3. Regierungsübernahme Carl Augusts im Jahre 1775 und seine Regentschaft
An seinem 18. Geburtstag, am 3. September 1775, übernahm Carl August die Regierung des Herzogtums Sachsen-Weimar. Die Herzogin Anna Amalia übergab „ruhm- und ehrenvoll ihrem zur Volljährigkeit erwachsenen Erstgebornen die Regierung seiner väterlichen Staaten, und trat eine sorgenfreyere Abtheilung des Lebens an.“[91].
Der 3. September 1775 war bereits zur Geburt Carl Augusts ein fixes Datum; je näher der Tag rückte, an dem die interimistische Obervormundschaft beendet sein musste, desto mehr verstärkten sich Spannungen und Parteibildungen zwischen den in der Residenz maßgeblich bestimmenden Personenkreisen, Konflikte wurden zunehmend offener ausgetragen[92].
Bereits am 9. Januar 1775 begannen im Geheimen Consilium[93] die Beratungen über den Vollzug des Machtwechsels. Die zentrale Aufgabe hierbei bestand darin, eine kaiserliche Volljährigkeitserklärung, die „venia aetatis“, für den jungen Herzog Carl August zu erhalten, da diese die wichtigste Voraussetzung für eine eigenständige Regierung bildete[94].
Im Frühjahr 1775 begannen die Sondierungen in Wien durch den dortigen Weimarer Repräsentanten Christian Bernhard von Isenflamm. Die Verhandlungen schienen Erfolg versprechend, da Anna Amalia bei der Kaiserinmutter Maria Theresia ein hohes Ansehen genoss[95]. Carl August wurde in seinem handschriftlich ausgefertigtem Bittschreiben an den Kaiser Joseph II. als gebildeter, regierungseifriger und aufgeklärter Erbprinz dargestellt[96]. Am 18. Juli 1775 bestätigte schließlich Christian Bernhard von Isenflamm der Weimarer Herzogin Anna Amalia, dass der Kaiser die Weimarer Gesuche positiv beschieden habe, am 1. September traf er persönlich mit den kaiserlichen Diplomen in Weimar ein.
Am 3. September 1775 überreichte Anna Amalia ihrem Sohn Carl August in einer kurzen Zeremonie und nach einem „kurzen, aber sehr rührenden Vortrag“[97] die kaiserlichen Urkunden und trat von der obervormundschaftlichen Herrschaft zurück.
Es war ein kleines, noch dazu gebietsmäßig sehr zerstückeltes, in seinen Verwaltungsstrukturen uneinheitliches, wirtschaftlich eher ärmliches als gesegnetes Land, dessen Regierung Carl August nun übernahm[98]. Dieses „zerfetzte Staatswesen“[99] hatte zahlreiche Landesgrenzen: zu den übrigen wettinisch-ernestinischen Herzogtümern Sachsen-Gotha-Altenburg, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Coburg-Saalfeld, zu den Schwarzburgischen Fürstentümern, zu Kursachsen, Kurmainz (Erfurt, Eichsfeld), Kurhessen, zu den Bistümern Würzburg, Fulda und zu kleinen feudalrestlichen Miniaturgebilden wie etwa die Herrschaft Blankenhain[100].
Carl August war nunmehr „von Gottes Gnaden Herzog von Sachsen-Weimar und Eisenach“[101] und strebte das Ziel an, seine Herrschaft mit der Gemahlin zu beginnen, die ihm Kinder schenken und damit die weitere Thronfolge sichern sollte. Er reiste, gerade in sein Amt eingeführt, erneut nach Karlsruhe, wo er am 3. Oktober 1775 die Ehe mit Luise von Hessen-Darmstadt schloss[102].
Im Jahr 1776 wurde Johann Wolfgang von Goethe[103] in die Weimarer Regierung aufgenommen, er gehörte als Geheimer Legationsrat dem inneren Zirkel des Geheimen Consiliums[104] an[105]. Während der gesamten ersten Regierungsperiode Herzog Carl Augusts aber blieb die Führungsrolle des Geheimen Rats Jacob Friedrich Freiherr von Fritsch[106] unbestritten.
Nach den ersten Monaten seiner Regentschaft begann Carl August sich nun mit Eifer selbst um die Angelegenheiten in seinem Herzogtum zu kümmern: in der Regel nahm er, wie auch Goethe, an den allwöchentlichen Sitzungen des Geheimen Consiliums teil und unterrichtete sich auf zahlreichen Reisen an Ort und Stelle von den Zuständen im Land, meist von Goethe begleitet, der sich auf diese Weise eine umfassende Kenntnis von Land und Leuten aneignete. Doch besonders scharfe Regentschaftskonturen konnte Carl August in den ersten fünf Jahren seiner Regierung nicht gewinnen[107].
Mit dem Regierungswechsel von der Obervormünderin Anna Amalia zu Herzog Carl August verbanden die weimarischen Untertanen das Ende eines irregulären dynastischen Zustandes und den Beginn einer regulären, uneingeschränkten Herrschaft, von der sie eine aktive Politik zum allgemeinen Besten erwarteten[108].
