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Ich muss meinen Weg gehen ...

Lebensgeschichten aus der Sendung FeierAbend

AutorBarbara Krenn, Gerhard Klein
VerlagStyria Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783990402382
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,49 EUR
Dieser Band vereint ausgewählte Gespräche mit ganz besonderen Menschen aus der erfolgreichen ORF-Sendung 'FeierAbend'. 'Ich muss meinen Weg gehen und das tun, wovon ich überzeugt bin Sie alle setzen sich aus christlicher Motivation heraus für Menschenwürde und Lebensqualität ein: ob es ums nackte Überleben geht, darum, aus ausweglos scheinenden Situationen wieder ins Leben zurückzufinden oder Sinn im Leben zu finden. Sie alle können durch ihr Tun, ihr Denken und ihre Einstellung zum Leben andere motivieren, den eigenen Weg zu finden und zu gehen - und auch ihre Stimme gegen menschenverachtende, lebenshindernde Strukturen zu erheben.

Mag. Barbara Krenn, geboren 1973 in Judenburg/Steiermark. Studium der Theologie in Graz und Tübingen (Mag. theol. 1999). Seit 1999 als Journalistin, Gestalterin und Redakteurin beim ORF/TV Religion, seit 2007 bei 'Kreuz & Quer', seit 2010 Sendungsverantwortliche u. a. von 'FeierAbend'.

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Leseprobe

Einer von innen


Der unbeugsame Bischof an der Seite der Indios

„Ich bin glücklich! Trotz allem! Ich habe nie daran gezweifelt, dass das mein Weg ist. Keinen einzigen Augenblick in meinem Leben!“

Seit rund 50 Jahren ist Erwin Kräutler mit den Ureinwohnern, der indigenen Bevölkerung, am Xingu in Amazonien/​Altamira unterwegs. Erst als ihr Priester – seit 1982 als ihr Bischof. Dass sich der gebürtige Vorarlberger für die Rechte der Ureinwohner und gegen die Zerstörung des Amazonasgebiets einsetzt, ist manchen ein Dorn im Auge. Viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Bischofs haben ihr Engagement bereits mit dem Tod bezahlt. Erwin Kräutler selbst hat schon viel in Kauf genommen: 1983 wird er wegen der Teilnahme an einer Solidaritätsaktion mit Landlosen von der Militärpolizei verhaftet und misshandelt. Vier Jahre später überlebt der Kirchenmann einen Mordanschlag schwer verletzt. Kein Grund jedoch für Erwin Kräutler, nicht weiterhin Missstände, Ausbeutung, Plünderung und Raubbau öffentlich anzuprangern, kompromisslos ein Leben in Würde für alle Menschen zu fordern. Immer wieder ruft er zum verantwortungsvollen Umgang mit „unserer Mit-Welt“ auf.

Mit Vehemenz protestiert der Vorarlberger auch gegen das Wasserkraftprojekt „Belo Monte“, das am Xingu, einem Seitenfluss des Amazonas, errichtet wird. Der Fluss, der Lebensraum für die indigene Bevölkerung ist, wird zu zwei Stauseen in der Größe des Bodensees aufgestaut. Rund 30.000 Menschen sollen aus dem Gebiet verdrängt und ihrer Lebensgrundlage beraubt werden. Ureinwohner von 18 verschiedenen ethnischen Gruppen sind vom Eingriff bedroht. „Die Menschen wissen nicht, wo sie hinkommen. Das hat man bis heute nicht besprochen. Altamira wird dadurch zu einer Halbinsel in einem toten See, in einem faulen See, mitten im tropischen Gebiet. Das ist eine Brutstätte für Plagen, Mücken und Krankheiten. Man sagt, es werden nur 30.000 Menschen direkt davon in Mitleidenschaft gezogen. Was sind 30.000 Menschen zu 200 Millionen Brasilianern? Aber ich kenne diese Menschen! Das sind Kinder, das sind Frauen, das sind Männer, das sind alte Leute, die dort wohnen. Ich kenne sie!“, klagt Erwin Kräutler an.

