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E-Book

Ich Hau Ab!

AutorEckhard Kowalke
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl244 Seiten
ISBN9783752874532
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
"Ich Hau Ab!" ist die autobiografische Erzählung des Künstlers Eckhard Kowalke. Sein Leben schreibt ein wichtiges Kapitel über die deutsche Nachkriegsgeschichte und zieht den Leser vom ersten Kapitel an in seinen Bann. Lebendig, authentisch und atmosphärisch dicht lässt er den Leser teilhaben an seinen dramatischen, ungewöhnlichen und teilweise unglaublichen Erlebnissen. Aus einem Heimkind, dass gebrochen werden soll, wird ein Künstler, der Bomben malt statt sie zu werfen. Aus einem kriminellen RAF Sympathisanten wird ein Mensch, der sich sozial engagiert und denen eine Stütze ist, die seinen Leidensweg geteilt haben. Das Buch Ich hau ab ist ein bittersüßes Zeugnis der deutschen Vergangenheit, so wie es wirklich war.

1952 in Bremen geboren. In Brinkum zur Schule gegangen. Ab 1963 Erziehungsheim Leinerstift in Mittegroßefehn, Ostfriesland. Anschließend Erziehungsheim Freistatt. Mit 14 Jahren Jugendgefängnis Vechta. 1973 Erste Verleihung des Bundeskunstpreises. Gründung einer autonomen Gruppe "Sympathisanten der RAF". Kunststudium (Stipendium) an der freien Kunststudienstätte Ottersberg. Anschließend Berufsausbildung als Maschinenschlosser undSchmied in Wildeshausen bei der Firma Aerostile. Ausbildungen in Grafik und Design. 1996 Gründung des Kunst- und Kultur Vereins in Eckernförde. 2005 Ausstellungen in San Francisco und Sacramento, USA. Mitbegründer des Vereins Natur & Kultur Carlshöhe e.V. in Eckernförde.

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Leseprobe

„Gib Gas!“


Nachts, ungefähr gegen zwölf Uhr kletterten wir aus dem Fenster. Wir brachen aus dem Leiner Stift aus. Das Leiner Stift befindet sich in Mittelgroßefehn, Ostfriesland. Ich floh mit meinem Freund Kalle, und noch jemandem, dessen Name mir immer wieder entfällt. Kunzepeter hieß er, glaube ich. Wir hatten unseren Ausbruch schon am Tage vorbereitet. Wir lebten in einem Haus, welches ein wenig abseits stand. Davor standen vier große Birken. Die waren aber so dicht an das Haus herangewachsen, dass man mit einem kleinen Sprung die Äste der Bäume erreichen und sich daran hinunterlassen konnte , wenn man oben ein Erkerfenster öffnete und sich auf das Dach begab. So hatten wir das auch geplant. Wir warteten, bis die Erzieherin, die genau unter uns schlief, zu Bett gegangen war. So gegen zwölf Uhr war ordentlich Wind und die Bäume machten Geräusche. Das war für uns das Signal: jetzt können wir unbemerkt hier abhauen. Als wir die Fenster öffneten, stiegen wir auf das Dach. Das waren rote Dachziegel und wir hatten Angst, dass wir abrutschen würden. Wir traten einzeln auf das Dach, hielten uns rückseitig am offen stehenden Fenster fest und gingen in die Knie, um genug Absprungkraft zu haben und den Baum und dessen Äste zu erreichen, der ca. zwei Meter entfernt stand. Dadurch, dass wir nach unten sprangen, kamen wir etwas weiter und erreichten somit die ersten Äste, an denen wir uns festhielten. Aufgrund unseres Gewichtes neigte sich der Ast und wir konnten uns zu Boden lassen. Als der Ast danach hochschnellte, machte er natürlich ein lautes Geräusch, doch dieses Rascheln ging unter, da draußen ein sehr heftiger Wind wehte und die Bäume deshalb von sich aus ständig intensive Blättergeräusche machten. Als ich dann dran war, in den Baum sprang, glücklicherweise auch den Ast erreichte und mich auf den Boden sinken ließ, empfing mich frischer Wind.

