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'Ich träume von einer Kirche als Mutter und Hirtin'

Die neue Pastoralkultur von Papst Franziskus

AutorPaul M. Zulehner
VerlagPatmos Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783843610568
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Papst Franziskus hat in wenigen Jahren die Pastoralkultur der katholischen Kirche tiefgreifend verändert. Unter dem großen Vorzeichen des Erbarmens soll die Kirche in der Nachfolge des Heilands Heil-Land für die Menschen sein, oder wie der Papst sagt: ein Feldlazarett, um die Wunden der Menschen wie der Menschheit zu heilen. Akzente verlagern sich: von der Sünde zur Wunde, vom Gerichtssaal zum Hospiz, vom Moralisieren zum Heilen, vom Gesetz zum Gesicht, vom Ideologen zum Hirten. Trotz aller Widerstände wirbt der Papst unentwegt für diesen Kurswechsel zu einer Kirche, von der er sagt: 'Ich träume von einer Kirche als Mutter und als Hirtin.' Paul M. Zulehner folgt Franziskus bei seinem Versuch, dadurch die Pastoralkultur der Kirche zu kräftigen, indem er an die Wurzeln geht und das Handeln der Kirche am Erbarmen Gottes ausrichtet. Das wird Leben und Wirken der Kirche verändern.

Paul M. Zulehner war von 1984 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2008 Professor für Pastoraltheologie in Wien. In zahlreichen und viel beachteten Veröffentlichungen beschäftigt er sich vor allem mit religionssoziologischen, kirchensoziologischen und pastoraltheologischen Themen.

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Leseprobe

Teil 1: Vater des Erbarmens


It is not necessary to be perfect,
but to be connected.
(Richard Rohr)

Gott suchen und finden


Im Gespräch mit Eugenio Scalfari von der Mailänder La Repubblica macht Papst Franziskus deutlich, dass er sein ganzes Sein unerschütterlich an Gott festmacht. Er ist der Dreh- und Angelpunkt nicht nur seines Lebens, sondern auch seines Pontifikats:

„Und ich glaube an Gott. Nicht an einen katholischen Gott, es gibt keinen katholischen Gott, es gibt Gott. Ich glaube auch an Jesus Christus, seine Menschwerdung. Jesus ist mein Lehrer und mein Hirte, aber Gott, der Vater, Abba, ist das Licht und der Schöpfer. Dies ist mein Sein. Haben Sie den Eindruck, dass eine große Distanz zwischen uns besteht?“ [IV Scalfari]

Für den Jesuiten Jorge Mario Bergolio ist dieses feste Setzen auf Gott die Frucht eines langen Glaubensweges, der auch manche Umwege kannte. Auf diesen haben ihn nicht nur seine von ihm hoch verehrte Großmutter Rosa und seine frommen Eltern geführt. In der Schule seines Ordensvaters Ignatius hat er gelernt, „Gott in allen Dingen zu suchen und zu finden“. Diese Überzeugung tönt in vielen seiner Aussagen durch: „Gott begegnet man im Heute“, „Gott ist im Leben jeder Person. Gott ist im Leben jedes Menschen“ [IV Spadaro]. Gott lässt sich selbst gerade in Misserfolgen finden:

„Da wir nicht immer diese aufkeimenden Sprossen sehen, brauchen wir eine innere Gewissheit und die Überzeugung, dass Gott in jeder Situation handeln kann, auch inmitten scheinbarer Misserfolge, denn ‚diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen‘ (2 Kor 4,7). Diese Gewissheit ist das, was ‚Sinn für das Mysterium‘ genannt wird.“ [EG 279]

Gott ist für den Papst kein Besitz. Es geht nicht primär darum, was wir von ihm wissen, sondern ob wir mit ihm verbunden sind, er mit uns im Leben – zeitweise unerkannt – unterwegs ist und unser Leben trägt:

„Daher begegnet man Gott beim Gehen, auf dem Weg. Hier könnte einer sagen: Das ist Relativismus. Ist es Relativismus? Ja, wenn man ihn schlecht versteht wie einen verschwommenen Pantheismus; nein, wenn man ihn im biblischen Sinn versteht, für den Gott immer eine Überraschung ist. Daher weißt du nie, wo und wie du ihn triffst. Nicht du fixierst Zeiten und Orte der Begegnung mit ihm. Man muss daher die Begegnung erkennen, ausmachen. Dafür ist die Unterscheidung grundlegend.“ [IV Spadaro]

