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'Ich würde so etwas nie ohne Lippenstift lesen.'

Maeve Brennan. Eine Biographie

AutorMichaela Karl
VerlagHoffmann und Campe Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783455005769
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
New York City, 1955. High Heels klackern auf der 5th Avenue. Im Kleinen Schwarzen, mit Perlenkette und Beehive ist Maeve Brennan auf dem Weg in den New Yorker. Sie ist ein Star ihrer Zeit, gefeierte Autorin und New Yorks Mode-Ikone. Angeblich dient sie sogar als Vorbild für die weltberühmte Figur der Holly Golightly in Truman Capotes Breakfast at Tiffany's. Ihr Leben ist perfekt. Doch ihr Lebensmotto lautet nicht umsonst: »Bis zum Chaos ist es nur ein kleiner Schritt ...« Irland und ihre revolutionären Eltern hat Maeve Brennan hinter sich gelassen, ebenso wie eine turbulente Affäre mit Charles Addams, dem Kopf hinter der Addams Family. Die Stelle als Moderedakteurin bei Harper's Bazaarin New York scheint ihr auf den Leib geschneidert zu sein, doch die exzentrische und messerscharf schreibende junge Frau steigt noch höher auf: zur landesweit bekannten Autorin des legendären New Yorkers. Alkohol und der Cary Grant der Journalistenszene locken sie ebenso wie das Verlangen nach einem selbstbestimmten Leben. Michaela Karl, bekannt für ihre detailreichen und ungewöhnlichen Frauenbiographien, erzählt eindrucksvoll von einer schillernden Persönlichkeit auf dem schmalen Grad zwischen Glamour und Wahnsinn.

Michaela Karl, geboren 1971, studierte in Berlin, München und Passau Politologie, Geschichte und Psychologie. 2001 promovierte sie an der FU Berlin mit einer Arbeit über Rudi Dutschke. Ihre Biographien über Dorothy Parker, Zelda und F. Scott Fitzgerald und ihr Buch über Bonnie und Clyde waren allesamt von der Presse hochgelobte Bestseller. Bei Hoffmann und Campe erschien zuletzt ihre Unity-Mitford-Biographie Ich blätterte gerade in der Vogue, da sprach mich der Führer an (2016). Michaela Karl ist Mitglied der Münchner Turmschreiber.

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Leseprobe

Es gibt ein frohes Land
In weiter, weiter Ferne,
Wo man Ei und Schinken isst.
Dreimal am Tag und gerne.

Maeve Brennan, Die Besucherin

I. »Du hast aus deiner Kindheit solch eine Tragödie gemacht, dass ich damit nicht wetteifern wollte.«


Ich war einst eine stolze Irin

»Ich weiß nicht, ob man sie in Irland für eine irische Schriftstellerin hält, oder für eine amerikanische. Faktisch ist sie beides, und beide Länder sollten stolz darauf sein, sie für sich reklamieren zu dürfen«, schrieb William Maxwell in seinem Vorwort zu einem Erzählband von Maeve Brennan.18 Tatsächlich beschäftigt kaum eine Frage die Fangemeinde der Autorin mehr als diese. Was war sie nun? Stylish oder irish? Die Antwort darauf war nie einfach – nicht einmal für sie selbst. Denn ihr Geburtsland Irland prägte Maeve Brennan so sehr, dass sie selbst als New Yorker Stilikone ihre Wurzeln nie ganz verleugnen konnte – so sehr sie sich auch darum bemühte.

Maeve Brennan wuchs zu einer Zeit auf, in der die grüne Insel einmal mehr um Autonomie focht. Blutige Zusammenstöße mit den englischen Besatzern, aber auch zwischen Iren unterschiedlichen Glaubens waren an der Tagesordnung und prägten die irische Politik des 20. Jahrhunderts. Maeves nationalistische Eltern waren fanatische Kämpfer für die Unabhängigkeit – die irische Kultur war im Hause Brennan allgegenwärtig.

Als Maeve geboren wurde, gehörte Irland seit mehr als 100 Jahren zu Großbritannien, doch die Stimmen, die eine Loslösung vom Vereinigten Königreich forderten, waren nie verstummt und vor allem nach dem irischen Trauma der Great Famine lauter und lauter geworden.

Die Große Hungersnot war die größte Katastrophe in der Geschichte Irlands. Ihr fielen zwischen 1845 und 1849 mehr als eine Million Menschen zum Opfer. Die britische Regierung hatte auf den Fäulebefall der Kartoffel, dem Hauptnahrungsmittel der Iren, mit einem verfehlten Krisenmanagement reagiert – mit verheerenden Folgen. Die Iren werteten die ergriffenen Maßnahmen als versuchten Genozid. Allein durch Nahrungsmittellieferungen aus den USA konnte das Schlimmste verhindert werden. Dass die britische Regierung diese Hilfsleistungen erst nach internationalen Protesten ins Land ließen, steigerte den Hass der Iren auf die Besatzer ins schier Unendliche. Hilflos hatten sie mit ansehen müssen, wie Getreide aus Irland in Richtung England exportiert worden war, während die eigene Bevölkerung verhungerte. Als viele Pächter aufgrund des Ernteausfalls nicht mehr in der Lage waren, ihre Pacht zu bezahlen, wurden sie von den Großgrundbesitzern gnadenlos von ihren Höfen vertrieben, ohne dass die britische Regierung ihnen zu Hilfe kam. Mehr als eine Million Iren verließen während der Hungersnot ihre Heimat in Richtung USA, Kanada oder Australien.

In den folgenden Jahren verzeichnete die Unabhängigkeitsbewegung einen enormen Zulauf, und der Druck auf die britische Regierung, der Insel »Home Rule«, sprich Selbstverwaltung, zu gewähren, wuchs. Im ganzen Land kam es zu Unruhen und lokalen Aufständen. 1882 gründeten die Home-Rule-Anhänger um Charles Stewart Parnell die Irish Parliamentary Party, deren Abgeordnete durch Dauerreden die Arbeit des britischen Parlaments behinderten. Als Parnells Partei 1885 im Unterhaus zum Zünglein an der Waage wurde, zeigte man sich in Downing Street erstmals zu Zugeständnissen in der Irlandfrage bereit. Die von Premierminister William Gladstone 1886 und 1893 eingebrachten Home-Rule-Gesetzesvorlagen scheiterten jedoch zunächst am Unterhaus, später auch am Oberhaus. Während im Parlament händeringend nach einer Lösung gesucht wurde, vertieften sich die Gräben auch innerhalb der irischen Nation. Im Norden formierten sich die Unionisten als Gegner der Home Rule, sie traten für einen Verbleib im Vereinigten Königreich ein. Im Süden gründete Douglas Hyde 1893 die »Gaelic League«, die sich auf die gälischen Wurzeln der Iren berief und von einer De-Anglisierung Irlands träumte, die vor allem durch die Verbreitung der irischen Sprache befördert werden sollte. Die von der Gaelic League angebotenen Irischkurse erfreuten sich im ganzen Land alsbald großer Beliebtheit.

In diese aufgeheizte Stimmung hinein wird Maeve Brennans Vater Robert am 22. Juli 1881 als Sohn eines Lebensmittelhändlers in Wexford geboren. Die alte Wikinger-Stadt im Südosten der Insel gilt als rebellisches Pflaster. 1798 war die Grafschaft Wexford das Zentrum der irischen Rebellion gegen die Engländer gewesen. Die Stadt lag lange in den Händen der Aufständischen, an ihren englandtreuen Mitbürgern wurden Massaker verübt. Die Bewohner von Wexford waren stolze irische Bürger, daran erinnert sich Maeve Brennan später gut: »Die Stadt blieb sich immer gleich, sehr alt und ständig in Bewegung, an jeder Ecke Menschen, und ganz gleich, um wen es sich handelte, stets wusste man, dass man dieselben Rechte genoss wie sie.«19 Die kleine Maeve wird viel Zeit bei den Großeltern in Wexford verbringen und die Stadt auch zum Schauplatz einer ihrer besten Kurzgeschichten, Die Quellen der Zuneigung, machen: »Die Straßen von Wexford sind sehr eng, eher gekrümmt als gewunden. An einigen Stellen ist die Main Street eben breit genug, dass ein Auto hindurchpasst, und der Gehsteig schrumpft auf die Breite einer Planke zusammen. Dauernd kommen Kinder entlanggehüpft, einen Fuß auf der Straße, den anderen auf dem Gehsteig, andere sausen und flitzen in verschlungenen Mustern zwischen den langsam fahrenden Rädern und Autos hindurch. Es ist ein müdes, verwinkeltes Städtchen mit einfachen, nicht zueinander passenden Häusern, die von der Sonne farbig getrocknet und vom Regen farbig gespült werden. Wexford hat nichts Düsteres. Die Sonne kommt ganz nah an die Stadt heran und scheint bisweilen inmitten der Häuser aufzugehen. Der Wind streut Samenkörner gegen die Mauern und in die Dachrinnen, sodass man, wenn man aufblickt, zwischen sich und dem Himmel Ringelblumen blühen sieht.«20