Es war eine herrliche Luft draußen. Die Sterne funkelten. Der klare Sternenhimmel war dennoch verhältnismäßig dunkel, da kein Mond zu sehen war. In der Ferne waren am Eingangsbereich des Leiner Stiftes Laternen zu sehen, die leuchteten und ein ganz mildes Licht abgaben. Überall spürten wir Feuchtigkeit, da es schon spät in der Nacht war. Aber es war schön, im Freien zu sein. Die Luft roch herrlich, im Gegensatz zu dem Mief in den Räumlichkeiten, in denen wir uns oben aufhielten und die ständig nach frischem Bohnerwachs rochen und nach Medikamenten oder nach der frischen Bettwäsche, die in irgendwelchen Desinfektionsmitteln gewaschen wurden. Deren Geruch habe ich manchmal heute noch in der Nase, wenn ich daran denke. Es war einfach toll, draußen zu stehen und die frische Luft zu atmen. Das gab uns ein Gefühl von Freiheit. Aber wir waren auch mit Angst erfüllt, entdeckt zu werden. Jetzt standen wir auf der Straße und nahmen unsere Freiheit wahr. In Wirklichkeit waren wir ja nicht frei. So schlichen wir uns vom Leiner Stift fort in Richtung Hesepe bzw. Richtung Leer, über mehrere Dörfer. Irgendwann kamen wir an eine Tankstelle. Mein Freund Kalle war der von uns, der schon ein Auto fahren konnte. Er sagte: „Wir müssen uns ein Auto klauen, sonst kommen wir hier nicht rechtzeitig weg. Die fahren die Bundesstraßen ab und greifen uns irgendwo wieder auf. Ich habe keine Lust, wieder in das beschissene Heim zurückzukehren.“ Ich wusste aus seinen Erzählungen, dass er schon mehrfach aus Heimen abgehauen war. Wir schlichen uns alle drei an diese Tankstelle heran und ich sagte:“Kalle, geh leise.“ Als wir die Bundesstraße verließen machten unsere Schritte Knirschgeräusche auf dem dortigen Kiesweg. Das ließ sich aber nicht ganz vermeiden. Wir mussten zur Garage einer Werkstatt und nahmen alles in Augenschein. Kalle entdeckte dann, dass ein Oberfenster schräg offen stand. Dieses war aber sehr hoch und allein kamen wir so nicht daran. Kalle pfiff mich zu sich: „Eh, Eckardt, komm, mach mal Räuberleiter.“ Ich kniete mich leicht hin, faltete meine Hände zusammen zu einem Steigbügel, so dass Kalle mit einem Fuß einsteigen konnte. Nach einer Drehung stand Kalle dann auf meiner Schulter und ich musste mich an der Wand abstützen, damit ich das Gleichgewicht halten konnte. Er reckte sich hoch zum halb offenstehenden Kippfenster, zog sich hoch und zwängte sich durch diesen engen Fensterschlitz in das Innere der Werkstatt. Ich konnte dann hören, wie Kalle sich innen hinunterließ und mit einem leichten Plumps in der Werkstatt landete. Wir anderen brachten uns draußen in Sicherheit, d.h. wir entfernten uns vom Gebäude und versteckten uns hinter zum Verkauf stehenden Wagen, die draußen standen. Dann ging mit einem Mal die Tür von innen auf und Kalle kam mit einer Hand voll Schlüsseln heraus, die er in der Werkstatt aufgetrieben hatte. Er sagte: „Eh, Eckhardt, schau mal, ich habe hier lauter Autoschlüssel, die müssen für die Autos sein, die hier draußen stehen.“ Er suchte dann einen VW-Schlüssel heraus und hatte auch gleich beim ersten Versuch Glück. Es stand dort ein VW, bei dem der Schlüssel passte. Die anderen Schlüssel, das erkannte Kalle an den Schlüsselformen, gehörten zu Autos, die dort gar nicht standen. Vielleicht Kundenschlüssel von Autos, die dort untergebracht waren. Wir öffneten den Wagen ganz vorsichtig. Kalle setzte sich hinein, probierte den Schlüssel, der passte, und er schloss das Lenkrad frei und stieg wieder aus. Mit offener Tür schoben wir den Wagen dann von Hand, um keine unnötigen Geräusche zu verursachen. Einen VW zu starten, blubberte damals schon ganz