Sie sind hier
E-Book

Hitlers zweiter Putsch

Dollfuß, die Nazis und der 25. Juli 1934

AutorKurt Bauer
VerlagResidenz Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl312 Seiten
ISBN9783701744640
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Die dramatische Geschichte des nationalsozialistischen Putsches im österreichischen Ständestaat Eine wissenschaftliche Sensation! Kurt Bauer räumt mit den vielen Mythen auf, die sich um den Juliputsch 1934 ranken. Er weist erstmals nach, dass Hitler selbst es war, der den Staatsstreich befahl. Am 25. Juli 1934 um 12.53 Uhr stürmen 150 SS-Männer das Bundeskanzleramt in Wien. Kanzler Engelbert Dollfuß, der Führer des autoritären Ständestaates, wird schwer verletzt und stirbt. Schon am Abend geben die Putschisten in Wien auf, dafür bricht in der Provinz ein blutiger Naziaufstand aus. Währenddessen sitzt Adolf Hitler im Bayreuther Festspielhaus und hört Wagner. Doch es herrscht Unruhe in der Führerloge - Hitler wartet ungeduldig auf Meldung aus Österreich...

Kurt Bauer geboren 1961, gelernter Schriftsetzer, Buchhersteller und Verlagslektor, Studium der Geschichte an der Universität Wien. Seit 2007 freier Mitarbeiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Historische Sozialwissenschaft, Lektor am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. Für sein Buch 'Elementar-Ereignis' (2003) erhielt er den Bruno-Kreisky-Preis. Zuletzt erschienen: 'Nationalsozialismus. Ursprünge, Anfänge, Aufstieg und Fall' (2008).

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

DER PUTSCH IN WIEN


23. BIS 25. JULI 1934


WEYDENHAMMER


»Befehlsgemäß«, wie er schreibt, fuhr Rudolf Weydenhammer am Montag, dem 23. Juli 1934 in einer grau lackierten Limousine der Luxusmarke Horch von München nach Wien. Den Grenzübergang bei Salzburg passierte er anstandslos. Probleme hätte allenfalls sein gefälschter Pass bereiten können, denn Weydenhammer reiste unter dem Namen Rudolph Williams.1 Auf seinen zuletzt häufigen Fahrten und Flügen nach Wien und Rom hatte er sich regelmäßig als Deutschamerikaner oder Deutschbrite gegeben, was ihm wegen seiner als ausgezeichnet beschriebenen Englischkenntnisse ohne Weiteres abgenommen worden war. Ein Zeuge beschrieb ihn als »40 bis 45 Jahre alten Herrn von normaler Statur mit brauner Gesichtsfarbe und schwarzen Haaren von distinguiertem Aussehen«, die Polizei als »mittelgroß, untersetzt, volles, rundes Gesicht, dunkles Haar, starke Augenbrauen, kleiner, dunkler Schnurbart«.2

Dr. Weydenhammer war ein Mann von Welt: aus bester Familie, ehemaliger bayerischer Generalstabsoffizier, führender Banker, Aufsichtsrat internationaler Finanz- und Industriekonzerne, Manager, Industrieller, wohlhabend. 1928 hatte er ein Gut am Starnberger See erworben, in vorzüglicher Nobellage, keine dreißig Kilometer von der Münchner Innenstadt entfernt.3

Politisch war er ursprünglich der katholisch-konservativen Bayerischen Volkspartei nahegestanden, hatte sich aber ab 1931/32 unter dem Einfluss des NS-Reichsorganisationsleiters Gregor Strasser dem Nationalsozialismus zugewandt. Nachdem dieser Ende 1932 im Streit mit Hitler aus allen Funktionen geschieden war, fand sich ein anderer Förderer von Weydenhammers politischem Ehrgeiz: Theo Habicht, der »Landesinspekteur« der österreichischen NSDAP. Dieser saß mit dem größten Teil seines Stabes seit Mitte 1933, als die NSDAP in Österreich verboten worden war, in München. Habicht machte Weydenhammer vorerst zu seinem wirtschaftlichen Berater, dann für ein paar Monate zum kommissarischen Gauleiter von Tirol und schließlich zum Stabsleiter der österreichischen NS-Landesleitung. Letzteres eine »nominelle« Position, wie Weydenhammer später einigermaßen plausibel behauptete. Tatsächlich habe er Habicht hauptsächlich als Kurier gedient und Verhandlungen in seinem Namen geführt.4 Verhandlungen freilich von ganz besonderer Art, denn Rudolf Weydenhammer war der Chefkoordinator des nationalsozialistischen Putsches gegen die österreichische Regierung.