3.1 Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation
Johann Wolfgang von Goethe verfasste in seinem „Faust. Der Tragödie erster Teil“ (Erstveröffentlichung 1806) ein Spottlied auf das Heilige Römische Reich Deutscher Nation: „Frosch: Das liebe Heil’ge Römische Reich, Wie hält’s nur noch zusammen? Brander: Ein garstig Lied! Pfui! ein politisch Lied! Ein leidig Lied! Dankt Gott mit jedem Morgen, Daß ihr nicht braucht fürs Röm’sche Reich zu sorgen!“[109] Das von Herzog Carl August für Johann Wolfgang von Goethe beantragte Adelsdiplom wurde am 10. April 1782 vom römisch-deutschen Kaiser in Wien ausgestellt. Ebersbach stellt fest: „Ein Heiliges Römisches Reich gibt es noch, eine Reichsverfassung, einen Reichstag und einen Reichserzkanzler. Aber was von diesen Institutionen und vom Kaiser ausgeht, hat längst nicht mehr die bindende und bannende Kraft einer zentralistisch regierten Monarchie.“[110] Der Westfälische Frieden, der am 24. Oktober 1648 formell zwischen dem römisch-deutschen Kaiser und Frankreich sowie Schweden geschlossen wurde, schränkte zugunsten einer weitgehenden Selbstständigkeit der Reichsstände[111] die kaiserliche Gewalt im Reich ein. Dickmann betont: „Der Frieden bedeutet für unser Volk ein nationales Unglück und für das Heilige Römische Reich, in dem es bis dahin seine staatliche Form gefunden hatte, den Anfang der tödlichen Krankheit, der es schließlich erlag. […] Das Jahr 1648 ist eines der großen Katastrophenjahre unserer Geschichte.“[112] Die beiden Mächte Frankreich und Schweden, die den Partikularismus gegen die Habsburgermonarchie begünstigen, können sich nun jederzeit in die Reichsangelegenheiten einmischen und bieten sich daher für die kleinen deutschen Herrscher als Bündnispartner an. Als Gegengewicht gegen die habsburgische Kaiserwürde wurde am 15. August 1658 durch den Mainzer Kurfürsten Johann Philipp von Schönborn die ständische Einrichtung des Rheinbundes gegründet, welcher katholische und evangelische Reichsstände zusammenschloss[113]. An dieser Stelle ist ein erheblicher Widerspruch zum Friedenswerk des Westfälischen Friedens erkennbar: Der Westfälische Friede erkennt das bisher umstrittene Bündnisrecht der Reichsstände mit auswärtigen Mächten zwar an, die Bündnisse dürfen sich aber nicht gegen den Kaiser richten; das Bündnis des Rheinbundes jedoch ist als Gegengewicht zum erneuerten Habsburger Kaisertum zu betrachten.
In seiner 1667 erschienenen Abhandlung „Über die Verfassung des Deutschen Reiches“ kommt der Historiker und Staatsphilosoph Samuel Freiherr von Pufendorf zu dem Schluss, dass das Reich nun, nach dem Westfälischen Frieden[114], weit entfernt sei von einer echten monarchischen Verfassung, sondern vielmehr in einen systemlosen Staatenbund zerfallen sei: „Es bleibt also nichts übrig, als zu sagen, Deutschland sei, wenn man es nach den Regeln des Staatsrechts und nach dem Vorbild anderer Staaten classificiren will, ein unregelmäßiges Staatsgebilde, das seines Gleichen auf der ganzen Welt nicht hat. Es ist im Laufe der Zeit durch energielose Nachgibigkeit einiger Kaiser, den Ehrgeiz der Fürsten, die Agitation der Pfaffen, die Parteiungen der Stände und die dadurch hervorgerufenen inneren Kämpfe aus einer regelrechten Monarchie in eine so ungeschickte Gestalt verkehrt, dass es nicht einmal mehr eine beschränkte Monarchie ist, wenn auch äußere Zeichen darauf deuten, noch auch ein Föderativstaat, sondern ein zwischen beiden Liegendes und Schwankendes.“[115]
Zwischen 1740 und 1763 führten Preußen und Österreich insgesamt drei Kriege um den Besitz Schlesiens. Der erste Schlesische Krieg löste gleichzeitig einen europäischen Krieg um die Erbfolge Maria Theresias in den habsburgischen Erblanden aus: Kurfürst Karl Albrecht von Bayern erhob Erbansprüche auf die habsburgischen Länder. Bedeutend für das gesamte Reich war jedoch der dritte Schlesische Krieg, der „Siebenjährige Krieg“[116]. Als ein Fürstentum des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war Weimar-Eisenach zur Stellung eines Truppenkontingents für die Reichsarmee verpflichtet – Brandenburg-Preußen hingegen begründete den Anspruch auf Truppen mit den verwandtschaftlichen Beziehungen zum Haus Sachsen-Weimar. Trotz dieser Forderungen gelang der Herzogin ein Ausgleich mit ihrem Onkel Friedrich II.[117]. In einem Treffen mit dem preußischen König am 3. Dezember 1762 konnte sie die Zahl der von ihm angeforderten Soldaten für den Siebenjährigen Krieg reduzieren[118].
Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation...