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Ich bin zu alt für diese Scheisse!

50 unglaubliche aber wahre Geschichten aus dem Leben eines Rettungssanitäters

AutorHorst Heckendorn
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl292 Seiten
ISBN9783743104433
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Wie oft haben Sie sich beim Anblick eines mit Blaulicht und Martinshorn vorbeirasenden Rettungswagens schon gedacht: Was da wohl wieder passiert ist? Horst Heckendorn ist ein altgedienter Rettungssanitäter mit über 25 Jahren Berufserfahrung. Begleiten Sie ihn auf seinen haarsträubenden Einsätzen und erleben Sie hautnah mit, was es heisst, mittendrin zu sein. Werfen Sie einen Blick hinter die Kulissen der Rettungsszene und lernen Sie die Menschen kennen, die Tag für Tag mit der Verletzlichkeit des menschlichen Körpers und der Zerbrechlichkeit ihrer eigenen Seele konfrontiert werden. Dabei geht es dem Autor nicht um pure Effekthascherei, sondern darum, einen möglichst realistischen Eindruck zu vermitteln. Ein sicherlich schockierendes Buch, das aber auch mit viel Humor über den ganz normalen Wahnsinn berichtet, dem die Retter jeden Tag begegnen.

Horst Heckendorn wurde am 03.Dezember 1966 als Horst-Werner Kurz in Heitersheim / Baden geboren. Nach seiner Ausbildung zum examinierten Krankenpfleger blieb er als Zivildienstleistender im Rettungsdienst hängen. Durch ein traumatisches Ereignis fand er zum Schreiben und veröffentlichte seine Erinnerungen aus 30 Jahren Rettungsdienst. "Das Schreiben war und ist eine Art Therapie für mich um mit den Leichen im Keller besser fertig zu werden".

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Leseprobe

1


»Ich bin zu alt für diese Scheiße!« oder


»Der ganz normale Wahnsinn!«

26.1.2013

Ein Tag, der mein ganzes bisheriges Leben verändern sollte. Es war der letzte Samstag im Januar dieses endlos erscheinenden Winters. Mein Kollege Christian und ich hatten wie üblich um 19.00 Uhr unseren Nachtdienst angetreten und rückten jetzt, um 21.08 Uhr, zu unserem ersten Notfalleinsatz an diesem Abend aus.

Ein männlicher Anrufer hatte unserer Rettungsleitstelle gemeldet, dass seine Frau und sein Kind nicht mehr sprechen würden. Mehrere mögliche Szenarien zogen wie ein Film vor meinem geistigen Auge vorüber. Eine Vergiftung mit Kohlenmonoxid oder ein Suizid kamen infrage, aber auch ein zerebrales Ereignis, so nennt man eine Schädigung des Gehirns aufgrund mangelhafter Durchblutung, war nicht auszuschließen. Auf dem Weg zum Einsatzort meldete sich unsere Leitstelle erneut und der Kollege am Telefon sagte: »Ich schick‘ euch noch die Polizei. Irgendwie klingt das nach einer komischen Sache!«

»Okay, alles klar!«, erwiderte ich nur knapp, ohne dass ich mir groß weitere Gedanken darüber machte, was genau er mit damit meinen könnte. Wenige Minuten später erreichten wir den Ort des Geschehens.

Es handelte sich um ein frei stehendes älteres Einfamilienhaus in einer durchaus besseren Wohngegend. Christian, der in dieser Nacht kurzfristig für einen plötzlich erkrankten Kollegen eingesprungen war, stoppte den Rettungswagen (RTW) vor der besagten Adresse. Beim Aussteigen nahm ich im Augenwinkel wahr, wie ein Streifenwagen der Polizei ebenfalls in unsere Straße einbog, während ich den rund 20 kg schweren Notfallrucksack aus der Seitentür des RTW herauswuchtete.

