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E-Book

Ich bin dann mal Mama

AutorCollien Ulmen-Fernandes
VerlagKösel
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783641133771
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Ein Kind verändert alles, egal, wer oder was man vorher war. Das ahnt auch Collien Ulmen-Fernandes, aber was dann kommt, übertrifft all ihre Erwartungen. Mutter sein kann man nicht proben!

Bekannt geworden als Teenie-Idol und gerühmt als 'Galionsfigur der Young Generation' (FAZ) ist Collien Ulmen-Fernandes mit Anfang Dreißig aus ihrer einstigen Rolle geschlüpft und in ihr Erwachsenenleben getreten: als Karrierefrau, Ehefrau und Mutter. Im unnachahmlichen Sound ihrer Moderationen kommentiert sie jetzt ihre ersten Schritte ins Elterndasein - und spricht einmal mehr genau das aus, was ihre Altersgenossen gerade auch durchleben.

Die schräge Odyssee durch zahllose Ängste, Zweifel und ersten Male - das erste Lächeln, die ersten Schritte, der erste Moment, in dem mir mein Kind peinlich ist -, liest sich besonders dann gut, wenn es zu Hause gerade mal wieder nicht so läuft wie im Babyratgeber beschrieben.

Ein herrlich ehrliches Muss für alle Erstmals-Eltern.

Collien Ulmen-Fernandes, 1981 in Hamburg geboren, ist Schauspielerin und Moderatorin. Mit Ehemann Christian Ulmen und dem gemeinsamen Kind lebt sie in Berlin.

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Leseprobe

Das allmorgendliche, berühmte schlechte Gewissen und die volle Windel meiner Tochter wecken mich um sieben. Ich bin müde, ich sage: Wir wollen doch ausschlafen und im gemütlich kuscheligen Bett liegen und erzählen, singen, uns gemeinsam Zeit lassen für alles, du wolltest mir doch beim Putzen und Kochen helfen, bunte Herbstblätter sammeln, Eicheln, Kastanien …

Aber jetzt ist erst mal Wickeln angesagt. Ich wickle gut, ich könnte damit im Zirkus auftreten. Ich wickle schnell und gründlich und so, dass mein Kind nicht schreit. Nichts entzündet sich, alles verschwindet in Sekundenschnelle in Windeltütchen im Windeleimer. Ich wische ab, creme ein, ziehe zurecht, klebe fest. Es ist ein durchschaubarer, lösbarer Handlungsablauf. Man kann immer schneller und immer perfekter darin werden, eine Funsportart draus machen. Andere fahren Katamaran, ich wische Hintern.

Das geht. Ich kann IKEA-Schränke aufbauen, Tapeten entfernen, Orangen filetieren, Tapeten anbringen. Ich glaube, ich bin von Kopf bis Fuß der Mann im Frauenkörper, den Eva Herman fürchtet. Ich liebe es, mit Männern zu konkurrieren, im Straßenverkehr, im Sender, beim Luftanhalten, beim Lange-Arbeiten, ich spiele Computerspiele, interessiere mich für den Immobilienmarkt, ich habe mir als Singlefrau ein Haus gebaut. Ich verdiene immer schon mein eigenes Geld, wollte nie finanziell von einem Mann abhängig sein. Vielleicht bin ich ein Produkt des Feminismus. Ich habe als Kind mit Baggern gespielt und mich mit Jungs geprügelt. Ich bin so pragmatisch zu meinem Körper wie ein Rugby-Pro.

Ich lege mich auf den Rücken, winkle die Knie an und stelle die Füße flach auf den Boden. Ich atme tief in den Bauch ein. Ich spanne den Beckenboden an, ziehe beim Ausatmen die Bauchmuskeln ein und drücke mein Kreuz flach auf den Boden. Dann lasse ich wieder locker. Ich atme normal weiter.

Rückbildungsgymnastik. Ich bilde mich zurück, in die Form, aus der ich gekommen bin. Man muss das machen, sagen meine Hebamme und meine Mutter. Ich hasse es. Nach einigen Versuchen mit meiner Rückbildungsphysiotherapeutin Anja gebe ich auf. Ich verliere ihre Telefonnummer. Ich kann das einfach nicht. Außerdem habe ich keine Zeit dafür. Ich muss noch wickeln, IKEA-Schränke aufbauen und Orangen filetieren.

Ich habe mit drei Fahrradfahren gelernt, mit acht Rhönrad, mit vierzehn, wie man Mund-zu-Mund- und Mund-zu-Nase-Beatmung macht, mit fünfzehn, wie man jongliert, mit zwanzig, wie man Auto fährt, mit einundzwanzig, wie man seine Umsatzsteuervoranmeldung macht, mit achtundzwanzig, wie man walkt, mit dreißig, wie eine Wehe geht. Ich hatte Zorn, Liebeskummer, einen viertel bis halben Burn-Out.

Ich erinnere mich an die erste Wehe wie an einen Film, bei dem die Credits kommen. Gebärmutter. Muskelkontraktion. Vorwehe. Senkwehe. Schmerz. Ich habe es irgendwie hinbekommen, mir einfach den Film anzusehen. Meine Augen haben einen Heizkörper fixiert. Ich habe mir die Tapete angeguckt. Rauhfaserpunkte gezählt. Es ging schon klar.

Ich habe mir vorher nie große Gedanken über meinen Körper gemacht.

Ich hatte andauernd Verletzungen, Prellungen und merkwürdige Krankheiten, bei denen kein Arzt wusste, was es ist. Ich hatte rote, dicke, knubbelige Flecken, lief blau an, hatte 40 Fieber und keiner konnte mir helfen. Ich konnte von einem Tag auf den anderen nicht mehr laufen, saß drei Monate lang im Rollstuhl. Ich habe mir mal beim Klettern den Unterarm gebrochen, weswegen ich mir bis heute nicht mehr mit der rechten Hand an die rechte Schulter fassen kann. Ich war in vielen Krankenhäusern, ich habe viele Sprüche auf viele Gipse geschrieben bekommen und hatte nicht eine Sekunde lang Angst.

Bis jetzt. Jetzt ist alles anders. Jetzt habe ich Angst vor dem Körper bekommen. Angst vor seiner Perfektion.

Meine Tochter ist ganz gut gefertigt, könnte man sagen, wenn sie ein Produkt wäre. Sie hat einen symmetrischen Kopf, schöne dunkle Augen, surreal kleine Hände, die eigentlich gar nicht funktionieren können, so klein sind die, sie hat einen Mund, aus dessen Mundwinkeln alles fließt, was mir ein Rätsel ist, manchmal fließt mehr raus, als man reingetan hat. Sie hat ein Herz. Manchmal hört es sich an wie ein Kolibri. Meine Tochter wurde in Miniatur angeliefert und funktioniert offensichtlich. Das ist alles Lego Technic für mich.

Ich habe angefangen, mich mit Herzen zu beschäftigen, Herzkammern, Längsfurchen, Lungenstämmen, Herzkranzfurchen und Herzohren.

Ich recherchiere zu Körperteilen, Organen, Prozessen, Körpern, Antikörpern, Dingen, die bisher bei mir einfach so vor sich hin funktioniert haben, und merke, was für Probleme auftauchen können, wenn man erst mal weiß, dass man ein Herzohr hat. Herzohrverschluss. Herzohrwurm. Herzohrenschmalz. Herzohrenbruch. Herznasenohrenaugenentzündung. Man kann es ja nicht ertasten, das Herzohr. Ich wache oft auf und denke, jetzt schlägt es nicht mehr, das Mikroherz meiner Tochter.

Es ist wie bei meinem Aibo. Das war ein kleiner, silberner Elektrohund, der holprig auf vier Beinen lief, eine Kamera integriert hatte, die Ohren bewegen konnte, sich wälzen und leuchten und sehr technische Geräusche von sich geben. Ich besaß ihn lange nach meiner Puppenzeit, ich war bereits in der Pubertät, aber ich kümmerte mich um Aibo, ich gab mit Aibo an, weil er ein Meisterwerk der Technik war und seine Bewegungen waren fließend wie die von Michael Jackson. Ich führte Aibo durch den Stadtpark, ich ging mit Aibo essen, ich steckte Aibo Zigaretten in den Mund und wollte ohne meinen Aibo gar nicht mehr vor die Tür gehen. Ich staunte ihn an, wenn er sich wacklig und elektrisch durch mein Zimmer kämpfte.

Ein Wunderwerk wie Leitungswasser, das sich mit Ahoi-Brause grün färbt, wie Streichholzköpfchen, die aufflammen, wie Sommerrodelbahnen und Röhrenmonitore – undurchschaubar funktionierte das alles irgendwie, färbte sich, lief, flammte, leuchtete, wälzte, sprach, und ich wagte es nicht, mich zu fragen, warum. Ich dachte, sobald ich ein Schräubchen am Rücken meines Aibos löse, fällt er in sich zusammen, sobald ich nur an das Schräubchen denke, geht das kaputt.

Meine Tochter ist aus tausend Schräubchen, Plättchen, Geweben, Organen, Zellen gemacht. Ich habe Angst, dass ich eines der Schräubchen lockere, eines der Plättchen zerquetsche. Was bisher bei mir einfach so funktioniert hat, die Lunge, das Herz als Ding, das man eigentlich nur thematisiert, wenn es zu klein oder zu groß ist im Vergleich zu anderen, wenn es jemand gebrochen hat, man zu viel Red Bull getrunken hat, wenn es schmerzt oder Pickel auf ihm wachsen, alle diese normalen Teilchen belege ich jetzt mit der Hoffnung, dass sie weiterfunktionieren mögen, manchmal bete ich fast, dass die Füße meiner Tochter halten, dass die Nase atmet.

Aibo starb irgendwann, als ich versucht habe, ihn aus demselben Wassernapf trinken zu lassen wie der Hund meiner Freundin. Er lief noch ein Stück und wälzte sich ein bisschen und gab seine letzten Worte von sich. Ich beerdigte Aibo im Garten meiner Oma, unter einem Mirabellenbaum. Ich hackte die Erde auf und warf dann den Elektroschrott in das fast einen Meter tiefe Loch. Noch heute liegt dieser Schrott tief vergraben im Garten meiner Großmutter.

Nichts ist so furchtbar wie die Leidensgeschichten von Eltern mit kranken Kindern. Kindern, deren Knochenmark  nicht funktioniert, deren Blut nicht funktioniert, deren Lunge nicht will. Nirgendwo fließen so große Spendensummen wie bei leukämiekranken Kindern, bei denen die Tageszeitung zu spenden aufruft, der Regionalligaklub ein Benefizspiel organisiert und die Einnahmen von den Würstchenständen der kleinen Soundso zugutekommt. Ich saß mal bei so einem Spiel. Die kleine Lisa saß blass und todkrank am Rand und interessierte sich nicht für Fußball, neben ihr gackerten der Vereinspräsident und der Bürgermeister und nach dem Spiel machten sie Fotos mit dem armen kleinen Mädchen, für das viertausend Euro gespendet wurden, mit Würstchen und durch die großzügigen Spenden der örtlichen Dachdeckerfirma, der örtlichen Sparkasse und der Metzgerei. Auf dem Gesicht des todkranken Kindes klebten förmlich die Werbesticker der Spender. Überall war das Mitleid zu greifen, und die Mutter durfte im Anschluss noch mal an das Stadionmikro treten und etwas sagen. Sie redete einen mechanischen Text herunter und bedankte sich bei den Sponsoren.

Das öffentliche Mitleid und die tatkräftige Unterstützung, das allgemeine Gruseln, die Texte der Lokaljournalisten, die Bilder auf den Krankenhausfluren waren wahrscheinlich fast so schlimm wie die Leukämie selber.

Wenn ich daran denke, bekomme ich ein schlechtes Gewissen, weil mir so etwas nicht passiert ist, und ich wage auch nicht weiter darüber nachzudenken, was wäre wenn.

Ich weiß nicht, wo Krankheit entsteht und wie eine Zelle sich schützt, gleichzeitig will ich jede einzelne Zelle im Körper meiner Tochter zu einem hochbewaffneten Staat machen.

Mein Respekt vor dem Komplizierten, dem mikroskopisch Kleinen, vor der Nanotechnologie im Körper meiner Tochter ist unendlich. Als ich sie das erste Mal im Arm trug, konnte ich gar nicht das empfinden, was viele Frauen im Nachhinein empfunden haben wollen, den Kosmos und so, die Kalenderblattgefühle, den Herzschlag des Lebens, ich hatte einfach nur Schiss, dass ich etwas falsch mache, dass ich sie falsch anfasse, dass etwas bricht oder knickt. Ich trug sie zum Wiegen wie angereichertes Uran, ging wie ein Känguru mit dem Bauch voran und stützte den Po meines Babys mit dem Bauch ab, verkrampfte mich, schlich langsam und unsicher, sie lag in meinen zittrigen Händen wie in einem...

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