Was hatte den Geschäftsmann dazu gebracht, sich für ein derartig unsicheres Geschäft herzugeben? Denn bei aller in seinen beiden Berichten anklingenden NS-Rhetorik kann man sich ihn beim besten Willen nicht als engstirnigen Nazi der Marke »Alter Kämpfer« vorstellen. Die Nazi-Veteranen lehnten ihn ohnehin ab. Allein schon Weydenhammers Äußeres war ihnen verdächtig, der Duft nach Eau de Cologne, den er verströmte, seine Vorliebe für dickbäuchige Zigarren, seine Selbstgefälligkeit. »Weydenhammer war eben für uns alte Nationalsozialisten Österreichs nicht ein solcher Typ, der uns als besonders willkommen erscheinen musste.«5 So Hanns Blaschke, ein Mitputschist, der 1949/50 seinem in Untersuchungshaft sitzenden einstigen Kameraden durch günstige Aussagen und angebliche Erinnerungslücken – eher lustlos, wie es scheint – gefällig war.

Weydenhammer habe sich wohl nur deshalb den Nazis angeschlossen, meinte ein Berufskollege im Jahr 1946, »um auf dem Rücken derselben zu großer Stellung und Ansehen zu gelangen. Er war maßlos ehrgeizig und wollte Industriekapitän werden und in die Geschichte eingehen.«6 Als »großsprecherisch« und »von sich selbst sehr eingenommen« charakterisierte ihn der Industrielle Hans Lauda,7 einen »ausgesprochenen Konjunkturmenschen« nannte ihn der Tiroler Sicherheitsdirektor.8

An besagtem 23. Juli langte Weydenhammer um 19 Uhr in Wien ein.9 Zuerst begab er sich in die in der Wiener Innenstadt gelegene Kanzlei des Patentanwaltes Blaschke. Hier traf er Otto Gustav Wächter, der als Stellvertreter und Vertrauter Habichts die nicht ungefährliche Funktion eines Leiters der illegalen österreichischen NSDAP ausübte.10 Mit dabei noch Wächters Stabsleiter Rudolf Pavlu und ebendieser Blaschke, wohl eine Art Stellvertreter oder jedenfalls enger Mitarbeiter Wächters. Aktuelle Informationen wurden ausgetauscht. Probleme bei der Beschaffung der Lastautos kamen zur Sprache, jener Fahrzeuge, auf denen die putschenden SS-Leute zum Einsatzort transportiert werden sollten. Blaschke versprach, sich darum zu kümmern.

Aus konspirativen Gründen wollten sich die Verschwörer an keinem Besprechungsort länger als eine Stunde aufhalten. Daher machte Weydenhammer sich bald wieder auf den Weg und schaute gegen 20 Uhr im Hotel Imperial am Kärntner Ring vorbei. Gesandter Rintelen, den er zu sprechen wünschte, war allerdings nicht anwesend. Um 20.30 Uhr war Weydenhammer am Währinger Gürtel, um in einem Restaurant bei der Volksoper neuerlich Otto Gustav Wächter und erstmals Fridolin Glass zu treffen.

