VI
Meine fünfte und sechste Band, Ausflüge ins Profigeschäft und – endlich – meine erste Profiband
Nun galt es, hoffentlich bald das letzte Puzzleteil meines Lebenstraums zu finden …
… irgendwo …
… wo auch immer …
… wo war das nochmal??? …
… und was suchte ich eigentlich? Haha …
Ich durchlebte die Tage, Monate und Jahre voller Stress, Probleme, Schmerzen, Schlaflosigkeit und so weiter – aber eben auch voller »Fun« – bis zum September 1977, als mich völlig unerwartet ein alter Freund zu einem Konzert mitnahm. Wolfgang Möthe, der genannte Freund, hatte mit seinem Partner Peter bei der »Show ’72«, die ich mit meiner Band EINTOPF gewonnen hatte, den zweiten Platz belegt. Und nun nahm er mich mit zum Konzert einer englischen Rockband, TWIGG, die in Haan, dem Nachbarort meiner Heimatstadt Solingen, auftrat. Bevor wir losfuhren, hatte sich Wolfgang noch kryptisch geäußert, dass die Band wohl einen grandiosen Gitarristen, aber einen nicht so dollen Keyboarder hätte (wie er es ausdrückte).
Das weckte natürlich mein Interesse. Ich war sehr gespannt, vor allem auf das »Rockige« in ihrer Musik. Ein paar Jahre zuvor hatte ich begonnen, mich für Bands wie BOSTON, TOTO, FOREIGNER, JOURNEY, KANSAS und andere Rock- oder »Southern Rock«-Bands, zu begeistern. Ich konnte mir schon gut vorstellen, in diese Richtung zu wechseln und damit (hoffentlich) auch Geld zu verdienen.
Nach dem Konzert schloss ich mich Wolfgangs Meinung an. Ich erinnere mich noch, dass ich sagte: »Yepp – das ist genau das, was ich im Leben will, das ist die Musik, die ich machen möchte … ich hätte Lust, mit den Jungs zusammen zu spielen.«
Ich vereinbarte mit der Band eine Art Probespiel, fünf oder sechs Wochen später auf der US Air Base in Bitburg, das ich mit Bravour bestand, obwohl meine rechte Hand wegen eines gebrochenen Daumens eingegipst war. Die Bandmitglieder behaupteten, dass schon meine linke Hand wesentlich besser sei als die rechte Hand des alten Keyboarders, was ich ihnen aber nicht so richtig abnahm. Ich nahm es einfach als Kompliment. Damit war klar, dass ich bei TWIGG einsteigen würde. Ich exmatrikulierte mich an der Kölner Musikhochschule und gab alle anderen Jobs auf, um mich nur noch auf die Band zu konzentrieren … meine erste professionelle Band!
Ich hatte zwar schon etliche Prüfungen auf dem Weg zum Musiklehrer bestanden, aber aus irgendeinem Grund war ich gar nicht mehr davon überzeugt, dass ich diesen Beruf überhaupt ausüben wollte – insofern brauchte ich über den Abbruch des Studiums nicht lange nachzudenken. Es erschien mir schlicht als die logische Antwort auf die Frage, was ich im Leben erreichen und wer ich sein oder werden wolle. Es kam nur noch ein klarer Bruch in Frage. Manchmal muss man eben seinem Instinkt folgen …
Bis ich bei TWIGG einsteigen konnte, vergingen noch ein paar Wochen, in denen ich ein paar Auftritte mit meiner alten Band absolvierte, meine Sachen packte und einlagerte und mich von meiner Familie und meinen Freunden verabschiedete – lauter Sachen, die man eben so macht, wenn eine große und nicht nur örtliche Veränderung ansteht. Der Weg in ein, naja, neues Leben war wie ein Sprung ins kalte Wasser – aber gleichzeitig faszinierend und interessant, eben ein Abenteuer. Ab dem 1. Januar 1978 war ich also Mitglied bei TWIGG.
Und T WIGG waren:
Joe Hodgkins (Leadgesang)
Jennifer »Claire« Port (Leadgesang)
Mario Gerhards (Schlagzeug)
Jim Stacey (Bass)
Trevor Johnson (Gitarre) und eben
Martin Gerschwitz (Keyboards – und immer noch sehr wenig Gesang …)
Der Einstieg bei TWIGG war der Beginn meiner professionellen Karriere. Ich startete ein Leben, das heute noch so ist, wie es damals war und wie es noch viele Jahre lang andauern möge. Ein Leben, an dessen Einzelheiten ich mich gerne erinnere, jedenfalls solange ich noch nicht an Gedächtnisschwund leide … worum geht’s hier noch mal (haha)? Auf der anderen Seite, was soll’s. Ich bin jetzt 63 Jahre alt, ich darf ein bisschen tüddelig sein … zumindest manchmal.
Randnotiz: Ich sollte noch vom Jahr 1977 berichten, als ich zehn Wochen lang für zwei verschiedene Profi-Bands spielte. Eine davon, mit sieben Musikern aus fünf Ländern, nannte sich SERAPHIN. Mit ihnen spielte ich in zwei österreichischen Skiorten, in den exklusiven »Weinstuben« in Essen und in einem High Society-Club in München (»Lenbachpalast«). Die andere Band bestand aus indonesischen Musikern und hieß SEVEN ACES. Die Musiker waren Brüder und Vettern einer sehr bekannten indonesischen Band namens THE TILMAN BROTHERS. Wir traten neun Wochen im »Humla Restaurant« in Oslo (Norwegen) und zwei weitere im »San Francisco« in Essen auf. Beide Bands waren nicht nur gut, sondern durch und durch professionell; da konnte ich mir für meine Zukunft viel abgucken. Übrigens: Die SEVEN ACES sollten dreißig Jahre später, 2007, noch einmal eine wichtige Rolle in meinem Leben spielen. Aber dazu später mehr.
Zurück zu TWIGG. Endlich hatte ich meinen Traum wahr gemacht, hatte das gefunden, was ich lange Zeit gesucht hatte: Ich war ein Profi. Ein richtiger Profi!
Hey MARTINO, Du hast es geschafft!!!
Alles wird gut … quatsch … besser,
als du es dir jemals vorgestellt hast!
Wirklich? Im Ernst?? Echt???
Hmmmm …
Eines Morgens Anfang Januar 1978 wachte ich in einem Hotel, oder wie immer man die Örtlichkeit nennen will, auf, schaute mich um und dachte: ›Was zum Teufel mache ich hier?‹ Ich hatte die größtmögliche Veränderung erlebt – aber wer oder was hatte mich dazu bewogen? Warum um alles in der Welt hatte ich einen sicheren Job aufgegeben und das regelmäßige und sicherlich nicht schlechte Einkommen gegen das Unbekannte und die Unsicherheit getauscht, noch dazu für eine wahrscheinlich sehr viel schlechtere Bezahlung? Warum hatte ich meine eigene gemütliche Wohnung aufgegeben und logierte nun jede Nacht in einem anderen Hotel, sofern es sich überhaupt um ein Hotel handelte?
Ihr könnt Euch vorstellen, dass mir diese Gedanken viel Kopfzerbrechen und noch mehr schlaflose Nächte bereiteten; Nächte, in denen ich mich im Bett herumwälzte, ohne auch nur annähernd eine Erklärung zu finden. Das Einzige, worüber ich mir definitiv klar war: Ich stand zu meiner Entscheidung, die ich gefällt hatte. Ich wollte nach vorne schauen, statt mich ständig zu fragen, was hätte passieren können, wenn …
Nach vorne schauen ist immer die beste Idee … und bald verbesserte sich die Situation. Die Band wurde professioneller, stärker und besser; die anderen Bandmitglieder wurden zu Freunden – und die Freundschaften halten bis heute an. Da wusste ich endgültig, dass meine Entscheidung richtig gewesen war. Puh!!! Es bewahrheitete sich mal wieder ein alter Spruch: »Gibst Du etwas auf, bekommst Du etwas Anderes dafür zurück!« … und tief in mir drin war ich auf das gespannt, was ich nun zurückbekommen würde.
Schon Mitte 1978 – ich war gerade ein halbes Jahr dabei – entschied sich die Band, das Zigeunerleben in Hotels aufzugeben und sich niederzulassen, zunächst in Groß-Gerau, dann in Büttelborn bei Groß-Gerau, nicht weit von Frankfurt entfernt.
Randnotiz: Meine Wohnung lag nur sechs Kilometer entfernt von dem Ort, aus dem meine Ehefrau Trish stammt und in dem sie damals noch lebte. Aber wir kannten uns nicht und sind uns wohl auch niemals begegnet … zumindest nicht bewusst. Aber: Ich hatte damals mein Keyboard rot lackiert, trug rote Bühnenklamotten, hatte einen roten Scheinwerfer auf mich gerichtet und hoffte, falls Leute die Band nicht mochten, würden sie sich zumindest an den »roten Keyboarder« erinnern. Und was soll ich sagen: Es hat funktioniert. Trish konnte sich daran erinnern! Sie ist zwar bislang die Einzige, von der ich das weiß … aber eben auch die Wichtigste von allen!
Wir hatten uns für die Gegend um Frankfurt entschieden, weil sie ziemlich zentral in Deutschland lag. Das war 1978 – also mehr als zehn Jahre, bevor die Mauer fiel und der geographische Mittelpunkt Deutschlands nach Osten rückte. Heute liegt er wohl etwa bei Nordhausen in Thüringen. Damals aber brauchten wir höchstens drei oder vier Stunden zu unseren Gigs – okay, Berlin oder München waren fünf oder sechs Stunden entfernt – und wir konnten nach den Auftritten immer wieder nach Hause fahren, anstatt in obskuren Hotels oder auf der Couch des Veranstalters oder sonstwo zu pennen.
Hey … die alten Rock’n Roller einschließlich der Leadsängerin lebten jetzt ganz spießig in Apartments! Hotelzimmer zu zertrümmern lag uns damals schon nicht. Waren wir etwa zu zahnlosen Tigern mutiert? Nein – oder etwa doch? … Neeeee!
Wir spielten eine Menge Shows, überall in Deutschland. Manche in deutschen Clubs, die weitaus meisten aber in den US Airforce Unteroffizier-Clubs (NCO-Clubs) der sechs großen amerikanischen Luftwaffenstützpunkte Frankfurt, Hahn, Bitburg, Spangdahlem, Sembach und Ramstein – daneben noch in ein paar Clubs auf anderen Stützpunkten, und gelegentlich auch in kleineren Außenposten (Outposts) des US Militärs. Auf diese Weise verdienten wir regelmäßig Geld, wenn auch nicht sehr viel, und schlossen Freundschaft mit einer Menge Leute, vor allem aus der Air Force.
1979 nahmen wir eine Schallplatte auf (eine Single, deren Songs nicht wir, sondern ungewöhnlicherweise – haha! – der Produzent geschrieben hatte), die es in der Schweiz immerhin auf Platz 3 der Hitliste schaffte. Hey – über Nacht waren wir Schallplattenstars! Oh – Moment,...