gut. Wir schoben den Wagen zu dritt von der Werkstatt weg bis zur nächsten Straßeneinfahrt. Kalle setzte sich ins Auto. Ich saß hinten auf der Rückbank und Kunzepeter auf dem Beifahrersitz. Kalle startete den Wagen, Tür zu und ab ging die Post, auf der Bundesstraße Richtung Oldenburg. Vor der Abfahrt hatten wir festgestellt, dass der VW keine Nummernschilder hatte. Das störte uns nicht weiter. Hauptsache, wir hatten ein fahrbaren Untersatz und kamen aus der Gegend weg. Wir mussten uns so weit wie möglich in dieser Nacht vom Leiner Stift entfernen, um der Suche nach uns zu entgehen, die vermutlich sofort nach der Entdeckung unseres Verschwindens starten würde. So war uns das scheißegal. Wir fuhren mit diesem Wagen ohne Nummernschild Richtung Oldenburg. Als wir in die nächstgrößere Ortschaft hineinfuhren, ich meine, das war Hesepe, kam uns ein Fahrzeug entgegen. In meiner Unwissenheit sagte ich: „Kalle, mach das Fernlicht an, dann können die von vorne nicht sehen, dass wir kein Nummernschild haben.“ Das war wohl der größte Fehler, den ich Kalle empfehlen konnte, weil es genau das Gegenteil bewirkte, nämlich, dass man auf uns aufmerksam wurde, weil wir mit Fernlicht in den Ort hineinfuhren. Aber Kalle hatte keinen Führerschein und wir hatten überhaupt noch keine Ahnung vom Autofahren. Wir waren ja gerade erst zwölf Jahre alt und ich hatte noch nie selbst einen Wagen gefahren. Kunzepeter ging es, glaube ich, nicht anders. Also Kalle war der einzige, der in der Lage war, ein Fahrzeug zu führen, aber eben ohne Führerschein. Sein Vater hatte einen Schrotthandel. Dort durfte er auf dem Privatgelände ab und zu mal ein Fahrzeug fahren. So hatte er das Fahren gelernt, aber nicht auf der Straße. Er kannte erst recht keine Straßenverkehrsordnung. Jedenfalls fuhren wir Richtung Oldenburg und es kam uns plötzlich besagtes Fahrzeug entgegen, blendete auf, weil wir ja Fernlicht anhatten. Als es an uns vorbeifuhr, erkannten wir, dass es sich um ein Polizeifahrzeug handelte. Uns fuhr der Schreck in die Glieder und ich sagte zu Kalle: „Gib Gas! Das sind die Bullen.“ Ich drehte mich um und beobachtete, dass das Polizeifahrzeug stoppte, wendete und mit Blaulicht hinter uns herkam. Kalle fasste den Entschluss: „Eckhardt, wir halten nicht an. Wir geben Gas und lassen uns nicht noch einmal in dieses Heim zurückbringen.“ Der Polizeiwagen kam näher und setzte zum Überholen an. Da ich hinten saß, konnte ich Kalle rechtzeitig warnen, indem ich ihm zurief, von welcher Seite aus der Polizeiwagen versuchte, uns zu überholen. Er fuhr immer auf die entsprechende Seite und drängelte den Polizeiwagen ab. Das ging eine ganze Zeit so. Kalle war wie besessen, wegzukommen. Wir waren so besessen davon, uns nicht mehr kriegen zu lassen und nicht mehr in das Heim zurückzukehren, dass wir alles auf eine Karte setzten. Kalle fuhr so gut, wie er konnte. Ich gab weiter Anweisungen, so dass er die Bullen immer wieder abdrängen konnte. Als ich mich wieder nach hinten umdrehte, dachte ich, was war das? Das Zündfeuer einer Polizeipistole hatte aufgeblitzt! Der Beifahrer des Streifenwagens hängte sich aus dem Seitenfenster heraus und eröffnete das Feuer mit seiner Dienstwaffe auf uns. Ich sah mehrere Blitze hintereinander und hörte auch Einschläge ins Auto. Es klatschte immer so: „Batsch, Batsch!“ Ich rief Kalle zu: „Die Bullen ballern auf uns! Gib Gas!“ Kalle beteuerte nochmals: „Ich werde nicht anhalten! Ich geh nicht wieder zurück!“ Ich drehte mich mit dem Oberkörper nach hinten, um besser aus dem Rückfenster sehen zu können. In diesem...

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