Das Vermächtnis des Amenemope
Vor 3200 Jahren setzte sich im alten Ägypten ein Mann namens Amenemope mit einem Schreibrohr aus Schilf und einem Stapel Papyrusblätter an seinen Arbeitsplatz und malte das erste Zeichen eines Werkes, das in den kommenden Jahrtausenden weltberühmt werden sollte.
Doch davon wusste Amenemope, der als hoher Verwaltungsbeamter für die Nahrungsmittelverteilung im Reich seines Königs Ramses zuständig war, zu diesem Zeitpunkt nichts. Als Vater wollte er seinem jüngsten Sohn Hor-em-ma‘a-cheru, der gerade die Absicht verfolgte Priester zu werden, die besten Ratschläge für das Leben mit auf den Weg geben. Damit dieser »ein guter Mensch, vor allen anderen« werde.
Amenemope schrieb insgesamt 30 Kapitel, über alle wichtigen Bereiche des Lebens und des menschlichen Verhaltens, so wie er sie kannte und für richtig hielt. Unter anderem ging es darum, wie man seine Mitmenschen behandeln sollte, wie man sich in bestimmten Situationen am besten verhielte, und es ging um die Kraft der eigenen Gedanken, wenn sie auf die Welt und andere treffen. Amenemopes Erkenntnisse fanden so viel Anklang, dass sie sich als Gesamtwerk mit dem Titel »Wie man ein guter Mensch wird« durch die Zeit und in viele Kulturen hinein verbreiteten. Die Philosophen des antiken Griechenlands studierten sie ebenso wie die Gelehrten des alten Roms. Feldherren, Priester und Könige ließen sich danach unterrichten. Und selbst heute noch blicken die Augen von Besuchern des Britischen Museums in London auf die fast unversehrten Schriftstücke mit den Worten des Amenemope. Einer der Ratschläge, die dort zu lesen sind, lautet:
»Trenne deine Zunge nicht von deinem Herzen.
Dann wird alles, was du tust, gelingen.«
HeartMath-Institut in Boulder Creek, Colorado, heute
Forscher des jungen Fachgebiets der Neuro-Psycho-Kardiologie untersuchen mit modernsten Instrumenten und unter wissenschaftlich anerkannten Bedingungen die Eigenschaften und Fähigkeiten des menschlichen Herzens. Sie interessieren sich nur am Rande für das klassisch-medizinische Wissen um das Organ Herz, denn hierin sind die meisten von ihnen bereits perfekt ausgebildet. Diese Kardiologen, Neurologen und Psychologen beschäftigen sich mit etwas, das für viele ihrer Kollegen bislang eher in den Bereich von Legenden und Mystik gehörte: Sie suchen nach Belegen für Fähigkeiten und Kräfte, über die Menschen seit Jahrtausenden sprechen, die aber noch niemand sichtbar machen oder nachweisen konnte.
Auf was sie dabei stoßen, ist auf mehreren Ebenen revolutionär und erweitert die bisherige wissenschaftliche Sichtweise zum Herzen erheblich: Das menschliche Herz verfügt nachweisbar über ein Spektrum an Fähigkeiten, das selbst mutige Vorstellungen auf vielen Gebieten weit übertrifft. Fähigkeiten, die das folgende Erlebnis in ein ganz neues Licht rücken.
Der Taifun
Als Klaus Schubert und seine Partnerin Claudia Metz aus Köln mit zwei Motorrädern zu einer Überlandreise nach Japan aufbrachen, um dort Verwandte zu besuchen, hielten sie ihr Vorhaben zunächst für eine etwas verrückte, aber aufregende Idee. Zum Zeitpunkt der Vorbereitung ahnten die beiden noch nicht, dass aus den geplanten zehn Monaten Reisezeit am Ende 16 Jahre werden sollten, in denen sie über 250000 Kilometer durch alle Kontinente der Welt reisen würden.
Bereits wenige Wochen nach dem Start in Deutschland mussten Klaus und Claudia feststellen, dass ihre sorgfältige Planung der Reise nicht einzuhalten war. Jeden Tag trat ihnen das Leben mit neuen ungeplanten Herausforderungen gegenüber. Behördenprobleme, Unfälle, Krankheit, technische Defekte, Wettererschwernisse, Sperrungen oder Umleitungen … Innerhalb kürzester Zeit war den beiden klar: Das schaffen wir nie so wie geplant. Wir haben nur eine Chance: Wir müssen jeden Tag mit dem gehen, was kommt.
Spätestens ab Indien, so berichtet Klaus Schubert später, war auch die letzte Idee von Kontrolle über den Verlauf der Reise dahin. Das für westliche Reisende chaotische Verkehrsverhalten der Inder verwickelte Klaus in einen schweren Unfall, der unter anderem eine offene Knieverletzung zur Folge hatte. Doch, Glück im Unglück, das Paar geriet in die Obhut eines seltsamen alten Mannes, der sich scheinbar notgedrungen als Ersthelfer betätigte. Doch so unbedarft, wie er wirkte, war er nicht. Mit für westliche Verhältnisse haarsträubenden Mitteln bewirkte er innerhalb kürzester Zeit die vollständige Ausheilung von Klaus’ schweren Verletzungen. Die verblüffende Kunst des Heilers zu erleben war der letzte Tropfen in einem Fass voller neuer Erkenntnisse darüber, wie das Leben auch funktionieren konnte. Die beiden Reisenden beschlossen, ab sofort alle Ziele und Planungen fallen zu lassen und nur noch auf die Stimme in ihren Herzen zu hören. Eine Entscheidung, die ihnen im Laufe der folgenden Jahre mehrere Male das Leben retten sollte.
