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Richtungsbestimmung mit dem Kompass – die Bibel und ihre Akteure
Die Bibel ist Gottes Liebesbrief an uns. Sie enthält Offenbarung um Offenbarung, wir müssen sie nur noch für uns entdecken. Vor etlichen Jahren führten meine Frau Christine und ich ein Projekt mit dem Namen »Wortschatz, die Mitmachbibliothek« durch. Wir hatten selbst erlebt, wie uns ein Schweizer Pastorenehepaar, Daniela und Benji Morf, völlig unverhofft und unabhängig voneinander jeweils ein Buch auf einer Party in der Schweiz schenkten, nachdem wir lange Gespräche über unseren Glauben geführt hatten und feststellen mussten, dass sie, sofern sie die Wahrheit sagten, Dinge mit Gott erlebten, die für uns damals schier unvorstellbar waren. Diese Bücher und weitere Treffen haben unser Leben nachhaltig verändert. Wir erlebten, dass es tatsächlich viele Kanäle hin zu Gott gibt, wie Richard Foster es einmal in seinem Buch »Viele Quellen hat der Strom« formulierte. Wenn einmal einer dieser Kanäle verstopft ist, habe ich noch andere Möglichkeiten, in die Gegenwart Gottes zu treten. Das Erlebte nahmen wir zum Anlass, besonders wertvolle Bücher mit Menschen aus dem Ort und der Gemeinde kostenlos zu teilen und darüber ins Gespräch zu kommen. Im Zuge dieser Arbeit luden wir Reinhard Kannenberg von der Bibelliga Deutschland zu einem Vortrag ein. Abends sprachen wir noch lange darüber, wie in Jesus das Wort zu Fleisch geworden ist (siehe Joh 1,14). An diesem Abend wurden mir die Augen dafür geöffnet, wie viel mehr mit mir passieren konnte, wenn ich Bibellesen anders praktizierte, nämlich mit einer anbetenden Haltung und der Erwartung, dass die Wahrheit seines Wortes auch in mein Fleisch übergeht. Es ist ein Mysterium, aber ich kann einen Text lesen, den ich schon am Tag zuvor gelesen habe, doch heute lasse ich es zu, dass Gott seine Wahrheit in mich hineinlegt.
Ich bin der festen Überzeugung, dass Gott der Vater von Anfang an auf Jesus hinweisen wollte – indem er Menschen inspirierte, die Schriften der Bibel zu schreiben. Alles deutet auf ihn hin, und nur wenn wir die Bibel auf die Person Jesu hin auslegen, können wir sie überhaupt verstehen. Die Bibel mit Jesus im Fokus gelesen – das ist unsere Richtschnur in sämtlichen Fragen des Glaubens. Lass uns also einige Kostproben von ihr im Blick auf das Thema Anbetung nehmen, um zu verstehen, welch große Bedeutung ihr durch die Geschichte der Menschheit hindurch zukommt.
Die Anbetung des Namens Gottes beginnt in der Bibel mit der Erkenntnis von Adam und Eva, dass Gott sie trotz allem noch liebt und es gut mit ihnen meint. Spulen wir ein wenig in der Geschichte zurück, um den Zusammenhang zu verstehen: Am Anfang hat Gott die Welt mit allem, was lebt, erschaffen, und er schuf den Menschen zu seinem Ebenbild. Der Mensch ist in der Lage, sein Leben sinnhaft, zielgerichtet, emotional und kreativ zu gestalten. Gott wollte, dass er seinen Inspirationen folgt, eine Lebensmelodie komponiert, und er wollte sich gemeinsam mit ihm daran erfreuen. Die darin enthaltene Freiheit wurde allerdings zum Stolperstein. Mit dem sogenannten Sündenfall erfolgte als Konsequenz der Ausschluss aus dem Garten Eden, also aus der unmittelbaren Gegenwart Gottes. Hier wird schnell klar, dass Gott von Anfang an die Freiheit der eigenen Entscheidung als grundsätzliche Voraussetzung für das Zusammenleben mit ihm festlegt. Das ist heute noch so. Keiner muss Gott anbeten, weder Christen noch sonst eine Person. Adam und Eva entschieden sich dagegen, die Gegenwart Gottes als den besten Ort anzusehen. Die Folge davon waren Angst, Scham und – im weiteren Verlauf – der durch ihren erstgeborenen Sohn verübte Mord am kleinen Bruder.
