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E-Book

idealistisch und wagemutig

Pionierinnen im SOS-Kinderdorf

AutorBettina Hofer, Christina Lienhart
VerlagStudienverlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl308 Seiten
ISBN9783706558372
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Über die Frauen, die den Aufbau des SOS-Kinderdorfes wesentlich mitgestalteten, ist bislang wenig bekannt. Die Autorinnen porträtieren erstmals 15 dieser 'Pionierinnen' und zeichnen deren berufliche und persönliche Entwicklung nach. Wagemutig und ausdauernd, anpassungsfähig und widerständig setzten diese Frauen Initiativen beim Aufbau von SOS-Kinderdörfern weltweit, in der Mittelbeschaffung, in der Werbung, bei der Schulung von Kinderdorfmüttern, in der pädagogischen Ausrichtung und in der sozialpädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Über den biografischen Zugang hinaus bietet der Band einen unmittelbaren Einblick in den Alltag und die Entwicklung von SOS-Kinderdorf von den 1940er bis in die 1960er Jahre. Die einzelnen Biografien werden zudem verwoben mit gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, zeitgeschichtlichen Ereignissen und Lebenswelten von Frauen.

Die Autorinnen Bettina Hofer und Christina Lienhart, beide Erziehungswissenschaftlerinnen, sind als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Sozialpädagogischen Institut/Fachbereich Pädagogik von SOS-Kinderdorf tätig.

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Leseprobe

Alexandra Weiss


Geschlechterverhältnisse – Wandel und Resistenz


Lebensbedingungen von Frauen in Österreich in den ersten Nachkriegsjahrzehnten zwischen Ideologie und Realität


„Vielfach hoffe man, daß dies eine Nachkriegserscheinung sei. Bald werde man wieder die Retour-Kutsche besteigen, und die alten, schönen Zeiten, in denen die Frau als Königin im Märchenschloß der Familie regierte, so träume man, würden zurückkehren.“1

Die Nachkriegserscheinung, auf die sich der Autor Josef Gorbach hier bezieht, ist die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen. Die Annahme, dass Frauen nicht erwerbstätig seien, es ihrer „Natur“ widerspreche, war ein dominanter Diskurs der österreichischen Nachkriegsgesellschaft, in dessen Rahmen auch die ideologische Kreation der Hausfrauenehe zu verorten ist. Normen oder „Normalitätsannahmen“ haben aber oft wenig mit der Realität gemein, trotzdem sind sie wirkmächtig und gestalten die Rahmenbedingungen, innerhalb derer Frauen und Männer leben und handeln. Vorstellungen über Frauen und Männer, über ihr „Wesen“, stehen in Zusammenhang mit der Trennung von der öffentlichen und privaten Sphäre als ein grundsätzliches – geschlechtlich konnotiertes – Ordnungsprinzip in unserer Gesellschaft. Demgemäß werden Frauen aus der öffentlichen Sphäre ausgeschlossen und dem Privaten, der Familie, der Haus-, Erziehungs- und Pflegearbeit zugewiesen, während Politik und Erwerbsleben Männern vorbehalten bleiben sollen.

Die Philosophin Geneviève Fraisse konstatiert seit dem 19. Jahrhundert eine „Radikalisierung der Unordnung“2 in den Geschlechterverhältnissen. Mit der Idee der Demokratie wird das Problem der Geschlechtergleichheit im Politischen, aber auch in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen virulent. Wenngleich die Erste Frauenbewegung mit dem Wahlrecht die politische Gleichstellung von Frauen als Staatsbürgerinnen erkämpfte, blieb eine lange Reihe „un-erhörter“ Anliegen und Forderungen bestehen. Denn die Geschlechterdifferenz mit ihren geschlechtlichen Zuweisungen ist nicht nur in rechtlichen Normen und politischen Systemen eingeschrieben, sie durchdringt den gesamten sozialen Raum, prägt gesellschaftliche und moralische Normen und gibt Handlungsmöglichkeiten vor. Vor diesem Hintergrund war das Erfassen der Komplexität der Geschlechterverhältnisse als Machtund Herrschaftsverhältnisse das treibende – politische und wissenschaftliche – Interesse der Ersten als auch der Zweiten Frauenbewegung und der in diesem Kontext entstandenen Frauen- und Geschlechterforschung. Gerade der historischen Frauen- und Geschlechterforschung kam es dabei zu, die Geschichtlichkeit der Geschlechterdifferenz aufzuzeigen. Es galt die Geschichtlichkeit als Wesensmerkmal der Geschlechtsbeziehungen – „als anti-natürliche Repräsentation der Differenz“3 – darzustellen. In diesem Sinn ist die Frauen- und Geschlechterforschung immer ein „Anschreiben“ gegen das Postulat der „Naturhaftigkeit“ hierarchischer Geschlechterordnungen sowie das Erkennen ihrer Historizität und ihrer gesellschaftlichen und politischen Regulation. Verbunden ist damit auch die Möglichkeit der Politisierung und Veränderung von Geschlechterverhältnissen.