Damit saßen die drei Oberputschisten beisammen. Wächter war die Rolle des politischen, Glass die des militärischen Führers zugedacht, Weydenhammer sollte im Namen Habichts alles koordinieren und überwachen. Eine erstaunliche Mischung: der 44-jährige bayerische Industrielle Dr. Weydenhammer, der 33-jährige Wiener Rechtsanwalt Dr. Wächter, und der noch nicht 24-jährige Studienabbrecher Glass. Bei allen Unterschieden war ihnen eines gemeinsam: enge familiäre und berufliche Bindungen an das Soldatentum, hohe Affinität zu allem Militärischen. Weydenhammer war neun Jahre lang königlich bayerischer Offizier gewesen. Seine Berichte über den Juliputsch zeichnete er stolz mit »Hauptmann a. D.«. Wächters Vater hatte es in der alten österreichischen Armee bis zum Oberst gebracht und der Republik als Heeresminister gedient. Er selbst, der Sohn, gehörte jener »Generation des Unbedingten« an, die den Krieg zwar nicht mehr aus eigener Anschauung kennengelernt, aber nach Michael Wildt »das Soldatische, das Kämpferische, das Harte und Erbarmungslose zu ihren Tugenden erhoben« hatte.11 Auch Glass hatte einen Soldaten-Vater (Unteroffizier), war selbst in das österreichische Bundesheer eingetreten und 1933 wegen NS-Betätigung entlassen worden. Gemeinsam mit ebenfalls hinausgeworfenen Kameraden hatte er daraufhin eine der SS angegliederte und von ihm geführte »Militärstandarte« gegründet.

Man beriet Details des kommenden Tages (24. Juli). Wie nun feststand – oder festzustehen schien –, sollte nachmittags, 16 Uhr, die letzte Sitzung der österreichischen Regierung vor der Sommerpause stattfinden. Die erwartete Gelegenheit zum Losschlagen.

Um 21.15 Uhr fuhr Weydenhammer mit Glass in dessen Auto nach Klosterneuburg, einer Kleinstadt nördlich von Wien. Hier, in einem Badehäuschen inmitten der ausgedehnten Donauauen, lag das geheime Hauptquartier der von Glass geführten SS-Standarte 89. Aber deshalb war man nicht hergekommen. Weydenhammer erhielt vielmehr die von ihm so dringend gewünschte Gelegenheit, mit maßgeblichen Bundesheeroffizieren zu sprechen. In einem Wäldchen beim Donaustrandband fand das hochverräterische Treffen statt, bei dem neben Oberstleutnant Adolf Sinzinger zwei weitere Offiziere12 anwesend waren. Sinzinger hatte keine besonders herausragende Stellung innerhalb des österreichischen Bundesheeres inne. Aber er befand sich, wie er meinte, zum Zeitpunkt des Putsches an einer entscheidenden Position in der Befehlskette. Voraussetzung: das Gelingen der Aktion im Bundeskanzleramt. Die Offiziere sagten zu, dass die Sammlung, Uniformierung, Bewaffnung und Abfahrt der Putschisten am nächsten Tag, 16 Uhr, unter ihrer Oberaufsicht im Gebäude des Bundesheer-Stadtkommandos Wien stattfinden könne.

Gegen 23 Uhr endete die Besprechung. Der nächste Treffpunkt war um 23.15 Uhr (oder vielleicht etwas später) ein Heurigenlokal in Nußdorf. Zuvor ließ Weydenhammer sich noch in die Innenstadt chauffieren und fragte im Hotel nach Rintelen. Der war nach wie vor außer Haus. Dann, beim Heurigen in Nußdorf, saßen wieder Weydenhammer, Glass und Wächter beisammen. Letzterer brachte eine Bestätigung des Ministerratstermins mit. Sodann ging es um die Aktion gegen Bundespräsident Wilhelm Miklas, der sich auf Urlaub in Velden am Wörthersee befand. Miklas sollte, zeitgleich mit dem Schlag gegen die Regierung, durch ein SS-Kommando gefangengesetzt werden. Schließlich vereinbarten die drei den Terminplan für den kommenden Tag. Danach sprach Weydenhammer in einem nahe gelegenen Café kurz mit dem polizeibekannten Naziterroristen Max Grillmayer (alias »Kurt...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Europa - Geschichte und Geografie

Faschistische Selbstdarstellung

E-Book Faschistische Selbstdarstellung
Eine Retortenstadt Mussolinis als Bühne des Faschismus Format: PDF

