An manchen Tagen im Hochsommer scheint sich die halbe Welt in Bräcke zu treffen, im Holy Smoke im Nordwesten von Skåne. Ich meine damit Menschen aller Couleur. Familien mit Kind und Kegel, Biker und Bürotypen, Krankenschwestern und Maschinisten, Tätowierte und Nicht-Tätowierte (ja, heutzutage lässt sich diese Unterteilung durchaus vornehmen), Alte und Junge, Singles und Paare, Freunde, Verwandte und Teilnehmer von Bachelorpartys.
Und sie kommen in großer Anzahl, an so einem Wochenende können es gut ein paar Tausend Leute sein, die um und im Holy Smoke herumschwirren. Ungefähr genauso viele besuchen das kleine Dorf von Oktober bis März. Die Schlange reicht dann bis raus zur Straße, aber alle warten geduldig, bis sie an der Reihe sind, dann wird BBQ gegessen, Bier getrunken, geredet, gelacht, die Kids grillen Marshmallows über dem offenen Feuer in der Mitte des Hofs, der von schwarzen Containern umringt ist, die als Küche, Geschäft, Bar, Kasse und Lager dienen.
Jedes Wochenende ist wie ein wiederkehrendes Musikfestival, allerdings ohne Liveband. Aber an einigen Abenden im Sommer wird auch aufgespielt, dann geht das Fest bis lang in die Sommernacht und bringt etwas Leben in das kleine Dorf. Das ist auch nötig, denn wie man hier so schön sagt: „Da wo die Straßenlaternen enden, beginnt Bräcke.“
Wusste ich, dass das hier mal so werden würde? Hell no. Am Anfang wusste ich ja nicht einmal, dass es ein Restaurant werden würde. In der Tat tue ich mich nach wie vor schwer damit, Holy Smoke ein Restaurant zu nennen.
Alles begann vor Jahren mit endlosem, intensivem Grillen von Kamm- und Lendenstücken auf Bullet Smokern zu Hause im Garten. Dann ergab sich die Gelegenheit, in die USA zu reisen, aber diesmal nicht auf irgendeine Standardtour nach NYC oder Florida, sondern auf meine erste Meatcruise nach Texas.
Dort gab es dann jede Menge Beef, insbesondere Brisket und Short Ribs, Fleisch, das zu der Zeit damals in Schweden nicht zu kriegen war. Ich erinnere mich noch heute an den Moment, als ich meinen ersten Bissen Brisket zu mir nahm – ich aß BBQ-Brisket. Wow! Darauf folgten einige Wochen Essen in allen möglichen Buden im mittleren Texas.
Da beschloss ich, dass es auch in Schweden möglich sein muss, amerikanisches Prime Brisket zu kaufen. Diese Ungerechtigkeit musste beseitigt werden.
Das war leichter gesagt als getan, aber nach meiner Rückkehr fing ich an, die Leute zuzutexten und ein paar Monate später war ein Lieferant gefunden und eine Kiste unterwegs von Creekstone Farms in Arkansas City.
Ich fühlte mich wie ein richtiger Gewinner, als ich die Kiste feierlich öffnete. Wäre Publikum da gewesen, wäre sicherlich ein Raunen zu hören gewesen – zwei Prime Briskets!
Ich muss wohl nicht betonen, dass die ersten Versuche eher mäßig waren. Aber es kamen mehr Kisten aus Arkansas City und das Ergebnis wurde langsam besser.
Irgendwann damals, während der ersten holprigen Schritte, wurde eine Idee geboren. Ich wusste nicht genau, was passieren musste, aber ich fühlte einen Drang, etwas daraus zu machen. Dazu kam, dass es der Familie mit gerade mal schulpflichtigen Kindern zu viel wurde, sich jedes zweite Wochenende ein ganzes Brisket reinzuziehen.
Die Frage war nur, wie sollte ich das machen … Ich hatte natürlich in sehr jungen Jahren viel in Kneipen gejobbt und Unternehmen geführt seit ich knapp 20 war, aber nie im Restaurantsektor. Nein, ein Restaurant sollte es nicht werden, das war auf jeden Fall klar. Ein bisschen Catering wäre ok und dann den Restaurants zubereitetes BBQ zum Verkauf anbieten – das war mein Plan.
Zu behaupten, dass ich eine Mission hatte, wäre zu viel gesagt, und ganz sicher wäre ich kein guter Pastor, aber diese Freude und der Stolz, die ich in den USA bei den Leuten erlebt hatte, die sich mit BBQ beschäftigen – und nicht zuletzt die wahnsinnig zufriedenen Gesichter derjenigen, die das verspeisten – waren sehr beeindruckend.
Also entschied ich mich. Wie schon gesagt und ich glaube, es stimmt: Möglicherweise war das auch eine Form von Midlife-Krise. Statt eines Sportwagens kaufte ich mir dann also einen richtigen Bad Ass Smoker. Nein, schlimmer noch, ich kaufte zwei. Es wäre falsch zu behaupten, dass es einen astreinen Geschäftsplan gegeben hätte. Das mit dem Kauf der Smoker war ja noch der einfache Teil, denn was danach kommen sollte, war höchst unklar. Wo sollte ich mich niederlassen? Der eigene Garten war keine Alternative mehr. Und als jemand beim Abladen der Smoker vom Container sagte: „So, jetzt bleibt nur noch der Rest zu tun“, war das wie ein Omen.
Das Location-Problem wurde von meinem alten Freund Mats gelöst. Er besuchte seine wunderbaren Eltern Gerd und Carl-Axel in Bräcke und sagte: „Johan wird jetzt hier auf dem Grundstück einen BBQ-Laden aufmachen“, und sie sagten: „Ja, klar!“, und das war´s. Auf deren Grundstück gab es einmal eine Gärtnerei, es ist also ziemlich groß, aber dennoch war es total großzügig von den beiden. I owe them big time still.