Dieses Suchen und Finden Gottes ist aber ein nicht immer einfacher Vorgang. Es ist mehr ein Tasten und Annähern, manchmal mehr ein Nichtwissen13 denn ein Wissen. Es bleiben Zweifel und Unsicherheiten.14 Viele Fragen lassen sich nicht beantworten und bleiben offen. An Gott zu glauben, ist mehr verbunden sein, denn zu wissen. Es ist vor allem eine existentielle Entscheidung, eine Art „Sprung in den Brunnen“15, ohne zu wissen, ob es unten einen festen Boden gibt, doch fest zu hoffen, aufgefangen zu werden:

„Ja, bei diesem Suchen und Finden Gottes in allen Dingen bleibt immer ein Bereich der Unsicherheit. Er muss da sein. Wenn jemand behauptet, er sei Gott mit absoluter Sicherheit begegnet, und nicht berührt ist von einem Schatten der Unsicherheit, dann läuft etwas schief. Für mich ist das ein wichtiger Erklärungsschlüssel. Wenn einer Antworten auf alle Fragen hat, dann ist das der Beweis dafür, dass Gott nicht mit ihm ist. Das bedeutet, dass er ein falscher Prophet ist, der die Religion für sich selbst benutzt. Die großen Führer des Gottesvolkes wie Mose haben immer Platz für den Zweifel gelassen. Man muss Platz für den Herrn lassen, nicht für unsere Sicherheiten. Man muss demütig sein. Die Unsicherheit hat man bei jeder echten Entscheidung, die offen ist für die Bestätigung durch geistlichen Trost.“ [IV Spadaro]

Fundamentalistische Alles- und Besserwisser warnt der Papst vor theologischer Arroganz und falscher Sicherheit:

„Das Risiko beim Suchen und Finden Gottes in allen Dingen ist daher der Wunsch, alles zu sehr zu erklären, etwa mit menschlicher Sicherheit und Arroganz zu sagen: ‚Hier ist Gott.‘ Dann finden wir nur einen Gott nach unserem Maß. Die richtige Einstellung ist die von Augustinus: Gott suchen, um ihn zu finden, ihn finden, um ihn immer zu suchen. Und häufig findet man nur tastend, wie man in der Bibel liest. Das ist die Erfahrung der großen Väter des Glaubens, die unser Vorbild sind. Man sollte das 11. Kapitel des Briefes an die Hebräer lesen: Abraham ist aufgebrochen, ohne zu wissen, wohin er gehen soll im Glauben. Alle unsere Vorfahren im Glauben starben im Blick auf die verheißenen Güter, aber immer von Ferne… Unser Leben ist uns nicht gegeben wie ein Opernlibretto, in dem alles steht. Unser Leben ist Gehen, Wandern, Tun, Suchen, Schauen… Man muss in das Abenteuer der Suche nach der Begegnung eintreten und in das Sich-suchen-Lassen von Gott, das Sich-begegnen-Lassen mit Gott.“ [IV Spadaro]

Dieser lebendige, die Welt und jede und jeden von uns tragende Gott kann, wie etwa „im sogenannten Westen, in Vergessenheit geraten“ [EU Parlament]. Das kann den Menschen veranlassen, sich im Umgang mit der Welt an Gottes Stelle zu setzen und zu vergessen, dass ihm diese Welt zum behutsamen Hegen und Pflegen anvertraut ist. „Wir sind nicht Gott. Die Erde war schon vor uns da und ist uns gegeben worden“ [LS 67], ruft Papst Franziskus in diese Gottvergessenheit hinein, ein Wort, das er von seinem Vorgänger Papst Benedikt XVI. übernommen hat.16

Besorgt macht Papst Franziskus auch, dass manche von einem falschen Gott reden oder – wie man zugespitzt formulieren könnte – dass sie aus einem unpassenden Gott einen uns passenden modellieren:

„In der heiligen Absicht, ihnen die Wahrheit über Gott und den Menschen zu vermitteln, geben wir ihnen bei manchen Gelegenheiten einen falschen ‚Gott‘ und ein menschliches Ideal.“ [EG 41]

Gott sucht und findet


Papst Franziskus macht es also weder sich selbst noch uns mit Gott leicht. Wer Sicherheit sucht, findet Gott nicht. Im Suchen kann aber die tiefe Gewissheit wachsen, von Gott selbst gefunden zu sein.