Auch in diesem Konflikt ging es um die Gegenwart Gottes. Diese ersten Menschen hatten angefangen, Gott Opfer zu bringen, ihr Gewissen hatte eingesetzt, und schon damals gingen die Menschen hiermit unterschiedlich um. Es wird nicht genau berichtet, wieso Gott Abels Opfer positiver ansah als das von Kain, aber vielleicht ist die Beobachtung von Joseph Prince nicht unerheblich, dass Kains Opfer das Ergebnis eigener harter Arbeit und damit Teil des Fluches (1Mo 3,17) war. Es liegt außerdem der Gedanke nahe, dass es mit der jeweiligen Herzenshaltung zu tun gehabt haben könnte. Kain musste die Familie verlassen (übrigens schützte Gott sogar das Leben des ersten Mörders der Menschheitsgeschichte). Erst als Eva noch ein weiterer Sohn geschenkt wurde, Set, der dann mit seiner Familie bei ihnen lebte, »begannen die Menschen, den Herrn anzubeten« (1Mo 4,3 NLB). Anbetung war von Anfang an die Reaktion auf das gnädige Handeln Gottes am Menschen. Schon die ersten Menschen merkten, dass Gott sie immer noch liebte, obwohl sie ihm den Rücken zugekehrt hatten. Er erwies ihnen seine Gunst, indem er ihr Geschlecht weiter bestehen lassen wollte. Nur durch Gottes Gnade kam es zur ersten wirklichen Familie. Gott setzte sich leidenschaftlich für sie ein und Gnade bestimmte sein Handeln.
Auch im weiteren Verlauf der biblischen Geschichte entscheiden sich die Menschen immer wieder gegen die Gemeinschaft mit Gott. Es muss furchtbar frustrierend sein, immer wieder abgewiesen zu werden! Aber Gottes Liebe war immer schon größer als jeder Frust. Er fand immer wieder Personen, die sich auf ihn einließen, und er kommunizierte und hatte Gemeinschaft mit ihnen. Durch sie wollte er auch die Einladung an die restlichen Menschen aussprechen, sich von ihm lieben zu lassen. Er begann mit einem einzelnen Volk und meinte doch schon immer alle Menschen.
Ich will an dieser Stelle nur einige bedeutende Namen nennen. Sicher werden sie dir bekannt sein, aber wir wollen uns einmal auf die Auswirkung ihrer Anbetung konzentrieren. Abraham, der Stammvater vieler Völker, geriet völlig unverhofft in einen lebenslangen Dialog mit Gott. Gott sah, dass Abraham ihn liebte und an ihn glaubte, »und das rechnete Er ihm als Gerechtigkeit an.« (1Mo 15,6). Trotz aller Schwächen und Fehler sieht man bei Abraham den Lebensstil der Anbetung in den wiederkehrenden Dialogen. So bereitete er dem Herrn ein Ehrenmahl, als der vor dem erschütternden Ereignis von Sodom und Gomorra zu Besuch kam und sich danach sogar von Abraham penetrant bitten ließ. Abraham, der zu jener Zeit ja noch Abram hieß, vertraute Gott darüber hinaus das Leben seines Sohnes Isaak an, und zwar ohne Vorbehalte, mit Haut und Haar. Abraham prägte alle Menschen, die seinen Weg kreuzten, wie beispielsweise seinen Diener, mit dem Lebensstil der Anbetung. Das kann man im Fortgang der Erzählung nachlesen.