Der 9. April 2014 war nicht nur mein Geburtstag, sondern an dem Tag wurden ganz ohne Geschenkpapier die ersten Container aufgestellt, die zusammen mit meinen beiden Smokern den Grundpfeiler bilden sollten für den Aufbau von Holy Smoke.
Warum Container? Es gibt viele gute Gründe dafür: selbsttragende Konstruktion, relativ billig und cooler Look – dass dies in anderer Hinsicht wahnsinnig ist, davon hatte ich keine Ahnung. Und wenn man mal mit zwei schwarz gestrichenen Containern begonnen hat, ist es schwierig, mit roten Gartenhäuschen weiterzumachen. (Als ich zuletzt gezählt habe, hatten wir zwölf Container.)
Schon bald, nachdem ich angefangen hatte, stellte ich fest, dass man viel Zeit hat, wenn man 10–12 Stunden am Fleisch steht und aufpasst, jedenfalls wenn man nicht zu Hause in seinem eigenen Garten, sondern auf einer Wiese in einem Dorf mit vier Häusern steht. Nach und nach kamen Leute vorbei und wunderten sich, was hinter dem schwarzgeriffelten Blech passierte. Die Sache bei BBQ-Fleisch ist, dass es dauert, es muss dauern, sodass ich meist die ganze Zeit dort in Bräcke verbrachte. Die Leute, die zum zweiten und dritten Mal vorbeikamen, waren zum Schluss so neugierig, dass sie Fleisch kaufen wollten. Und ganz plötzlich war wie von selbst die nächste Idee geboren, d. h. die bislang bescheidene Produktion zu erweitern und auch an Privatleute zu verkaufen.
Wäre doch ganz schön, da draußen mitten auf dem Lande einen Ort zu haben, wo man mal schnell vorbeifährt und sich einen Rack Short Ribs oder vielleicht ein Pfund Briskets oder ein paar frisch geräucherte Würste holt. Nun ist BBQ natürlich nicht billig, das Fleisch kostet einiges, bei einigen Stücken kommen enorme Gewichtsverluste während der Verarbeitung hinzu.
Unsere Vermieter Gerd und Carl-Axel.
Dank ihrer Großzügigkeit gibt es Holy Smoke in Bräcke.
Bei einem Brisket kriegen wir bestenfalls 30 % des ursprünglichen Gewichts bezahlt – teures Fleisch aus einem Container auf einem Feld in The Middle of Nowhere – wie, verdammt noch mal, soll das funktionieren? Vielleicht kommen ja einige Beileidsbesucher, aber wer sonst? Wir brauchten einen USP, wie es im Neudeutschen so schön heißt, einen Unique Selling Point, und den hatten wir ja.
Da lagen frisch geräucherte Briskets und warteten nur darauf, Sandwiches zu werden. Und einmal gekostet, merkt man sofort, das hier ist jeden einzelnen Cent wert, obgleich ziemlich teuer, in einem Container verkauft, auf einem Feld, weit weg von jeglicher Zivilisation und man denkt, so was hier hast du noch nie gegessen.
Im selben Jahr am 18. Juli – es war ein Sonnabend – meldete ich mich bei Facebook an und postete ein Bild, dass man in Bräcke „Genuine Texas Barbecue“ essen könne. Es schien ein bisschen so, als hätte ich Geschichte geschrieben. Ich bekam 23 Likes und so um die 50 Freunde und Bekannte kamen vorbei.
Was dann passiert ist, weiß ich nicht, aber am Wochenende darauf hatten wir über hundert Gäste. Das Essen war schon alle, bevor es überhaupt aus den Smokern kam, es war total verrückt! Das war der Durchbruch, und seitdem läuft der Laden.
Zur Saison 2015 verdoppelten wir die Fläche, denn die Leute schienen wirklich neugierig darauf zu sein, wie Briskets oder Short Ribs auf unsere Art zubereitet schmecken. In den USA liebt man dieses Essen schon seit ewigen Zeiten und offensichtlich liebt man es auch hier in diesem Land. Die Leute haben uns in Bräcke einmal gefunden und sie kommen wieder. Das Ganze ist einfach unglaublich erfolgreich geworden. (Gut, dass das mal gesagt wird!)
Der Erfolg beruht nicht nur auf dem Essen, egal wie sehr man sich das wünschen würde. Ebenso wie bei allen BBQ-Buden in den Staaten ist es auch hier die besondere Atmosphäre. Es fällt mir schwer zu beschreiben, was diese ausmacht, aber ich glaube, es hat was zu tun mit einer Art Urtrieb, der die Menschen ans Feuer zieht und der ursprünglichen Art, Essen zuzubereiten. Einmal hier angekommen, sind alle froh und zufrieden. Die Stimmung ist wie ein Extra Side Dish auf der Karte und gehört immer dazu.
Natürlich ging auch was schief (man höre!), aber das meiste ging gut, wie beispielsweise, dass der wunderbare Johan Åkerberg als Kompagnon einstieg. Als er, der falsche Überläufer, das erste Mal hier auftauchte, schnüffelte er für einen seiner Kunden herum. Aber bald schon war das Eis gebrochen, wenn zwei Typen von gleichem Schrot und Korn sich begegnen. „Es hat gefunkt“, hätte ein Außenstehender gesagt. Åkerberg ist Gourmettitan, Arbeitspferd, Frohnatur, Erfinder und ein wunderbarer Kumpel und das alles in ein und derselben bemützten Person. Selbstverständlich ist er auch...