Er stellt damit die Aufforderung, wir sollten „Gott in allen Dingen suchen und finden“, gleichsam auf den Kopf. Denn letztlich sind nicht wir es, die Gott suchen. Vielmehr ist es, so ist Papst Franziskus überzeugt, Gott selbst, der uns unablässig sucht und verlässlich findet.

Die Initiative liegt immer bei Gott. Er erschafft die Welt, in ihr die Menschen. Sein Ziel ist, sich mit der Welt und in ihr mit jedem Menschen17 zu vereinen. Dazu schließt er einen Bund mit seinem Volk [IV Spadaro]. „Die Barmherzigkeit macht die Geschichte Gottes mit Israel zu einer Heilsgeschichte“ [MV 7], und das mit der ganzen Menschheit [AL 318]. In der Menschwerdung hat er mit der Einung begonnen. Am Ende wird er „alles in allem“ sein. Hier zeigt Papst Franziskus sich jenen suchenden Mystikern und Mystikerinnen (wie etwa Hildegard von Bingen oder Meister Eckhart, aber auch seinem Ordensbruder Teilhard de Chardin) nahe, nach denen die gesamte Schöpfung auf den „kosmischen Christus“ zureift:

„Das Neue Testament spricht zu uns nicht nur vom irdischen Jesus und seiner so konkreten und liebevollen Beziehung zur Welt. Es zeigt ihn auch als den Auferstandenen und Verherrlichten, der mit seiner allumfassenden Herrschaft in der gesamten Schöpfung gegenwärtig ist: ‚Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen, um durch ihn alles zu versöhnen. Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut‘ (Kol 1,19–20). Das versetzt uns ans Ende der Zeiten, wenn der Sohn dem Vater alles übergibt und Gott alles in allem ist (vgl. 1 Kor 15,28).“ [LS 100]

Franziskus ist also bei aller Gottessehnsucht und Gottsuche der Menschen überzeugt: „Gott kommt unserem Tun mit seiner Gnade zuvor.“18 In diesem Entgegenkommen schenkt Gott nicht nur „Gnaden“-Gaben, sondern ist selbst die „ungeschaffene Gnade“. In seiner Liebe zieht Gott jeden Menschen an sich, sucht ihn wie ein Hirte.

Mit wenigen Worten bündelt Papst Franziskus seine Theologie der Offenbarung, aber auch der Gnade. Gott „spricht zu uns19, offenbart sich und seine unermessliche Liebe im gestorbenen und auferstandenen Christus [EG 11]20, kommt uns zuvor21, bietet uns an; Gott zieht uns an“:

„Das Heil, das Gott uns anbietet, ist ein Werk seiner Barmherzigkeit. Es gibt kein menschliches Tun, so gut es auch sein mag, das uns ein so großes Geschenk verdienen ließe. Aus reiner Gnade zieht Gott uns an, um uns mit sich zu vereinen. Er sendet seinen Geist in unsere Herzen, um uns zu seinen Kindern zu machen, um uns zu verwandeln und uns fähig zu machen, mit unserem Leben auf seine Liebe zu antworten. Die Kirche ist von Jesus Christus gesandt als das von Gott angebotene Sakrament des Heiles. Durch ihr evangelisierendes Tun arbeitet sie mit als Werkzeug der göttlichen Gnade, die unaufhörlich und jenseits jeder möglichen Kontrolle wirkt. Benedikt XVI. hat dies treffend zum Ausdruck gebracht, als er die Überlegungen der Synode eröffnete: ‚Daher ist es wichtig, immer zu wissen, dass das erste Wort, die wahre Initiative, das wahre Tun von Gott kommt, und nur indem wir uns in diese göttliche Initiative einfügen, nur indem wir diese göttliche Initiative erbitten, können auch wir – mit ihm und...

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