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E-Book

Ich radle um die Welt

Der Klassiker der Radtourer-Literatur

AutorHeinz Helfgen
VerlagVerlag Rad und Soziales
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl606 Seiten
ISBN9783956901652
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Was für ein Abenteuer! Dieses Buch ist nicht nur eine abenteuerlicher Geschichte mit unglaublichen Erlebnissen, sondern auch echte Zeitgeschichte: Wüsten, Orient, Tigerjagd, Hemingway, Dschungel, Atombombe, Diamantensucher – und das alles kurz nach dem Weltkrieg. Das macht das Buch spannend bis zur letzten Seite. Der Reisebestseller der Fünfziger Jahre. Ein einzigartiges Lesevergnügen voller Spannung und Abenteuer – und ein großartiges Zeitdokument. Heinz Helfgen berichtet nicht nur einfach von einer faszinierenden Radreise rund um die Welt, die ihn mehrfach in lebensgefährliche Situationen bringt. Er erlebt auch den Alltag und schildert die Lebensumstände der bereisten Länder, trifft viele berühmte Persönlichkeiten seiner Zeit wie Tito oder Hemingway und gewinnt die Freundschaft vieler Menschen rund um den Erdball. Man hat Heinz Helfgen einen modernen Karl May genannt. Nur – er hat seine Abenteuer selbst erlebt.

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Leseprobe

Die Polizei hilft weiter


Männerstimmen. Ich schob den Kopf aus dem Schlafsack und streckte mich. Heller Tag. Die Morgensonne blendete. Ein Schatten beugte sich über mich. „Guten Morgen! Haben Sie gut geschlafen?“ Die Stimme klang etwas zynisch. Ich rieb mir die Augen und stützte mich auf. Alle Knochen schmerzten. Drei Mann standen da. Polizei. Daneben, mitten zwischen den Apfelbäumen, ein Volkswagen. „Polizei“ stand groß darauf. Was soll’s? Einer von den Männern hob mein Fahrrad auf und lehnte es an einen Baumstamm. „Guck’ dir das mal an“, sagte er, „er hat das funkelneue Rad nicht einmal abgeschlossen!“ „Vielleicht hat er es geklaut; schau’ mal nach”, sagte ein anderer. Ich stöhnte vor Muskelkater. „Darf ich Ihre Papiere sehen?“ sagte der, der mir so freundlich „Guten Morgen“ gewünscht hatte. „Müssen drüben in der Packtasche sein“, stöhnte ich und kroch langsam aus meinem warmen Schlafsack. Fast wäre ich vor Gliederschmerzen zusammengebrochen. Der Polizist, ein blutjunger Mann, stützte mich. „Sind Sie verletzt?“ fragte er dienstlich. „Quatsch“, sagte ich, ,,hab’ mir nur zuviel zugemutet - am ersten Tag gleich von Düsseldorf bis hierhin, 215 Kilometer.“ Die Männer schienen zu begreifen, dass sie es nicht mit einem stehlenden Landstreicher zu tun hatten. Ihr Chef, ein Oberwachtmeister mit einem schwarzen Schnurrbart, meinte schließlich, als ich ihm klarmachte, dass ich um die Erde radeln wollte: „Donnerwetter, da würde ich am liebsten gleich mitmachen.“ Wir unterhielten uns noch eine Weile bis der Chef den Vorschlag machte: „Am besten wäre es doch, wenn Sie uns die zwei Kilometer bis zur Wache folgen würden. Dort können Sie sich frisch machen und mit uns frühstücken.“ Ich tastete mein Gesicht ab. Der Bart war ganz schön gewachsen. Wahrscheinlich sah ich tatsächlich wie ein Vagabund aus.

Die Polizei, Freund und Helfer. Damals, am Anfang unserer deutschen Demokratie. Ich nahm ein heißes Duschbad, massierte und rasierte mich, und die Polizisten ließen mich nicht weiterziehen, bis ich auch ihr Frühstück mit ihnen geteilt hatte. Ich habe diesen echten Beweis freundlicher Menschlichkeit nie vergessen. Das gab mir viel Auftrieb, um wenige Stunden später die arrogante Überheblichkeit anderer Zeitgenossen ertragen zu können.

Zehn Uhr. Frankfurt Innenstadt. Der Kilometerzähler stand auf 230. Ich stand vor dem Gebäude der „Frankfurter Zeitung“, der „Zeitung für Deutschland“, wie man sich dort vielversprechend propagierte.

