugeben habe, sobald dieser imstande sei, solche Pflichten auszuüben»[8]. Ein merkwürdiger Fall von künstlerischer Vorausbestimmung, wie er sich in der Musikgeschichte nicht allzu oft zugetragen haben mag. «Signor Giacomo» war damals ein Knabe von sechs Jahren.

Über die Kindheit des Komponisten ist nicht viel bekannt. Aus den dürftigen Berichten geht hervor, dass er ein verträumter Knabe ohne nennenswerte Eigenschaften war. Seine Lernerfolge in der Schule – zunächst im Seminario San Michele, dann im Seminario San Martino – waren denkbar schlecht, vor allem gegen Mathematik hegte er eine unüberwindliche Abneigung. Er wirkte oft passiv und geistesabwesend – wie dies bei Kindern mit reicher Phantasie und bewegtem Innenleben häufig vorkommt. Andererseits legte er auch einen Hang zu übermütigen, oft sogar verrückten Streichen an den Tag. Diese Eigenheit blieb ihm bis in die Mannesjahre treu.

Den ersten Orgelunterricht hatte er noch von seinem Vater erhalten, später übernahm sein Onkel Fortunato Magi die musikalische Schulung. Magi, ein temperamentvoller, zu Jähzorn neigender Mensch, brachte seinem Schüler die Grundsätze der Musik auf recht drastische Weise bei: nämlich mittels Schlägen und Fußtritten. Glücklicherweise währte dieser amusische Unterricht nicht lange, denn Onkel Magi gab seine Bemühungen aus Eigenem auf – weil sie ihm zu wenig aussichtsreich erschienen. Besser fühlte sich der Knabe bei Carlo Angeloni, einem einstigen Schüler Michele Puccinis, aufgehoben. Unter Angelonis Leitung offenbarten sich die ersten Anzeichen von Puccinis musikalischer Begabung; einer Begabung, die zwar vielversprechend war, doch zunächst durchaus im Bereich des Normalen verblieb. Bald hatte Giacomo Gelegenheit, seine erlernten Fertigkeiten (Gesang und Orgelspiel) nutzbringend anzuwenden. Ab 1868 wirkte er als Chorknabe in den Kirchen von San Martino und San Michele (er sang Altstimme), und mit etwa vierzehn Jahren war er bereits imstande, sich als Organist ein bisschen Geld zu verdienen. Diese Tätigkeit übte er nicht nur in Lucca, sondern auch in den Kirchen der benachbarten Ortschaften (Mutigliano, Pescaglia, Celle) aus. Auch als Klavierspieler trat er in Erscheinung, er musizierte bei Volksfesten, in Tavernen, bei den Tanzveranstaltungen in den nahen Seebädern. Seine Einkünfte, so gering sie auch waren, lieferte er daheim ab, um die ärmlichen Lebensverhältnisse seiner Familie ein wenig aufzubessern. Selbstverständlich mussten alle Wege zu Fuß zurückgelegt werden. Oft kam er dann spät in der Nacht nach Hause, todmüde, einen schwer erarbeiteten kleinen Verdienst in der Tasche, aber mit großen Zukunftsplänen im Herzen[9]. Das Wenige, was er sich von seinen kleinen Einkünften zurückbehielt, ging für jenes «Laster» auf, dem er bereits in frühen Jugendjahren verfallen war: dem Zigarettenrauchen. Puccini blieb sein Leben lang ein außergewöhnlich starker Raucher.

Ab 1874 war Puccini Schüler des Konservatoriums seiner Heimatstadt. Auch hier war Angeloni sein Kompositionslehrer. Es ist anzunehmen, dass Puccini in diesen Zeiten auch manchmal das Operntheater in Lucca (Teatro del Giglio) besucht hat, doch ist darüber nichts Genaueres bekannt. Wir wissen nur, dass er durch Angeloni auf die Verdi-Opern «Rigoletto», «Il Trovatore», «La Traviata» aufmerksam gemacht wurde, deren Partituren er genau studierte. Das zündende Ereignis, das eine entscheidende Wende im Leben des jungen Musikers herbeiführte, vollzog sich im Frühjahr 1876. Verdis Oper «Aïda», deren Uraufführung erst fünf Jahre vorher stattgefunden hatte, wurde in Pisa mit großem Glanz in Serienvorstellungen gegeben. Die Kunde von der Schönheit und der gewaltigen szenischen Wirkung des Werks verbreitete sich in der ganzen Umgebung. Auch Puccini brannte danach, die neueste Oper Verdis kennenzulernen. Zusammen mit zwei Freunden begab er sich nach Pisa. Die Hin- und Rückreise wurde zu Fuß zurückgelegt, was bei der weiten Entfernung der beiden Städte (rund 20 Kilometer) keine geringe Leistung war. Der Eindruck der Vorführung war gewaltig, erschütternd. Es war, als ob sich mir die musikalische Pforte eröffnet hätte.[10] Verdi war von nun an sein großes Ideal. Seit diesem Ereignis war sich Puccini über seine Bestimmung zum Opernkomponisten im...

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