Bis heute erhält der 74-Jährige Morddrohungen. Nur mit zwei Bodyguards, die ihm von der brasilianischen Regierung zur Seite gestellt sind, kann sich Erwin Kräutler in seiner Diözese bewegen. Das hindert ihn jedoch nicht für seine Überzeugung einzustehen: „Ich bin beauftragt, meinen Glauben dort zu leben, wo ich bin, und auch Stellung zu nehmen, wenn es darum geht, die Menschen, ein Volk zu verteidigen und für Gerechtigkeit einzutreten. Die ‚Mächtigen vom Thron stürzen und die Niedrigen erheben‘ bedeutet, dass alle Menschen das Recht haben zu leben und nicht nur Auserwählte. Nein! Alle haben ein Recht auf Leben!“

Spiritualität und Politik – Mystik und Widerstand: Für Erwin Kräutler sind diese Komponenten untrennbar miteinander verbunden. Am 6. Dezember 2010 wurde der austro-brasilianische Bischof, der von der Theologie der Befreiung2 geprägt ist, für sein Engagement mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Die Filmemacherin Bettina Schimak hat ein Porträt über Bischof Erwin Kräutler3 gestaltet4. Anlässlich eines seiner Österreich-Besuche hat sie den engagierten Kirchenmann im Oktober 2010 in Eisenstadt interviewt.

BETTINA SCHIMAK IM GESPRÄCH MIT BISCHOF ERWIN KRÄUTLER

BETTINA SCHIMAK:

Woher nehmen Sie die Kraft, für andere Menschen alles zu geben?

ERWIN KRÄUTLER:

Gute Frage. Ich würde sagen, es ist Gnade. Ich kann nicht sagen: „Ich habe das von mir aus so programmiert.“ Ich denke, dass ich berufen worden bin. Ich gehe diesen Weg, weil ich die Kraft dazu bekomme. Nicht dass ich ganz besondere Sachen mache, sondern dass ich einfach den Weg gehe, der mir vorgezeichnet worden ist. Ich glaube nicht an Zufälle. Die Hand Gottes ist über mir. Das klingt vielleicht sehr theologisch, aber ich glaube daran.

BETTINA SCHIMAK:

Es schaffen nicht viele, diesen Weg so zu gehen 

ERWIN KRÄUTLER:

Ich muss meinen Weg gehen. Du gehst deinen. Jeder muss seinen Weg gehen. Ich würde nie sagen: „Ich möchte den Weg einer anderen Person gehen.“ Ich muss versuchen, das zu tun, wovon ich überzeugt bin.

BETTINA SCHIMAK:

Was macht Ihnen dabei so viel Mut?

ERWIN KRÄUTLER:

Als ich von der Militärpolizei niedergeschlagen wurde, haben die Leute nicht geschrien: „Das ist ein Bischof!“ Nein, sie haben geschrien: „Das ist unser Bischof!“ Ich bin für dieses Volk da und dieses Volk ist umgekehrt für mich da. Als ich das erste Mal bedroht und unter Polizeischutz gestellt wurde, habe ich von meinem Volk so viele Liebeserklärungen bekommen wie nie zuvor in meinem Leben. In vielen Kirchen gab es an den Wänden Transparente, auf denen stand: „Wir lieben dich! Dein Leid ist unser Leid! Wir stehen auf deiner Seite!“ Ein anderes Beispiel: Eine Frau nahm mir am Ende eines Gottesdienstes das Mikrofon aus der Hand und verkündete, ich dürfte mit ihrer Liebe rechnen. Das ist das Wunderbare bei der Liebe: Man schenkt und wird beschenkt. Die Leute haben mir gezeigt, dass ich einer von ihnen bin. Das rührt mich beinahe zu Tränen. Da habe ich mir gedacht: Wenn es diese „Mafia“ gibt, die mich umbringen will – ich könnte es nie im Leben übers Herz bringen, diesen Menschen den Rücken zuzukehren. Es hält und stärkt mich, dass Kinder, Frauen und Männer mir immer wieder die Hand reichen und sagen: „Mach so weiter! Bitte! Wir sind bei dir, wir machen das miteinander!“ Ich opfere mich nicht für irgendjemanden auf. Es geht mir darum, mit den Menschen unterwegs zu sein, sie zu umarmen, zu halten und von ihnen gehalten zu werden.