Besonders eindrucksvoll erlebten die beiden das Wissen und die Fähigkeiten ihrer Herzen an einem Nachmittag auf den Philippinen, als sie auf der Suche nach einem geeigneten Zeltplatz den Strand entlangfuhren. Da sie als Dauerreisende immer mit einem sehr knappen Tagesbudget haushalten mussten, hatten sie es sich angewöhnt, so oft wie möglich im Zelt zu übernachten.
Der Tag war wunderbar, der Himmel blau, das Wasser türkis, und die Palmen wiegten sich sanft raschelnd in der Meeresbrise. Doch obwohl die Zeltbedingungen perfekt waren, bekamen Klaus und Claudia das dringende Gefühl, sich heute ausnahmsweise eine Hütte am Strand zu mieten. Trotz der für sie hohen Kosten nahmen sie die innere Ansage an und freuten sich auf eine Nacht in einem Zimmer mit weichen Betten, einem Bad und fließendem Wasser.
Kurz darauf erreichten sie eine Anlage aus drei bis vier Dutzend einfachen Bungalows, lose verteilt zwischen Schatten spendenden Palmen. Wie üblich war auch ihre Strandhütte auf Stelzen gebaut. Ein paar Holzstufen führen hoch zu einer kleinen Veranda, die Wände bestanden weitgehend aus geflochtenen Kokosmatten und das Dach aus Palmwedeln. Die beiden parkten ihre Motorräder vor den Holzstufen und hievten ihr Gepäck in die Hütte. Zwei Betten mit weißer Bettwäsche, zwei Stühle, ein Tisch und eine einfache Kommode, kurzum: ein Stück Zivilisation.
Etwa eine halbe Stunde später stand Klaus gerade unter der Dusche, als Claudia ihn darauf aufmerksam machte, dass sich da draußen etwas ziemlich Großes ziemlich schnell zusammenbraute. Klaus, der mit Berichten über die Reise ein wenig dazuverdiente und aus diesem Grund nur selten eine Chance für interessante Bilder ausließ, montierte seinen Fotoapparat auf das Stativ und richtete den Blick der Kamera durch das Fenster auf die Anlage. Vielleicht, so dachte er, ergäbe sich eine kleine Bilderserie zu einem Tropengewitter.
Inzwischen war der Wind von der ursprünglichen sanften Brise zu einer Vorstufe von Sturm angeschwollen. Das strahlende Blau des Himmels war längst dunkelgrauen Wolken gewichen, und die Palmen rauschten und ächzten bei der Anstrengung, sich gegen die Kräfte des Himmels zu behaupten.
Klaus hatte gerade ein paar Fotos geschossen, da kam der Regen. Aber nicht langsam tröpfelnd und sich dann steigernd. Vielmehr schossen plötzlich vom Sturm getriebene Salven aus Wasser nahezu quer zum Boden durch den Palmenhain, als hätte jemand einen Schalter umgelegt.
»Was für ein Glück, dass wir jetzt nicht am Strand zelten müssen«, dachten sich die beiden.
Nach einer Weile hielten die ersten Palmen den Gewalten nicht mehr stand und brachen. Inzwischen war der Sturm zu einem ausgewachsenen Taifun mutiert. Überall brachen die Bäume oder wurden entwurzelt, es flogen Palmblätter und Holzlatten durch die Luft. Und dann fiel der Strom aus. Es war inzwischen so düster geworden wie in einer Mondscheinnacht mit Wolkenhimmel, aber noch hell genug, um ein paar Fotos zu machen. Es sollten die letzten für diesen Tag sein. Klaus, immer noch mit dem Finger auf dem Auslöser, traute seinen Augen nicht, als vor ihm die ersten Dächer der umstehenden Hütten abhoben und wie Kinderdrachen in die Höhe wirbelten. Wie auf ein geheimes Kommando hin begannen die Wände der umstehenden Bungalows der Reihe nach in sich zusammenzubrechen. Manche wurden vom Wind noch eine Strecke über den Boden getrieben, bis sie sich zwischen bereits umgestürzten Palmen verfingen.
Klaus und seine Partnerin steckten inzwischen ganz eindeutig in einer ausgewachsenen Naturkatastrophe. Was die beiden Weltreisenden jedoch am meisten erschütterte, war das Erlebnis in ihrer eigenen Hütte: Während vor der Tür ein Inferno tobte und alles zu Kleinholz zermalmte, spürten sie in ihrem Raum davon buchstäblich nichts. Zwar hörten sie die Geräusche und wussten, was um sie herum los war, doch ihr eigenes Häuschen blieb davon so unberührt, als würde eine Art Schutzglocke es aussparen.
Im Laufe der Nacht legte sich der Taifun. Als Klaus und Claudia am nächsten Morgen ihre Hütte verließen, zeigte sich die gesamte Dimension der Zerstörung: Kein einziger Baum und kein Haus waren stehen geblieben, außer dem ihren. Das Unwetter hatte nicht einmal einen Palmwedel von ihrem Dach bewegt, und selbst die beiden Motorräder standen noch genauso vor der Veranda, wie sie sie am vergangenen Abend abgestellt hatten.
»Wenn wir das erzählen, glaubt uns das niemand«, dachten die beiden.
Klaus positionierte die Kamera auf seinem Stativ und fotografierte sie beide per...