In der ganzen Geschichte schwingt eine besondere Hoffnung mit, die Abraham den nächsten Schritt im Vertrauen auf Gott gehen lässt. Auch Jakob, Abrahams Enkelsohn, ein Betrüger, wie er im Buche steht, erlebt auf der Flucht vor seinem ums Erbe betrogenen Bruder Esau Gottes Gegenwart auf besondere Weise. In einem Traum erscheint ihm Gott mit seiner übernatürlichen Liebe, er sieht Engel, die geschäftig zwischen Himmel und Erde auf- und absteigen, und erhält Gottes reichen Segen. Gott selbst stellt sich ihm vor. Als Jakob erkennt, wie sehr sich Gott um ihn kümmert und für die Menschheit einsetzt, ändert sich sein ganzes Leben. Er errichtet einen Stein der Anbetung als Denkmal und sagt: »Hier ist wirklich das Haus Gottes, das Tor des Himmels.« (1Mo 28,17 NEÜ). Das bedeutet ihm alles. Auch später wird klar, dass er sich schwierigen Situationen nur noch mit der Gewissheit über Gottes Segen entgegenstellen will.
So könnten wir jetzt die ganze Bibel durchgehen und würden überall das gleiche Muster erkennen. Josef erlebt Visionen von Gott, die ihn ermutigen, Wagnisse im Vertrauen auf Gott einzugehen. Durch Josef wird das gesamte Zentrum der damaligen Welt gesegnet. Mose erlebt Gottes Gegenwart zuerst in einem endlos brennenden Dornbusch und pflegt eine derart tiefe Beziehung mit Gott, dass er »der Freund Gottes« (siehe 2Mo 33,7–11) genannt wird. Und auch er leuchtet im wahrsten Sinne des Wortes als Gottes Licht in der Welt, legt sich mit dem mächtigsten Mann der damaligen Welt an, befreit sein gesamtes riesengroßes Volk, erlebt unglaubliche Wunder und veranlasst den Bau der Stiftshütte, die die Gegenwart Gottes unter die Menschen bringt. Später war es dann beispielsweise David, der von Gott »ein Mann nach meinem Herzen« (Apg 13,22 NLB) genannt wird. Im Vertrauen auf Gott besiegt er Riesen, gewinnt Kriege und wird auf der Flucht vor dem König immer wieder bewahrt. David vertreibt mit seinem Harfenspiel böse Geister und begründet mit seinen Liedern und Instrumenten eine neue Kultur der Anbetung in der Gegenwart Gottes. Er holt die Bundeslade in seine Stadt und sagt, dass er lieber einen Tag in den Vorhöfen des Tempels, also in der Gegenwart Gottes, verbringen möchte, als 1000 andere Tage zu erleben (siehe Ps 84,11). Dabei ist David nicht einmal Priester und darf nicht in das Allerheiligste.
Außerdem wird in der Bibel von vielen Sehern, Propheten und Prophetinnen erzählt, die mit Gott kommunizierten. Alle diese Personen wurden durch die Gegenwart Gottes bereits unter dem alten Bund grundlegend verändert. Der Heilige Geist kam immer wieder über sie und Gott segnete sie. Das machte sie so stark, dass sie Gottes Licht in der Welt leuchten lassen konnten.
Wir, die wir unter dem neuen Bund leben, genießen noch ganz andere Privilegien. Alle Gläubigen werden als Priester (siehe 1Petr 2,9) bezeichnet, der Vorhang zum Allerheiligsten ist zerrissen und der Heilige Geist kommt nicht nur über uns, er hat in uns dauerhaft Wohnung genommen!
Wenn es um Jesus geht, den Stifter des neuen Bundes, macht die Bibel keinerlei Kompromisse. Hier wird mit Superlativen gearbeitet. Jesus erklärte seinen Jüngern, dass alle früheren Propheten sich danach gesehnt hätten, »zu sehen und zu hören, was ihr gesehen und...