Heimat: dieser Begriff benennt eines der meistdiskutierten und am heftigsten umstrittenen Probleme unserer Zeit. Steht die Betonung von Heimat nicht im Widerspruch zu einer Haltung, die der Mensch im Zeitalter von Globalisierung und weltweiter Vernetzung einnehmen muss? Oder ist sie noch immer der Mittelpunkt der individuellen Existenz des Menschen, Ort seiner Kindheit, der Geborgenheit und Sicherheit? Darf er überhaupt noch Heimat haben, so könnte gefragt werden.
Es zeigt sich: Heimat ist – auf einer vor-philosophischen Ebene – kein eindimensionaler Begriff, beinhaltet sie doch wesentlich das Aushalten und das Austragen von Differenzen, Spannungen und Gegensätzen. Heimat steht demnach im Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Unsicherheit, Geborgenheit und Ungeborgenheit, Nähe und Ferne, Vertrauen und Mißtrauen. Die Geborgenheit und Sicherheit wird in immer wieder neuen Erschütterungen in Frage gestellt, wodurch – sentimental-naives Festhalten an dem, was man schon hat, verhindert wird.[23]
Besonders in der deutschen Sprache[24] zeigt sich dies allein schon durch die etymologische Herkunft des Wortes „Heimat“. Umso erstaunlicher ist es, dass das Wort in Deutschland nicht unumstritten ist.[25] Dies wird insbesondere der geschichtliche Hintergrund des Begriffes zeigen. Heimat bleibt keinesfalls an einen Ort gebunden, wie sich zeigen wird. Im Grunde kann von einer "Metaphysik der Heimat" gesprochen werden, da sie auf unterschiedlichsten Wegen ihren Ursprung hat, sich zeigt bzw. bemerkbar macht. Der Begriff Heimat wird in vielen Varianten und Kategorien ausführlich demonstriert werden, allerdings ergibt sich immer wieder die Schwierigkeit der Einordnung. Die einzelnen Beispiele ließen sich oft in mehreren Kapitel gleichzeitig behandeln, was jedoch als nicht praktikabel erscheint. Somit werden sie dort hereingenommen, wo sie die möglichst klarste Veranschaulichung bieten. Die erwähnten Spannungsfelder werden im weiteren Verlauf präzisiert werden müssen, um ein möglichst geschlossenes Bild von Heimat und die Abgrenzung zu Blochs Assoziationen, aufzeigen zu können.
Auf Grund der im vorherigen Abschnitt aufgeworfenen Problematik soll eine subtile Darstellung des Heimatbegriffs erfolgen. Um sich dem Sinn dieses Wortes zu nähern, wird in einem ersten Schritt auf die etymologische Herleitung eingegangen. Ein weiterer Schritt wird es sein, die unterschiedliche Verwendung des Begriffs Heimat besonders in den beiden letzten Jahrhunderten aufzuzeigen. Danach soll die geschichtliche Entwicklung und Beeinflussung, sowie die Wechselwirkung von Kultur-, Politik- und Sozialgeschichte mit dem u. a. auch emotional geprägten Begriff „Heimat“ herausgestellt werden.
Der Begriff „Heimat“ wird vom mittel-, bzw. althochdeutschen Wort „hêm“ oder „heim“ hergeleitet, was wiederum auf ein allgemeingermanisches Wort zurückzuführen ist. Die indogermanische Wurzel von hêm ist kei, was „liegen“ bedeutet. Das altindische Wort kshi, „weilen, rasten, sich aufhalten, wohnen und bewohnen“ wird als etymologisches Bindeglied zum Germanischen angesehen.[26] Vom Gotischen über das Altnordische, Friesische und Sächsische bis zum Althochdeutschen und Mittelhochdeutschen existiert das Wort in verschiedenen Formen wie „haims, heimr, hêm“ und schließlich „heim“[27] Hêm, bzw. Heim umkreist in allen seinen Formen, auch in den verwandten Sprachen, die Bedeutung von Haus[28], Wohnung, Dorf, Aufenthaltsort, Lager, Behausung, Ort, wo man sich niederlässt, und schließlich auch die Familie und Sippe.[29] Je nach regionaler Ausprägung und jeweiligem Wortgebrauch fällt der Akzent auf ein bestimmtes der im Vorhergehen genannten Dinge. Es können zwei Bestimmungen von „Heimat“ herausgelesen werden: einmal die örtliche Größe, die erst in ihrem Kontext auf eine soziale Ebene hinweist und zum Anderen, die zwischenmenschliche Komponente, die nicht zwingendt an einen festen Ort gebunden ist.[30] Beide Bereiche sind nicht völlig voneinander trennbar, jedoch ist festzuhalten, dass schon sehr früh die Worte für Heimat, sowohl eine dinglich-lokale, als auch eine ungreifbar-soziale Dimension haben. Beide Gebiete verweisen aber auf das gleiche Bedürfnis des Menschen nach Schutz, Sicherheit und letztlich umfassender Geborgenheit.[31]
Das grimmsche Wörterbuch ordnet „HEIM“ und „HEIMAT“ die lateinischen Wörter „domicilium, domus“[32] und „patria, domicilium“[33] zu. In diesem Wortfeld und vor allem in der Bedeutung von lokaler Heimat, findet die frühe Verwendung der Wortgruppe um „hêm“ in den deutschen Sprachgebieten leicht Äquivalente in möglicherweise jeder anderen Sprache. Angeführt sei ein Beispiel aus dem Englischen, wo die moderne Variante des altgermanischen „hêm“ im Substantiv „home“ genau diese Verbindung von zwei Ebenen zum Ausdruck bringt. Zunächst meint „home“ das Zuhause der eigenen Wohnung – also einen rein materiellen Ort. In diesen wird aber die Wärme von Geborgenheit projiziert. Das deutsche Wort Heimat hat gegenüber anderen Wörtern, die aus hêm entstanden sind, den Vorteil, nicht an einen feststehenden Begriff wie Wohnung, Haus, usw. gebunden zu sein, sondern ein weitaus umfangreicheres Feld an Bedeutungen und Assoziationen zuzulassen.