Während Christian zurückblieb, um noch weiteres Notfallequipment aus dem hinteren Teil des Rettungswagens zu holen, erreichte ich als Erster den Hauseingang. Ich ging die kleine Treppe bis zur Tür nach oben und drückte auf den Klingelknopf, wie ich das in 25 Jahren Rettungsdienst bereits unzählige Male an unzähligen Türen getan hatte. Die Tür des Hauses öffnete sich und ein älterer Mann, ich schätzte ihn spontan auf etwa Mitte 60, stand vor mir. Gleichzeitig streckte dieser nun seinen rechten Arm aus und ich blickte plötzlich in den Lauf einer Waffe, die er mir direkt mitten ins Gesicht hielt. Obwohl ich keine große Ahnung von Schusswaffen habe, war mir augenblicklich klar, dass es sich dabei wohl nicht um eine Spielzeugpistole handelte. Ab diesem Moment nahm ich alles um mich herum nur noch wie in Zeitlupe wahr.

Ich sah, dass sich seine Lippen bewegten und er offenbar zu mir sprach, aber ich war wie betäubt und konnte nichts mehr hören. Wie gebannt starrte ich nur noch in den Lauf der Waffe vor meiner Nase. Mein einziger Gedanke in diesem Moment war Flucht. Ich musste hier weg. Instinktiv stellte ich den schweren Notfallrucksack zu Boden und drehte mich mit den Worten: »Ich komme gleich wieder«, langsam um. Jetzt bloß keine hektischen Bewegungen schoss es mir durch den Kopf.

Vor mir lagen die definitiv längsten 8 - 10 Meter meines Lebens zurück in Richtung Rettungswagen. Zu keiner rationalen Entscheidung mehr fähig, hatte ich zu diesem Zeitpunkt mit meinem Leben bereits abgeschlossen. Mit dem Rücken zur Tür und dem Mann mit seiner Waffe in der Hand wartete ich auf den tödlichen Schuss, während mir auf dem Weg zum Deckung bietenden RTW die verschiedensten Dinge durch den Kopf gingen.

Meine Frau würde jetzt wohl allein mit unserem erst vor kurzem gekauften Haus zurechtkommen müssen und die bereits gebuchten und bezahlten Thailandferien fallen jetzt leider auch ins Wasser. Verdammte Scheiße! Ich hatte mich doch schon so sehr darauf gefreut! Zwei Wochen lang nur Sonne, Strand und Palmen. Wirklich merkwürdig, was einem in einer solchen Situation so alles durch den Schädel geht. Zu allem Überfluss zogen sich das Ende des Weges und damit die schützende Deckung des Rettungswagens wie in einem billigen Horrorfilm auf einmal endlos in die Ferne. Obwohl bis zum Erreichen des RTW sicherlich nur wenige Sekunden vergangen waren, hatte ich das Gefühl, als wäre die Zeit stehen geblieben und ich eine Ewigkeit unterwegs gewesen. Als ich das Ende des Weges endlich erreicht hatte und um die Ecke des im wahrsten Sinne des Wortes ›Rettungswagens‹ bog, erblickte ich meinen Kollegen Christian mit zwei Polizisten lachend ins Gespräch vertieft. Die drei hatten vom RTW verdeckt von dem ganzen Vorfall bislang nichts mitbekommen. Kreidebleich unterbrach ich ihren Small Talk mit den Worten: »Hey, Jungs, der hat ’ne Waffe!!!«

»Was?«, war die verblüffte Antwort.

»Der hat ’ne Waffe!«, wiederholte ich eindringlich.

Christian und ich gingen daraufhin hinter unserem RTW in Deckung, während die beiden Polizisten ihre Dienstwaffen zogen. Mit den Waffen im Anschlag näherten Sie sich langsam dem Haus.

»Polizei! Waffe weg!«, rief einer der beiden.

Der Alte stand noch immer in der Tür mit dem Revolver in der Hand und erwiderte: »Wer sind Sie denn, was wollen Sie von mir?«

Offensichtlich war er nicht mehr ganz Herr seiner Sinne und konnte die Situation überhaupt nicht einordnen. Die beiden uniformierten und daher deutlich als solche zu erkennenden Polizisten wiederholten nun energisch ihre Aufforderung, er solle endlich die Waffe wegwerfen. Aber der Alte reagierte überhaupt nicht.