Nun machen zwar alle Menschen Geschichte4, doch gerade das Leben und Handeln von Frauen blieb lange Zeit aus der Geschichtsschreibung ausgeschlossen und verdrängt. Der vorliegende Band behandelt eine Zeit – von der Nachkriegszeit bis zum Ende der 1960er Jahre –, in der die Geschlechterverhältnisse in Bewegung geraten sind und „alles“ daran gesetzt wurde, sie wieder zu „normalisieren“. Wurden Frauen im Nationalsozialismus – wie schon im Austrofaschismus – vorerst durch verschiedene Maßnahmen5 in ihren scheinbar „ureigensten“ Bereich, die Familie, zurückgedrängt, so sollten sie mit Beginn des Krieges im September 1939 nach und nach die zur Wehrmacht eingezogenen Männer ersetzen. Der Übergang zu kriegswirtschaftlichen Verhältnissen zwang, entgegen der NS-Ideologie, dazu, Frauen – zuerst jüngere und ledige, später auch verheiratete und Mütter – in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Vor diesem Hintergrund erreichte die Frauenbeschäftigung 1944 einen historischen Höchststand von 60%.6

Auch in der unmittelbaren Nachkriegszeit war die Frauenbeschäftigung sehr hoch, mussten Frauen doch zum einen die noch nicht heimgekehrten oder im Krieg gefallenen Männer ersetzen und zum anderen das Überleben ihrer Familien sichern. Diese Durchbrechung der traditionellen Geschlechterrollen wurde damals als vorübergehende Situation und „Ausnahmezustand“ betrachtet, der als unerwünscht und „unnatürlich“ empfunden wurde und mit der zunehmenden Normalisierung der Gesellschaft wieder verschwinden sollte. Die Reetablierung traditioneller Geschlechterhierarchien wurde dabei von den meisten Frauen als selbstverständliche Realität betrachtet. Die sie beschränkenden propagierten Lebensformen, vor allem das Ideal der Kleinfamilie, ging mit einem Rückzugs- und Ruhebedürfnis von weiten Teilen der Bevölkerung konform. Frauen sollten wieder ausschließlich ihre familiären und häuslichen Aufgaben übernehmen, um die Geschlechterverhältnisse – zumindest an der Oberfläche – zu stabilisieren, auch wenn in der unmittelbaren Nachkriegszeit hinsichtlich der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung noch lange nicht zu den scheinbar gewohnten Zuständen zurückgekehrt werden konnte.7 Die allgemeine Wahrnehmung, nach der Frauenerwerbstätigkeit ein „modernes“ Phänomen sei, in dem Sinn, dass es erst ab ca. der Mitte des 20. Jahrhunderts (massiver) in Erscheinung tritt, erweist sich – bei genauer Betrachtung – als Mythos. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert liegt der Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der Beschäftigten durchwegs bei knapp unter oder etwas über 40%.8

Aber nicht nur in Hinblick auf die traditionelle Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern war noch keine „Normalität“ eingekehrt. Der Krieg, die lange Abwesenheit der Männer und die oft übereilt geschlossenen Ehen während des Krieges führten zu einer Entfremdung zwischen Frauen und Männern. So stieg die Zahl der Scheidungen in den Nachkriegsjahren rasch an, wobei insbesondere die „Kriegsehen“ betroffen waren. In Tirol etwa erreichte die Zahl der Ehescheidungen 1948 einen Höchststand, der erst im Jahr 1975 wieder zu verzeichnen war.9

Kulturelle Leitbilder und Lebensrealität waren also weit voneinander entfernt und insbesondere Frauen konnten die an sie gestellten Anforderungen nur mit einem extrem ausgedehnten Arbeitspensum – im Haushalt und in der Erwerbsarbeit – bewältigen. Die Reduktion von Frauen auf die Hausfrauentätigkeit und die Mutterschaft war dabei nicht nur ein Produkt der NS-Ideologie, das nach 1945 fortwirkte, wenngleich sie hier besonders zum Tragen kam. Vielmehr sind gesellschaftliche Diskurse, etwa in der Nationalökonomie oder den Gewerkschaften sowie sozialreformerische Diskussionen des 19. Jahrhunderts, schon prägend.10 Hier wurde ein Gegensatz zwischen Frausein und Lohnarbeit konstruiert, der sich in Österreich auf einer ideologischen Ebene zumindest bis in die 1950er Jahre hielt. Frauenarbeit im öffentlichen Raum, in der Fabrik oder im Amt, wurde in moralischen Kategorien diskutiert. So wurde Frauen durch „artfremde“ Arbeit etwa eine Erschütterung des seelischen Gleichgewichts und eine Zerrüttung ihrer Gesundheit diagnostiziert.11 Unterstützt wurde diese Haltung gegenüber der Frauenerwerbsarbeit auch durch Gewerkschaften, die Frauen vor allem als Konkurrentinnen ihrer eigentlichen Klientel, die männlichen Arbeiter, und als Lohndrückerinnen betrachteten und mit ihrer Politik explizit ein Hausfrauen/Familienerhalter-Modell propagierten. Das bürgerliche Familienmodell sollte im Sinn sozialen Fortschritts auf die Arbeiterklasse ausgedehnt werden und wurde nicht zuletzt im Wohlfahrtsstaat der Zweiten Republik verankert.12

Die Rigidität, mit der an traditionell-hierarchischen Geschlechtsrollen vor allem in den 1940er und 1950er Jahren festgehalten wurde, muss auch im Zusammenhang mit einer Erschütterung männlicher Identitäten betrachtet werden. Zum einen mussten Männer feststellen, dass Frauen während ihrer Abwesenheit in der Lage waren, die „männliche“ Rolle der Familienerhalterin auszufüllen und dadurch häufig einen Selbstbewusstseinszuwachs erfahren hatten. Zum anderen wurden der verlorene Krieg und die Anwesenheit der alliierten Soldaten, die als potentiell übermächtige Rivalen betrachtet wurden, als Demütigung empfunden. Die Kompetenz der Frauen im Nachkriegsalltag und die eigene Desorientierung in dieser Situation führten bei vielen Männern zu Ohnmachts- und Unterlegenheitsgefühlen.13 Damit war auch die männliche Autorität in den Familien in Frage gestellt worden. Umso stärker wurde auf ideologischer Ebene die Unterordnung von Frauen und ihr Verweis in die häusliche Sphäre...

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