Was kann es bedeuten, wenn von Heimat die Rede ist? Dazu findet sich im Artikel ,,Heimat“ des Brockhaus die Erklärung, dass die Heimat derjenige Ort ist, an dem die Geburt und Sozialisation des Menschen stattfindet; gleichsam die Bildung von Identität, Charakter, Mentalität, Einstellung und Weltauffassung geprägt werden. Dies kann als äußere Dimension gelten. Die innere Dimension hingegen zielt auf die Modellierung der Gefühle und Einstellungen ab. Auch die Beheimatung von Erwachsenen in eine geistige, kulturelle und sprachliche, nicht zuletzt kann politische Heimat darunter verstanden werden. Die himmlische Heimat im religiösen Sinn wäre eine weitere Bedeutung.[34]
War im Einleitungsteil von einem Heimatbegriff, der auf ein enges Bedeutungsfeld zugeschnitten ist, die Rede, so versteht sich diese Problematik nur durch einen historischen Überblick, der im Folgenden gegeben wird. Diese Skizzierung wird sich jedoch auf die Geschichte des Begriffs in Deutschland beschränken.
,,Alle haben eine, aber niemand kann seine so trefflich – diffus und genau zugleich – benennen wie wir Deutschen“[35]: die Heimat. Diese sicher ironisch gemeinte Feststellung zeigt aber dennoch wie vielschichtig dieser Terminus sein kann und tatsächlich steht hinter dem Begriff im Deutschen eine lange und weitreichende Geschichte, die durch Literatur, Philosophie und Politik beeinflusst worden ist. Die Deutschen setzten sich aus verschiedenen Gründen intensiver als andere Kulturen mit der „Heimat“ auseinander[36] oder bemächtigten des grundsätzlich darunter verstandenen emotionalen Ausdrucks z. B. auch für Propagandazwecke. Vor 1840 taucht der Begriff Heimat kaum irgendwo auf, erscheint er, dann meistens mit einer Verlagerung in eine jenseitige Welt, das heißt in eine himmlische Heimat. Das bürgerliche Verhältnis, insbesondere der städtischen Bevölkerung Deutschlands, zum Wort Heimat begann, ausgehend von den Freiheitskämpfen gegen Napoleon, der Deutschen Revolution 1848 und der Biedermeierzeit, die Begleiterscheinung des Nationalismus aufzuweisen. Zunächst erwachte lediglich der Stolz auf Grund der Tradition und Geschichte Deutschlands. Die Glorifizierung der deutsch-germanischen Vergangenheit in der Romantik mündete nach dem Aufstieg zum deutschen Kaiserreich, dem Sieg über Frankreich im Krieg 1870/71 und nach der als schmerzlich empfundenen Niederlage des Ersten Weltkrieges, in die Katastrophe des Nationalsozialismus. Besonders ab 1890 mit der Heimatbewegung etabliert sich der Begriff in der Geschichte: ,,Wörter wie Heimatkunst, Heimatroman, Heimatschutz, Heimatkunde nehmen damals ihren Ausgang; Heimatvereinigungen werden allenthalben gegründet.“[37] Dabei wird vorwiegend das Bäuerliche mit Heimat assoziiert. Eine Abgrenzung zur Stadt und Industrielandschaft soll dadurch erreicht werden. In Heimatromanen galt die Stadt lange Zeit als Brutstätte allen Unglücks.[38] Dabei geht es keineswegs um eine bäuerlich-landschaftliche Idylle, sondern um die Verwurzelung, die Bindung an den Boden; bäuerlicher Starrsinn feiert sich dazu noch oft in diesen Motiven. Heimatromane dieser Zeit sind keineswegs süßlich-sentimental, eher brutal und unerbittlich; die Unterwerfung unter Zwänge wird heroisiert. Schon im Ersten Weltkrieg hatte der Heroismus, für das Vaterland eine besonders große Bedeutung erreicht. Heimat war nun gleichwertig mit dem Vaterland. Etwa hundert Jahre früher war eine solche Definition nahezu unmöglich auf Grund der Uneinheitlichkeit der Volksgruppen, aber auch...