Christian und ich rechneten fest damit, dass eine der beiden Parteien jetzt gleich das Feuer eröffnen würde, entweder der Alte oder die Polizei. In den USA würde er vermutlich schon längst, von mehreren Polizeikugeln durchsiebt, niedergestreckt auf dem Fußboden liegen. Hier jedoch ging die ›Debatte‹ in eine neue Runde.

»Hier ist die Polizei. Werfen Sie verdammt noch mal endlich die Waffe weg, oder möchten Sie eine Kugel in den Bauch?!«, schrien ihn die beiden jungen und sichtlich nervösen Polizisten abwechselnd an. Dabei rückten die Beamten weiter vor und verschwanden schließlich aus unserem Blickfeld. Kurz darauf vernahmen Christian und ich in unserer Deckung kauernd, die polternden Geräusche eines Handgemenges und hörten den Alten lauthals protestieren.

»Wer sind Sie? Lassen Sie mich los! Was machen Sie denn mit mir?!«

Bei ihm rieselte der Kalk offensichtlich schon ganz gewaltig. Dann hörten wir einen der Polizisten in unsere Richtung rufen: »Ist gut, ihr könnt rauskommen!«

Vorsichtig lugten Christian und ich aus unserer Deckung. Die beiden Polizisten hatten den Alten überwältigt und entwaffnet. Die Waffe, ein Trommelrevolver Kaliber 38, lag vollgeladen und mit gespanntem Abzug am Boden. Zum Glück litt der offensichtlich verwirrte Alte nicht auch noch unter Morbus Parkinson, denn bei dieser, auch als Schüttellähmung bekannten Krankheit, zittern die Hände des betroffenen unkontrolliert und er hätte mich sicherlich schon alleine deshalb, gewollt oder ungewollt, erschossen.

Mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt, führten die beiden Polizisten den Alten ins Wohnzimmer und setzten ihn dort in einen Sessel.

»Schauen Sie nur, da sitzen sie und sagen keinen Ton mehr. Vielleicht hat jemand das Wasser vergiftet?«, sagte der alte Mann plötzlich und zeigte dabei mit seinem Kinn auf das ihm gegenüberstehende Sofa.

Es war genauso menschenleer wie der Rest des Wohnzimmers. Jetzt war es wirklich offensichtlich: Dieser Mann war völlig verrückt! Inzwischen war ein Großaufgebot der Polizei eingetroffen und durchsuchte das ganze Haus vom Keller bis zum Dachboden.

Doch außer uns bereits Anwesenden befand sich keine weitere Menschenseele mehr darin. Bei der polizeilichen Überprüfung stellte sich dann heraus, dass die Ehefrau unseres ›Patienten‹ schon seit mehreren Tagen stationär im Krankenhaus lag, und der längst erwachsene Sohn in einem Nachbarort wohnte. Zu meiner großen Überraschung und entgegen meiner ursprünglichen Vermutung war der Alte nicht etwa Mitte 60, sondern bereits 81(!) Jahre alt und litt wohl schon seit Jahren unter Demenz. Die Frage allerdings, warum ein verwirrter alter Mann über mehrere Tage allein in einem Haus lebt, willkürlich einen Notruf absetzen kann, und zu allem Überfluss auch noch eine geladene Waffe besitzt, konnte mir bis heute leider niemand zufriedenstellend beantworten. Um ein akutes medizinisches Problem als eventuelle Ursache für sein Verhalten auszuschließen, schlug ich vor, den Alten zur weiteren Abklärung ins nächstgelegene Krankenhaus zu bringen. Dort wurde aber außer der bereits bekannten Demenzerkrankung nichts weiter festgestellt.

Schließlich wurde er noch in derselben Nacht in die Obhut seines Sohnes nach Hause entlassen. Da es sich hier ja offensichtlich ›nur‹ um einen kranken und verwirrten alten Mann handelte, der juristisch nicht zurechnungsfähig war und daher für sein Tun auch nicht belangt werden konnte, hatte die ganze Angelegenheit für ihn keine weiteren Konsequenzen.

Für mich hingegen schon. Ich fühlte mich nach diesem Einsatz tagelang wie in Watte gepackt...

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