Einleitung: Auf nach oben
Eine Operation am offenen Herzen: So definieren die Brasilianer den 8. Juli 2014, den keiner von ihnen jemals vergessen wird. Mit 7 : 1 fegte das deutsche Team ihre heiß geliebte Seleção aus dem Stadion von Belo Horizonte – und erschütterte damit eine ganze Nation. Nur fünf Tage später folgte für die Mannschaft um den »getackerten« Bastian Schweinsteiger der Sieg im WM-Finale gegen Argentinien, was aus deutscher Sicht mehr als gerecht war, denn schließlich heißt »argentum« auf Deutsch »Silber«. Und nun Hand aufs Herz: Wer von uns wäre in diesen unvergesslichen Momenten nicht gern Teil des Teams gewesen? Alle Turnierhürden wurden sportlich genommen, und am Ende war der Erfolg aus Sicht der Experten nur ein Produkt der Logik: Mit der richtigen Mischung aus bewährten deutschen Tugenden und einem guten Schuss Diversity – Boateng, Özil, Khedira, Klose und Co. sei Dank – konnte es eigentlich gar nicht schiefgehen. Ein Betriebswirt würde es vermutlich trockener formulieren: Das Unternehmen DFB hat das Projekt Weltmeisterschaft erfolgreich zum Abschluss gebracht und das bereits vor der Qualifikation gesteckte Quartalsziel erreicht.
Sport und Business haben eine Menge gemeinsam, und deshalb können wir hervorragende Parallelen erkennen. Teamarbeit kann hier wie dort nur zum Erfolg führen, wenn die richtigen Leute im Boot sitzen. In beiden Fällen zählen am Ruder aber nicht nur Filigrankompetenzen und Schlüsselqualifikationen, sondern auch soziale Fähigkeiten. Denn wenn die Chemie nicht stimmt, nutzt auch das schönste Zeugnis nichts. Doch vergessen wir bei all dem Jubel die Führungsebene nicht – schließlich hat sie die Aufgabe, die für den Erfolg erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Nur wenn der Rücken frei ist, kann sich die Mannschaft am Point of Sale auf das Kerngeschäft konzentrieren.
Dieselben Businessstrategien wenden die Spitzenklubs der Liga an – allen voran der FC Bayern München, der allen Erfolgen zum Trotz immer mehr Geld in die Position des Trainers investiert. Verallgemeinern wir die Frage: Warum arbeiten alle Sportler, die nicht nur Weltklasse, sondern bereits zu Lebzeiten Legenden sind – Muhammad Ali, Roger Federer, Tiger Woods, Serhij Bubka, Usain Bolt –, weiterhin mit einem Coach zusammen? Weil sie wissen, dass es noch höhere Ziele gibt. Weil sie von Rekorden träumen, die sie aus eigener Kraft nicht erreichen können. Weil ihnen klar ist, dass noch höhere Level in ihrer speziellen Disziplin möglich sind und dass ihre Fähigkeiten von Blickwinkeln und Kompetenzen profitieren, die auf Know-how und Menschenkenntnis beruhen – und dass nur ein erfahrener Trainer das alles liefern kann. Mach mich nur ein Prozent besser als letztes Jahr, dann bin ich der Konkurrenz auch weiterhin voraus.
Die richtigen Führungskräfte mit den richtigen Mitarbeitern zusammenbringen: Für dieses Ziel arbeiten beim FC Bayern rund 25 Talentscouts. Das sind fünf Prozent der rund 500 Mitarbeiter umfassenden Aktiengesellschaft. Welche Quote können Sie in Ihrer HR-Unterabteilung Personalsuche vorweisen?
Die besten Spieler der besten Vereine dieser Welt sind zweifelsohne High Potentials, und zu deutlich über 90 Prozent gehören sie zur Generation Y, den »Millennials«. Die Arbeitgeber werben um sie, und wer mit lukrativen finanziellen und sportlichen Angeboten bezirzt wird, kann sich seine nächste Station im Berufsleben selbst aussuchen. Da zählen für die einen nur große Namen, für die anderen in erster Linie die Fragen »Passe ich ins Team?« »Könnte ich mir zwei oder mehr Jahre an der Seite des aktuellen Kaders vorstellen?«. Nicht jeder ist extrovertiert und kommt mit einem Selbstdarsteller wie Cristiano Ronaldo zurecht, und auch ein Alphamännchen wie Zlatan Ibrahimović ist nicht jedermanns Traumpartner, mögen beide auch zur sportlichen Elite zählen. Dann schon eher den gemäßigten Messi, dessen Ego auf den ersten Blick unterhalb seiner Körpergröße liegt. Oder einen bodenständigen und authentischen Thomas Müller, dem der Spaß an der Arbeit bei jedem Interview anzusehen ist.
