Einführung
Der Hinduismus ist eine große Weltreligion und trotzdem vielen Menschen ein Buch mit sieben Siegeln. Er lässt sich nicht auf wenige Lehrsätze oder heilige Schriften reduzieren und hat so viele Facetten, dass schnell das Gefühl entsteht, diese Religion einfach nicht verstehen zu können. Die Welt wächst aber immer mehr zusammen und die Mobilität der Menschen und Ideen hat dazu geführt, dass wir immer öfter mit Menschen anderer Religionen zu tun haben oder ihren Ideen begegnen. Sich da ein bisschen auszukennen hilft nicht nur, die anderen Menschen zu verstehen, sondern erweitert auch den Blick auf die eigene Kultur und Religion.
Ich stamme weder aus Südasien, noch bin ich Hindu. Hinduismus für Dummies wirft daher einen Blick von außen auf den Hinduismus, dabei aber aus der Sicht eines Menschen, der sich lange mit der Region und den Religionen Südasiens beschäftigt hat. Sicherlich gehen dabei einige Perspektiven verloren, dennoch ist es manchmal sehr viel einfacher, jemandem etwas zu beschreiben und verständlich zu machen, wenn man denselben kulturellen Hintergrund teilt: Eine Inderin, die aus dem Nähkästchen plaudert, würden Sie vielleicht gar nicht verstehen, weil Ihnen ihre Vorstellungen fremd sind und die Brücke in den Osten fehlt. Diese Brücke möchte ich Ihnen hier gern bauen – sie führt von West nach Ost. Daher werden Sie auch viele Beispiele finden, die von einer westlichen Erfahrung und Kultur ausgehen. Wenn Sie mit mir auf der anderen Seite der Brücke angekommen sind, werden Sie schon eine ganz andere Grundlage haben, um mit Hindus selbst ins Gespräch zu kommen. Und wer weiß, vielleicht wandern Sie dann zusammen eines Tages mit einem Hindu zurück über die Brücke in den Westen.
Über dieses Buch
Wie jede Religion ist auch der Hinduismus sehr vielschichtig. Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, sich dem Thema anzunähern und den Hinduismus darzustellen. Mir ist wichtig, dass Sie einen möglichst umfassenden Einstieg bekommen, der einige dieser Möglichkeiten vereinigt. Sie werden also historische Grundlagen, philosophische Hintergründe, die Ausprägungen verschiedener hinduistischer Traditionen, aber auch die Durchwirkung und Prägung der indischen Gesellschaft durch den Hinduismus erklärt finden. Ein wesentliches Anliegen dieses Buches ist es, Ihnen den Hinduismus nicht nur theoretisch näherzubringen, sondern Ihnen das Verständnis für das Leben in einer hinduistischen Gesellschaft zu erleichtern und Tipps zu geben, wie Sie kulturelle Missverständnisse vermeiden können.
Konventionen in diesem Buch
Wenn Sie schon einmal etwas über Indien oder indische Religionen gelesen haben, sind Sie mit Sicherheit ab und zu über die komischen Buchstaben gestolpert, die verwendet werden, um Sanskrit-Begriffe in lateinischer Schrift lesbar zu machen. Sie haben sich vielleicht auch gefragt, wo nun der Unterschied zwischen ś, s. und s besteht, was h. genau zu besagen hat und ob es nun wirklich nötig ist, zwischen vier verschiedenen »t« und »d« oder diesen vielen »n« (n., n., ñ, n) zu unterscheiden. Das ist eine standardisierte Umschrift, die von Sprachwissenschaftlern und Indologen verwendet wird, um jedes indische Schriftzeichen genau mit einem lateinischen Buchstaben oder einer Buchstabenfolge wiederzugeben. Es dient der Genauigkeit, aber auch Eindeutigkeit, da ansonsten bestimmte Wörter verwechselt werden könnten.
Schon ein kleiner Längenstrich kann da Welten ausmachen, wie in den beiden Wörtchen śraddhā und śrāddha. Beide würden in der vereinfachten Wiedergabe als shraddha erscheinen. Das erste heißt aber »Glauben, Vertrauen«, das zweite ist der Fachbegriff für »Ahnenritual«. Wenn Sie nun aber trotz der Lektüre dieses Buches nicht beabsichtigen, in den nächsten Wochen zum Sanskrit-Gelehrten zu werden, brauchen Sie diese Zeichen auch nicht und können die Aussprache leichter der vereinfachten Umschrift entnehmen. Eine ganze Reihe von Begriffen hat sich bereits auch schon in dieser vereinfachten Umschrift über den Umweg durch das Englische bei uns eingebürgert, wie eben Krishna oder Vishnu.
Die kursiv gedruckten Wörter, die Sie gelegentlich finden, sind immer in Sanskrit, wenn es nicht anders angegeben ist. Viele Sanskrit-Begriffe sind in verschiedenen modernen indischen Sprachen in einer sehr ähnlichen Form erhalten. Oft fehlt nur ein »a« am Ende des Wortes: So wird zum Beispiel Sanskrit prasada zu Hindi prasad. Beim Stichwortverzeichnis habe ich mich an die in den wissenschaftlichen Bibliotheken übliche Ansetzung gehalten und bei bürgerlichen Namen den Nachnamen als Erstes gesetzt (De, Abhay Charan). Bei spirituellen oder von einem Orden verliehenen Namen wird üblicherweise der gesamte Name als »Nachname« verwendet und auch so angesetzt (Sathya Sai Baba).
