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Trost in der Bibel
Warum ist so etwas wie „Trost“ überhaupt nötig? Schlicht und ergreifend deshalb, weil Leben immer auch lebensgefährlich ist, weil Leid in allen seinen Dimensionen zum Leben dazugehört. Der Zusammenhang zwischen Trost und Leid verweist unser Thema in den großen Themenkomplex des Umgangs mit dem Leid, damit gehört es zu einer der Kardinalfragen des Lebens und auch der Religionen. Man kann sich sogar die Frage stellen, ob die Trostdimension bei Glaubenden, speziell im Christentum, vielleicht sogar die vorherrschende ist.
Deshalb kann es nicht genügen, im Zusammenhang mit unserem Thema nur strikt am Wortfeld „Trost/trösten“ zu bleiben. Den wörtlich expliziten Stellen nachzugehen, ist das eine. Die grundsätzlich tröstliche Dimension des jüdisch-christlichen Glaubens zu erfassen, ist das andere.
Ich werde deshalb zunächst einen Überblick über das Wortfeld „Trost/trösten“ in der Bibel geben, dann nach Schlüsselgeschichten zum Thema im Alten und Neuen Testament suchen, bevor ich mich besonders dem Propheten Jesaja und schlussendlich dem Text der Jahreslosung aus Jesaja 66 zuwende.
Das Wort „nacham“ kann neben „trösten“ auch „bereuen“ oder „sich trösten lassen“ bedeuten. Auch die hilfreiche Assoziation „aufatmen lassen“ lässt sich mit diesem Wortstamm verbinden. Die nicht sehr häufigen alttestamentlichen Belege beziehen sich entweder auf den Trost unter Menschen oder zwischen Mensch und Gott. Unter Menschen wird im Alten Testament nur in Erzählungen getröstet und im Buch Hiob. Dabei geht es um das Verarbeiten von Todesfällen oder von umfassendem Unglück. Meist trösten Familienmitglieder (2Sam 12,24/1Chr 7,22) oder Freunde (Ausnahme: 2Sam 10,2).
Gott als Tröster begegnet uns vor allem in den prophetischen Texten, wobei auf Jesaja später noch ausführlich einzugehen sein wird. Adressat des Trostes Gottes ist in der Regel das gesamte Volk Israel oder Jerusalem/Zion (Klgl 1,2.9.16) und Ziel des Trostes ist die Wiederherstellung Israels und damit auch der Beziehung Gottes zu seinem erwählten Volk (Jes 49,13; 51,12).
In den Psalmen wiederum ist der Einzelne immer wieder der Empfänger göttlichen Trostes (Ps 71,21; 86,17; 119,50.52.76.82).
„Trösten/Trost“ haben im Alten Testament ganz eindeutig mit Beziehung zu tun – es geht dabei um Fürsorglichkeit als bewusste Hinwendung zu einem Menschen in Not. Ich will in der Folge auf einige alttestamentliche Passagen hinweisen, die, in meiner Wahrnehmung, weiterführende und hilfreiche Aspekte von Trost/trösten aufleuchten lassen. Diese Auswahl ist völlig subjektiv und erhebt keinerlei Ansprüche auf Vollständigkeit. Es sind einfach einige der biblischen Abschnitte, bei denen ich das „Hinsehen“ ganz neu für mich entdeckt habe.
Der Super-GAU, der größte anzunehmende Unfall, dazu noch willentlich herbeigeführt, gleich auf den ersten Seiten der Bibel … Sündenfall! Mit harschen Worten – Schuldzuweisungen, Feindschaft und Fluch – endet die harmonisch-liebevolle Beziehung von Gott und Mensch, obwohl sie doch gerade erst begonnen hat. Und dann? „Und Gott der Herr machte Adam und seinem Weibe Röcke von Fellen und zog sie ihnen an“ (1Mo 3,21). Seit vielen Jahren schon „liebe“ ich diese Stelle. Sie zeigt mir, dass – im tiefsten Unglück – Gottes Liebe sich schon wieder sorgt. Das durch das Essen der verbotenen Frucht bewusst gewordene Schamempfinden der Menschen führt zum „Kleidungsupgrade“ von pflanzlich zu tierisch. Hier entdecke ich schon auf den ersten Seiten der Bibel einen Grundzug von Gottes Wesen, über den wir Menschen nur von Herzen dankbar sein können: Auch im Gericht, auch in der Strafe und der Trennung bleibt der Gott der Bibel den Menschen zugewandt.
Dieses Grundmotiv wird an einigen biblischen Stellen noch gravierender und bedeutsamer: Gott vernichtet in der Sintflut nicht alle Menschen. Im Regenbogen als Symbol des göttlichen Versprechens liegt ein großer Trost! Selbst eine mit Mord und Ehebruch begonnene Beziehung wie die zwischen David und Batseba kann mit ihrem Kind Salomo eine göttliche Verheißungslinie fortführen (vgl. Matth 1,6: „David zeugte Salomo mit der Frau des Uria“) und dem Volk Israel wird verheißen, dass Gott mit den nach dem Gericht „Übriggebliebenen“, „dem Rest“, dem „Stumpf“ einen neuen Weg beschreiten wird (Jes 6,13; 7,3; 10,20f).
Das sind keine leichten Gedanken, weil sie das Gerichtshandeln Gottes nicht einfach ausblenden, aber zugleich schon durchschimmern lassen, dass Gott in seiner Gnade und Zuwendung zu seinem Volk immer wieder neue Wege sucht, bis hin zur wundervollen Verheißung des neuen Herzens und des neuen, göttlichen Geistes (Hes 36,26f)
Wie tröstlich, dass am Ende Gottes Fürsorge, Gottes Gnade und unbedingte Zuwendung stehen.