Bei der Jobsuche hat der Fußballer seinem Businesspendant eine ganze Menge voraus. Bereits vor der Unterschrift unter den Arbeitsvertrag kennt er einen Großteil seiner Teamkollegen, was große und somit böse Überraschungen von vornherein ausschließt. Ein Bewerber im Businessbereich wird in der Regel eher nicht in den Genuss dieses besonderen Vorteils kommen, denn auf eine entsprechende Datenbank hat er leider keinen Zugriff. Es sein denn, das Unternehmen bietet ihm diesen Luxus auf anderem Weg. Dazu muss es allerdings die über Jahrzehnte ausgetretenen Pfade des Recruitings verlassen. So wie Sincerely, ein Start-up aus San Francisco. Sincerely ist ein Geschenke-Netzwerk, eine Onlineplattform, die es ermöglicht, Geschenke via Smartphone zu versenden. Mit der Postagram-App beispielsweise lädt man Urlaubsbild und Grußtext auf den Unternehmensserver, die dann als echte Postkarte auf die Reise gehen. Der Empfänger kann das Foto aus der Karte heraustrennen und seiner analogen Sammlung hinzufügen. Das alles für unglaubliche 99 Cent für Ziele innerhalb oder 1,99 Dollar außerhalb der USA, Porto bereits inklusive. Matt Brezina, CEO und Gründer der Plattform, hat sich etwas Besonderes für neue Mitarbeiter ausgedacht: Mit dem gesamten Team verbringt er entspannende »Workations« in Mexiko. Dort wird ein paar Tage mit dem neuen Mitarbeiter in ungezwungener Atmosphäre – gern auch am Strand – gearbeitet. Es wird aber auch viel gelacht, und so entsteht bereits nach kurzer Zeit eine durchaus familiäre Beziehung. Der neue Mitarbeiter ist deutlich schneller Teil des Teams – und erhält gleichzeitig den Impuls zu bleiben.
Zeiten ändern sich. Das war schon immer so, aber es geschah noch nie zuvor in diesem Tempo. Grund dafür ist die sich immer schneller entwickelnde Informationstechnologie, weshalb der Ausdruck »Zeiten ändern sich« längst durch die Bezeichnung »digitaler Wandel« ersetzt wurde. Wer mit dem Wandel Schritt halten möchte, muss nicht nur Fahrt aufnehmen, sondern sich auch selbst wandeln. Zumindest die Bereitschaft dazu sollte vorhanden sein. Sehen wir es sportlich: Vermutlich würden die Weltmeister von 1954 gegen jede aktuelle Drittligamannschaft verlieren. Und Björn Borg auch gegen die Schlusslichter der derzeitigen Top 100. Menschen und Muskeln ändern sich nicht so schnell. Solche Prozesse können Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Technologie hingegen ändert sich rasant. Das liegt daran, dass der menschliche Körper sich zu immer neuen Höchstleistungen im wahrsten Sinne des Wortes quälen muss, und das funktioniert nun mal nur in kleinsten Schritten. Körper stoßen immer wieder an Grenzen. Technologie hingegen entsteht in Köpfen. Und weil wir davon mittlerweile besonders viele helle haben und der Nachwuchs diesbezüglich – gerade im IT-Bereich – gut aufgestellt ist, ist das Tempo ein höllisches. Das viel gepriesene »Go with the Flow« hat ausgedient – die »Fast Lane« ist der Ort, wo sich Wandel in Erfolge verwandelt. Und weil parallel zur Beschleunigung auf der Überholspur auch ein Generationenwechsel in den Unternehmen stattfindet, ergeben sich neue Fragen: Wie finde ich Mitarbeiter, die dieses Tempo mitgehen und halten können? Oder noch besser: Wie finde ich die wenigen, die das Tempo sogar vorgeben können? Und wie motiviere ich eigentlich solche Ausnahmetalente? Mit welchen Mitteln unterbinde ich einen »Vereinswechsel«? Und warum sitzen der Leiter meiner IT-Abteilung und mein Personalchef eigentlich nie an einem Tisch – von der Weihnachtsfeier einmal abgesehen? Viele Fragen pflastern den Weg in die Zukunft. Wir nehmen uns in diesem Buch acht Kapitel Zeit, all diese Fragen zu beantworten.
Der digitale Wandel sorgt nicht nur für neue Ziele, sondern beeinflusst auch unsere Art zu arbeiten und zu denken: der »Connected Workplace« – maßgeschneidertes Arbeiten auf der Basis von Mobilität und Flexibilität – verbreitet sich rasant. Die Mitarbeiter der Zukunft, die in der digitalen Welt aufgewachsen sind, stehen längst auf der Gehaltsliste. Es ist die Generation Y, die kritischer, anspruchsvoller, qualifizierter und vernetzter ist als alle Generationen davor. Motivation saugt diese Generation aus Selbstverantwortung, Herausforderung und Wertschätzung. Das Internet ist längst Teil ihrer DNS. Deshalb möchte die junge Generation all seine Vorzüge auch während der Arbeitszeit nutzen. Arbeit dient den neuen Jahrgängen in der Belegschaft in erster Linie nicht mehr der Sicherung von Nahrung und Wohnraum, sondern – Maslow lässt grüßen – mehr und mehr der Selbstverwirklichung. Wertvolle Zeit soll nicht in langweiligen Firmen sinnlos verschwendet werden. Zudem macht der demografische Wandel den hoch qualifizierten Mitarbeiter zu einer aussterbenden Spezies. Allein in Deutschland werden im Jahr 2030 entwicklungsabhängig zwischen fünf und acht Millionen Fachkräfte fehlen. Nur zehn Prozent davon lassen sich durch Erhöhung des Rentenalters und Zuwanderung wettmachen. Die Folge: Unternehmen müssen sich ab sofort bei den Mitarbeitern bewerben, und die Unternehmen mit dem höchsten Digitalisierungsgrad gewinnen. Das ist der Wirtschaft weltweit seit vielen Jahren bekannt, doch niemand hat sich wirklich auf dieses Szenario vorbereitet. Ebenso wenig wie auf die Tatsache, dass 2020 – zum ersten Mal in der Geschichte – fünf Generationen gleichzeitig die Belegschaft bilden. Hier sind Konflikte und nie gekannte Herausforderungen vorprogrammiert, aber auch unglaubliche Chancen.
Konflikte ganz anderer Art bietet auch der »War for Talents«. Hier kämpfen Unternehmen nicht nur gegeneinander, sondern auch mit einer neuen internen...