Was Sie nicht lesen müssen
Lesen müssen Sie eigentlich gar nichts. Das Buch macht sich auch ganz hübsch im Regal. Aber Sie haben sich schließlich dieses Buch gekauft, um besser über den Hinduismus Bescheid zu wissen, und hier können Sie jede Menge erfahren. Es hängt ein bisschen von Ihrem Interesse ab, was Sie lesen sollten – manche Kapitel geben einen eher historischen Überblick und vermitteln Grundlagen, andere befassen sich mehr mit dem heute gelebten Hinduismus.
Wenn Sie sich in Kürze über die wichtigsten Aspekte informieren möchten, sollten Sie vor allem die Kapitel 4 »Klassischer Hinduismus«, Kapitel 8 »Die hinduistische Götterwelt«, Kapitel 10 »Nix wie weg«, Kapitel 14 »Rituale und Feste« und Kapitel 18 »Das Kastensystem« lesen.
Es gibt ja bekanntlich ganz unterschiedliche Lesegewohnheiten und Sie können anstatt das Buch von vorn bis hinten zu lesen, auch von Symbol zu Symbol oder von Kasten zu Kasten springen. Zehn der wichtigsten Fragen sind am Ende des Buches im Top-Ten-Teil erklärt. Sie können auch von dort einsteigen und das Buch dann »rückwärts« lesen. Denn ich verspreche Ihnen, dass jede Antwort einige neue Fragen aufwirft, die Sie dann hoffentlich in einem anderen Teil des Buches erklärt finden. Es ist ohnehin immer beruhigend zu wissen, wie ein Buch ausgeht.
Wenn Sie also nicht so recht wissen, wo Sie anfangen sollen, und Ihnen das Anfangen am Anfang langweilig erscheint, beginnen Sie bei Kapitel 21 »Was Sie schon immer über den Hinduismus wissen wollten« im Top-Ten-Teil. Die Verweise im Buch werden Ihnen dann einen Weg zeigen, sodass Sie am Ende vielleicht bei Kapitel 1 landen und mit mir darüber nachdenken können, was eigentlich Hinduismus ist.
Törichte Annahmen über den Leser
Sie haben vielleicht gerade mit einem Yoga-Kurs begonnen und wollen wissen, was es mit den Hintergründen so auf sich hat, oder Ihre Tochter hat im Studium diesen »süßen indischen IT-Spezialisten« kennengelernt und möchte nun nach hinduistischem Ritus heiraten. Vielleicht sind Sie selbst die Tochter, oder Sie sehen regelmäßig Bollywood-Filme und möchten nun mehr über die hinduistische Kultur erfahren.
Oder Sie haben gerade einen Flug nach Goa, Mumbai oder Delhi gebucht und haben sich überlegt, dass es doch gut wäre, ein bisschen mehr über Indien zu erfahren. Vielleicht waren Sie neulich von indischen Nachbarn zum Divali-Feiern eingeladen oder haben sich beim Betrachten von weidenden Kühen zum hundertsten Mal gefragt, weshalb diese Viecher in Indien eigentlich heilig sind. Vielleicht haben Sie als Mann die indische Ehefrau Ihres indischen Geschäftspartners beim letzten Abendessen mit einem freundlichen Küsschen begrüßt und wundern sich, warum er nicht mehr mit Ihnen redet. Vielleicht haben Sie aber auch nur Interesse an anderen Kulturen und Ihnen ist Ihre Bhagavad-Gita, die Sie seit Ihrem Aussteigerjahr in den 1970er-Jahren nicht mehr in der Hand hatten, beim Abstauben aus dem Regal gefallen.
All dies sind gute Gründe, um einzusteigen und mehr zu erfahren über eine der größten Weltreligionen. Vorwissen brauchen Sie für dieses Buch nicht – Neugier und die Fähigkeit zu staunen reichen völlig aus.
Wie dieses Buch aufgebaut ist
Es ist nicht nötig, dass Sie auf Seite 1 anfangen und bis zur letzten Seite alles durchlesen. Dieses Buch ist so aufgebaut, dass Sie jederzeit überall einsteigen können. Deshalb lesen Sie ruhig quer, blättern Sie und schauen Sie sich die Passagen zuerst an, die Sie besonders interessieren. Es gibt so viel über den Hinduismus zu entdecken, dass eine Empfehlung, was nun wichtig ist oder nicht, eigentlich nur falsch sein kann. Das, was Sie interessiert, ist auch wichtig für Sie und deshalb sollten Sie das zuerst lesen.
Das Buch geht vom heutigen Hinduismus aus. Das heißt allerdings nicht, dass es keine historischen Bezüge gibt, denn der Hinduismus ist ja nicht über Nacht vom Himmel gefallen, sondern das Ergebnis einer jahrtausendelangen Geschichte. Deshalb erklärt dieses Buch auch historische Grundlagen, die für den Hinduismus bis heute...