Der Lift war kaputt. Mühsam stieg ich die Stufen zur Chefredaktion empor. Tolles Vorzimmer! Noch tollere Blondinen hinter zwei zueinander gestellten Schreibtischen. Die Damen fixierten mich kurz. „Sie wünschen?“ „Ihren Chef zu sprechen“, sagte ich. „Sind Sie angemeldet?“ „Tun Sie das, wenn ich bitten darf!“ „Der Chef hat gerade ein längeres Ferngespräch - mit dem Ausland“, fügte sie stolz hinzu. Ich wartete eine Weile. Dann sagte sie: „Vielleicht können wir Ihnen helfen.“ Ich überlegte. Warum sollte ich den Damen nicht sagen, worum es ging? Sie hörten aufmerksam zu, und nach drei Minuten nahm eine den Hörer des Telefons auf und sagte: „Chef, hier ist ein Journalist, der um die ganze Welt radelt -radeln will.“ Lange Pause. Dann sie: „Hab’ ich auch gedacht.“ Sie legte auf, zuckte die Schultern, sah mich an und sagte mit einem sauren Lächeln: „Ich bedaure, der Chef meint, Sie sollten sich an ein Boulevardblatt wenden. Wir sind eine zu seriöse Zeitung, um solche `Mätzchen´ zu drucken, sagte er.“ Die andere Blondine grinste mich an. „Mätzchen“? Das war eine unverschämte Beleidigung. Ich schluckte einige Male und verabschiedete mich: „Sagen Sie Ihrem Chef, es würde mir sehr leid tun, dass er Seriosität und Arroganz verwechselt.“

Die zweite Zeitung, einige Straßen weiter, war etwas bescheidener. Ich klopfte an der Tür mit dem Schild „Chefredakteur“ und trat einfach ein. Ein älterer Herr saß dort hinter einem Stapel Zeitungen und las. Ich stellte mich vor. Er sagte: „Eigentlich hätten Sie sich anmelden sollen. Ich hatte vergessen, den Schlüssel umzudrehen. Wozu habe ich schließlich mein Vorzimmer?“ „Entschuldigung“, sagte ich, „aber darf ich dennoch ganz kurz im Telegrammstil.“ Er rückte unruhig auf seinem Stuhl hin und her, und ich redete. „Ach sooo“, sagte er schließlich. „Sie glauben doch nicht etwa, dass wir so etwas drucken. Ja, wenn Sie deutscher Meister im Radfahren wären oder meinethalben auch noch ein bekannter Filmstar ... aber als ehemaliger Auslandskorrespondent und dazu noch Akademiker ... nein, wissen Sie, so was gefallt mir ganz und gar nicht. Schließlich reist kein Gentleman mit dem Fahrrad um die Welt.“

Ich stand da wie ein begossener Pudel. Dann fühlte ich, wie Zorn und Wut in mir aufstiegen. Ich hätte den Kerl, der da so satt und selbstgefällig hinter dem dicken Schreibtisch saß, ich hätte ihn erwürgen können. Er schien das zu fühlen und schaute mich fast ängstlich an, als ob er sagen wollte: Bitte, bitte hau’ doch ab. Sekunden nur, dann riss ich mich zusammen und sagte grinsend: „Ich habe beim Studium der Psychologie gelernt, dass Arroganz eine Kompensation für armselige Minderwertigkeitsgefühle ist.“ Ich konnte mich nicht mehr bremsen und schlug die Tür mit lautem Krach hinter mir zu.

Draußen fühlte ich mich hundeelend. Der weißgetünchte Hof des Gebäudes, den ich durchschreiten musste, erinnerte mich an eine Hinrichtungsstätte. Dort stand mein funkelnder Drahtesel, das hoch bepackte Fahrrad, das Statussymbol eines „Nicht-Gentleman“. Ich schob es traurig und trotzig durch die Toreinfahrt hinaus auf die Hauptstraße in den brodelnden Verkehr und suchte den Hinterhof eines noch in Kriegstrümmern liegenden Gebäudes, wo sich eine Wochenschrift in einer provisorisch aufgebauten Baracke niedergelassen haben sollte.