Unter dem italienischen Faschismus wurden südlich von Rom neue Städte in den ehemaligen Pontinischen Sümpfen gegründet. Diese faschistischen Retortenstädte verknüpften neue sozialpolitische Modelle…

Faschistische Selbstdarstellung

E-Book Faschistische Selbstdarstellung
Eine Retortenstadt Mussolinis als Bühne des Faschismus Format: PDF

Unter dem italienischen Faschismus wurden südlich von Rom neue Städte in den ehemaligen Pontinischen Sümpfen gegründet. Diese faschistischen Retortenstädte verknüpften neue sozialpolitische Modelle…

Faschistische Selbstdarstellung

E-Book Faschistische Selbstdarstellung
Eine Retortenstadt Mussolinis als Bühne des Faschismus Format: PDF

Unter dem italienischen Faschismus wurden südlich von Rom neue Städte in den ehemaligen Pontinischen Sümpfen gegründet. Diese faschistischen Retortenstädte verknüpften neue sozialpolitische Modelle…

Faschistische Selbstdarstellung

E-Book Faschistische Selbstdarstellung
Eine Retortenstadt Mussolinis als Bühne des Faschismus Format: PDF

Unter dem italienischen Faschismus wurden südlich von Rom neue Städte in den ehemaligen Pontinischen Sümpfen gegründet. Diese faschistischen Retortenstädte verknüpften neue sozialpolitische Modelle…

Spätmoderne

E-Book Spätmoderne
Lyrik des 20. Jahrhunderts in Ost-Mittel-Europa I Format: PDF

Der Sammelband „Spätmoderne" bildet den Auftakt zur Reihe „Lyrik des 20. Jahrhunderts in Ost-Mittel-Europa" und widmet sich zuvorderst osteuropäischen Dichtwerken, die zwischen 1920 und 1940…

Spätmoderne

E-Book Spätmoderne
Lyrik des 20. Jahrhunderts in Ost-Mittel-Europa I Format: PDF

Der Sammelband „Spätmoderne" bildet den Auftakt zur Reihe „Lyrik des 20. Jahrhunderts in Ost-Mittel-Europa" und widmet sich zuvorderst osteuropäischen Dichtwerken, die zwischen 1920 und 1940…

Weitere Zeitschriften

Burgen und Schlösser

Burgen und Schlösser

aktuelle Berichte zum Thema Burgen, Schlösser, Wehrbauten, Forschungsergebnisse zur Bau- und Kunstgeschichte, Denkmalpflege und Denkmalschutz Seit ihrer Gründung 1899 gibt die Deutsche ...

Card Forum International

Card Forum International

Card Forum International, Magazine for Card Technologies and Applications, is a leading source for information in the field of card-based payment systems, related technologies, and required reading ...

crescendo

crescendo

Die Zeitschrift für Blas- und Spielleutemusik in NRW - Informationen aus dem Volksmusikerbund NRW - Berichte aus 23 Kreisverbänden mit über 1000 Blasorchestern, Spielmanns- und Fanfarenzügen - ...

Das Hauseigentum

Das Hauseigentum

Das Hauseigentum. Organ des Landesverbandes Haus & Grund Brandenburg. Speziell für die neuen Bundesländer, mit regionalem Schwerpunkt Brandenburg. Systematische Grundlagenvermittlung, viele ...

Der Steuerzahler

Der Steuerzahler

Der Steuerzahler ist das monatliche Wirtschafts- und Mitgliedermagazin des Bundes der Steuerzahler und erreicht mit fast 230.000 Abonnenten einen weitesten Leserkreis von 1 ...

DGIP-intern

DGIP-intern

Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Individualpsychologie e.V. (DGIP) für ihre Mitglieder Die Mitglieder der DGIP erhalten viermal jährlich das Mitteilungsblatt „DGIP-intern“ ...

VideoMarkt

VideoMarkt

VideoMarkt – besser unterhalten. VideoMarkt deckt die gesamte Videobranche ab: Videoverkauf, Videoverleih und digitale Distribution. Das komplette Serviceangebot von VideoMarkt unterstützt die ...