BETTINA SCHIMAK:

Als Sie als junger Priester nach Brasilien gekommen sind, sind Sie als Missionar gekommen, haben vermutlich auf eine Art und Weise als Missionar gearbeitet – so, wie man das heute nicht mehr macht 

ERWIN KRÄUTLER:

Ja, natürlich. Ich bin 1965 nach Brasilien gekommen. Die Zeiten waren andere. Das Zweite Vatikanische Konzil5 war zwar schon vorbei, aber bis das Konzil zum Tragen gekommen ist, hat es einige Zeit gedauert. Dennoch war schon klar: Mission heißt Sendung. Die Kirche hat den Auftrag – so heißt es im Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche –, die Liebe Gottes allen Menschen und Völkern zu verkünden und mitzuteilen. Verkünden und mitteilen sind die zentralen Worte. Aber was verkünden wir den Menschen? Geben wir ihnen ein fest verschnürtes Glaubenspaket oder teilen wir den Menschen und Völkern die Liebe Gottes mit? Es geht nicht darum, den Leuten zu sagen, was sie zu tun haben. Sie sollen spüren, dass wir sie gernhaben, dass wir sie lieben. Liebe – gerade im Zusammenhang mit der indigenen Bevölkerung, den Ureinwohnern – bedeutet, dass wir uns einsetzen für ihr Leben und ihr Überleben. Die Indigenen wurden seit Jahrhunderten immer wieder bedroht. Ich denke, dass sich die Liebe Gottes diesen Völkern gegenüber so erweist, dass wir sie unterstützen, ihnen helfen, mit ihnen sind. Nicht nur für sie da sind, sondern mit ihnen sind, damit sie leben können. Das ist biblisch!

BETTINA SCHIMAK:

Sie sprechen so einfach von der Liebe Gottes. Das ist in unseren Breitengraden nicht mehr selbstverständlich. Wie haben Sie Gott lieben gelernt?

ERWIN KRÄUTLER:

Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der das religiöse Leben einfach dazugehört hat. Wir haben immer vom „lieben Gott“ gesprochen, der gleichzeitig Vater und Mutter für uns alle ist. Ich habe diese Beziehung heute noch. Ich habe in meinem Leben viel erlebt. Gutes und weniger Gutes. Aber im Grunde genommen habe ich auch das Kreuz akzeptieren können, weil ich daran geglaubt habe, dass jemand mit mir ist und ich nicht allein bin. Da möchte ich einhaken mit der Befreiungstheologie. Wenn man heute von Befreiungstheologen spricht, ist man der Meinung, das wären einige marxistisch angehauchte Theologen, Priester, vielleicht sogar Bischöfe. Befreiungstheologie hat für mich aber wenig mit Marxismus zu tun. Befreiungstheologie ist grundbiblisch. Im Exodus-Bericht sagt Gott seinem Volk: „Ich habe das Elend meines Volkes gesehen, ich habe seinen Schrei gehört, ich kenne sein Leid. Darum bin ich herabgestiegen, um es aus der Sklavenhütte zu befreien.“ Als Moses dann fragte: „Wie ist dein Name?“, antwortete Gott: „Ich bin der ich bin da.“ Das ist die tiefe Gotteserfahrung. Gott ist nicht ein Gott in weiter Ferne, sondern er ist da, mit uns. Gott ist ein befreiender Gott. Wenn jemand sagt, er sei gegen die Befreiungstheologie, ist er gegen die Bibel, gegen die Offenbarung Gottes.

BETTINA SCHIMAK:

Wieso schenkt Gott auf der einen Seite so viel Mut und Kraft und lässt auf der anderen Seite so viel zu?

ERWIN KRÄUTLER:

Auf bestimmte Fragen gibt es keine Antwort. Kürzlich ist eine liebe Verwandte von mir mit 43 Jahren an Krebs gestorben. Meine erste Frage war...

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