Es war gerade zwölf Uhr Mittag. Komisch, hier zwischen den Trümmern fühlte ich mich wohler. Eine alte Frau, die ich nach dem Eingang zu der Zeitschrift gefragt hatte, erzählte mir, dass unter den Ruinen ein riesiger Luftschutzkeller gewesen sei, und ausgerechnet dort sei die Riesenbombe gefallen und habe die Hauptwasserleitung getroffen, und etliche hundert Leute, meist Frauen und Kinder, seien unter den Trümmern buchstäblich ertränkt worden. Sie zerdrückte eine Träne: „Meine Tochter mit drei Kindern war auch dabei!“

Die Leute hinter der Barackentür waren freundlich. „Machen Sie eine Weltreise mit dem Fahrrad?“ fragte mich gleich ein junger Mann, „ich habe das hoch bepackte Rad da draußen im Hof bereits bewundert, als Sie mit unserer Putzfrau sprachen.“ „Sie haben es erraten“, sagte ich „und ich möchte mit Euerm Chef darüber plaudern.“ Er öffnete mir eine Tür am Ende des Barackenganges, ließ mich eintreten und sagte laut „Chef, hier ist ein Weltumradler, der hat bestimmt Stoff für uns!“

Der Raum war mit ausgebleichten Vorhängen dicht verhangen. Die gleißende Septembersonne lag voll darauf. Pfeifenrauch kroch die Gardinen empor und hing als glitzernde Wolke unter den dunklen Holzfaserplatten der Barackendecke. Hinter einem runden Tisch in der Ecke des Zimmers saß ein älterer Herr und blätterte in einem Stoß Pressefotos. Ein sprechendes Gesicht voller Runzeln und einer goldumrandeten Brille wandte sich mir zu und strahlte mich an. Er legte den Stoß Fotos zur Seite: „Was hat er gesagt? Weltumradelung? Machen Sie keine Witze! Geht das überhaupt?“ Ich setzte mich ohne Aufforderung auf einen wackeligen Rohrsessel ihm gegenüber und merkte gleich, dass er ein guter Zuhörer war. Dann sagte er: „Ich kenne auch ein gutes Stück von der Welt, war selbst etliche Jahre im Fernen Osten und dann in Süd- und Nordamerika.“ Nach einer langen Schweigeminute meinte er schließlich: „Der Gedanke ist großartig - so mitten zwischen den Leuten. Gerade heutzutage eine großartige Idee. Da können Sie unsern lieben Deutschen das Fenster zur großen Welt aufstoßen. Ohne die weite Welt verhungern wir. - Aber ich zweifle, ob das, so wie Sie es Vorhaben, überhaupt möglich ist. Die ganze Welt hasst uns Deutsche.“ Er dachte noch eine Weile nach und sagte dann mehr zu sich selbst: „Ganz gleich, das müssen wir bringen; geht’s schief, haben wir halt Pech gehabt.“ Er wandte sich mir zu: „Gehen Sie hier durch die Tür. Dort sitzt meine kleine Stenotypistin. Drei Schreibmaschinenseiten höchstens, und unser Fotograf wird anschließend draußen auf dem Hof noch ein schönes Bild mit ihrem ,Rund um die Erde Fahrrad’ machen. Über das Honorar unterhalten wir uns anschließend.“

„Gleich in die Schreibmaschine“, sagte ich der Kleinen, einer etwa Siebzehnjährigen mit auffallend großen schwarzen Kinderaugen. Sie schaute mich dankbar an und meinte: „Da sparen Sie mir eine Menge Arbeit, und es bleibt mir vielleicht noch Zeit, zum Mittagessen zu gehen.“

Als es ein Uhr schlug, waren wir fertig. Der junge Mann von vorhin machte auf dem Hof etliche Fotos. Kurz darauf erschien der Chef und führte mich in sein Zimmer. „Ich habe gleich zwei Essen kommen lassen - aus dem Restaurant nebenan. Wer die Welt umradelt, kann das nicht mit leerem Magen tun“, meinte er lachend. „Übrigens, Ihr Artikel ist gut. Wenn nur alles gut geht.“ Während er redete, lüftete er ein buntkariertes Tuch von einem riesigen Tablett. Darunter dufteten zwei Portionen Eisbein mit Sauerkraut. „Dachte mir, dass das gerade richtig ist für Sie.“ „Langt für die nächsten hundert Kilometer“, sagte ich, „wenn ich nur den verdammten Muskelkater los wäre.“...

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