Wüstenwege sind kein Spaziergang, gerade dann nicht, wenn immer wieder mit Verfolgung und feindlichen Angriffen zu rechnen ist. Gut, wenn man dann erleben kann, dass man nicht alleine unterwegs ist. Diese Botschaft der erfahrbaren Gegenwart Gottes durchzieht die ganze Bibel. Gott kümmert sich, er weist den Weg, er entscheidet über Wanderzeiten und Ruhezeiten. Sichtbares Zeichen dafür war beim Volk Israel die Wolken- und Feuersäule (2Mo 13,17ff). Ein phänomenales Navigationsgerät und weit mehr als das! Wir wissen aus den biblischen Erzählungen, dass selbst die dauerhafte Präsenz von Wolken- und Feuersäule die Israeliten nicht „bei Laune“ halten konnte und ich denke, heute wäre das keineswegs anders. Aber wie tröstlich, dass Gott sein Volk führt – dass die Wolken- und Feuersäule sie als Zeichen seiner Gegenwart nie verlassen hat.
Auch wenn ich das weiter unten noch ausführlicher darstellen werde, so sei hier doch schon ein klarer Hinweis erlaubt: Wir Christenmenschen müssen nicht neidisch auf die alttestamentliche Navigationshilfe schauen. Gott führt uns mindestens ebenso klar und eindeutig. Kein Zufall, dass „Feuer“ an Pfingsten eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt (Apg 2,3). Gottes Geist ist im ganzen Neuen Bund die Wolken- und Feuersäule, mit der Gott seine Menschen tröstet, ermutigt, leitet und führt (Joh 16,13; Apg 16,6).
Und außerdem hat Gott uns in seinem biblischen Wort einen großen Schatz geschenkt (Ps 119,105; 2Tim 3,16f). Bei aller Unterschiedlichkeit im Verstehen und in der Auslegung ist es dennoch ein kostbarer, unübertrefflicher Wegweiser. Wüstenzeiten, umkämpfte Zeiten: Gott ist erfahrbar gegenwärtig – welch ein Trost!
Das verstehe mal einer. Da steht Elia eben noch auf dem Gipfel seiner Macht und kurze Zeit später liegt er unterm Wacholderbusch (1Kön 18–19). Wagemutig und unerschrocken tritt er dem König entgegen und dann schlottert er vor Angst aufgrund der Morddrohung der Königin. Eben noch richtet er Hunderte von Baalspriestern hin, jetzt will er selbst nur noch sterben. Gerade hat er den lebendigen Gott auf eindrücklichste Weise erlebt und nun bleibt ihm nur noch die Flucht in die Wüste. Was bin ich dankbar für dieses Stück Bibel! Nicht wahr – in unterschiedlichen Abwandlungen kennen wir das auch: himmelhoch jauchzend – und dann zu Tode betrübt. Strahlender Glaubensheld, Superman für Fromme und dann erbärmlicher Versager, Antiwerbung für den lebendigen Gott. Trostlos.
Gerade in den letzten Jahren tritt diese alttestamentliche Geschichte ja spürbar häufiger hervor. Ein Beispiel für „Burnout“ soll Elia sein, ein ganz früher Hinweis auf eine postmoderne Zivilisationskrankheit der westlichen Wohlstandsgesellschaft, festgemacht am antiken Wüstenpropheten. Mag ja sein, dass auch das tröstlich ist. Phänomene von Überarbeitung, aber auch von frommer Hybris und Selbstüberschätzung gab und gibt es eben zu allen Zeiten. Aber richtig, richtig tröstlich finde ich den Umgang des Auftraggebers mit seinem Propheten.
Da ist zunächst einmal unwidersprochen genügend Raum für gesunde Selbsteinschätzung: „Ich bin nicht besser als meine Väter“ (1Kön 19,4), kann Elia zutreffend sagen. Wie wahr und wie befreiend, wenn der Botendienst für Gott nicht von der Güte des Boten abhängig ist. Mit dieser Erkenntnis ist gut schlafen, denn sie schafft Raum für Gottes Möglichkeiten. Und die nähern sich postwendend in der Gestalt eines Engels. Ganz ohne geistliche Ratschläge kümmert dieser sich zunächst einmal um Elias leibliches Wohl. Wasser und Brot – Picknick in der Wüste – vollkommen unerwartet und unvorbereitet ist der Tisch gedeckt. Der Gott, der uns als Erdmenschen geschaffen hat, nimmt diese Aspekte unseres Lebens richtig ernst. Es ist eine der vielen biblischen Geschichten, die uns eindrücklich vor Augen führen, wie ganzheitlich Gott seine Menschen sieht und mit ihnen umgeht. Nach dem Essen darf Elia noch einmal schlafen, bevor der Engel eine erneute Essensaufforderung mit der Ankündigung einer Wanderschaft verbindet.
Jetzt, aus der Verkündigung des Engelshat Elia plötzlich wieder ein Ziel. 40 Tage und 40 Nächte, wahrhaft bedeutsame biblische Zeiträume (2Mo 24,18; Matth 4,2) wandert er zum Horeb, dem Berg Gottes. Es ist unklar, ob Sinai und Horeb wirklich identisch sind, aber auf jeden Fall ist der Horeb ein Ort der Gotteserfahrung (2Mo 17,5). Diese Wegstrecke war für Elia gewiss nicht leicht und auch die ihm zweifach deutlich werdende göttliche...