Das Haus, in dem Robert Brennan aufwächst und in dem seine Mutter einen kleinen Gemischtwarenladen betreibt, verbindet durch die Vordertür und die Hintertür zwei Straßen miteinander und wird von Maeve in Der Rosengarten ausführlich beschrieben: »Eigentlich bestand das Haus aus zwei Eckhäusern, die miteinander verbunden worden waren. Die Häuser waren aufs Geratewohl zusammengelegt worden, und die Stiege wand sich entschlossen von einem Haus ins andere, wenngleich sich nicht feststellen ließ, ob sie vom ersten Stock nach oben oder vom zweiten Stock nach unten gebaut worden war, so unansehnlich und unbequem war sie. Sie schob sich, schief und krumm, durchs Haus nach oben, und einige ihrer Stufen waren so schmal, dass es schwierig war, den Fuß aufzusetzen; andere wiederum begannen breit und verengten sich auf der anderen Seite zu einem Nichts, sodass man sich beim Hinabsteigen nicht so auf sie verlassen konnte wie beim Hinaufsteigen. Es war eine tückische Stiege, doch soweit man wusste, war bislang noch nie jemand darauf ausgerutscht, denn sie nötigte Respekt und Aufmerksamkeit ab, und die Leute nahmen sich auf ihr in acht.«21

Robert Brennan wächst behütet, aber in ärmlichen Verhältnissen auf. Die sechs Pence, die das Strand Magazine kostet, in dem Woche für Woche die Fortsetzung des neuen Sherlock-Holmes-Romans von Sir Arthur Conan Doyle erscheint, kann er nicht aufbringen, und so wird die Leihbücherei des Mechanics’ Institutes sein zweites Zuhause: »Ich lungerte im Lesesaal des Mechanics’ Institutes in Wexford herum und wartete darauf, dass die neuste Ausgabe der Zeitschrift auf den Tisch gelegt wurde. Dann schnappte ich sie mir als erster und verfolgte atemlos die neusten Abenteuer von Holmes. Während er auf Leben und Tod mit dem Erzschurken Moriarty kämpfte, stand der linkische Dr. Watson immer etwas hilflos daneben.«22 Seine ersten eigenen Schreibversuche bescheren Robert Brennan bald einen Preis für die beste Kurzgeschichte.

Als er 17 Jahre alt ist, stehen in Wexford große Feierlichkeiten zum Gedenken an die Rebellion von 1798 an. Höhepunkt der Festtage ist der Auftritt von Douglas Hyde, dem Begründer der Gaelic League. Dieser löst mit seinem Aufzug fast einen Skandal aus. Im Gegensatz zum feinen Tuch, das der Mann von Welt bei derartigen Ereignissen üblicherweise trägt, ist der bärtige Hyde wie ein einfacher Bauer in rauen irischen Tweed gekleidet. Hyde wettert gegen aus England importierte Billigstoffe und plädiert für Kleidung aus gutem irischem Tweed, die im Land gefertigt wird. Sein Anzug ist ein politisches Statement, das sogleich von der irischen Unabhängigkeitsbewegung übernommen wird und von nun an Teil des Kampfes gegen shoddy imported goods ist.

Die Ablehnung von britischer Importware wird zu einer Glaubensfrage, die weit über Kleidung hinausgeht und neben der Kritik an der englischen Massenproduktion auch den angeblichen moralischen Niedergang des...

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